Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Antje
Schrupp: Die Rolle des Gurus hat an diesem Nachmittag (Beim Fest der 2000 Frauen/Vortragsnachmittag Anfang Juni 2000 in Frankfurt) Mary Daly übernommen, die sich erst zierte, dann eine Stunde zu spät anfing und von den Frauen trotzdem (oder deshalb?) mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Weil sie soviel "Energie" hat. Sie lief wie ein Baseballspieler mit in die Höhe gereckten Armen über die Bühne, dann hat sie uns mit einer guten Performance ein Stück aus der Einleitung ihres neuen Buches vorgelesen, na ja. Das Buch heisst "Quintessence" und es geht darum, wie schrecklich die Männer die Welt hergerichtet haben (Gentechnologie, Bioethik usw.) und dass die Frauen irgenwie die archaische Zukunft machen sollen. Jedenfalls: Ich hatte mein Notizbuch dabei und habe nichts reingeschrieben. Es hat mich gelangweit, aber auch wiederum nicht richtig geärgert, eher amüsiert. Aber dich, Ina, dürfte das vielleicht interessieren, weil hier nach dem Motto "Jetzt oder nie" am Beispiel von Gentechnologie ein neues Horrorszenario aufgemacht wird, das das weibliche Denken u.U. auf Abwege führen kann. Da steuerst du ja zurecht dagegen an (ich hab mir gestern im Park einen kleinen Sonnenbrand geholt, weil ich dein Buch dabei hatte und so lange drin gelesen hab). Vielleicht ist das mit dem "Jahrtausend der Frau" auch so ähnlich: Mir persönlich gefallen diese großen Inszenierungen nicht, weil sie zu einfach sind und mich persönlich nicht herausfordern. Aber ich sehe auch keine allzu große Gefahr drin. Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Luisa Muraro oder die "Italienerinnen" allgemein einen Kultstatus bekommen können, die Gefahr ist klein, weil es einfach sehr anstrengend ist, ihrem Denken zu folgen. Das macht Arbeit und man muss sich dafür mehr Zeit nehmen. Die Auswirkungen sind dann auch weniger spektakulär, aber ihre Stärke ist, dass sie alltagstauglich sind. Ich weiss jedenfalls, was sich dadurch in meinem Leben geändert hat. Solche großen Inszenierungen machen vielleicht mehr Spaß, aber ich halte ihr Veränderungspotenzial für eher klein. Vielleicht ist es auch einfach so, dass nicht alle Frauen Philosophinnen sein können. Ich hab in der Pause zufällig neben zwei Frauen gestanden, die von Mary Daly ganz begeistert waren und ich hatte den Eindruck, dass es keinen Zweck hat und auch nicht notwendig ist, sie in inhaltliche Argumentationen zu verstricken. Die Ansprüche sind eben verschieden. Mir macht es Spass, intellektuell herausgefordert zu werden, deshalb langweilt mich Daly und begeistert mich Muraro. Bei anderen ist es eben anders. So what! Problematisch finde ich in Deutschland höchstens das Modewort "Affidamento". Deshalb weiss ich nicht, ob es so gut war, dass Lia Ciagarini sich darauf eingelassen hat und nochmal über Affidamento gesprochen hat, sie hat es zwar gut erklärt, aber ich fürchte, bei der Masse der Frauen ist vor allem hängen geblieben, dass es bei "den Italienerinnen" um "Affidamento" geht. Was ich neu gelernt habe, ist der Satz: "Hierarchie ist die Folge von nicht praktizierter Ungleichheit" (Muraro) - ich lerne die Philosophie der Italienerinnen immer in Sätzen, die ich dann verstehe und mir einverleibe und aneigne, fast wie bei einer Meditation. Weiter: Gleichheit ist deshalb die schlechteste aller möglichen Antworten auf Hierarchien, man bekämpft sie besser, indem man Ungleichheit praktiziert, was heisst, sich öffnet für die Tausch mit anderen. Nichts wirklich neues natürlich, aber nochmal neu und schön klar gesagt. (5.6.00)
Antje
