Bindung an Dinge

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Praetorius:                                                                   

Ich bin mir nicht sicher, ob die Neigung vieler Jugendlichen, ihren Geschmack an Marken zu orientieren (S.32) eindeutig negativ im Sinne eines konsumistischen Gehorsams und eines "Hierarchisierens" von Dingen zu bewerten ist. Abgesehen davon, dass die von Jugendlichen bevorzugten Marken tatsächlich oft sehr schöne Dinge in die Welt setzen, könnte sich in diesem Auswählen auch eine Resistenz gegenüber dem "schrankenlosen" Konsum ausdrücken: Die Bindung an eine Marke ist auch eine Bindung und damit ein Schutz gegen das wahllose Alles-Haben-Müssen.

 

Ina Praetorius:

Ich möchte jetzt gern einmal über diese Liebe zu den Dingen diskutieren, die offensichtlich bei allen, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, gut ankommt. Warum ist dies ein so schöner und gleichzeitig überraschender Gedanke? Warum musst Du, Heidrun, eigens betonen, dass auch Männer zu den Dingen gehören dürfen, die Frauen lieben dürfen? Findest Du, dass die Flugschrift das altfeministische Dogma perpetuiert, demgemäss Frauen sich an alles in der Welt binden dürfen, bloss nicht an ihre Unterdrücker, die ihrerseits durch den Mythos der natürlichen Mannbezogenheit der Frauen die weibliche Liebe zur Welt gerade unterbinden? Hier, meine ich, steckt eine ähnliche Ambivalenz wie beim Mütterverantwortungsproblem. Vom Standpunkt der weiblichen Freiheit aus gesehen muss es selbstverständlich auch die Freiheit geben, sich an einen Mann zu binden. Andererseits ist die Bindung an einen Mann, wenn wir die patriarchale Geschichte der Institution Ehe als Relität akzeptieren, nicht einfach ein Spezialfall der Liebe zur Welt, sondern eben doch etwas Besonderes, etwas besonders Gefährliches sozusagen. Denn die Idee, dass Frauen sich ihrer Natur gemäss an nichts anderes binden können als an einen Mann, ist eben die Grundlage dafür, dass wir Schwierigkeiten haben, die Liebe zur Welt und zu den Dingen als etwas Selbstverständliches anzusehen. Im Patriarchat gibt es keine weibliche Liebe zu den Dingen, weil die weibliche Liebe zum - sprich: Anhängigkeit vom - Mann die ganze Idee Weiblichkeit ausmacht. Ohne diese Geschichte hätten wir das Problem nicht, das wir haben...

 

Ina Praetorius:

Auch zum neuen Thema eine Story: Letzte Woche haben wir ein neues Auto gekauft. Von meinem Schreibtisch aus kann ich es sehen: dunkelroter GolfVariant Jahrgang 95, steht da wie ein glänzendes Ross, sprungbereit, jugendlich, stromlinig, einfach schön. Obwohl ich nicht besonders gern Auto fahre, finde ich das Fahrgefühl da drin genial: sicher, geschmeidig und leicht, kein Vergleich mit dem alten Traktor... Nun ist er aber weg, der Alte. Der schmuddelige goldmetallic Golf Jahrgang 85, ein hässliches Entlein, das wir zum Schluss immer anschieben mussten, weil irgendwas in ihm nicht mehr wollte. Und ich habe mich nicht richtig bei ihm bedankt und verabschiedet. Wir haben den Alten als Zweckfahrgestell gekauft, als unsere Tochter ein paar Wochen alt war - da gings einfach nicht mehr ohne Auto auf dem Dorf. Erst konnte ich ihn nicht leiden, weil ich überhaupt kein Auto mehr haben wollte. Und dann hat er unser Baby zu seinen Grossmüttern getragen: nach Stuttgart und an den Bodensee. Später uns alle drei, das süsseste dreijährige Mädchen der Welt auf dem Rücksitz, mit Paolo Conte durch den Gotthard in den italienischen Frühling. Und Jahre später hat er meine ganze ausweglose Panik nach St. Gallen ins Kantonsspital getragen, ein paar Tage später das Bleigewicht der Diagnose wieder nachhause. Und unzählige Male zum Bahnhof und wieder zurück, zum Einkauf und wieder zurück, brav, solide, unauffällig. Jetzt ist er weg, vermutlich auf einer grossen Reise nach Osten, ganz ohne uns, ganz alleine... Und so ein jugendliches rotes Gefährt meint, es könne ihn so einfach ersetzen, steht da, protzt mit seiner Farbe rum und mit seinen Alufelgen. Ich habe lebendige Gefühle gegenüber Gebrauchsdingen noch nie irrational gefunden. Seit Hannah Arendt und die Flugschrift mir einen Namen und eine Begründung für solche Gefühle gegeben haben, kultiviere ich sie noch bewusster. Jetzt gerade mag ich nicht darüber nachdenken, welche positiven und negativen Konsequenzen die kultivierte Liebe zu den Dingen im Kontext der verordneten Wegwerfmentalität hat. Das steht ja auch alles schon in der Flugschrift (S. 30f). Viel lieber möchte ich von euch Geschichten über Dinge hören, die ihr liebt.

