Geschlechterdifferenz

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Antje Schrupp:

Um nochmal auf was anderes zu kommen, möchte ich euch einfach mal ein komisches Gefühl mitteilen, das ich jetzt in Deutschland habe, nach dem ich so lange in Brasilien war: Mir fehlt die sichtbare Präsenz der Geschlechterdifferenz, die dort überall ins Auge springt. Ich merke, wie verhältnismäßig schwer es hier in Deutschland ist, als Frau anwesend zu sein. Ich habe viel in gemischten Gruppen, zu tun, in denen eben auch Männer sind, und mir fällt ganz unangenehm auf, wie stark hier "die Versuchung des Neutrums" ist (der Begriff stammt von Wanda Tommasi). Oder ich würde vielleicht sagen, der "Fluch" des Neutrum. Viele behandeln mich hier so, als ob es ganz egal wäre, ob ich (oder sie) eine Frau bin (oder ein Mann), und das macht mir ein ungutes Gefühl. Es fällt mir im Rückblick erst auf, wie wohltuend es war, die starke "Frauenkultur" zu erleben, die es in Brasilien immer noch gibt. Wobei das natürlich auch ambivalent ist (Samba und nackte Busen etc.), aber unsere Alltagskultur ist, finde ich, in dieser Hinsicht schon recht arm geworden. Versteht ihr, was ich meine? Vielleicht wäre es spannend, mal Erfahrungen auszutauschen, wie frau es anstellt, in unserer Gleichheits-Neutrums-Kultur "als Frau" aufzutreten, ohne dabei in platte Klischees zu verfallen. (10.5.2000)

 

Danderl:

wie verlasse ich das Neutrum Klischee und werde als Frau erkennbar schonmal mit Blumen am Schreibtisch probiert? ein fraulicher Arbeitsplatz im Büro sollte wohnlich sein, kleine Leckereien auf einem Teller....  , ich da habe z.B ein selbstgebasteltes Deckchen für meine Tasse, zwei wackelnde Hunde und ein schönes Kästchen für meine Schreibutensilien. Bei den Männern sieht es eher nüchtern aus...   (18.5.2000)

 

Susan Drye:

Ja, das sehe ich eigentlich auch so, mit dem Deckchen auf dem Schreibtisch usw. Wie man es auch Wohnungen (und Studentenwohnheimzimmern) meistens auf dem ersten Blick ansieht, ob da eine Frau drin wohnt oder ein Mann. Allerdings muss man dabei natürlich aufpassen, dass wir nicht in Weiblichkeitsklischees verfallen. Ich habe eine Kollegin, die lässt dauernd ihre angetrunkenen Kaffeetassen überall im Büro herum stehen und trotzdem ist sie natürlich eine Frau. (Auch wenn sie sich manchmal nicht so benimmt, haha.:-) Vielleicht ist es wichtig, das ganze nicht mehr so verkrampft zu sehen, wie früher? Mal ein paar lustige Frauenwitze erfinden? (19.5.2000)

 

Antje Schrupp

Heute morgen habe ich in der Frankfurter Rundschau (Samstagsausgabe, Magazin) einen interessanten Bericht über die Künstlerin Lily van der Stokker gelesen, die bei der Expo einen 70 mal 50 mal 38 Meter großen Bau als "Pink Box" hat anmalen lassen, im Jugendstil-New-Age-Schnörkel-Design. Sie erzählt, "am Anfang sagten sie alle, wow, das ist eine tolle Farbe, aber dann bemerkten einige Besucher auf der Baustelle, das sei irgendwie doch sehr feminin, dieses Pink". Über ihre eigene Rolle als Künstlerin sagt sie "Ich bin eine Vertreterin der Schönheit, und das macht es leider oft kompliziert" und: "Ich hab eine Obsession fürs Dekorative, für Ausschmückungen". Vielleicht sind das Begriffe, die uns im Bezug auf die Frage, was eine öffentliche weibliche "Präsenz" ist, weiterbringen könnten: Schönheit, dekorativ, Kitsch... - van Stokkers Kritiker und Kritikerinnen sagen, ihr Kunstwerk sei geschmacklos, naiv, sinnlos. Ihre Antwort: "Das was weibliche Dummheit genannt wird, möchte ich als etwas Schönes zeigen". Aufgefallen ist mir dabei eine Ähnlichkeit dieser"Pink Box"-Aktion mit einer krassen Art, Weiblichkeit zum Ausdruck zu bringen, die ich grade in New York beobachtet habe, vor allem (aber nicht nur) bei schwarzen Frauen: Überlange Fingernägel (schlappe 5 Zentimeter über die Fingerspitze hinausragend), die in einem ebensolchen Kitsch-Design "kunstvoll" bemalt, verschnörkelt, dekoriert werden, sind dort offenbar schwer in Mode. Es ist fast schon beängstigend, zu beobachten, wie etwa Verkäuferinnen mit den Spitzen ihrer Nägel Preise in die Kasse eintippen oder Pakete schnüren usw. Selbstverstümmelung? Krallen zeigen? Den Widerspruch zwischen Dekoration und Funktionalität auf die Spitze treiben? Das Beispiel von "Danderl" mit den Deckchen im Büro hat übrigens auch Annarosa Buttarelli in ihrem Aufsatz "Autorität hervorbringen, Macht abbauen" (in dem neuen Diotima-Buch "Jenseits der Gleichheit" übersetzt) aufgegriffen. Sie zitiert darin die italienische Denkerin Carla Lonzi, die dazu schreibt: "Die Wohnungen sind noch einer der wenigen anständigen Orte, an denen dank einer Frau, die sich durchsetzt, Lebensqualität aufrechterhalten wird. Wenn auch noch die Wohnungen in den Händen der Männer wären, ergäbe dies eine Verschlechterung, die für die Zukunft der Menschheit sicher schlimmer wäre, als die Atombombe". (20.5.2000)

