Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
|
|
Ina Praetorius: Im Anschluss an Heidruns Beitrag habe ich Interesse an neuen Diskussionsthemen bekommen: 1. Was bedeutet für die Flugschrift bzw. ihre öffentliche Wirkung die unhintergehbare Tatsache, dass jeder (?) Satz ein mehrdeutiger Sprachakt ist. Heidruns Beispiel: Der Satz Mütter tragen die volle Verantwortung... (schon wieder unser Knackpunktsatz) kann als Stärkung mütterlicher Autorität, als (resignierende) Zustimmung zur noch immer existierenden faktischen patriarchalen Verantwortungszuweisung oder als Einwilligung in die Verantwortungsverweigerung der Väter aufgefasst werden, je nachdem, wer als SenderIn und wer als EmpfängerIn der Botschaft angenommen wird. Daher rührt vermutlich ein grosser Teil der Verwirrung um diesen Satz. Heidrun fragt zu Recht, ob sich die jeweiligen Botschaften überhaupt voneinander trennen lassen, ob hier also die Eindeutigkeit hergestellt werden kann, die wir in unserer Diskussion bisher gesucht haben. Meine These war bis jetzt, dass die Gesamtausrichtung der Flugschrift - postpatriarchaler Subjektstatus der Frauen als Denkvoraussetzung - bestimmte Deutungen gar nicht zulässt, dass also, wer genau liest, nicht auf die Idee kommen kann, hier sei ein Freibrief für Väter oder ein Zurückkommen auf herkömmliche Arbeitsteilung gemeint. Stimmt diese These? Lesen also die Rezipientinnen ungenau oder ist die Flugschrift nicht konzise genug? Oder ist es eine Illusion, an einem derart neuralgischen, von Gefühlen und Erfahrungen des Ausgeliefertseins an eine Rolle überladenen Punkt Genauigkeit und Eindeutigkeit zu erwarten? Die Schilderung nur einer einzigen komplexen Mutterrealität, wie Heidrun sie uns bietet, zeigt, wie ungeheuer ausdifferenziert das Feld ist, auf das dieser Satz heute trifft. 2. Wie soll (feministische) Theoriebildung heute sein und wozu genau soll sie dienen? Was bedeutet die Flugschrift für Frauen, die nicht professionell feministische Theorie lesen oder betreiben? (Sorry, ich kanns im Moment nicht präziser sagen.) Ina
Praetorius: Hallo Antje, Du liebst das Wort "Neid", stimmts? Am Anfang, als Du mir und anderen Neid auf Deine Brasilienreise untergejubelt hast... na ja, da dachte ich noch, sie wird schon recht haben, wahrscheinlich verdränge ich einfach, dass ich selber auch am liebsten am Strand liegen würde... Nachdem nun aber fast in jedem Deiner Beiträge und Texte der Neid auftaucht, frage ich mich, ob es sich da um ein begriffliches Passepartout handelt. Du bist neidisch auf die Hausfrauen, die Hausfrauen auf die Reiselustigen, und fast alle sind neidisch auf diejenigen, die ihrer Sehnsucht nach eigenständiger Welterforschung nachgeben. Usw. Die Italienerinnen haben das geschickt angestellt: sie haben eine Menge Wörter in die Welt gesetzt, die sich als Passepartouts eignen: Begehren, Autorität, Neid, Dankbarkeit... Alles wunderschön plausibel. Wenn nun aber jede sich ihr Lieblingswort aussucht, die eine nur noch von Begehren, die andere nur noch von Autorität etc. spricht, dann frage ich mich... Was frage ich mich? Ob solche Wörter dann noch wirklich über irgendetwas Aufschluss geben. Jedenfalls denke ich, wenn die Antje wieder mal jemanden auf jemanden neidisch sein lässt, dass es dann vor allem darum geht, dass halt die Antje wieder jemanden auf jemanden neidisch sein lässt. Das Interesse lässt nach. Was soll frau da machen? Vielleicht drüber nachdenken, was eigentlich gemeint ist und ob es vielleicht präzisere Wörter dafür gibt. Ich weiß grade nicht, wie wir mit dieser eCircle-Diskussion weiterverfahren sollen. Es waren viele gute Geschichten zu hören, und einige gute Reaktionen darauf. Und jetzt?
Heidrun
Suter-Richter: Was ist so schlimm am Neid -und dass es dann plötzlich Worte gibt, die wie Sterne auftauchen und einen ganzen Schweif mit sich ziehen? Jedenfalls hatte ich den Exkurs von Antje in ihre Kochbuchkünste auch als Schritt zur "Entspannung" verstanden... und Neid ist doch auch Ausdruck davon, dass es eben etwas gibt, was ich nicht habe aber vielleicht auch erreichen könnte..- also Ansporn .
