Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Du, Ingeborg, hast in Deinem letzten Beitrag gesagt, die Frauenbewegung bewege sich wie ein Pendel zwischen Intellektualität und Zustimmung zur Mutterrolle hin und her und hast das auch ansatzweise historisch illustriert. Ich meine nun, dass das Bild des Pendels zwar ein häufig gebrauchtes und irgendwie auf den ersten Blick plausibles ist, dass es aber etwas Wichtiges ausser Acht lässt: Während ein Pendel immer wieder an derselben Stelle landet, meine ich, dass wir in unseren Diskursen - z.B. zum Mutterschaft und/oder das, was Du Intellektualität nennst - doch weiterkommen, auch wenn es vielleicht oberflächlich betrachtet aussieht wie eine Hin- und Herbewegung. Die Flugschrift z.B. lässt zum einen diese falsche Alternative Muttersein/Intellekt hinter sich (wie sollte das auch ein Gegensatz sein?), zum anderen führt sie ein neues Verständnis von Freiheit und Verantwortung ein, das sich stark unterscheidet von der Vorstellung der bürgerlichen Frauenbewegung von sogenannt vergesellschafteter Mutterschaft. Ich würde das nun zwar auch nicht im klassisch-androzentrischen Sinn einen Fortschritt nennen, aber da kommt doch etwas Neues in die Welt, allein schon dadurch, übrigens, dass es sich um eine neue Generation von Frauen handelt, die vor dem Hintergrund veränderter denkerischer Traditionen, politischer Möglichkeiten und Herausforderungen denken. Ein angemessenes Bild jenseits von Pendel und Fortschritt fällt mir nicht ein. Wahrscheinlich will ich auch gar keins finden, weil ich zur Zeit eher skeptisch bin Bildern gegenüber... Ingeborg Dietsche: es ist wirklich interessant - darüber was dieses Bild Pendel aussagt, habe ich nicht so sehr nachgedacht. Aber Du hast recht: Diese ewige Wiederkehr, symbolisiert in der Pendelbewegung wünsche ich nicht für die Frauenbewegung...... - doch wenigstens so was wie die Springprozession - zwei Schritte vorwärts, einen zurück - geht langsam, aber sicher..... ;-) Also, jetzt habe ich mal geschaut, was Iris von Roten in ihrem Buch 'Frauen im Laufgitter' 1958, also vor der Pille, zum Kinderkriegen, zur Mutterschaft als 'Bürde ohne Würde' gesagt hat. Sie schreibt auf Seite 316 sinngemäß, daß sehr wohl ältere Frauen jüngere Männer heiraten könnten, und auf Seite 317: ....die Heirat fünfunddreissig, selbst vierzigjähriger Frauen mit jungen Männern wäre noch "natürlich" genug. Ja, unter Voraussetzung der herrschenden Unzulänglichkeit auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung wäre sie sogar zweckmäßig. Nun könnte man eine Familie gründen, ohne sich nach der Geburt der gewünschten Anzahl Kinder mit dem Problem der Empfängnisverhütung herumschlagen zu müssen .......Auf Seite 325 .....Denn nicht ihre Lust und Laune, ein Kind zu bekommen, ist dafür entscheidend, sondern ob Männer, die ihnen Versorgung bieten, Lust haben, sich ihnen gegenüber auf Lebenszeit zu binden. Die Notwendigkeit, einen solchen einzufangen, um überhaupt Kinder bekommen zu können, vielleicht mit einem vorliebnehmen zu müssen, der nicht in allen Teilen das ist, was man erträumte, und obendrauf das ganze Leben lang zu tun, was man schon immer die Mutter tun sah, löst nicht gerade unbändige Freude aus..... Na, Du hast recht..... die Frauenbewegung ist tatsächlich vorangekommen.... ABER noch immer wird die mütterliche Verantwortung nicht zu einem angemessenen Stundensatz honoriert.......Warum eigentlich? Warum hat die Frau eines Bankrotteurs, wenn sie drei Kinder erzogen hat (wie ich gerade bei einer Bekannten erlebe) gar nichts....sie kann Sozialhilfe beantragen! die Haus-Frau eines Schreiners nicht sehr viel mehr, die Haus-Frau eines Managers oder von Bundeskanzler Kohl sehr sehr sehr viel mehr....und eine Alleinerziehende muß beim Patriarchen-Staat betteln......eine Tagesmutter bekommt etwa 7,-- DM die Stunde, davon soll sie noch für Essen und Hygiene sorgen.... Meiner Meinung nach ist es einfach nicht