 

Silke Schrupp:

Auch ich kenne diese seltsame Mode der überlangen Fingernägel aus den USA und habe genauso wie du gestaunt, dass diese Frauen mit diesen Dingern an den Fingern überhaupt etwas arbeiten können. Hier in Tokio gibt es auch so eine Mode. Die Mädels hier, tragen Schuhe mit ca. 25 cm hohen Sohlen. Die Plateauschuhe, die ich aus Dtschl. kannte, sind dagegen nichts. Ich würde gerne mal eine Statistik lesen, wie viele Japanerinnen sich Fußverletzungen durch diese Schuhe zuziehen. Ich denke, wenn man mit diesem Schuhwerk umknickt, hat man sich den Knöchel gebrochen. Auf jeden Fall kleiden sich die Japanerinnen viel femininer als die deutschen Frauen. Ca. 75 % der Frauen tragen Röcke. Auch die Farbe rosa spielt hier bei Kinderkleidung aber auch bei der jungen Mode eine viel größere Rolle als bei uns. M.E. soll sich Frau schon feminin kleiden. Aber diese Art der Mode ist für mich nicht erstrebenswert. Keine Frau kann sich darin wohlfühlen. Warum kristallisieren sich immer extreme Dinge heraus? Oder fallen die "Kleinigkeiten" nur nicht auf? (22.5.2000)

 

Anna Cardoso:

Ich finde die Diskussion über Fingernägel, Plateauschuhe usw. interessant, würde sie aber gern noch mal in Bezug setzen zu der Flugschrift. Dort wird ja Schmücken usw. der Hausarbeit zugeordnet. Andererseits fällt in der Einleitung schon das Stichwort "Kultur". Haben wir da jetzt einen Bogen geschlagen, der in der Flugschrift selber etwas zu kurz kommt? Dass nämlich Schmücken, Gestalten etc. vielleicht gar nicht Arbeit ist, sondern genau das Gegenteil, als Abgrenzung gegen Funktionieren-müssen, Funktionalität, Effizienz etc. Ausserdem ist mir aufgefallen, dass jetzt das Stichwort "weibliche Dummheit" zweimal aufgetaucht ist - die "dumme" weibliche Kunst dieser Expo-Künstlerin und die "Dummheit" der Japanerinnen oder Amerikanerinnen, sich durch ihr eigenes Outfit selbst zu behindern oder zu gefährden. Heute stand in der Frankfurter Rundschau ein Bericht über Musliminnen und dass sie betonen, es sei ihre Freiheit, sich zu verschleiern. Das ist ja auch eine "weibliche" Art, sich zu kleiden, die unter unseren westlichen Perspektiven als "dumm", selbsteinschränkend etc. verstanden wird. Und wie hängt das alles damit zusammen, dass im Bezug auf Weiblichkeit "Schönheit" und "Dummheit" oft gleichgesetzt wird (jetzt also auch von uns?) - Beispiel Blondinenwitze? (22.5.2000)

 