Ina
Praetorius: Eigentlich wollte ich nicht sagen, dass ich Neid schlimm finde - das finde ich nämlich nicht, jedenfalls theoretisch... -, sondern dass ich fürchte, dass gerade die wichtigen Wörter sich durch inflationären Gebrauch allzu schnell abnützen. Vielleicht hast Du, Heidrun, aber recht, dass dahinter doch ein gewisser Unwille meinerseits steckt, sich den Neid als etwas Positives anzueignen. Genau dies mutet uns das Denken der Italienerinnen zu. Dass mir das Inflationäre gewisser Wörter bzw. ihres Gebrauches bei Antjes vielen Neiden mehr auffällt als wenn ich selbst z.B. in einem Text viermal den Begriff "Freiheit" gebrauche, hat vermutlich schon etwas mit dem Inhalt der beiden Wörter und damit zu tun, dass einem Modewörter bei anderen mehr auffallen als bei einer selbst. Fazit: Mit dem Neid sollten wir uns befassen, auch wenns manchmal nicht so angenehm ist. Aber dass ich auf bestimmte Dinge vielleicht wirklich nicht neidisch bin, das ist auch noch eine Möglichkeit, die nicht auszuschliessen ist. Heidrun
Suter-Richter: Ein LeserInnenbrief in der Zeitung zum Thema Krippen und Geld für Krippen:. "Kinder , so das Credo der SVP, sollen daheim betreut werden, Krippen seien dem Wohl der Kinder nicht förderlich. Als Mutter ..kann ich dieser Aussage nur zustimmen...Leider wird diese Institution (Krippen) immer mehr benutzt, um die Kinder abzuschieben, weil sich die Mütter weiterbilden möchten oder sie es als keine Herausforderung sehen, die Kinder zu betreuen und den Haushalt zu führen....Ein wichtiger und zeitgemässer Schritt wäre, endlich einzusehen, dass wir die alleinige Verantwortung für unsere Kinder tragen und somit deren Betreuung innerhalb der Familien übernehmen müssen...."(von U.Stadelmann Adligenswil). Hat sie wohl die Flugschrift gelesen, oder ist die Rede von der alleinigen Verantwortung doch inzwischen verbreitet - also das Thema "Sprechakt". Tja,-bleibt mir doch die Spucke weg. Antje Schrupp: Also ich habe das Wort Neid gerademal zweimal
benutzt, und damit ist es doch noch kein Passepartout oder Modewort. Eher habe
ich den Eindruck, du benutzt hier bei deinen Analysen das Wort inflationär
inflationär ;-) Worin ich dir recht gebe ist die Kritik an dem inflationären
Gebrauch bestimmter Begriffe der Italienerinnen, z.B. grade Affidamento oder
auch Begehren. Es wäre aber eine interessante Frage, inwieweit der Gebrauch
eines Wortes zu seinem Verständnis beitragen kann, auch wenn man noch nicht
genau verstanden hat, was es bedeutet. Das habe ich z.B. mal auf einer Tagung am
Beispiel von "Dankbarkeit" beobachtet. Eine Art spielerischer Umgang
mit Begriffen, der dann dazu führt, dass sie auch gefüllt werden. Etwas
anderes ist natürlich, wenn eine damit um sich schmeißt, nur um zu zeigen,
dass sie das auch schon gelesen hat. Oder wenn sie benutzt werden, nicht um
damit etwas zu lernen, um Einsichten oder Erkenntnisse zu haben, sondern nur um
die eigenen Meinungen zu zementieren, wie im Beispiel dieses Leserinnenbriefes,
den Heidrun uns geschickt hat. Also, ich finde, es ist vor allem die Absicht,
die zählt: Will eine was kapieren? Oder will sie sich nur wichtig machen und
weiß ansonsten sowieso schon alles? Das
Wort Neid, um noch mal darauf zurückzukommen, spielt jedoch bei den
Italienerinnen, soviel ich mitgekriegt habe, überhaupt keine Rolle. Oder ist
mir da was entgangen? Aber dein Vorwurf hat mich doch noch dazu gebracht,
drüber nachzudenken, was diese beiden Male, wo ich es benutzt habe, miteinander
zu tun haben. Einmal habe ich das Wort Neid zitiert aus den Briefen und mails
die mir Leute schreiben, dass sie neidisch sind (nicht alle, du zum Beispiel
nicht, was ich auch nie behauptet habe, aber doch viele). Und ich habe, glaube
ich, behauptet, sie seien gar nicht richtig neidisch, sonst würden sie es doch
genauso machen, wie ich. Also in diesem Zusammenhang war es sogar ich, die den
