Einstieg in das Thema auf der Seite Care-Arbeit
Heidrun Suter-Richter:
Das ist ja das Dilemma, das etwas, was man tut, ja gerade auch die Befriedigung in sich birgt, und damit nicht noch mit Geld belohnt werden müsste – aber wie berechtigt bekommt man also Geld? Durch das, was keinen Spaß macht?! Ich kenne das, da ich ja für die Beziehungsarbeit, die ich in der Klinik »leiste«, recht gut bezahlt werde, und ebenfalls auch etwas von den PatientInnen bekomme (Anerkennung, Liebe, Offenheit, Geschichten, Erfahrungen…) und andererseits wieder andere dafür bezahle, dass sie in der Zeit einen Teil der Kinder- und Hausarbeit übernehmen. Dabei kann ich Kosten für die Kleiderpflege, da sie berufsbedingt sind, von den Steuern absetzen, nicht aber (bislang) die Kosten für die Kinderbetreuung, da diese dem eigenem Lebensunterhalt dienen.
Und das Beispiel mit der »Professionalisierung« der Hauspflege kenne ich natürlich auch – nicht nur von meiner Schwiegermutter, die mir sagte, dass jetzt der Hauspflegeverein, in dem sie 30 Jahre ehrenamtlich (gratis) tätig war, aufgelöst wird. Die »PflegerInnen« werden jetzt von der Gemeinde übernommen, und die Hilfe wird jetzt nach Steuereinkommen verrechnet (ca. 40,— Sfr pro Stunde). Sie bekam zum Abschied als Dank ein Goldvreneli, das sie aber vielleicht zurückgeben muss, weil das doch jetzt der Gemeinde gehört, die die PflegerInnen bezahlt.
Und natürlich ist in dem Sozialkuchen immer ein Gerangel, ob nun Angestellte oder Freiwillige die Arbeit machen dürfen. Angestellte, weil sie ja ausgebildet, »qualifiziert« und bezahlt sind; Freiwillige, weil sie es ja machen, weil sie es schön finden, anderen zu helfen und was davon haben (das, was als »Helfersyndrom« bezeichnet wurde) – und aber diese nicht aus Eigennutz den Qualifizierten die Arbeit wegnehmen sollen. Und der Verwaltungsdirektor fragt auch immer wieder, ob ich denn nicht Frauen finde, die aus Lust Klavier im Gottesdienst spielen und nicht noch Geld dafür bekommen wollen.
Und noch hautnäher kenne ich es natürlich aus meiner Klinikerfahrung, in der ja alle »Beziehungsarbeit« leisten, und es das Ziel ist, PatientInnen (wieder) »beziehungsfähig« zu machen. Vor siebzig Jahren waren einige ÄrztInnen, eine Pfarrerin und wenige Diakonissinnen für die Patientinnen zuständig, also auch für die »Rundumbetreuung« wie Pflege und Freizeitgestaltung (Sport, Stricken, Basteln, Lesen, Kochen, Singen), und inzwischen sind neben den »Pflegenden« eine Unzahl von »SpezialtherapeutInnen« angestellt, die für bestimmte Bereiche qualifiziert (ausgebildet, weitergebildet) sind und sich mit ihrem Angebot auch voneinander unterscheiden und verkaufen müssen, und leider auch versuchen müssen, sich voneinander abzugrenzen. Gleichzeitig bildet man sich gemäss dem Gebot der Ganzheitlichkeit in den Bereichen der anderen weiter und »frisst« über den Zaun. Jede Sozialarbeiterin macht eben »daneben« auch noch eine psycho-therapeutische Ausbildung – und die BewegungstherapeutInnen interessieren sich auch für Spiritualität… Allein für den »Physio-Bereich« gibt es jetzt zwei PhysiotherapeutInnen, zwei Bewegungstherapeutinnen, eine Sporttherapeutin, eine Betreuerin für den Fitnessraum, eine Psychologin für das Autogene Training, und Pflegende bieten auch Morgenfitness an. Allerdings sollen jetzt weitere spezielle Bereiche wie z.B. progressive Muskelentspannung nicht mehr durch neue SpezialtherapeutInnen angeboten werden, sondern durch bestehende Ressourcen abgedeckt werden… Und wenn ich als Pfarrerin eine Meditationsgruppe anbiete (auf Wunsch der PatientInnen – was für ein Glück, dass ich gefragt war in diesem Überangebot) muss ich mich neben all den anderen Angeboten positionieren; sagen, warum das nicht das Gleiche ist wie die Entspannung mit Musik in der Bewegung oder wie die Entspannung im Autogenen Training…. Inzwischen gelingt es mir ganz gut, in dem Ton mitzumachen, mich auch über dem »Zaun« weiterzubilden etc… und obwohl ich es wie eine Karikatur empfinde, weiß ich nicht, ob es sinnvoll ist, wieder zurück zu wollen, in die Zeiten, als diese differenzierte Professionalisierung noch nicht da war (immer mit dem Stichwort Qualitätssicherung versehen), ja – ob ich dem nachweinen soll. Ich weine eher nicht.