Schrupp: Hat jemand von Euch das Spiegel-Extra-Heft von letzter Woche gesehen, wo die Titelstory hieß: "Wir brauchen eine neue Frauenbewegung" (oder so ähnlich). Jedenfalls war der Grundtenor: Die Emanzipation hat irgendwie nicht stattgefunden, weil Frauen immer noch überall benachteiligt sind, gleichzeitig hat sich zwar vieles geändert, aber die Frauen sind doch noch unzufrieden, sie wollen sich wieder zusammenschließen/vernetzen, aber nicht in den Schemata des Emma-Feminismus... - also irgendwie wurden alle diese Fragen gestellt, auf die wir doch längst schon viele Antworten gefunden haben. Das macht mich einerseits froh, weil es mich in meiner Analyse der Zeit bestätigt, nur das ich nicht sagen würde, wir brauchen eine neue Frauenbewegung, sondern wir haben schon eine. Aber andererseits: Warum kriegen so viele das nicht mit? Müssen wir nicht doch Wert auf eine größere öffentliche Präsenz legen? Haben wir da irgendwie Defizite? Das beschäftigt mich auch wegen der Diskussionen, die derzeit auf der Frauenkirche-Mailingliste sich an diesem Focus-Artikel aufhängen. Es gibt ja doch diese Bedürfnisse, diese "Neue" stärker in die öffentliche Diskussion zu bringen, und deshalb macht es sich dann an solchen "falschen" Aktionen fest wie überflüssige Leserinnenbriefe an überflüssige Zeitungen zu schreiben. In diese Richtung könnten wir vielleicht auch noch mal weiter überlegen. (9.11.00)
Ina
Prätorius: Deine
Frage, Antje, ob wir mit unseren guten Antworten auf die Frage nach einer
"neuen Frauenbewegung" mehr öffentliche Präsenz suchen sollten, kann
ich nur unterstützen. Meine Versuchsreihe, das postpatriarchale Denken in
öffentlichen Veranstaltungen mit Juristinnen,
Hauswirtschaftlerinnen, Ordensfrauen, slowakischen Kirchenfrauen,
demnächst PfarrerInnen und Unternehmerinnen zu proben, geht durchaus in diese
Richtung, hat allerdings noch nicht Focus- oder Spiegel-Niveau erreicht. Ich
habe starke Wünsche in diese Richtung, habe auch bereits ein Projekt mit einer
mir bekannten Fernsehfrau (SF DRS) am Laufen... Ja, ich finde, das sollten wir
anstreben, und es würde uns sicher Spass machen. Und ich bin Dir sehr dankbar,
Antje, dass Du diese Frage auf den virtuellen Tisch legst. (10.11.00)
Alexandra
Robin: Mir geht immer noch die diskussion von letzter woche durch den kopf- wie oder wo engagiert ihr euch, in welcher form und in welchen foren beteiligt ihr euch an welchen diskussionsprozessen? ich frage danach, weil das was ich von euch gelesen habe in mir den eindruck erweckt, daß ihr die -ich nenns mal so- üblichen foren der -äh-gesellschaftlichen diskussion für reichlich sinnlos haltet und es mich interessiert, was ihr sinnvoll findet. (21.11.00)
Antje
Schrupp: du sprichst eine Frage an, die mich schon lange umtreibt. Ich kann nämlich nicht so genau lokalisieren, "wo" und "wann" ich mich engagiere, weil "Engagement" für mich eine Grund-Lebens-Einstellung ist und nicht ein "Hobby" (nach dem Motto Freitags abends immer in die Dritte Welt Gruppe). Deine Beobachtung ist richtig, dass ich mich in den damit üblichen Zusammenhängen nicht wohlfühle - wo immer ich da im Lauf meines Lebens schon gelandet bin, hat es mir nicht gefallen, weil es in solchen Gruppen und Initiativen meistens nur um einen bestimmten Ausschnitt aus der Wirklichkeit geht und ich den Eindruck habe, wenn ich auch noch anderes im Kopf und Herzen hat, kommt das bei den anderen so rüber, als wäre ich nicht "revolutionär" genug, weil ich immer relativiere. Jedenfalls hab ich das so erlebt und bin immer wieder bzw. blieb eine "wenig engagierte" Mitläuferin am Rande. Eine ganze Zeit lang habe ich mir das damit erklärt, dass ich als Journalistin arbeite und