gerecht, Verantwortung als Mutter gering zu bewerten. Mütter brauchen Geld. Mütter brauchen Zeit. Zeit ist Geld. Sie haben aber entweder das Eine oder das Andere. Noch ein Buchzitat .....es ist nicht verwunderlich, daß gegenwärtig (1999) die Hälfte der rar gesäten Managerinnen in Haushalten ohne Kinder lebt, während ansonsten Kinderlosigkeit bei Frauen im vergleichbaren Alter nur ein Viertel beträgt. Der Anteil der Haushalte männlicher Führungskräfte ohne Kinder beträgt dagegen weniger als ein Drittel und entspricht ungefähr dem ihrer Altersgenossen in anderen Positionen. (Crompton Rosemary 1995, Geschlecht, soziale Schichtung und Arbeit) Ina Praetorius: Eben dies erlebe ich auch gerade: eine äusserst arbeitsame, selbst-bewusste, liebe, intelligente Frau hat fünf (!) Kinder grossgezogen: alle wohlgeraten, alle, ausser dem Jüngsten, der noch zur Schule geht, selbständig, in Ausbildung oder schon verdienend: hoffnungsvolle, stabile, sensible Glieder dieser Gesellschaft. Und jetzt geht der Mann, Kleinunternehmer, Konkurs, schmeisst den Bettel hin (was im übrigen auch gut zu verstehen ist... unter den Bedingungen... als Kleinunternehmer... im landwirtschaftlichen Kontext...). Was hat sie? Depressionen nicht gerade, aber grosse Probleme. Am letzten Samstag habe ich länger mit ihr geredet, auf dem Fest zum zwanzigsten Geburtstag ihrer zweiten Tochter (alle fünf anwesend: Lehrerin, Elektriker, Behindertenbetreuerin in Ausbildung, Käser in Ausbildung, Schüler...). Ja, sie war niedergeschlagen wegen dieser familiären Unsicherheit, und dennoch: die Zufriedenheit über ihre eigene Leistung als Mutter konnte sie nicht verheimlichen. Ich hab ihr gesagt, sie soll sich jetzt mal zurücklehnen, ihre fünf tollen Sprösslinge anschauen, stolz sein, und wissen, dass ihr letztlich nichts passieren kann mit so tollen grossen Kindern.Ja, Du hast recht, Ingeborg, es ist eine riesige Ungerechtigkeit, das wissen auch immer mehr traditionelle Mütter. Worauf wir politisch bauen müssen, ist dennoch in erster Linie die elementare Zufriedenheit dieser wunderbaren Frauen, die immer wieder so viel zuwegebringen. Bei allem Aerger über den Konkurs-Macher - ich bin vor allem voll Bewunderung über <seine> Frau...
Ina
Prätorius: Auf der Frauenkirche-Liste, die Du, Antje, ja auch mitverfolgst, merke ich aber gerade, mit welchen Ungleichzeitigkeiten wir leben. Da ist von "Teamgeist" und "gleichberechtigtem Miteinander" die Rede, als gäbe es keine anderen Wörter mehr. Und Gleichberechtigung kann dann im Einzelfall wirklich bedeuten, dass "frau" sich so und nicht anders zu äussern hat, sonst gehts echt los... Ich finde es zur Zeit ziemlich interessant, diese Ungleichzeitigkeit zu beobachten, auch wenns manchmal wehtut. Bei der Frauensynode in Alpbach war das vor allem im Bereich des Politikbegriffs deutlich: Es war klar, dass neu benannt werden muss, was das Politische ist, und gleichzeitig warfen die Frauen gegenseitig (!) vor, sie seien "unpolitisch". Das ist wirklich spannend, da zuzugucken. (7.8.00)
Antje Schrupp: Im neuen
Spiegel ist ein Bericht unter dem Motto: Weg von den Forderungen der
Frauenbewegung, hin (zurück) zur Familie, das ist der Trend der Politik und
das, was die jungen Frauen wollen. Wie immer beim Spiegel eine Mischung aus
richtigen Beobachtungen und falschen Schlussfolgerungen. Ich nehme an, wenn die
Autoren oder Autorinnen die Flugschrift kennen würden, würden sie uns auch als
Beleg für ihre These anführen. Mir ist dadurch noch einmal klar geworden, wie
wichtig es ist, dass wir im Zusammenhang mit der Flugschrift und einem
"neuen Denken" klarmachen, dass das Ganze auf der Grundlage der
Frauenbewegung der 70er Jahre entstanden ist, dass wir dafür dankbar zu sein
haben und dass es bei den Diskussionen nicht um ein "zurück" zu
vorfeministischen Meinungen geht, sondern um eine Weiterentwicklung des
feministischen Denkens. (8.8.01)
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