Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Siehe
auch Seite: Rechtsstaat
– Gerechtigkeit - Anarchismus
Ina Prätorius: Hallo Ihr, jetzt bin ich zurück von meinem ersten grossen Zusammentreffen mit Juristinnen. Das war ganz toll. Eine Versammlung weiblicher Brillanz und Schönheit, die nur einen ganz kleinen Kick braucht, um ihre hohe Sprachkompetenz aus den Bahnen des "Richtig-Denken-Wollens" zu befreien zum postpatriarchalen Weiterkommen. Wir haben über "öffentliches Glück" geredet, über "weibliches Begehren und Geld/Gold", über den Eros des Ordnung-Schaffens durch eine präzise Sprache - alles Themen, die diesen Frauen ganz vertraut sind, die sich aber lange versteckt haben hinter einer Corporate Identity des Solidarischseins mit den weiblichen Opfern, die oft bis zur Selbstausbeutung gereicht hat. In den Juristinnen steckt ein riesiges Potential, denn sie haben sprachliche und analytische Fähigkeiten, die an alltäglichen Konflikten geschult sind, und eine grosse Fähigkeit, Dinge ohne Umschweife auf den Punkt zu bringen. Berichte/Materialien zur Tagung sind demnächst abzurufen unter (http://www.fjo.ch) (29.10.00)
Traudel Sattler: Leider erfahren wir aus der mail nicht, wo und von wem die Tagung veranstaltet wurde, aber das soll ja demnächst im Internet zu lesen sein. Interessant fand ich zwei Punkte, die sich vielleicht mit Ideen kreuzen, die hier auch schon aufgetaucht sind. Leider schaffe ich es nicht, immer alles zu übersetzen - aber vielleicht kann ja die eine oder andere Italienisch lesen. Das eine ist die Idee, als Juristinnen im Rahmen des Prozesses zusammenzuarbeiten, dazu hat Lia Cigarini mit anderen Juristinnen hier ziemlich viel gearbeitet. 2 Texte hierzu ("Fonte e principi di un nuovo diritto" und "La pratica del processo" ) sind nachzulesen in Lia Cigarini: "La Politica del desiderio", Pratiche Editrice , Parma 1995. Und die Idee vom "öffentlichen Glück" findet vielleicht Parallelen im "Goldenen Sottosopra" mit dem Titel "Un filo di felicità" Ich finde es ganz spannend, wenn ähnliche Gedanken, Analysen etc in verschiedenen Kontexten und Ländern auftauchen. Das ist doch eine Bestätigung für die Richtigkeit der Intuition. Lia Cigarini interessiert sich jetzt sicher sehr dafür, etwas von den deutschen Juristinnen zu erfahren! (30.10.2000)
Ina Prätorius: Hallo Traudel und alle, vorhin habe ich den Vortrag "ZEIT MACHT SINN - und Geld brauchen wir dazu", den ich an dieser Juristinnentagung in der Kartause Ittingen gehalten habe, losgemailt, damit er demnächst auf der Website des Netzwerks erscheint. (Das ist mein erster Text, den ich nur via Netz publiziere, bin gespannt, wie das funktioniert, überhaupt war diese Tagung annähernd papierlos und netztgestützt, was ich auch ziemlich spannend fand). Auf der Seite soll ausserdem ein Tagungsbericht der Veranstalterinnen erscheinen, die Gruppenberichte sind via mail bestellbar (sind aber sicher nicht so spannend wie das Life-Erlebnis). All dies in den ersten Novembertagen über: (http://www.fjo.ch) Ich hätte Lust, auf der Liste an diesem Thema weiterzudiskutieren, und die Juristinnen, die ich kennengelernt habe, sind sicher sehr interessiert an einem Kontakt mit der italienischen Bewegung. Hier in der Schweiz wird demnächst ein feministisches Rechtsinstitut gegründet. Dazu erscheint bald ein Sammelband "Recht Richtung Frauen", in dem sich zeigen wird, wie dominant der Gleichstellungsansatz noch ist. Mein Eindruck ist, dass die Frauen geradezu lechzen nach einer denkerischen Alternative, dass sie aber vorerst noch im Rahmen dieser Corporate Identity von Solidarität mit den Opfern/Gleichstellungsansatz/ Gleichstellungsfrust denken, weil der Ausweg noch nicht so recht klar ist und ja auch Mut braucht. Da wäre ein "Kick" von aussen sicher wichtig. (30.10.2000)