Gebrauch des Wortes kritisiert hat. Zum zweiten Mal habe ich es gebraucht um zu
sagen, dass ich neidisch bin auf die Frauen mit hausfraulichen Kompetenzen. Und
da halte ich das Wort nun für angebracht. Der Unterschied, dem ich unbewusst
gemacht hatte, ist der, dass ich behaupte, die anderen könnten an ihrer
Situation ja etwas ändern (und brauchten dann nicht mehr neidisch zu sein), ich
aber nicht. Deshalb darf ich jammern. Und dann schreibt mir nun aber Heidrun,
ich sollte es als Ansporn nehmen, etwas zu verändern. Und wenn ich nun aber
meine, ich sei da einfach schlecht weggekommen, weil ich bestimmt Sachen nicht
gelernt habe? Also vielleicht ist Neid (das Gefühl erst mal) ein Zeichen für
1. Unzufriedenheit 2. Ein Gefühl der Ungerechtigkeit 3. möglicherweise Anreiz,
etwas zu verändern. Wobei man aber eben nicht alles ändern kann. Ina Praetorius: Du
weisst ja gar nicht, Antje, was ich, ausser den eCircle-mails, alles von Dir
lese... Zum Beispiel: auf der Weihnachtskarte des Wichern-Verlags stand dieses
Jahr ein Ausschnitt aus dem Text, den Du anscheinend für dieses Sehnsuchts-Buch
von Norbert Sommer geschrieben hast. Da kam der Neid auch vor, und mir hast Du
ihn, nachdem Du nach Brasilien gefahren warst, schon auch unterstellt. Doch
doch, bei den Italienerinnen, da spielt der Neid eine Rolle, als ein Aspekt der
Affidamento-Beziehung, ganz in dem Sinne, wie Heidrun es dargestellt hat... Aber
jetzt mal Schluss mit diesem Thema. Abgesehen von gewissen Emotionen, die wohl
auftreten müssen, wenn ein konventionell negativ besetztes Wort in ein
positives umgewandelt werden soll, sind wir uns inhaltlich, glaub ich, einig,
auch mit Heidrun. Wir sollten das Thema Sprechakt mal richtig ernsthaft diskutieren. Und diese in der Flugschrift ja schon ganz vorne angesprochene Geschichte mit der möglichen Vereinnahmung von der "falschen" Seite. Dazu müssten wir benennen, woran sich entscheidet, welche Seite die "falsche" ist. Denn dass eine Position von einer bürgerlichen statt einer linken Partei vertreten wird, das ist natürlich kein ausreichendes Kriterium mehr, obwohl es ein bequemes wäre und immer wieder mal zur Anwendung kommt. Das Kriterium ist natürlich die Unterstützung der weiblichen Freiheit, d.h.: was den Freiraum der Frauen, eine eigene Existenzform zu leben, vergrössert, ist gut, egal ob "bürgerlich" oder nicht (das steht auch schon irgendwo in der Flugschrift). Was würden die Autorinnen der Flugschrift also der zitierten Leserinnenbriefschreiberin entgegnen? Tatsächlich: ich habe gedacht, es sei natürlich ganz einfach, diese Frage zu beantworten. Mir fällt aber nichts ein. Kann aber auch daran liegen, dass heute der 23. Dezember ist und unten im Wohnzimmer vier Kinder und ein Vater lautstark den Christbaum richten. Antje
Schrupp: Ich habe auch gute Vorsätze für das neue Jahrtausend,
unter anderem den, endlich mal Speculum von Luce Irigaray zu lesen. Bisher kommt
es mir aber noch vor wie Strafarbeit. Versteh ich da irgendwas nicht? Zum
Beispiel die Bedeutung von dem allen? Lohnt es sich, weiterzulesen? (Ich bin
derzeit am Ende der Auseinandersetzung mit Freud) jedenfalls hab ich darin
trotzdem was Interessantes gefunden, das zu unserer Diskussion passt. Freud sagt
nämlich irgendwo (zitiert Irigaray): "Dass man dem Weib wenig Sinn für
Gerechtigkeit zuerkennen muss, hängt wohl mit dem Überwiegen des Neids in
ihrem Seelenleben zusammen". Da hab ich eine Weile drüber nachdenken
müssen. Ist es vielleicht kein Zufall, dass wir in der Flugschrift die
abstrakte Gerechtigkeitsvorstellung der Moderne kritisieren und stattdessen
Beziehungen stärken, und in dieser Mailingliste dann ganz nebenbei uns an dem
Begriff Neid aufhängen? vielleicht ist ja Neid tatsächlich so etwas wie ein
Seismograph dafür, dass irgendwas "falsch" ist, auch wenn es formal
"gerecht" zugeht? Noch etwas: Liest eine von euch die Graswurzelrevolution?