 

Antje Schrupp:

Ich habe noch eine Bemerkung zu der Frage, ob auch Männer zu den Dingen gehören. Ich finde eigentlich nicht. Das Starke an der Idee der Bindung an die Dinge ist ja gerade, dass es nicht um Menschen geht, sondern eben um Dinge, unbelebtes Zeug, an das zu binden uns nach (christlich oder sozialistisch)-moralischen Vorstellungen und kapitalistischen Erfordernissen verboten war/ist. Der Unterschied ist: Den Dingen ist es piepegal, ob wir uns an sie binden, das ist eine einseitige Sache unsererseits. Die Bindung an Menschen, also auch Männer, folgt anderen Prinzipien, denn da haben wir es mit aktiven Subjekten zu tun. Was aber stimmt, ist, dass Männer ein Teil der Welt sind, und die Bindung an Männer daher (nur) etwas mit der Beziehung der Frauen zur Welt zu tun hat - anders als die Bindung an Frauen, die (auch) etwas mit der weiblichen symbolischen Ordnung zu tun hat. Also: Plädoyer dafür, die Überlegungen zum Thema "Bindung an Dinge" von den Überlegungen zum Thema "gelingende (oder nicht gelingende) Beziehungen" zu trennen! 

Annemarie Klein:

ich möchte Ihnen danken für diesen wundervollen Text. Ich bin 52 Jahre alt und noch eine ganz altmodische Hausfrau, wie meine Töchter finden. Was mir besonders gefallen hat war dass Sie einmal deutlich herausstellen, dass die Liebe zu den Dingen oder einem schön eingerichteten Haus zum Beispiel, nichts mit Materialismus oder Angeben wollen zu tun hat. Aber als ich das las, gab es mir auch so einen Wermutstropfen, weil ich dachte, da kommen jetzt so junge Frauen daher und sagen etwas, was ich jahrelang erfolglos versucht habe, meinen Töchtern zu erklären, und dann ist es plötzlich eine Flugschrift, etwas Wichtiges und bekommt einen Stellenwert. Warum zählt das Wort der eigenen Mutter nichts, aber das gleiche, richtig "verpackt", zählt dann doch? Ich wollte Sie nicht dafür angreifen, Sie können ja nichts dafür, aber vielleicht haben ja andere Mütter ein ähnliches Problem? (11.5.2000)

 

Antje Schrupp:

Vorgestern war ich bei einer sehr schönen Diskussion über die Flugschrift bei der KHG in Aachen (hallo, Aachenerinnen!) und dabei ist ein Thema aufgekommen, das ich gerne noch mal hier zur Diskussion stellen möchte. Und zwar: Bindung an Dinge. In der Flugschrift schreiben wir ja, dass es eine Tendenz der kapitalistischen Wirtschaft ist, die Bindung an Dinge zu zerstören und zu verunmöglichen, und wir haben diese Tendenz negativ bewertet, nicht nur wegen höherem Konsumdruck und Wegwerfgesellschaft, sondern auch wegen der damit einhergehenden Geringschätzung von Hausarbeit und weil wir diesen Verlust der Bindungsfähigkeit als eine (unter anderem) Ursache für "Armut" sehen und sich eine solche Grundhaltung ja auch auf die Bindungsfähigkeit an Menschen, also auf Beziehungen auswirkt. Auf der Zugfahrt nach Aachen hab ich in der brandeins über die Thesen eines Trendforschers gelesen, der diese Aufhebung der Bindung an Dinge auch beobachtet und die Tendenz der heutigen Wirtschaft mit "Nutzen statt Eigentum" umschreibt - also man schafft sich kein Eigentum mehr an, das man aufwendig pflegen hegen und sich drum kümmern muss, sondern man kauft allein den Nutzen, den man davon hat. Beispiele Car-Sharing, Zeitarbeit etc. Jetzt kam von Teilnehmerinnen der Diskussion der Einwand, dass die Idee der gemeinschaftlichen Nutzung von Dingen ja auch wirklich positiv ist unter ökologischen Gesichtspunkten zum Beispiel. Das stellt uns vor die Frage - wie ist das mit der Bindung an Dinge denn genauer zu verstehen? Also können wir genauer bestimmen, bei welchen Dingen es wichtig ist, solche Eigentumsbindungen aufzubauen und bei welchen nicht? Unter welchem Aspekt ist die dadurch gewonnene Flexibilität nützlich, und wo ist sie schädlich? (1.12.2000)