Antje Schrupp: Die Definition von Glück als "der Welt dienen in Beziehungen" gefällt mir gut. Zwei Punkte sind mir beim Lesen deines mails eingefallen Du subsumierst unter die Aufgaben der Juristinnen auch "Gesetzgebung". Nun ist die aber doch Aufgabe des Parlaments und nicht der Justiz. Oder gibt es da bei den Juristinnen auch Kritik an ihrer Heiligkeit, der Gewaltenteilung? Zweitens: Was hat es eigentlich mit der doppelten (oder ist es gar keine doppelte?) Bedeutung von Prozess (Entwicklung) und Prozess (im Gericht) auf sich? In dem Sinne, dass ein "Prozess" ja eigentlich voraussetzt, dass die beteiligten "Parteien" auch bereit sind, sich der Möglichkeit einer Selbstveränderung auszusetzen, statt nur einen Schlagabtausch ihrer jeweiligen Positionen zu inszenieren, in der Hoffnung, zu "gewinnen". Kann man einen Prozess überhaupt "gewinnen"? (30.10.2000)
Ina Prätorius: Zum
Thema Gewaltenteilung: Da ist mir aufgefallen, dass die Juristinnen von dieser
Heiligkeit schon gar nicht mehr reden, weil sowieso klar ist, dass die
Gesetzgebung im wesentlichen auch von den JuristInnen gemacht wird. Das bedeutet
nun zwar nicht unbedingt, dass Gesetzgebung und Justiz ineinander übergehen,
aber dass beides jedenfalls Aufgabe von Leuten ist, die dieselbe Ausbildung
gemacht haben und sich dann dafür entscheiden, in einer der beiden
"Gewalten" zu arbeiten - oder aber hin und her zu wechseln. Hier in
der Schweiz, wo ja tatsächlich wichtige Gesetze vors ganze Volk kommen, scheint
mir eher die Unterscheidung zwischen öffentlichen Debatten (Gesellschaft) und
Staatsapparat (Parlament, Verwaltung und Justiz) relevant zu sein. Das ist in
anderen Ländern vielleicht anders? Zum Thema Prozess: Als Du, Traudel, in
Deiner letzten mail so deutlich vom italienischen Differenzfeminismus(?) als
"Prozess" gesprochen hast, ist mir diese begriffliche Koinzidenz zum
ersten Mal aufgefallen. Dazu passt, dass vor allem die Anwältinnen unter den
Juristinnen tatsächlich ihre eigentliche Arbeit nicht darin zu sehen scheinen,
die Praxis der Leute am feststehenden Gesetz zu messen und dann mit ihrer
Einschätzung zu "gewinnen", sondern darin, Situationen klären zu
helfen und eine situationsgerechte, längerfristig lebensdienliche Lösung zu
finden. Von "Gewinnen" und "Verlieren" war auf der Tagung
überhaupt nie die Rede (jedenfalls nicht in meinem Beisein). Das ist
tatsächlich erstaunlich. (31.10.00)
Antje Schrupp: Ich bin gegenüber den "Kompetenzen" der Juristinnen skeptisch. Es ist ja tatsächlich schon so, dass man hierzulande überall Jura studiert haben muss, das Parlament sitzt voll davon, und sogar in der Kirchensynode ist das die zahlreichste Berufsgruppe (nach den Pfarrern, immerhin noch). Ich halte das eigentlich für Anmaßung. Denn warum soll jemand, der Jura studiert hat, eine spezielle Kompetenz haben, Gesetze zu machen oder die Richtung der Kirche zu bestimmen? Mehr Kompetenzen als zum Beispiel Krankenschwestern oder Journalistinnen oder Künstler? Das einzige, wozu sie spezielle Kompetenzen haben, ist, wenn die Inhalte einmal entschieden geben, denen eine gesetzmäßige Form zu geben, und zwar eine solche, die dem Intendierten möglichst nahe kommt. Die Realität sieht aber anders aus: Die