Das ist so eine kleine anarchistisch-radikale Zeitung in Deutschland, die ich
abonniert habe. In der Novemberausgabe (die ich jetzt erst hier gekriegt habe)
ist ein Artikel von einer Frau (ich glaube, Gita Tost oder so, kann aber auch
ein Pseudonym sein), in dem sie die Abhängigkeit von der Geldwirtschaft
kritisiert und stattdessen auf Beziehungen setzt. An irgendeiner Stelle schreibt
sie sogar fast wörtlich dasselbe, wie wir in der Flugschrift, dass nämlich
eine Abhängigkeit immer besteht. Ich habe mich gefreut, das zu lesen, weil es
mir schon auf die Nerven geht, immer in die reaktionäre Ecke gerückt zu
werden. Also: Es gibt auch ganz weit LINKS Leute, die in eine ähnliche Richtung
denken. Obwohl es natürlich stimmt, Ina, dass diese Kategorien
von links und rechts überhaupt nichts mehr nützen. Das Kriterium ist,
wie du richtig schreibst (zu dem Leserinnenbrief), die weibliche Freiheit, wobei
Freiheit eben nicht gleich Autonomie ist, sondern die Gestaltung der jeweiligen
Abhängigkeiten. Aber wenn es auch schwer ist, Freiheit positiv zu bestimmen, so
ist doch ganz klar, was Freiheit nicht ist. Und das würde ich dieser Leserin
auch antworten: jede Frau, die nach Alternativen sucht für das ständige
Angebundensein durch die alleinige Last der Kindererziehung ist ein Gegenbeweis
für die Richtigkeit ihrer Auffassung. Sie ignoriert die Realität, dass
nämlich ganz viele Frauen anderer Ansicht sind als sie und auch schon längst
andere Modelle leben und entwickelt haben. Ina Praetorius: Nur ganz kurz, liebe Antje (habe gleich
"Bibellesen": wir fangen mit dem Estherbuch an...): Ja ja ja
weiterlesen. Speculum zu lesen lohnt sich. Ich habs irgendwann zwischen 1983 und
1987 mehrmals in Abschnitten gelesen, teilweise angeleitet von Brigitte
Weisshaupt, und lese es seither immer wieder, immer wieder zu anderen Anlässen,
natürlich nicht ganz von vorn bis hinten, aber jetzt gerade z.B. im
Zusammenhang mit einem Aufsatz, den ich für einen niederländischen
Theologinnenband zum Thema "Haushalt (Gottes)" schreibe. Speculum ist
einfach ein klasse Klassiker, lass Dir das gesagt sein. Kannst Du französisch?
Ich auch nur so viel, dass ich die Stellen manchmal nachträglich im Original
verifiziere, nachdem ich die Übersetzung gelesen habe. Lohnt sich immer.
Antje Schrupp: Von dieser dauernden Weiterverwertung des
Sehnsuchts-Artikels wusste ich gar nichts, jedenfalls: Ist schon ne Weile her,
dass ich das geschrieben hab (ursprünglich für Publik Forum). Und da geht’s
auch um Neid? Hast du mich am Ende doch erwischt? Danke jedenfalls für die
Aufmunterung bezüglich Speculum. Ich will den Mut auch nicht verlieren und
tapfer weiterlesen. Hin und wieder ist da ja auch mal so ein Satz, da denk ich
juchee. Aber dazwischen. Warum soll mich das Penisneid-Gequatsche von Freud
interessieren? Das ist doch die ganze Auseinandersetzung nicht wert . Und warum
muss ich durch seitenlang Plotin ackern? Vermutlich muss man es wirklich besser
mit Anleitung/im Gespräch lesen. Aber zu aktuelleren Dingen. Vor ein paar Tagen sah ich im
Kino diesen Film mit Michelle Pfeifer und Bruce Willis, die ihre Ehe retten (ich
weiß den deutschen Titel nicht, "die Geschichte von uns zweien" wäre
so etwa die Übersetzung des brasilianischen). Jedenfalls geht es da um den
alten Konflikt zwischen der Frau, die immer für alles Verantwortung übernimmt
(dass die Kinder pünktlich kommen, die Rechnungen bezahlt werden usw.) und den
verantwortungslosen Lebemännern, die glauben, so was regelt sich von selbst.
Und das ist ja schon ein interessanter Konflikt. Aber Michelle Pfeiffer wirkt
einfach total erbärmlich mit ihrer Lamentiererei. Vielleicht hat sie ja auch
nur schlecht geschauspielert. Aber irgendwie hab ich mich beim Angucken dieses
Films fast schon geschämt eine Frau zu sein, denn der Tenor war, dass wir uns
mit unserer Emanzipation das Recht erkämpft habe, so jämmerlich sein zu
dürfen. Versteht ihr, was ich meine? Vielleicht liegt es ja auch dran, dass ich
zur Zeit immer diese Dritteweltprobleme vor Augen habe. Da denk ich mir dann:
Haben die keine anderen Probleme? Wollen wir nicht was Grosses vollbringen,
statt uns darüber zu beklagen, dass unsere Männer nicht rechtzeitig tanken
fahren? Ina Praetorius: Du sprichst wahr. Hier eine Story aus der Schweiz: Die hiesigen
Sozialdemokraten, die in den letzten Jahren weiblicher- und männlicherseits vor
allem durch Einfallslosigkeit und Schulterpolsterblazerseriosität geglänzt
haben, bekommen derzeit Oberwasser durch was wohl? Durch einen couragierten
urbanen wirklich guten Mann (Verkehrsminister), der eine denkwürdige Rede nach
der anderen hält (mal von der Kanzel der Berner Hauptkirche am 1.1.2000, mal
zum 75sten Geburtstag eines verdienten Schriftstellers...). Wenn ich diese Reden
lese, die natürlich gleich alle in den wichtigsten Zeitungen gedruckt
erscheinen, dann kann ich den Gedanken nicht verdrängen: der Kerl hat die
Flugschrift gelesen, er redet äusserst intelligent und amüsant und
selbstironisch über Politik als Kultur, über Beziehungen, über all das
Wichtige - und profiliert sich dabei als neuer Mann, während die Damen
Politikerinnen brav ihre Hausaufgaben machen (Flugschrift S. ...) oder davon
reden, wie toll es doch ist, dass sie es als Frau in die Politik geschafft
haben... Das ist ein wenig überzeichnet. Trotzdem: ich bin gespalten, möchte
mich über einen Politiker freuen, der wahre Worte spricht, statt mit
Spendengeldern rumzuschmieren, und ärgere mich doch, dass es ein Er ist, der
sich da wieder mal als Persönlichkeit zu profilieren versteht. (Immerhin bin
ich selbst Seite an Seite mit diesem Herrn jedenfalls im ersten Kirchenboten zum
neuen Jahrtausend über meine Visionen befragt worden, wenn schon nicht in der
NZZ, wo ich aber doch jedenfalls vor Weihnachten einen Text über Jesus
plazieren durfte.) Ich übe mich in Geduld. Und ich hoffe tatsächlich, dass die
Flugschrift und die anderen WW-Bücher die Wirklichkeit verändern (helfen).
