Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Ina Prätorius: für mich wird es jetzt Zeit, ein Zwischenfazit zu ziehen aus der letzten Diskussionseinheit zum Thema Generationen, die für mich viel Klärung gebracht hat. Natürlich nicht ein Fazit, das Ihr alle unterschreiben sollt, sondern eines, das meinen Denk-Stand dokumentiert und von dem aus ich jetzt weiter denke: Es stimmt, dass das Denken in Kategorien von Beziehungen und Autorität im Sinne der Italienerinnen "etwas anderes" (Britt) ist, als das Denken in allgemeinen Regeln. Letzteres ist sekundär, weil es immer von Beziehungen abgeleitet ist, aber es ist deshalb nicht überflüssig, und wir können auch nicht davon ausgehen, dass wir es einfach "haben" und daher "nicht weiter ausführen müssen"(Sandra), denn mit dem Patriarchat werden auch die scheinbar unbefragt gültigen, "für alle gleichen" (Antje) ethischen Grundnormen frag-würdig. Ich persönlich spüre, dass ich mein all-tägliches Handeln seit längerer Zeit primär am "italienischen" Denken orientiere und dass sich das sehr produktiv anfühlt, weil der Schwerpunkt auf der Einzigartigkeit meiner Person und ihres unverwechselbaren Begehrens liegt. Ich glaube auch, dass dieses Denken heute, am Ende des Patriarchats, nicht nur für mich, sondern für die meisten Frauen fruchtbarer ist, weil Frauen ganz allgemein sich jetzt in erster Linie vom "Funktionieren" nach vorgegebenen Regeln befreien müssen, um zu wirklicher Handlungsfähigkeit zu gelangen. Aber: Auch nach dem Patriarchat wird die Menschheit nicht aus lauter Teresas von Avila bestehen, auch nach dem Patriarchat wird es allgemeine Ansprüche des Ganzen an die einzelne geben, denen sich die einzelne nicht einfach unter Berufung auf ihre absolute Einzigartigkeit entziehen kann. Und deshalb finde ich es wichtig, sich auch über die Frage Gedanken zu machen, wie denn die nachpatriarchalen "normativen Grundlagen" (Benhabib u.a.), die bei Hannah Arendt und den Italienerinnen aus programmatischen Gründen nie ausgeführt werden, aussehen sollen. Mein Ansatz ist dabei, dass es durchaus schon allgemeine Regeln gibt, an die wir anknüpfen können (z.B. Art. 3 GG), weil nämlich erstens auch Männer hin und wieder einen guten Gedanken haben und zweitens etliche der Regeln, nach denen wir heute leben, bereits von Frauen erkämpfte Regeln sind, dass wir aber dennoch das ganze Gerüst nochmal überprüfen sollten. Wenn ich meinen "Job" als Ethikerin wieder mal positiv sehe, was ich längere Zeit trotzig unterlassen habe, dann ist das gewissermassen meine wesentliche Aufgabe in dieser Welt (was nicht heisst, dass es auch Eure ist). Und was mir bei der Re-Vision des faktischen Normengesrüsts nun zum Beispiel fehlt (wie auch die Flugschrift feststellt) ist die Formulierung von Ansprüchen, die weniger erfahrene Menschen an erfahrenere legitimerweise stellen können. Daher tendiere ich dazu, das allgemeine ethische (bzw. juristische) Normengerüst durch eine explizite Generationenethik ergänzen zu wollen. Und bisher haben mich die Argumente, die Ihr gegen dieses Vorhaben vorgebracht habt, nicht von seiner Sinnlosigkeit überzeugen können. So. Ich merke, wie es mein Hirn belebt, wenn ich aufhöre, das italienische Denken, auf dem die Flugschrift ruht, als gültige Gesamterklärung für alles zu betrachten, wenn ich es vielmehr historisch an seinen Ort stelle und mit dem Denken, das vor der Bekanntschaft mit den Italienerinnen mein Denken geprägt hat, vermittle. Ich empfinde das als einen sehr fruchtbaren Vorgang und werde es auch gleich in die zahlreichen einschlägigen Lexikonartikel reinschreiben, die zur Zeit meine Haupt-Arbeit sind. (18.1.01)
Alexandra Robin: ich denke eher, daß sich diese imperativen regeln "die ich nicht weiter ausführen muß " auf ein paar wesentliche dinge beschränken, kein faustrecht heißt das im groben. ina, was möchtest du darüber hinaus geregelt wissen (ethisch mein ich, nicht formaljuristisch)? (18.1.01)