Ina Prätorius:

da bin ich wieder. Jetzt muss ich natürlich gleich mal Big Brother kucken, damit ich mitreden kann bei euch. Als ich Eure Beiträge gelesen habe, ist mir was Interessantes passiert: Den Beitrag von Dir, Anna, in dem Du Big Brother und das vermeintliche Verschwinden der Geschlechterdifferenz ebenda aufs Tapet bringst, hab ich versehentlich als einen von Antje gelesen. Und da dachte ich: Liebe Antje; alles darfst Du tun (von mir aus), bloss eines nicht: die Geschlechterdifferenz aufgeben! Was will uns das sagen? Diese meine spontane Reaktion auf einen Antje-Beitrag (der aber gar keiner war), auf den Beitrag einer dezidierten Differenztheoretikerin also, lehrt mich, dass ich bei einem Paradox angekommen bin: Die einzige Identität, auf die ich nicht mehr verzichten will, ist das Beharren auf Nicht-Identität (Differenz). Bedeutet dies nun, dass die Geschlechterdifferenz zu etwas so Formalem geworden ist wie Kants kat. Imperativ? Da ja Antje alles andere ist als eine "typische Frau" und dennoch auf ihrem Frausein beharrt? Ich meine: nein. Die Geschlechterdifferenz ist trotzdem nicht zu etwas rein Formalem geworden, weil sie auf einer Wirklichkeit beruht. Aber ihr "Inhalt" ist in ständiger Bewegung und also keine "Identität", (was vielleicht auch eine Aussage zu Eurer Debatte um die Frage des Sichtbarseins als Frau in einer Gesellschaft ist, die der Versuchung des Neutrums erliegt?). Ist das verstehbar? Das ist doch eigentlich die Frage, über die wir dauernd debattieren: was ist Geschlechterdifferenz, wenn sie sich nicht mehr in fixen Inhalten ausdrückt und trotzdem bleibt? Auch in dem Orient, aus dem ich gerade zurückkomme, gibt es übrigens diese sichtbare Frauenkultur, die uns in Mitteleuropa abhanden kommt. Sie ist allerdings viel vielfältiger als ich mir das gedacht hatte. (Es gibt alle Sorten Kopftücher und auch alle Sorten Moden. Bloss eines gibt es nicht: Frauen, die gleichzeitig Kopftuch und Minirock tragen...Und was ich auch nicht gesehen habe: Frauen, die selber Auto oder Fahrrad fahren. Frauen im Orient scheinen sich fahren zu lassen, oder sie gehen zu Fuss. Das gilt natürlich alles nicht für griechisch Zypern, aber vielleicht für türkisch Zypern?) Dazu später mehr. Jedenfalls kann ich Dein (Antjes) Problem mit dem Pathos des Neutrum, der sich gesellschaftlich verwirklicht, gut nachvollziehen. (22.5.2000)

 

Antje Schrupp:

Ich sitze in meinem Büro und an meiner Wand hängt ein wunderschönes Foto aus einer Zeitung, es zeigt eine Frau im Tschador von der Seite (man sieht also nur ein schwarzes Dreieck) auf einem Motorrad, und unten drunter steht der Bildtext: "Jemenitische Krankenschwester auf dem Weg zur Arbeit". Das ist genau der Punkt: Die Geschlechterdifferenz muss da bleiben, gerade auch weil sie inhaltlich nicht festgelegt werden kann - Frauen fahren selber oder lassen sich fahren, haben lange Fingernägel oder kurze, putzen oder putzen nicht. Luisa Muraro hat dazu einen sehr schönen Aufsatz geschrieben, aber ich hab das Buch grade nicht da, Literaturangabe wird später nachgeliefert. Jedenfalls schreibt sie darin  sinngemäß, der wichtigste Satz, mit dem "fran" (das ist, wie ich kürzlich gelernt habe, die neueste linguistische Alternative zu "man"...) der patriarchalen symbolischen (Un)ordnung entgegentreten kann, ist folgender: "Ich bin eine Frau". Egal was ich tue. Wichtig ist nur, dass ich (!) es tue. Also: Indem wir, ganz egal was wir machen, dabei klar machen "Ich bin eine Frau", bleibt die Geschlechterdifferenz deutlich und wir müssen uns keine Gedanken mehr darüber machen, was "inhaltlich" weiblich sein soll. Das Gute an dezidiert "weiblichem" Outfit ist, dass ich mir den Satz sparen kann, weil es ja offensichtlich ist, dass ich eine Frau bin. Wenn die Kleidung "neutraler" wird, muss ich mir andere Wege überlegen. Das geht aber auch. Der Sinn dabei ist letztlich, dass ich mir in jeder Situation überlege, ob das, was gerade verhandelt wird, mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmt. Wenn es das tut, ist es weiblich - denn ich bin ja eine Frau. Und ab da wird es interessant, denn dann lässt die eigentlich wichtige Differenz (die unter Frauen) bestimmt nicht lange auf sich warten, nämlich in Form von anderen, die was anderes machen (haben wir zum Beispiel am Thema Hausarbeit durchexerziert), die aber auch Frauen sind. Fröhliches Streiten also und damit Arbeit an einer neuen (weiblichen) symbolischen Ordnung. Lange Rede, kurzer Sinn: Dieser Satz "Ich bin eine Frau" hat also genau den Sinn, die falsche Alternative von formal - konkret, von der du gesprochen hast, aufzuheben. (22.5.2000)

