Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Maria Wolf: Ich hörte kürzlich einen Vortrag zur "feministischen Theorie". Eine Soziologin definierte "standortbezogenen" und "dekonstruktivistischen" Ansatz. Sie selbst bezeichnete sich als Dekonstruktivistin. Ihr Fazit mündete in und die Diskussion danach drehte sich um die Frage nach einer Strategie wie "wir Frauen zur Macht kommen". Das kollektive "wir Frauen" paßt mir überhaupt nicht. Wie ist denn das mit dem dekonstruktivistischen Ansatz. Der besagt doch, daß wir nicht von zwei Geschlechtern (männlich und weiblich) ausgehen, sondern daß wir männliche und weibliche Attribute einer Person beschreibend zuordnen. Wir differenzieren nicht mehr Mann und Frau, sondern eine Person von einer anderen. Wenn ich nun davon ausgehe, daß im Beschreiben des Weiblichen das Ursprüngliche liegt (vgl. Andrea Günter und die Kette: Frau - Natur - Religion - ...), dann müßte feministisches Begehren doch dahin gehen das Weibliche in der Welt hervorzubringen. Und wenn "wir Frauen" das nun in Opposition zu "den Männern" tun, ist das dann nicht ein instrumentalisieren der feministischen Theorie? Ist Macht an sich ein Ziel? Oder ist Macht nicht das, dessen wir uns bewußt werden sollen, das, was uns durch unser in die Welt kommen gegeben ist, durch die Möglichkeiten, die wir haben, unsere Ideen aber auch ganz materiell?! Und die Ziele: Ich glaube nicht, daß es "das Ziel" oder "die Ziele" in Reinkultur gibt. Ich will etwas und wenn ich anfange mich dafür einzusetzen, es umzusetzen, geschieht etwas mit dem, was ich will, weil auch etwas mit mir geschieht und wenn andere auf ihre Art mitmachen, wird es noch spannender und noch offener. Das funktioniert nicht immer reibungslos und für die praktische Politik ist es mit Risiken verbunden (Wie macht man Wahlkampf, wenn man ihn als offenen Prozeß versteht?) Strategie ? Vielleicht ab und zu eine Standortbesinnung. Ina, was meinst Du mit fromm? Se Deus quiser! Eine Indifferenz - positiv vertrauend, mehr oder weniger? (3.4.01)
Antje Schrupp: willkommen auf der Liste! Ich habe ja letztes Jahr länger in Brasilien verbracht habe, und von daher dieses dauernde "se deus quiser" - "so Gott will" noch im Ohr, das dort eine sehr häufig benutzte Redewendung ist. In Deutschland war es ja früher auch üblich, mit dieser Redewendung das Wissen darum auszudrücken, dass unser eigenes Wollen und die Möglichkeit, Ziele (auch gerade politische) instrumentell umzusetzen, begrenzt ist. War das vielleicht ein weibliches Wissen? Oder bilde ich mir nur ein, dass ich diesen Satz irgendwie eher alten Frauen zuordne als alten Männern? Jedenfalls ist diese "so Gott will"-Haltung durch den aufgeklärt-rationalen Impetus des westlichen Denkens und "Politik machens" in Mißkredit geraten und dieses zweckrational-strategische Herangehen haben leider auch Feministinnen übernommen (wer war übrigens diese Soziologin? Und wie grenzte sie "standortbezogen" von "dekonstrivistisch" ab? - aber das nur nebenbei). Das einzige, wobei ich dir widersprechen würde ist, wenn du das in-die-Welt-kommen des weiblichen Begehrens als Bewusstwerdung von Macht definierst. Nicht zu unrecht haben die Italienerinnen dafür ja stattdessen das Wort "Autorität" in die Diskussion gebracht. Macht ist etwas anderes, denn sie ist etwas äußerliches, sie hängt nicht von meinem Begehren und den Autoritätsbeziehungen ab, die ich eingehe, sondern sie ist auf die (u.U. stillschweigende) Zustimmung der Mehrheit (Hannah Arendt) angewiesen, und sie braucht sichtbare Formen wie Befugnisse, Titel, Institutionen und Hierarchien etc. Macht ist nicht per se schlecht oder gut, es kann durchaus eine gewisse Berechtigung haben, in bestimmten Situationen Machtstrukturen zu etablieren, aber für die Analyse der weltverändernden Kraft von weiblichem Begehren und Autorität ist es wichtig zu sehen, dass dies mit Macht nichts zu tun hat, sondern geradezu ihr Gegenteil ist. Jedenfalls nach ganz anderen Prinzipien funktioniert. Es gibt beides, Macht und Autorität, und deshalb ist es notwendig, diesen Unterschied zu verstehen. (3.4.01)