Irgendwie hab ichs im Gespür, dass auch die Politikerinnen demnächst merken
werden, dass perfekt gemachte Hausaufgaben nicht alles sind. Es wird nicht mehr
lange dauern. Und dann ärgere ich mich drüber, dass der, den eine Frau gedreht
hat, kein wichtigeres Thema zu haben scheint als eine junge Klosterschülerin,
die dem bösen bösen Papst zum Trotz einen jungen Pfarrer, das einzige
männliche Wesen weit und breit, vernascht, um ihre "Freiheit"
wiederzugewinnen. Ja wo sind wir denn hier? Tja, hier befinden wir uns wohl auf
der Welt, der einzigen, die wir haben... Und dann gucke ich mir im Fernsehen
zusammen mit meiner Tochter den "Männer..."-Film von Doris Dörrie
(1985) wieder mal an und finde, dass die vor 15 Jahren schon ganz schön weit
war. Das ist nämlich ein lustiger, tiefsinniger, selbstironischer kleiner Film,
das. Stundenlang könnte frau über diese postpatriarchalen Irrungen und
Wirrungen plaudern... Ina Praetorius: Das mit den vereinnahmbaren Wörtern und Gedankengängen ist wirklich ein allgemeines und nicht zu unterschätzendes Problem nicht nur der Flugschrift, sondern jedes feministischen Denkens, das nicht einfach "dagegen ist", sondern selbst Welt entwirft und gestalten will und daher mit elementaren Gegebenheiten des Lebens statt mit vorgegebenen politischen Korrektheiten arbeitet. (Wörter wie: Sinn des Seins, Beziehung, Gesundheit, Dankbarkeit...). Ein weiteres, z.Zt. aktuelles Beispiel ist der Begriff der "Ordnung", der ja nicht nur in der Flugschrift, sondern auch im Denken des Herrn Haider eine prominente Rolle spielt... Ich meine trotz aller Risiken, dass es heute an der Zeit ist, all diese Grund-Wörter nicht mehr einfach den Herren Kohl und Haider etc. zu überlassen, die sie verpfuschen und öffentlich unmöglich machen, sondern an diesen Wörtern zu arbeiten ("Arbeit am Symbolischen") und all die Konflikte, Missverständnisse, Fehlinterpretationen, die sich daraus ergeben, auf sich zu nehmen und durchzuarbeiten. Als Theologin habe ich mit dieser Art des Neusprechens "unmöglicher" Wörter (Gnade, Gebet, Andacht, Frömmigkeit...) meine einschlägigen Erfahrungen. Heute muss ich sagen, dass es zwar riskant ist, so zu arbeiten, aber bei weitem spannender und kreativer als ständig um irgendwelche Wörter politisch korrekte Bögen zu machen. Wenn ich das mache - und die Frauenbewegung hat das lange getan -, dann bin ich am Schluss nur noch am Aufpassen, ja nichts "Falsches" zu sagen und also total eingeengt in meinen Ausdrucksmöglichkeiten. Dieses Grundsatzstatement beantwortet nun zwar noch nicht Deine Frage, wie konkret mit Kohls Sprachgebrauch umzugehen ist. Aber es deutet die (meine, unsere) Richtung an. Was ich auch noch
wichtig finde, hier mal zu sagen: Die "Arbeit am Symbolischen"
verspricht ja keinen Himmel auf Erden, keine totale Lösung für alle Probleme,
auch wenn sie grosse Wörter wie "Sinn" und "Begehren" und
"Liebe" und "Freiheit" gebraucht. Es geht nicht um
irgendeine Totale (auch wenn, wie ich zugebe, die "Gemeinde der
Italienerinnen" manchmal schon so was wie sektiererische Züge annimmt...),
sondern um realistische, begrenzte, vielfältige Möglichkeiten zu handeln und
die Welt zu verändern. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, die gleiche Lösung
für Deutschland, die Schweiz, Brasilien und Skandinavien zu propagieren (das
sind die geographischen Räume, in denen wir uns zur Zeit virtuell aufhalten).