dieser Beruf bringt es eben mit sich, dass man eine ganze Menge Themen und Gruppen mitkriegt und sich deshalb nicht so komplett in eine integrieren kann. Auch das viele in der Welt herum reisen hat dazu beigetragen - wenn man viele Kulturen kennt (und Menschen aus diesen Kulturen, wobei "Kultur" nicht nur die fernen Länder sind, sondern eben auch die vielen parallelen Subkulturen hierzulande - Lesben, Antifa, Umweltgruppen, was weiß ich), dann sieht man halt eher die Relativität jeder dieser Kulturen. Und mein Engagement besteht letztlich darin, dass ich versuche, zwischen all diesen Gruppen zu vermitteln, bzw. zu verstehen, worauf diese verschiedenen Bewegungen als "Ganzes" hinauslaufen könnten. Inzwischen denke ich auch, dass mein Unwohlsein, mich voll und ganz in eine "Bewegung" hineinzubegeben nicht nur biografisch zu erklären ist, sondern auch einen inhaltlichen Grund hat. Denn schließlich habe ich mit dem Flugschrift-Projekt jetzt doch etwas gefunden, zu dem ich wirklich vollkommen stehen kann und fühle mich gewissermaßen schon als Teil einer politischen Bewegung. Und natürlich freue ich mich, dass die Notwendigkeit der Vermittlung im Denken der Italienerinnen als eine der grundlegenden Formen des politisch Tätig-Werdens erkannt ist. Und so gewinnt das, was ich bisher immer schon gemacht habe und was mir lange Zeit doch irgendwie defizitär erschien, eine neue Bedeutung und Relevanz. Und was ich noch beobachte: Meine Freundinnen und Freunde, die mehr und "engagierter" in verschiedenen Protestbewegungen involviert waren/sind, haben in letzter Zeit ein gesteigertes Interesse an dieser Vermittlungsarbeit. D.h. ich werde eingeladen, an ihren Treffen teilzunehmen oder mit meinen Thesen und Positionen zu einer kritischen Selbstreflexion in diesen Gruppen beizutragen. Also rede ich mit Autonomen-Frauen über mütterliche Ordnung und mit Kirchenfrauen über Sozialismus und mit Alt-Kommunistinnen über Feminismus und Spiritualität und so weiter. Und diese Gespräche sind meistens sehr gut und für beide Seiten fruchtbar. Das finde ich ziemlich gut. (22.11.00)
Ina
Prätorius: Bei mir ist das auch so, dass meine Tätigkeiten - vor allem das öffentliche Schreiben und Sprechen, und dann das Tätigsein im Haushalt, in der Gemeinde und seit drei Jahren in der Oase - und meine Beziehungen bestimmen, was und wo mein "Engagement" ist. Auch als ich noch an der Uni tätig war, habe ich vor allem Unipolitik gemacht. Dieses Engagement, dass ich einmal beschliesse, mich irgendeiner Organisation anzuschliessen und dann voll dabei zu sein, war bei mir nie stark. Aber überall, wo ich war, sind Frauengruppen entstanden. Das mit dem Engagement-in-Beziehung (jetzt mal eher kleinräumig gedacht) geht zum Beispiel so: in die Wohnung unter meiner Oase ist vor einiger Zeit eine ältere Frau eingezogen, die auch (zum Glück) aktiv am Oasenleben teilnimmt. (Es wäre nämlich schwierig, wenn in diesem Haus, wo sich eine neuartige geistliche Praxis entwickelt, jemand wohnen würde, die davon gar nichts hält.) Diese Frau nun ist sehr aktiv an der "Clean Cloth"-Kampagne der Hilfswerke beteiligt. Und jetzt schreibe auch ich Postkarten an H&M und C&A, vermittle dieser Frau andere Interessierte aus meinem Bekanntenkreis, die sich auch dafür interessieren, lese die Informationen. Und meine Kleider kaufe ich sowieso schon lange "clean", soweit sich das mit meiner Modelust vereinbaren lässt. So wächst die gute Nachbarschaftsbeziehung zu der Frau gleichzeitig mit unserer Oasen-Gemeinsamkeit und einem kleinen Beitrag zur globalen Politik. Sowas finde ich schön. Und sonst schreibe ich halt eine ganze Menge. (23.11.00) |