Ina Praetorius:
In einem meiner letzten Mails habe ich den guten alten Frauenverein, den es bei uns im Dorf immer noch gibt, gelobt gegenüber dem tailorisierten Dienstleistungsangebot des professionellen Spitex.
Und nun diese reale Story: Eine gute Freundin von mir (44 J., 4 halberwachsene Kinder) ist vor sechs Jahren verwitwet, ganz plötzlich. Sie ist zwar schon manchmal traurig darüber, fand ihren Mann aber irgendwie auch furchtbar macho und anstrengend, hat sich jedenfalls inzwischen ganz gut arrangiert in ihrer neuen Lebensform, ist tätig als Journalistin und Katechetin und in x Ehrenämtern. Der Frauenverein nun, der im wesentlichen aus älteren Frauen besteht, hat die Tradition, den Witwen und Waisen in der Adventszeit ein Besüchlein abzustatten samt Präsent. Und nun kommt doch tatsächlich auch in diesem Advent wieder eine der jüngeren Frauenvereinsfrauen – netterweise sucht frau immer eine Gleichaltrige aus, eine natürlich, die so glücklich ist, ihren Mann noch zu haben – und kündigt das Besüchlein bei der armen Witwe an. Das ganze Jahr über sind diese beide Frauen, die ich übrigens persönlich beide schätze, gleichberechtigte Kolleginnen im Lehrerkollegium des Dorfes… Und nun diese herablassende Geste, die meine Freundin prompt in die Weihnachtsdepression stürzt von wegen: Ach so ja, hatte ich ganz vergessen, ich bin ja die arme Witwe und sonst gar nichts. Ich selber bleibe erstaunlicherweise von diesem unerträglichen Maternalismus bisher verschont, obwohl ich ja eigentlich die arme Kranke bin, die auch Anspruch auf ein Besüchlein hätte. Aber weil ich auch noch die Frau Pfarrer und die Schriftstellerin bin, traut sich vielleicht keine…
Du, Heidrun, sagst, dass Du dieser herkömmlichen Ganzheitlichkeit eher nicht nachweinst. Ich weine ein bisschen und dann wieder kein bisschen und dann doch wieder ein bisschen, und dann wünsche ich mir was ganz anderes, jenseits von Spitex und Frauenverein…
Heidrun Suter-Richter:
Deine Beschreibung zeigt gut, was ich irgendwie meinte. Ich weine nicht einfach nicht, sondern trauere einigem auch nach, vor allem, wenn ich einige der Anfangsfrauen mit ihrem ganzen Elan real sehe, mit dem was sie aufgebaut haben, was dann im Rahmen der Erneuerungen wieder verschwindet. Die Professionalisierung nimmt ein wenig die Demütigung des »Beschenkt-werden-müssens«, des als »arm und bemitleidenswert« klassiert-werdens. Und das war ja auch eine Funktion von Geschenken, dass der Geber seine Macht kundtut. Oder man muss damit ganz bewusst umgehen können… Irgendwann las ich mal, dass Menschen so grosse Gruppen eingehen können, die also über den Hör-, Sicht- und Körperkontakt hinausgehen, weil sie übereinander reden können, also »tratschen«.