Vielleicht sollten Frauen in Deutschland wirklich nicht allzu ungeschützt von
"Beziehungspolitik" sprechen, und in Oesterreich nicht zu laut von
"Ordnung" und "Aufräumen"? Oder sollten sie vielleicht
genau dies tun? Das sind Entscheidungen, die täglich in eigener Verantwortung
neu zu fällen sind und die einer keine Ideologie abnehmen kann. Antje
Schrupp: Was ich an der Mutter-Diskussion richtig interessant finde, ist die Verknüpfung von philosophischem Konzept (des Mutter-Seins) und der biologischen Tatsache (des Mutter-Seins). Es ist eben "real life", das hier in Gedanken gefasst wird und nicht irgendwie ein abstraktes Ding, und deshalb muss es sich tatsächlich ganz anders an der Wirklichkeit überprüfen lassen, als, sagen wir mal, Hegels Herr-Knecht-Diskurs. Und deshalb freue ich mich sehr, dass die Diskussion in der Schlangenbrut jetzt so konkret weitergeht.
Ina
Praetorius: Das was Du über die Realitäts-Anbindung dieser neuen Art zu philosophieren sagst, dem kann ich nur zustimmen. Das ist es auch, was die Frauen (z.B. in der Schlangenbrut) fasziniert/provoziert (zwei Seiten einer Medaille). Es geht wirklich darum, die richtigen Worte für die richtige Wirklichkeit zu finden. Dass das so "neu" ist, ist eigentlich erstaunlich, weil wir doch immer gedacht haben, dass Denken heisst, über die Wirklichkeit nachzudenken. Aber es ist tatsächlich neu, und das ist, wenn unsere Analysen des Patriarchats stimmen, dann doch wieder gar nicht erstaunlich. Übrigens. Mein neues Buch ist soeben erschienen. Es heisst: "Zum Ende des Patriarchats. Theologisch-politische Texte im Übergang" (Mainz, Grünewald 2000). Ina Praetorius: Und an welcher Kirchentür schlagen wir jetzt unsere Thesen an? (War Luthers Thesenanschlag eigentlich eine anarchistische Aktion?)
Antje Schrupp: Ob
ich das jetzt als Thesenanschlag an irgendeine Kirche hängen möchte, weiss ich
nicht. Diese Luther'sche Einstellung "Hier stehe ich und kann nciht
anders" kommt mir immer etwas isoliert vor (hier ich und da die böse Welt
oder der Papst). Man könnte die Gedanken natürlich noch mal in einem Büchlein
oder so zusammenfassen. Aber ich sehe das eher als einen Ort, wo ich mir über
Meinung und Position klar werde. Und dann kommt eben die Vermittlung, wo ich
halt grade bin. Bin ich in einer Existenzgeldgruppe, dann werde ich da mal den
Begriff Nützlichkeit einführen (statt Recht auf). Und bin ich in der Kirche,
dann werd ich gegen die Einführung von Marktwirtschaftskriterien in die
Diakonie sein. Und bin ich Hausfrau, dann werde ich... und bin ich sonstwas,
dann werde ich sonstwas... und zwischendurch komme ich dann hier in die
Mailingliste oder lese Diotimabücher, um wieder auf neue Gedanken zu kommen
oder mich meiner Position zu vergewissern. So ungefähr.
Ina
Praetorius: Ich finde den Thesenanschlag von Luther subjektiv (von ihm aus gesehen) auch isoliert, aber objektiv (von der "Weltgeschichte" aus gesehen) äusserst vernetzt. Und was ich jetzt wirklich allmählich nicht mehr will ist dieses ewige Argumente-hin-und-her-Geschiebe. Ja, ich weiss, wir sind alle urgewaltig verschieden voneinander. Aber ich will trotzdem etwas meinetwegen auch aus dem Cyberspace heraus, aber jedenfalls hinein in die gemeinsames tun, wirkliche Wirklichkeit... Und deshalb war das mit dem Thesenanschlag nicht (nur) als Gag gemeint.
Antje
Schrupp: Das hat mich angeregt, über die Möglichkeiten nachzudenken, politisch sprechend Wirkung auszuüben. Mein Vorbehalt gegen das Aushängen unserer Flugschrift-und-Mailinglisten-Erkenntnisse als Thesenanschlag rühren auch daher, dass ich keine Lust habe, mich in unnötige Verständnisdiskussionen reinziehen zu lassen. Irgendwann zwischen Luther und heute hat es sich in der öffentlichen sogenannten politischen Diskussion eingebürgert, nicht mehr auf das zu hören, was jemand meint, sondern sich (formal) daran aufzuhängen, was jemand sagt. Das war zum Beispiel in den Debatten um und mit Haider zu beobachten. Hat er nun oder hat er nicht vor dieser oder jener Nazi-Versammlung diesen oder jenen Satz gesagt? Es hat niemand versucht, ihn darauf festzunageln, was er denn nun eigentlich tatsächlich meint. Und so konnte er sich immer wunderschön rausreden (nein, diesen Satz habe ich so nie gesagt - wenn er ihn eben ein bisschen anders gesagt hatte). Im Bezug auf die Flugschrift ist es andersrum, aber ähnlich: Es gibt halt Leute, die meinen, wenn Worte wie "Mutter" und "Gesundheit" in einem Text vorkommen, dann sind die Autorinnen Nazis. Was glaubst du, was passiert, wenn wir mit einem Gesellschaftsgeld-Vorschlag kommen, der das Kriterium "Nützlichkeit" in die Debatte um Geld-vom-Staat-bekommen einführt? Ich hör sie sich doch jetzt schon entrüsten. Zu Luthers Zeiten war das glaub ich noch anders. Wenn jemand etwas ketzerisches sagte, hatte er die Möglichkeit, zu widerrufen - und damit sagen: So habe ich es nicht gemeint. Und dann eine andere Formulierung suchen für das, was er gemeint hat. Oder er wiederrief nicht - und hatte es dann eben so gemeint. In einem solchen Zusammenhang machen Thesen Sinn, denn sie sind Anlass für eine Auseinandersetzung darüber, was mit ihnen gemeint ist. Heute funktioniert das nicht mehr. Die Leute (ich meine jetzt die breite Öffentlichkeit, Zeitungen, politisch Korrekte usw) sehen auf die Buchstaben und interessieren sich gar nicht dafür, was mit ihnen gesagt werden soll. Darauf will ich mich gar nicht erst einlassen. Und diskutiere daher lieber nur mit denen, die an einer Auseinandersetzung darüber interessiert sind, was ich meine. Für die anderen suche ich mir andere "Aktionsformen".