 

Sandra Robin:

Ich denke nicht, daß sich die bindung an dinge und deren kollektive nutzung ausschließen. ich habe einige jahre auf dem wagenplatz gelebt, es ist mir oft aufgestoßen, wie die leute mit dem gemeinschaftskram umgegangen sind- zum teil, bei anderen sachen hats auch gut funktioniert. die gegenwärtige wirtschaftsform kapitalismus ist als solche zu kritisieren, damit steht für mich auch der begriff des eigentums zur debatte. und privatbesitz ist nicht voraussetzung für bindung, sondern ich kann auch an dingen hängen und sie pflegen wenn ich  sie mit anderen gemeinsam nutze. (3.12.2000)

 

Ina Prätorius:

Zu Deinem Diskussionsanstoss betr. "Bindung an Dinge", Antje: Diese in der Flugschrift vertretene Auffassung, dass Bindung an Dinge politisch wichtig ist,  hängt ja wohl mit Hannah Arendts Analyse zusammen, dass Welt-Haftigkeit eine Bedingung politischen Handelns ist und Welt-Losigkeit die Gefahr des Totalitarismus in sich birgt. Die "Bindung an Dinge" sehe ich nun zwar als einen Teil dieser Welt-Haftigkeit an, aber sie ist, wenn ich Arendt richtig verstanden habe, sekundär gegenüber der Bindung an einen Ort, an ein Zuhause, an dem auch diese Dinge "zuhause" sind. Die Bindung an ein "eigenes Auto" zum Beispiel kann nun dieses Verhaftetsein an einem Ort, der mein Zuhause ist, gerade untergraben. Und deshalb ist es schon wichtig, um welche Dinge es sich handelt und ob sie einen Bezug haben zu dem Stück Welt, in dem ich verankert bin und das aus mehr als Dingen besteht, nämlich aus:  Beziehungen, Generationen, Kultur, Land, evtl. Haus, Produktionsstätte etc. Kurz: ich meine, dass wir die "Bindung an Dinge" nicht aus diesem Gesamtzusammenhang "Welt-Haftigkeit" herauslösen sollten, weil viele Dinge nämlich sehr beweglich sind und die Bindung an sie durchaus mit der - nach Arendt totalitarismusfördernden - Welt-Losigkeit zusammengehen kann. Wenn ich nun Welt-Haftigkeit als diesen Gesamtzusammenhang "Zuhause" verstehe, dann kann kollektive Nutzung von Gegenständen durchaus die Bindung an die Welt verstärken, weil sie nämlich über die gemeinsame Nutzung die Bindung an die Menschen stärkt, mit denen ich diese gemeinsame Nutzung aushandle. (So in der Richtung hast Du, Alexandra, das in Deinem Beitrag wohl auch gemeint, oder?) Die Frage ist nun, ob wir diese Arendtsche Analyse von der politischen Wichtigkeit des Verhaftetseins an ein "Stück Welt" teilen. Wenn ja, dann ist es wichtig, dass wir den ganzen Zusammenhang "Welt-Haftigkeit" mitbedenken. Aber auch da kann frau durchaus ihre Zweifel haben. Ich persönlich mache allerdings wirklich die Erfahrung, dass die Bindung an ein Zuhause - mit Beziehungen, Haus, Land, Dingen, Orten... - tatsächlich sehr wichtig ist für mein politisches Von-mir-Selbst-Ausgehen und damit für meine Handlungsfähigkeit. (3.12.2000)

 

Ina Prätorius:

vielen Dank für die Geburtstagswünsche! Die haben mich sehr gefreut. Und wisst Ihr, was ich an meinem Geburtstag gemacht habe? Ich war bei IKEA. IKEA ist auch so ein Kapitel zum Nachdenken.  Kann frau eine positive Bindung an ein (ausbeuterisch handelndes) Unternehmen entwickeln? Kann frau Regale lieben? Also meine IKEA-Regale, die seit vielen Jahren meine vielen Bücher (er)tragen, die liebe ich echt. Und die IKEA-Reklamen mag ich auch sehr. Aber dass ich dann für einen Schreibtisch (für Pia) samt neuen Regalen samt einer ganzen Menge Haushaltsfirlefanz nur knapp 400 Franken zahle (made in Turkey, made in Czech Republic...), das lässt mich an meiner Liebe zweifeln, obwohl es mich freut. Seltsam. (18.3.01)

 

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