Frankfurter Kirche z.B. hat eine Synode, die eigentlich die inhaltliche Richtung bestimmen soll (Gesetzgebung). Aber immer wenn Leute aus dem Vorstand (Pfarrerinnen, Pädagoginnen etc.) etwas vorschlagen, steht der Herr Jurist auf und sagt, warum es nicht geht und wie sie es machen müssen. Ich verstehe nicht, wieso die ihm nicht einfach sagen, dass er mit seiner Rechtsabteilung nur ein ausführendes Organ ist, das dazu da ist, umzusetzen, was sie inhaltlich machen wollen. Denn diese Verwaltungsmenschen, die hat ja (anders als den Vorstand) niemand gewählt. Aber das sagt denen niemand (jedenfalls nicht oft genug). Und so machen sie sich überall breit. Angesichts des Vordringens der JuristInnen in immer mehr Bereiche, in denen sie eigentlich gar nichts zu suchen haben, wünsch ich mir die Gewaltenteilung manchmal schon wieder herbei. Sie ist nämlich m.E. faktisch schon aufgehoben, ganz genau, wie du das beschreibst, Ina, aber auf eine schlechte Weise, wie ich meine. Ich sehe ein, das ist nicht das Problem der Juristinnen sondern der anderen, die die Juristinnen nicht deutlich genug in die Grenzen weisen. Man muss ihnen diesen Raum streitig machen, indem lauter gesagt wird, was sie sind: sekundär. (Das hattest du, Ina, in dem Text den du mir mal geschickt hast, ja auch rausgearbeitet). Würden aber die Juristinnen, die du da getroffen hast, dieses Sekundär-Sein des Rechts akzeptieren? Ich finde in dieser Hinsicht das englische Rechtssytem ganz hilfreich, das eine Nicht-Juristen-Jury kennt, die bestimmt, ob jemand schuldig ist oder nicht. Der Richter ist nur dazu da, um dann die Höhe der Strafe festzusetzen. Um die Schuld einer Angeklagten festzustellen (war sie's oder nicht?) , dazu muss man nämlich auch kein Jurist sein. Also mein Zwischenruf: Die Abgrenzung: Was ist Aufgabe von JuristInnen und was ist nicht ihre Aufgabe? - die müsste erst nochmal neu gestellt werden. (31.10.00)
Ina Prätorius: Was Deine Skepsis betrifft, kann ich Dir nur zustimmen. Genau diese Skepsis habe ich auf dieser Tagung oft gehört, es war ja schliesslich eine feministische Juristinnentagung, was doch eine ziemlich spezifische Auswahl aus dieser juristischen Gesamtmasse darstellt. Allerdings war genau diese Position vom sekundären Charakter des Rechts an der Tagung umstritten. Einige Frauen haben mir begeistert zugestimmt. Andere machten säuerliche Gesichter und fanden, das sei ja ein ganz netter Gedanke, aber die "Realität" sei eben anders. Aus dieser Einstellung ergibt sich dann eine ganz eigenartige feministisch-juristische Norm-Identität in diesem Sinne: "Wir Juristinnen leiden an der Dominanz des männergemachten Rechts, aber wir müssen uns wohl oder übel darein fügen, was uns wiederum eine grosse Macht gibt (genau diese unangenehme Bremser- und Lenkermacht, die Du beschreibst), über deren libidinöse Seite wir uns ausschweigen, weil sie uns peinlich ist..." So ungefähr. An der Tagung habe ich nun aber dennoch - alles in allem - die Erfahrung gemacht, dass viele Juristinnen bereit sind, trotz allem über ihre eigenartige Stellung nachzudenken. Und dabei kommt ihnen dann die Kompetenz, präzise zu fokussieren und innerhalb kurzer Fristen deutlich zu formulieren, sehr zugute. Ich glaube, dass diese eingeübte Sprachkompetenz sich durchaus trennen lässt von ihrer systemerhaltenden Funktion, wenn das Begehren der Person in diese Richtung geht. Und dass das Begehren vieler Juristinnen in diese Richtung geht, hat mich nun eben so begeistert. Ist das verstehbar? (1.11.00) |