Ina
Praetorius: Wenn ichs mir recht überlege, dann ist die Flugschrift schon so eine Art Thesenanschlag, ein post-gutenbergscher sozusagen. Und da sich die Autorinnen der Diskussion nicht entziehen, spüren sie, wie Luther, was das heisst: Den einen geht es um den Geist, den anderen um den Buchstaben. Ich glaube, dass es auch schon zu Luthers Zeiten Leute gegeben hat, die vor allem auf den Buchstaben geachtet haben (wenn auch vielleicht weniger als heute im "Informationszeitalter", das ist wohl wahr...). Aber die politisch Korrekten von damals sind nicht in die Geschichte eingegangen, weil sie eben nichts "bedeutet" haben. So wird es den politisch Korrekten von heute vermutlich auch gehen. Mit anderen Worten: Ich korrigiere meine Anspielung auf den Thesenanschlag in dem Sinne, als ich nicht einen fordere, sondern davon ausgehe, dass in Form der Flugschrift schon einer da ist und dass es also darum geht, mit den Folgen eines Thesenanschlags sinnvoll umzugehen. Ja, das stimmt: vor den Buchstabengläubigen muss frau sich manchmal einfach schützen. Das kann Rückzug bedeuten, z.B. ins Internet oder in kleine Treffen. Was die "Aktionsformen" gegenüber den Buchstabengläubigen angeht, wärs vielleicht gut, sich - z.B. - in der Reformationsgeschichte umzugucken, wie die das damals gemacht haben. Luther hat sich möglicherweise persönlich überfordert, als er aus dem Kloster ausgetreten ist, oder? Im übrigen finde ich es wichtig sich klarzumachen, dass das geschriebene - und gar das gedruckte - Wort ohnehin ein Selbstläufer ist. Was es historisch "bedeutet", liegt ausserhalb der Reichweite der Autorinnen, und das, meine ich, ist eine entlastende Erkenntnis und kann irgendwann auch bedeuten, einem geschriebenen Wort "à Dieu" zu sagen und sich Neuem zuzuwenden. So weit ist es im Falle der Flugschrift vielleicht noch nicht. Aber immerhin hatten wir ja schon Ideen, welches Thema der nächste feministische Thesenanschlag haben könnte. Ina
Praetorius: Ich diskutiere mal hier weiter zu den Hamburger Thesen, hoffe einfach, dass die Diskussion auch die Hamburger Frauen erreicht. (Die "Frauenkirche" ist mir für diese Debatte zu gross.) Also: ich meine, es geht auch im Umgang mit Worten in erster Linie um die gelingende Beziehung zum Wort, erst in zweiter Linie um das "richtige" Wort. Das bedeutet, dass ich mich, wenn ich spreche, fragen sollte, ob ich eine lebendige Beziehung zu den Worten habe, die ich gebrauche. (Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns...) Beispiel: Solidarität. Wenn ich dieses Wort meditiere, dann fallen mir zwei Ereignisse ein, in denen es für mich lebendig wurde: 1. die quirligen Multikultifeste vom 1. Mai, die unter diesem Motte standen, und 2. die Berichterstattung in den Anfängen der polnischen Bewegung Solidarnosc. Wenn ich an diesen Assoziationen weiterdenke, dann komme ich drauf, dass beide Ereignisse was mit gelingenden Beziehungen zu tun haben und nicht mit der korrekten Definition von Solidarität, die mich eher langweilt. Solche Gefühle nun sind ernstzunehmen, auch wenn das politische Gewissen zunächst mal streng dagegen ist. Es geht also weniger darum, von der Flugschrift her einen korrekten Sprachgebrauch einzufordern, als darum, die Lebendigkeit der Beziehung zu den Wörtern zu überprüfen. Ist das ein Angebot für die Hamburgerinnen, ihre Thesen daraufhin nochmal zu lesen? Bei welchen Sätzen tickt unser Begehren wirklich, bei welchen ist es einfach brav und also ruhiggestellt? (26.5.2000) Antje