Maria Wolf: Die Soziologin heißt Erika Haas. In der Einladung stand, sie wolle "zwei wesentliche theoretische Ansatzgruppen und die daraus folgenden unterschiedlichen Strategien, Handlungsrichtlinien und Zielbestimmungen" vorstellen. Und die "Relevanz dieser Überlegungen" sollen nach einer theoretischen Reflexion "für den viel diskutierten gender mainstreaming Ansatz fruchtbar gemacht werden". Wenn ich so überlege, grenzte sie eigentlich nicht ab, es lief alles ineinander rein. Das folgende sind jetzt meine Worte und ob ich es richtig wiedergebe, weiß ich nicht: "Standpunktbezogen" nannte sie das Ausgehen von zwei konkret durch männlich und weiblich in ihrer Unterschiedlichkeit definierten Geschlechter. Gleichberechtigung wird z. B. erreicht durch Bezahlung der Familienarbeit, Angleichung der Frauenlöhne ect. Was die Rollenzuschreibung eher noch verstärkt. Mit "dekonstruktivistisch" bezeichnete sie die Auflösung von männlich und weiblich als Geschlecht dahin, daß es mehr Geschlechter (5, 6, 7, ...) gibt. Sie nannte auch Namen. Ich habe mir Angelika Wetterer dazu notiert (zur Info für Euch, mir sagt sie - noch - nichts). Ich habe Weiberwirtschaft I und II und ein paar Artikel von Andrea Günter gelesen und mir gelang während ihres Vortrages überhaupt keine Verknüpfung. Ich versuchte dann in der Diskussion aus dem Stand und sicher etwas laienhaft Gedanken wie Gebürtigkeit, Fülle und nicht Mangel als Ausgangssituation, und eben das, was ich in der letzten Mail geschrieben habe darzulegen. Worauf die Referentin meinte, sie könne mit so biologistischen Ansätzen wenig anfangen. Die meiste Zeit ging dann mit dem Gespräch um Strategien drauf. (4.4.01)
Ina Prätorius: Der der Begriff "Macht" ist vielfältig und ich persönlich halte mich an diesem Punkt nicht an die italienische Terminologie halte, obwohl ich die Unterscheidung zwischen verschiedenen deutlichen Arten, in der Welt präsent zu sein, sehr wichtig finde. (4.4.01)
Antje Schrupp: Macht als solche auch zu verstehen und zu analysieren (und nicht mit etwas Befreiendem, u.a. Autorität, zu verwechseln), das finde ich vor allem als Anarchistin wichtig, und gar nicht so sehr als "Italienerin" (4.4.01)
Ina Prätorius: ich hab mir nochmal überlegt, warum ich den Begriff "Macht" nicht im Sinne der Italienerinnen brauche, sondern dort, wo sie "Macht" (potere?) sagen, eher "Herrschaft" oder "Bürokratie" setze. Das liegt daran, dass ich, bevor ich die Italienerinnen gelesen habe, Bekanntschaft gemacht habe z.B. mit Audre Lorde, Adrienne Rich und Carter Heyward. Für diese amerikanischen Frauen ist "Macht" (power) etwas Positives. Paradigmatisch für diesen Gebrauch des Wortes ist Audre Lordes bekannter Text "Vom Nutzen der Erotik: Erotik als Macht" (in: Dagmar Schultz Hg., Macht und Sinnlichkeit. Ausgewählte Texte von Audre Lorde und Adrienne Rich, Berlin1983, 2.Aufl. 1986 187-194). Ich finde nun einfach die Vorstellung etwas seltsam, gegenüber solchen frauenbewegt-bewährten Texten vom italienischen Denken aus daherzukommen und zu sagen, Audre Lorde habe da wohl einen Fehler gemacht, sie meine nämlich eigentlich "Autorität". Und wie würde sich das anhören: "Vom Nutzen der Erotik: Erotik als Autorität"? "Macht" - auch im Deutschen - ist für mich vom emotionalen Umfeld her, das nicht unwesentlich von solchen Texten geprägt ist, mehr und anderes als diese äusserlich-bürokratisch verfestigte Sache, die die Italienerinnen damit meinen. (5.4.01) Antje Schrupp: ja, ich muss zugeben, die von dir zitierten Texte zur Macht kenne ich nicht - aber mein spontaner Eindruck ist, dass ich hier das Wort "power" eher mit Kraft, Stärke übersetzen würde. Was wiederum etwas anderes ist, sowohl als Macht als auch als Autorität. Und dann gibt es ja noch den herkömmlichen feministischen Diskurs zum Thema "Frauen an die Macht", den finde ich einfach falsch, weil er zu Verwirrung im weiblichen Denken führt, denn er trägt nicht zum Verständnis dessen, was geschieht, bei. Ich kenne zu viele Frauen, die sich haben breitschlagen lassen, irgendwelche Führungspositionen zu übernehmen (um der Sache der Frauen willen) und dann leiden - entweder an ihrem Anspruch, oder am Anspruch der anderen, daran, dass sie sich verbiegen, daran, dass sie sich nicht verbiegen usw. Zum Beispiel arbeite ich in einem