weibliche Identität

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Heidrun Suter-Richter:

Jetzt habe auch ich die Flugschrift bekommen und gelesen und mich inspirieren lassen.- Nicht gerade zu Theorien, aber zu Assoziationen, oder individuellen Erinnerungen.

Vielleicht gerade zu dem Satz mit der Verantwortung. „Man ist zeitlebens dafür verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat“, sagte der Fuchs..

Wer sagt was zu wem mit welcher Intention? Soll der Satz Frauen Mut machen, die eigene Macht wahrzunehmen und zu gewichten? So dass aus dem Sein (so ist es nun mal, allein tragen Frauen- Mütter Verantwortung) ein Sollen entsteht? Oder entlastet er die einen (Männer, den Staat etc.,) und macht Müttern die alten Schuldgefühle, das „Lenorgefühl“.? Und kann das eine vom anderen getrennt werden? Verantwortung und das Schuldgefühl bezieht sich ja nicht nur auf die Wollsocken, sondern auf den Schulweg, die Ausbildung , Gesundheit, die Zukunft.. also Bereiche, die eben nicht in der alleinigen Macht der Mutter sind. Der Weg zum Kindergarten ist gerade ein gutes Beispiel, weil ich den Anspruch habe, dass der so kindgerecht sein sollte, und darum verkehrspolitisch so durchdacht, dass die Kinder ihn allein gehen können. Bislang habe ich mir einige Kämpfe diesbezüglich geleistet, u.a. mit Taxifahrern (und Polizisten), die Kinder mit dem Auto zur Schule bringen und abholen und dabei beliebig auf dem Fußweg und Schulhof fahren und parkieren. Ich wurde nicht selten beschimpft, dass ich doch nach Deutschland verschwinden solle,..und sowieso die Kinder zur Schule und zum Kindergarten begleiten müsse, das würden andere Mütter auch tun und hätten es auch getan...und umso kämpferischer habe ich weitergemacht, und war dann manchmal ganz erstaunt, dass ich sogar was erreichten. Kleinigkeiten, aber immerhin! Verantwortung, indem Mütter Verantwortlichkeiten abweisen und zuweisen und um die eigenen Grenzen wissen und die auch verteidigen. (Und neulich hat mich ein Schulsekretär zurecht gewiesen, dass ich meine Betreuungspflicht als Mutter nicht wahrnehme, wenn ich mich darüber beklage, dass die Schule so oft ausfalle...)

Noch eine Erinnerung: Als ich noch studierte, hüteten Leo und ich das Haus von Bernet. Leo machte in der Küche Pizza, ich las im Bett ein Buch. Meine Mutter war zu Besuch und kam ziemlich aufgebracht zu mir und sagte: Kind, das würde ich mir nicht gefallen lassen. Er kann am Ende noch alles besser als du (also kochen und denken)!

Meine Mutter bezog ihre Identität daraus, dass sie für die Familienarbeit zuständig war, also für uns kochte und uns versorgte,- und mein Vater von ihr abhängig war, wenn er was Warmes essen wollte. Das stimmte zwar nicht ganz, denn mein Vater hatte 50 Jahre als „Junggeselle“ gelebt und sich doch lange Zeit selbst versorgt, aber es war eine identitätsstiftende Konstruktion. „In meiner Küche bin ich König, da regier ich höchstpersönlich! - Mein Mann verhungert ohne mich, die Kinder auch, sie sind von mir abhängig.“ Massive weibliche Stärke?