Schrupp: Ja, Ina, da hast du völlig recht. Es geht nicht drum, dass wir "aus Prinzip" jetzt bestimmte Sachen nicht mehr sagen oder Wörter nicht mehr benutzen dürfen. Sondern darum, es inhaltlich jedes Mal zu begründen usw. Und es gibt ja jetzt auch diese Nachfrage von Gundula zu den Thesen, das mit den "nordelbischen" Frauen seh ich durchaus positiv und als Chance. Es ist mir in letzter Zeit aber häufiger so etwas begegnet. Ich glaube, während vor noch zwei, drei Jahren Begriffe wie "Das Patriarchat ist zu Ende" oder auch nur "Geschlechterdifferenz" bei vielen Frauen so was wie ein rotes Tuch waren, gibt es diese "Betonköppe" des alten Gleichheits-Emanzipationismus heute kaum noch (obwohl, es gibt sie auch noch, neulich hielt ich einen Vortrag vor einer "sozialistischen Studienvereinigung", PDS-nah und so, da zog es mir schon die Schuhe aus, was für Dogmatismen heute noch existieren). Aber generell sind heute andere Begriffe "schick", unsere Begriffe und die der Italienerinnen stossen nur noch selten auf grundsätzlich Ablehnung. Allerdings wird sehr häufig dezidiert der Wunsch vorgebracht, dieses neue Denken mit alten Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichheit "zu vereinbaren". Und das geht eben nicht so ohne weiteres. Doch der Wunsch danach ist schon verständlich. Deshalb will ich in solchen Situationen auch nicht abblocken, aber doch darauf bestehen, dass an diesem Punkt noch weiter nachgedacht werden muss. Eine neue Philosophie sich anzueignen geht halt nicht, indem man ein paar plakative Begriffe übernimmt. Denken ist anstrengend, kostet Zeit und macht Arbeit. Ohne das geht's nicht. (26.5.2000)
eben habe ich mich wieder mal mit den Frühsozialistinnen beschäftigt und stiess auf folgendes Zitat, das ich euch weitergeben möchte. Es ist von Désirée Véret, einer französischen Schneiderin aus dem Jahre 1832, die folgendes schrieb: "Überlassen wir den Männern diese Unterscheidungen der Namen und Meinungen; sie sind ihnen nützlich: Ihr Geist, systematischer als unserer, muss die Fortschritte, die er macht, an einen Namen knüpfen, um ordnungsgemäß vorgehen zu können; wir jedoch, als Gefühlswesen und voller Inspiration, überspringen die Traditionen und Regeln, von denen die Männer nur mit Mühe ablassen können. ... Die Männer bringen Lehrmeinungen und Systeme hervor und taufen sie mit ihren Namen, wir jedoch bringen Menschen zur Welt; wir sollten ihnen unseren Namen geben und unseren eigenen nur von unseren Müttern und Gott annehmen. Das ist das Gesetz, das die Natur uns diktiert, und wenn wir fortfahren, Namen von Männern und Doktrinen anzunehmen, werden wir, ohne es zu merken, zu Sklaven der Prinzipien, die sie hervorgebracht haben und über die sie eine Art Vaterschaft besitzen." Kommt mir doch irgendwie vertraut vor, oder? Sowas freut mich immer. Wir sind eben doch nicht allein... (2.9.00)
Ina
Prätorius: Ich arbeite zur Zeit in einem Projekt mit Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen zusammen. Das sind Frauen (zum Glück ist kein einziger Alibimann dabei, weshalb sich das erwünschte Von-Frau-zu-Frau ganz von selbst ergibt), die viel können, praktisch begabt und oft sehr frohgemut und tatendurstig sind. Anlass unseres gemeinsamen Tuns ist die Tatsache, dass im Rahmen einer Bildungspolitik, die auf Business-Tauglichkeit ausgerichtet ist, die Schulfächer, die diese Frauen unterrichten, massiv gekürzt bzw. ganz gestrichen werden. Und da geht es nun genau um die Frage, welche Art von Worten es braucht, um politisch wirksam zu werden, ohne einfach eine hausbackene (CDU-like) Besitzstandwahrung zu betreiben. Diese Frauen sind sehr skeptisch gegenüber "grauer Theorie", womit sie irgendwie recht haben und irgendwie nicht. Ich habe in unserer letzten Sitzung die folgende Unterscheidung eingeführt: Wir brauchen keine fixen Kategorien, aber Worte von Gewicht. Und dazu, Antje, passt Dein Zitat von dieser französischen Frühsozialistin sehr gut. Es geht in dieser gemeinsamen Arbeit mit den Lehrerinnen darum, sie aus ihrer trotzig-praktischen Wort-Losigkeit herauszuholen, ohne ihr Sprechen ans herkömmliche Kategorisieren anzupassen. Ein interessante Gratwanderung. Wir sind noch lange nicht am Ziel. (Und natürlich liegt die Flugschrift auf dem Infotisch.) (3.9.00) |