Alexandra Robin: Die formaljuristerei ergibt sich aus dem anwachsen der geregelten dinge. mit dem ergebnis des formaljuristischen systems mit seinen betonungen auf form statt auf inhalt. ich finde es spannender, von einigen wenigen ethischen grundsätzen auszugehen, und zu schauen, wie weit sich die dinge ableiten lassen. (18.1.01)
Ina Prätorius: zu Deiner Frage nach dem ethischen Regelungsbedarf: es gibt natürlich Leute, die, wie Du, das Ethische für mehr oder weniger evident halten. Das kann frau so sehen. Ich meine aber, dass wir in diesen sogenannten "Rechtsstaaten", in denen wir leben, da leicht einer Täuschung erliegen: Dadurch, dass fast alles "formaljuristisch", wie Du sagst, geregelt ist, bekommen wir den Eindruck, dass wir fast keine ethischen Grundpositionen mehr brauchen. Es verhält sich aber nach meiner Einschätzung so, dass am Grunde aller dieser formaljuristischen Regelungen (patriarchale) ethische Entscheidungen liegen, die wir hinterfragen können. Ein Beispiel: Die Regelung des Eigentums. Im Rechtsstaat bekommen wir das Gefühl, dass klar ist, was wem gehört bzw. zusteht, weil das alles bei irgendwelchen Notariaten, Finanzämtern, Banken etc. festgelegt ist. Dahinter stehen aber ethische Entscheidungen, wie mann (!) überhaupt zu Eigentum kommt: durch Erwerb, Erbschaft, Gewalt, Krieg... Und an diesem Punkt, z.B. macht nun - wieder mal - die Flugschrift einen interessanten alternativen Vorschlag, und zwar auf S.16: "Die persönliche Bindung an Dinge zum Massstab für Weltgestaltung zu machen, darin liegt ein entscheidendes Widerstandspotential gegen die kapitalistische Wirtschaftsweise mit ihren Imperativen der Mobilität und Flexibilität sowie des grenzenlosen Konsums. Die persönliche Bindung an Dinge zum Massstab für Weltgestaltung zu machen, könnte bedeuten, dass beispielsweise der Erbanspruch von der Bindung an das zu erbende Ding abhängig gemacht wird." Hier handelt es sich um ein geradezu klassisches Gegenüber zweier ethischer Grundpositionen (patriarchales Erbrecht versus persönliche Bindung an Dinge), die ganz verschiedene formaljuristische Regelungen nach sich ziehen würden. Und solche Beispiele gibt es noch viel mehr. Ich meine also, dass wir - wie die Flugschrift es hier vorbildlich macht - hinter die formaljuristischen Regelungen gucken müssen, um die ethischen Grundentscheidungen herauszufinden, die wir dann hinterfragen können. Womit wir vielleicht bei einem neuen Thema angelangt wären? Die Eigentumsfrage fände ich sehr spannend. (19.1.01)
Antje Schrupp: Nachdem ich die Diskussion zum Thema Alter noch einmal durchgelesen habe, ist mir folgendes aufgefallen: 1. Ina, es ist ein logischer Widerspruch zwischen: Auf alte und erfahrene Menschen hören, weil man davon ausgeht, dass sie eben aufgrund von Alter/Erfahrungen etwas beizutragen haben für unser Projekt, die Welt zu verstehen und uns in weiblicher Freiheit in ihr orientieren zu wollen, und dem Versuch, das konkrete Verhalten bestimmter alter/erfahrener Menschen nach Kriterien wie "gut" oder "angemessen" beurteilen zu wollen. Denn damit hätte man ja den Maßstab wieder irgendwo außerhalb und hätte diese Ressource ja grade gar nicht genutzt. In diesem Sinn verstehe ich auch die Einwände von Britt und Fidi. 2. Man kann aber doch eine Forderung an alte/erfahrene Leute stellen, nämlich die, dass sie sich darauf einstellen müssen, dass junge/unerfahrene Leute diese Erwartung an sie haben. Sie können natürlich tun was sie wollen, aber sie müssen eben damit rechnen, dass jüngere Leute das, was sie tun, für verantwortliches Handeln von Erwachsenen halten und sich möglicherweise daran orientieren. An einem Beispiel: Es hat eine