 

Ina Prätorius:

Du sagst, die Geschlechterdifferenz hebe den alten Widerspruch von "konkret" und "formal" auf. Klingt schön. Kannst Du das noch ein wenig ausführen? (23.5.2000)

 

Antje Schrupp:

Ich hatte ja sowieso versprochen, die Literaturangabe noch nachzureichen. Ich bezog mich auf den Aufsatz "Unsere gemeinsame Fähigkeit zum Unendlichen" von Muraro (in: Die Welt zur Welt bringen, S. 173), der je öfter ich ihn lese immer mehr zu meinem Lieblingsaufsatz wird. Ich kann mich noch dran erinnern, als ich anfing ihn zu übersetzen, hab ich fast gar nix verstanden, aber die Mühe lohnt sich echt. Natürlich kann ich es nicht so schön ausdrücken, wie es da steht, aber ich will's doch mal versuchen: Wenn ich in einem beliebigen Kontext deutlich mache: "Ich bin eine Frau" (also durch entsprechendes Outfit oder indem ich es ausspreche oder sonstwie), dann wird dadurch die Gegenwart einer Sie, eines weiblichen Subjektes markiert. Und so wird der weibliche Diskurs in die symbolische Ordnung eingeführt, weil man sich mir gegenüber darauf beziehen kann ("Du als Frau"). So passiert Arbeit an einer neuen, eine weiblichen symbolischen Ordnung, und wir müssen nicht mehr im Rahmen der bisherigen, männlichen, patriarchalen symbolischen Ordnung bleiben, in der wir nur das, was bisher als Sagbar und Denkbar gilt, bestätigen oder kritisieren können. Diesen Teufelskreis kann ich mit dem Satz (oder dem Fingernagel...) der deutlich macht: "Ich bin eine Frau" durchbrechen - ein "formaler" Satz, vorgetragen von einer "konkreten" Person - nur wenn beides zusammenkommt, gelingt diese "Markierung". Das ist es übrigens, was ich an den Thesen vom Hamburger Frauenkongress auch kritisieren würde. Dass sie mit ihrer Argumentation (Gerechtigkeit, Unterdrückung, nachhaltiges Wirtschaften usw...) genau diesen Ausbruch nicht machen. Sie bleiben völlig im Rahmen des innerhalb der bestehenden (Un)ordnung Sag- und Denkbaren. Aber indem sie sagen "Wir sind Frauen" gelingt ihnen dennoch diese Markierung (ich kann mich also in meiner Antwort auf sie "als Frauen" beziehen und muss nicht in den alten Männer-Diskurs einsteigen). Man muss sich aber dennoch Gedanken machen, wie die Geschlechterdifferenz sichtbar gehalten werden kann. Mir ist nämlich aufgefallen ist, dass die formelhafte Wiederholung von Innen-Wörtern (Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) gerade diese "Markierung" nicht (mehr) leistet. Sie genügt den Gerechtigkeitsvorstellungen der männlichen symbolischen Ordnung, aber  für die Arbeit an einer neuen symbolischen Ordnung bringt sie gar nichts. Die Fingernägel der Amerikanerinnen oder die Plateauschuhe der Japanerinnen halte ich da für viel effektiver.  (24.5.2000)

 

Antje Schrupp:

Ein Erlebnis aus dem Urlaub: Da sah ich das Mädchen, das mit uns in Italien war, mit ihren Spangen und Puppen und Röcken herumhüpfen und als ich ihr eines Morgens Zöpfchen machte, fiel  mir der Satz ein "Man wird nicht als Mädchen geboren, man wird dazu gemacht". Das ist auch so ein Relikt von damals. Ja, fragt frau sich doch heute: Warum denn eigentlich nicht? Als ob da was schlimmes dabei wäre. Ist doch schön, so zum Mädchen gemacht zu werden.Vom Ende des Patriarchats her gesehen, ist dieser Satz, wenn man sich's genau überlegt, eigentlich ziemlich frauenfeindlich. (6.8.00)

 

Ina Prätorius:

Meine Tochter hatte auch diese "Phase" mit Rüschchen, Rosa etc. Ich liess sie machen, fand es schön anzuschauen, war mir sicher, dass wieder was anderes kommen würde. So war es dann auch. Heute läuft sie in Einheitsschlaghosen vom H&M rum. Das ist jetzt halt so und sieht auch gut aus. (7.8.00)

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