Meine Mutter kam aus einer Bauernfamilie, die vor allem aus Frauen bestand, (drei Schwestern, eine Tante, eine Mutter und ein Mann...,) Sie wusste, dass diese Arbeit mit Tieren, Feld, Garten, Herd und Kindern wirtschaftlich relevante Arbeit war. Das wurde von ihr auch mit Wehmut erinnert. Sie zehrte von den Bildern einer ständisch organisierten Gesellschaft, in der Familien und Erwerbsleben nicht getrennt waren, der Anspruch der funktional differenzierten Gesellschaft (frei nach Luhmann) war ihr fremd

Und natürlich war die Situation in der Kleinfamilie, trotz der identitätsstiftenden VersorgerInnen-Mutterrolle frustrierend, weil nur sie selbst die Arbeit und die Früchte ihrer Arbeit sah und schätzte - und sie nicht mit Geld bewertet wurde. Geld und damit verbundene „Macht“ hatte mein Vater, bzw. er brachte es nach Hause-

Meine Mutter konnte ihre Arbeit nur indirekt bewerten, wenn sie am Sonntagnachmittag, den selbstgebackenen Kuchen auftischte und sagte: was haben wir doch gespart, im Restaurant kostet ein Stück so und so viel... und dann war der Kuchen, der von Bahlsen kam auch wieder billiger als im Restaurant- und machte auch nicht so viel Arbeit- und war genauso gut... Wie misst man den Wert der Arbeit und damit den eigenen Wert? Nach dem Duft der warmen Luft in der Küche am Samstagabend, wenn man die Fenster aufmacht und die kühle Abendluft mit dem Kirchengeläut spürt? Oder im Vergleich mit dem, was es anderswo kostet, bzw. was man verdient? Als meine Mutter die nahezu gleichen „Dienstleistungen“ als Hauswirtschaftslehrerin und Köchin ausübte, vor der Kleinfamilienzeit, war sie glücklicher,- sagte sie, da wurde gesehen und gewichtet, und gezahlt, was sie tat. Und dennoch sind die geglückten Augenblicke unbezahlbar. Ein Dilemma dem auch ich mich nicht entziehen kann!

Meine Mutter hatte mehr oder weniger die alleinige Verantwortung für die Kinder, dafür wurde ihr auch die Verantwortung an der Behinderung meiner Schwester zugeschoben. Sie hatte sich in der Schwangerschaft nicht richtig ernährt...

Mir gefällt der Anspruch, eine genügend gute Mutter sein zu dürfen mit vielfältigen mehr oder weniger gelungenen Beziehungen, die staatliche Institutionen in Anspruch nehmen kann und alle Hilfen, die sie irgendwie von Vätern und Tanten bekommt, weil sie um ihre Grenzen weiss weitaus besser als das Ideal einer starken Mutter mit Einzelkind in einsamer Entscheidung! (Und übrigens finde ich Geschwister unglaublich wichtig, - der Mensch braucht eine Schwester, pflegt die meinige zu sagen- - in der Flugschrift scheinen mir die Geschwister-Gruppen recht randständig behandelt.)

Nun, Leo und ich haben nicht mehr diese getrennten Bereiche, wir machen bezahlte und unbezahlte Care-arbeit Das ist auch nicht unproblematisch, denn wir müssen auch die Care-Arbeit ständig aufteilen oder aushalten, dass wir einander immer noch den Senf dazugeben: bei den Gedanken und wenn jemand Clopapier gekauft hat- (Recycling oder doch besseres, weil ohne Schwermetalle?). Alles kann zum Thema werden oder zum Konflikt führen. Aber ich habe Konflikte ganz gern, sie gehören zu den Versuchen, eine Beziehung gelungener zu machen. Es ist mir nicht mehr so klar, was ein Mann oder eine Frau ist oder macht- und ich will diese Klarheit auch nicht mehr, auch wenn sie Identität und Sicherheit gäbe.

Ich könnte immer weiter fahren und versuchen zu zeigen, wie wir das nun doch gemeinsam und auch mit fremder (bezahlter und unbezahlter) Hilfe und geteilter Verantwortung für Kinder und Geld und Liebe schaffen, und manchmal auch noch gern machen, und es manchmal auch zu viel wird.- so dass ich auch wieder denke, dass ich nicht mehr berufstätig sein will, oder die Kinder und den Mann einfach mal für eine Weile weg haben will....und wie ich-wir nicht die typischen Mann Frau Probleme, und natürlich doch auch haben.