andere Bedeutung, ob junge Leute kiffen oder alte Leute kiffen. Bei den einen kann es mit jugendlichem Übermut erklärt und muss nicht weiter ernst genommen werden, bei den anderen sollte man über Gesetzesänderungen nachdenken (und genauso geschieht es ja auch). Und 3., dein Fazit Ina - da regt sich natürlich wieder die Anarchistin in mir, die bestreitet, dass wir diese normativen Grundregeln festschreiben müssen. Ich glaube natürlich auch, dass wir eine "nachpatriarchale" Ordnung brauchen, aber ich sehe sie gerade nicht darin, die einen - patriarchalen - Normen durch andere, irgendwie "bessere" Normen zu ersetzen. Das Prinzip der Norm beruht ja auf dem Bild des beziehungslosen Einzel-Mann-Menschen, der eben diese Normen braucht, um sich mit dem Rest der Welt zusammenzuraufen. Haben wir ein anderes Menschenbild, nämlich das des immer schon in vermittelnden Beziehungen stehenden Menschen, dann könnte Ordnung durch Autoritätsbeziehungen geschehen, die ihren "kategorischen Imperativ" eben in der Anerkennung dieser Autorität findet und nicht in "allgemeingültigen" Festschreibungen (siehe Diana Sartoris Auseinandersetzung mit Kant, die ich absolut überzeugend finde). An dieser Stelle findet bei mir die Verknüpfung des "Italienerinnen-Denkens" mit den politischen Ideen, denen ich "vorher" anhing statt, die Vermittlung mit dem Anarchismus nämlich, der daran gescheitert ist, dass er seine Forderung nach der Befreiung des Menschen von allen Herrschaftsformen (und allgemeingültige Normen sind immer Herrschaft, weil sie die Besonderheit der Umstände logischerweise beiseite schieben müssen, d.h. man muss sie immer auch "durchsetzen") nicht mit einem Konzept von Autorität verknüpft. Denn auch ohne Herrschaft braucht es Orientierung und einen Maßstab für ethisches Handeln, der außerhalb des freien Willen der Einzelnen liegt. Aber der kann nicht in bestimmten Sätzen wie "Du sollst dies oder jenes tun oder lassen" inhaltlich festgeschrieben werden. (21.1.01)
Ina Prätorius: dass sich bei dieser Debatte "die Anarchistin in Dir" regt, war mir schon klar. Wenn sich bei mir die Ethikerin regt, dann ist das gewissermassen eine zwangsläufige Reaktion. Ich frage mich aber, warum Du in der Diskussion trotzdem gesagt hast, dass Du "durchaus für Normen" bist, allerdings für "gleiche Ansprüche für alle". (Ich bin jetzt grad zu faul, die genauen Zitate rauszusuchen.) Wie hängt das zusammen? Die Kant-Interpretation von Diana Sartori finde ich auch sehr interessant, aber nicht ganz überzeugend. Ich halte es nämlich für eine Verkürzung, wenn grundsätzlich jede Norm mit dem solipsisitischen "unabhängig" sein wollenden männlichen Subjekt in Verbindung gebracht wird. Das stimmt sicher für viele Normen, aber nicht für die Tätigkeit des Normsetzens als solche. Denn die ist doch ziemlich variabel. Und ich, zum Beispiel, setze als Frau Normen, die den italienischen Ansatz kapiert hat. Das geht. Für mich ist es jetzt gerade wichtig, das italienische Denken nicht als eine Allheilerklärung einzusetzen, weil es damit für mich nämlich zu einer Ideologie wird, die meine Denken nicht frei macht, sondern einschränkt. Für mich ist das Denken in Normen und in Autoritätsbeziehungen kein Widerspruch. Und ich gebe Seyla Benhabib Recht, wenn sie sagt, dass auch Autoritätsbeziehungen einer normativen Grundlage bedürfen. Möglicherweise werden wir uns an diesem Punkt nicht einigen können.dass sich bei dieser Debatte "die Anarchistin in Dir" regt, war mir schon klar. Wenn sich bei mir die Ethikerin regt, dann ist das gewissermassen eine zwangsläufige Reaktion. Ich frage mich aber, warum Du in der Diskussion trotzdem gesagt hast, dass Du "durchaus für Normen" bist, allerdings für "gleiche Ansprüche für alle". (Ich bin jetzt grad zu faul, die genauen Zitate rauszusuchen.) Wie hängt