Verband, in dem seit etwa zehn Jahren eine Frau an der Spitze steht. Nun ist es so, dass sie sich eher als Moderatorin sieht, denn als Führungspersönlichkeit: D.h. sie drückt sich vor Entscheidungen, sagt heute das, morgen das. Es besteht offensichtlich ein Widerspruch zwischen dem, was sie will und der Grundlage, auf der sie - als Frau - gewählt wurde, und den Erfordernissen, die ein solches Amt mit sich bringt. Es kann sehr schädlich sein, wenn eine Machtposition von jemand besetzt ist, die keine Macht ausüben will. Sachkompetenz und Kommunikationsfähigkeit genügen da nicht - was wir in der Flugschrift in Kap. 16 ja auch geschrieben haben, Frauen "profilieren" sich nicht als Person. Ich wünsche mir dann oft klammheimlich, sie würde gehen, und das einen Mann machen lassen, der sowas kann. Wie auch immer, all das und mehr gehört für mich in die Beschäftigung mit Macht rein, und ich würde Macht und das Streben von Frauen nach Macht nicht von vornherein ablehnen, genau wie du, Ina. Auch ich unterscheide da zwischen Macht und Herrschaft - als Anarchistin bin ich gegen jede Form von Herrschaft, Macht dagegen kann u.U. sinnvoll sein. - im Sinne davon, dass man Sturkturen und Kompetenzen schafft, die bis zu einem gewissen Grad formalisiert sind, zum Nutzen der Allgemeinheit. Aber das ist dann eben Macht und keine Autorität. Zum Beispiel kann Macht zum Nutzen von Herrschaft instrumentalisiert werden, Autorität nicht. Dafür ist Autorität eine Möglichkeit, der Macht (und damit u.U. auch der Herrschaft) entgegenzutreten. Mir hilft es jedenfalls, Situationen zu verstehen, wenn ich mir überlege, worum es hier jetzt geht, ob um Macht, ob um Autorität, ob um Herrschaft. Es heisst z.B. ganz banal, dass ich - wie so viele andere häufig - den Fehler nicht mehr mache, schwindende Autorität zu kompensieren durch den Einsatz von Macht, bzw. wenn ich das mache, bin ich mir darüber im klaren und weiss, dass ich bestimmte Dinge (Freiwilligkeit, Anerkennung) dann nicht mehr erwarten kann. Oder andersrum - wie auch immer, im Alltag ist diese Unterscheidung in millionen Situationen unglaublich hilfreich. Über den Begriff "Ermächtigung", Maria, muss ich noch ein bisschen nachdenken. Ich gebrauche das Wort jedenfalls nicht im Alltag. Vielleicht könnte damit so was ausgedrückt werden wie der Versuch, Frauen zu ermuntern, Machtpositionen zu ergreifen trotz aller Nachteile, die das bringt? So dass der Begriff etwas wie das weibliche Pendant zum männlichen "an die Macht bringen" oder "zur Macht verhelfen" wäre, nur dass eben zum Ausdruck gebracht würde, dass bei Frauen das anders funktioniert? (8.4.01)
Ina Prätorius: Eine kleine Geschichte zu "Macht": Ich sass kürzlich gemeinsam mit mehreren Frauen auf einem Podium zum Thema: "Frauen und Wirtschaft - Chancen nützen". Eine dieser Frauen war die (liberale) Finanzministerin des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Marianne Kleiner. Und bei dieser Frau hatte ich das Gefühl, dass sie Macht ausübt, so, wie es mir richtig erscheint. Sie hat in den paar Jahren, seit sie dieses Amt hat, eine Menge konkreter Fortschritte für Frauen erreicht (z.B. frauengerechte Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen, Tagesbetreuung für Schulkinder...) - mit einer eher wirtschaftsliberalen Ideologie dahinter, die "eigentlich" nicht meine ist. Auf die direkte Frage, warum sie so viel erreicht habe, sagte sie nur: "Ganz einfach: weil ich die Chefin bin." Das fand ich gut. Die Ausstrahlung dieser Frau sagte, dass es ihr Spass macht, in einem begrenzten Bereich (der Kanton AR ist klein) genau so viel zu erreichen, wie sich erreichen lässt, und zwar mit genau den Machtmitteln, die diese Position zur Verfügung stellt. Interessant ist, dass ein solcher rational-lebensfroher, in einer Diskussion transparent dargestellter Umgang mit Macht einer Frau in meinen Augen gleichzeitig Autorität verleiht. Weil sie nämlich ganz das tut, was sie tut, und nicht den Eindruck vermittelt, sie wäre lieber anderswo und würde lieber was anderes (besseres) machen. (8.4.01)
Maria Wolf: ich meine nicht, daß Ermächtigung heißt, Frauen in Führungspositionen zu
bringen.
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