Dem massiven Identitätsangebot meiner Mutter (Küche u. Kinder sind Dein Bereich, da hat der Mann nichts zu suchen) trauere ich nicht nach. Ihr etwa?

Politisch wär mir schon mit realen Veränderungen im Mutterschaftsrecht und im Schulsystem geholfen, -die meinen Lebensentwurf, (verheiratet, zwei Kinder, berufstätig) respektierten würden. Ich respektiere auch gern andere Lebensentwürfe, wenn sie nicht mit dem penetranten Anspruch daher kommen, das Ideal zu sein. Das Ideal einer nicht-berufstätigen Voll-Mutter ist jedenfalls noch nicht so weit weg, dass man es schon wieder überholen müsste. Und verschiedene weibliche Lebensentwürfe stehen nicht einfach nebeneinander, sondern geraten miteinander in Konflikt. Z.B. wenn die unverheiratete Kindergärtnerin nicht akzeptiert, dass Mütter eigene Termine Z.B. wegen ihrer Berufstätigkeit haben – oder Konflikte mit Müttern, –die sich ihrerseits durch das unmögliche Schulsystem darin bestärkt fühlen, dass Frau mit Kindern nicht berufstätig ist., und darum das Schulsystem durchaus nicht verändert werden muss. Zwischen „verheirateten“ und „alleinerziehenden“ Müttern gibt es dann Spannungen, um nicht zu sagen Streit, um die Mangelware Krippenplatz, Hortplatz, Tagesschulplatz....,auf die eine verheiratete Frau doch keinen Anspruch hat, denn schließlich müsste sie ja nicht.... Inzwischen habe ich den Eindruck, dass verheiratete Frauen mit „nettem“ Mann am blödesten dran sind, weil sie gefälligst klaglos und eindeutig sein sollen. Also sie sollen der tradierten Rolle entsprechen, während alleinerziehenden Müttern doch dann die staatliche Hilfen zugestanden wird. Inzwischen denke ich, dass alle Menschen Frauen Männer, Kinder ,ein existenzsicherndes Mindesteinkommen haben sollen. Auch kinderlose, weil es nämlich auch nicht lustig ist, keine Kinder zu haben. (Daneben habe ich auch solidarische Erfahrungen mit Frauen mit verschiedenen Lebensentwürfen gemacht, aber neben freischwebender Sympathie, verbinden eben doch Interessen oder Gemeinsamkeiten wie Wohnortnähe, Kinder, Bertreuungsnöte, Arbeit, etc..),

Und natürlich macht Not erfinderisch, sagte meine Mutter, -aber ohne Not geht’s auch.

Ich entferne mich von der Flugschrift. Neben einigem, was ich anregend fand (die Liebe zu den Dingen, und warum soll der Mann nicht auch so ein Ding sein, den frau nicht dem kapitalistischem Wegwerfdenken unterwirft- ?), scheint es nicht ganz unbegründet, wenn im Vorwort auf die Schwierigkeiten der Interpretation hingewiesen wurde.... Mir erscheint manches (besonders im Kap 4+5)wie trotzige Behauptungen....Na ja mein individuelles Problem.

 

Antje Schrupp:

Deine Beschreibungen aus dem Leben fand ich richtig klasse. Genau darum geht es nämlich, diese vielen verschiedenen Lebensentwürfe von Frauen miteinander in die Diskussion zu bringen. Aber nicht nur das, sondern auch klarzumachen, dass genau diese Diskussionen die eigentlich politischen Debatten sind und nicht diese Anzug-Show, die jeden Abend in der Tagesschau präsentiert wird. Interessant finde ich, dass du jetzt auch das Existenzgeld angesprochen hast. Und dass die wirklich glücklichen Momente im Leben unbezahlbar sind.

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