das zusammen? Die Kant-Interpretation von Diana Sartori finde ich auch sehr interessant, aber nicht ganz überzeugend. Ich halte es nämlich für eine Verkürzung, wenn grundsätzlich jede Norm mit dem solipsisitischen "unabhängig" sein wollenden männlichen Subjekt in Verbindung gebracht wird. Das stimmt sicher für viele Normen, aber nicht für die Tätigkeit des Normsetzens als solche. Denn die ist doch ziemlich variabel. Und ich, zum Beispiel, setze als Frau Normen, die den italienischen Ansatz kapiert hat. Das geht. Für mich ist es jetzt gerade wichtig, das italienische Denken nicht als eine Allheilerklärung einzusetzen, weil es damit für mich nämlich zu einer Ideologie wird, die meine Denken nicht frei macht, sondern einschränkt. Für mich ist das Denken in Normen und in Autoritätsbeziehungen kein Widerspruch. Und ich gebe Seyla Benhabib Recht, wenn sie sagt, dass auch Autoritätsbeziehungen einer normativen Grundlage bedürfen. Möglicherweise werden wir uns an diesem Punkt nicht einigen können. (22.1.01)
Antje Schrupp: ja du hast recht, da war ein Widerspruch in meinen letzten Mails, mal rede ich von Normen, mal lehne ich sie ab. Hab drüber nachgedacht und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: 1. Wenn ich von Normen spreche, dann meine ich damit meine eigene Meinungsfindung. Ich denke nach über die Welt und komme, wie auch immer, zu dem Ergebnis, dass manches gut ist, anderes schlecht, und denke mir Regeln aus von denen ich meine, es wäre schön, alle würden sie befolgen. Dies wiederum berede ich mit anderen etc., wodurch sich meine und deren Vorstellung von den idealen Normen ändern. Ich bin sehr dafür, dieses Gespräch und diesen Streit zu suchen, so wie wir das hier machen. Also bin ich für das Aufstellen von Normen. 2. Wo ich aber dagegen bin ist, dass wir versuchen, bei dieser Arbeit irgendwann zu allgemeinverbindlichen "Ergebnissen" zu kommen, die dann durchgesetzt werden (müssen). Ich halte den Prozess für sich genommen schon für ausreichend, wenn er eben eingebunden ist in ein Netz von Autoritätsbeziehungen, die Orientierung geben und dafür sorgen, dass die Vielfalt der Meinungen nicht einfach so nebeneinander stehen bleibt und nirgendwo was Verbindliches ist. Dies genau ist die Schwachstelle des Anarchismus, auf die ich eine Lösung im Denken der Italienerinnen gefunden habe. Was natürlich keineswegs bedeutet, dass ich darin ein Allheilmittel vermute :) Also: Ich bin dafür, allgemeine Normen aufzustellen, aber ich bin dagegen, sie unter Rückgriff auf Formen der Herrschaft (und Gesetze, die mit Hilfe von Polizei etc.durchgesetzt werden müssen, sind Herrschaft) allgemeinverbindlich zu machen, was mich übrigens, vermute ich mal, auch von einigen "Italienerinnen" unterscheidet. (22.1.01)
Ina Prätorius: genau solche Differenzierungen habe ich gemeint, als ich heute Morgen gesagt habe, dass der Prozess des Normsetzens "variabel" ist. Es ist ein grosser Unterschied, ob Kant oder ich oder Du oder wir darüber nachdenken, was eine sinnvolle Norm wäre, oder ob ein Herrschaftsapparat daherkommt und eine Norm für allgemein verbindlich erklärt. Dann wären wir uns also einig, dass die gemeinsame Suche nach allgemeinen Orientierungssätzen (Ich nenne diese Suche "Ethik" und befinde mich mit dieser Definition auch nicht gerade im mainstream) sinnvoll ist, zunächst mal unabhängig von der Frage, wie bzw. ob sie durchgesetzt werden sollen. Die Frage nach der Durchsetzung würde ich dann gern möglichst konkret und ausgehend von (m)einem (leider noch patriarchalen) Ist-Zustand statt von irgendeinem Ideal besprechen. Ich finde nämlich Polizei auch nicht ideal, aber manchmal bin ich trotzdem froh, wenn sie da ist und Normen zur Beachtung verhilft. Was mache ich da nun? (22.1.01)
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