Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Ursula Knecht:
Vielleicht ist es an der Zeit, uns mit dem auseinander zu setzen, was Muraro das „disfieri“ nennt, also unsere Formen des ENT-MACHENS und ENT-MACHTENS, unsere Art, das Nein zu artikulieren. Das ist ein Wunsch von mir, der immer stärker wird seit dem 11.Sept., vielleicht eine der Möglichkeiten sogar, die Flugschrift weiterzuschreiben... Ich hole ein wenig aus: Zufällig (?) habe ich ein paar Tage nach dem 11.Sept in Muraros neuem Buch („Die Menge im Herzen“) ihren Artikel „Die Kunst, Maschen aufzuziehen“ gelesen. Obwohl bereits 1997 geschrieben, kam er mir wie in die aktuelle Situation hinein formuliert vor und hat mich aus meiner Erstarrung herausgerissen und meinem Denken eine Richtung gewiesen. Muraro beschreibt zuerst im Bild des Maschenaufziehens einer alten Strickjacke, wie mühsam es ist (manchmal auch amüsant), ein altes Strickmuster aufzudröseln und daraus einen Knäuel für etwas neues herzustellen. Während es für neue „Strickmuster und –modelle“ Anleitungen zuhauf gibt, suchen wir vergeblich nach Hinweisen, wie der Faden aus einem „verstrickten“ ausgedienten Gewebe herausgelöst werden kann... Aber wir brauchen den Faden für das neue. Er fällt ja nicht vom Himmel. Er ist schon da, aber eben, oft verstrickt in unbrauchbar Gewordenem... Muraro überträgt das Bild des „Maschenaufziehens“ dann auf Geschichte und Politik. Wie z.B. das Kolosseum in Rom, das in der Antike nicht gerade edlen Zwecken gedient hatte, im Mittelalter zum Steinbruch wird für den Bau neuer Behausungen mit menschlichem Mass... Und dieses Prozedere des „disfieri“ kann sie sich auch für andere Bauwerke vorstellen, die nicht mehr dienlich sind, provozieren, beleidigen (das Auge, die Leute, die drin oder drum herum leben, die Natur..) etc., nicht durch Zerstörung sondern durch Abtragen und Auflösen in menschenwürdiger Art und Weise... Vielleicht geht es Euch jetzt wie mir: Plötzlich sah ich die beiden WTC-Türme (für Viele ja offenbar ein verhasstes und provozierendes Symbol), wie sie abgebaut werden, zumindest verkleinert: sanft, von Hand, von zahlreichen und unterschiedlichen Menschen, Stockwerk um Stockwerk abgetragen. Ich sah, wie „unschuldige“ Gegenstände hinausgetragen wurden – Tische und Stühle, PCs, Stereo-Anlagen, Kaffeemaschinen, Fensterrahmen samt intakten Scheiben, Kloschüsseln, Waschbecken, Blumenvasen.... um irgendwo in der Nähe oder Ferne einem freundlichen Zweck zu dienen... Diesen friedlichen aber keineswegs harmlosen Bildern des ENTMACHENS denke ich seither entlang und überlege, was es in konkreten Situationen bedeuten könnte. Wer hat Lust, sich auch darauf einzulassen, die „Kunst, Maschen aufzuziehen“, zu üben und zu beschreiben? Die PhilosophInnen unter Euch wird es vielleicht reizen, disfieri mit ‚dekonstruieren’ zusammenzudenken... Freue mich auf kühne Maschen-AufzieherInnen (27.11.01)
Antje Schrupp:
ja das ging mir auch so, als ich diesen Artikel von Luisa gelesen hatte. Wir brauchen tatsächlich eine neue Idee davon, wie man Dinge abschaffen, aus dem Weg räumen kann, ohne gewalttätig sein, ohne zu zerstören. "Disfieri" gibt da ein gutes Bild zu ab. Es modifiziert für mich den alten Bakunin-Spruch "Die Lust an der Zerstörung ist eine schaffende Lust". Er hat recht, bloss geht es nicht um Zerstörung, sondern um Ent-Machen, so wie Maschen auftrennen... Und du hast recht, das ist keineswegs harmlos, es ist radikal. Das ist es, was wir rüberbringen müssen. In dem Wunsch, "aggressiver" zu sein steckt ja auch der Wunsch, radikal zu sein, grundsätzlich etwas zu tun, heldenhaft sich dem Schlimmen entgegenzustellen. Dieser Wunsch ist finde ich berechtigt, nur die Bahnen die er findet sind halt die alten patriarchalen Macker-Klischees. Ich kann verstehen, wenn eine das FrauenKirchenManifest unter diesem Blickwinkel liest, das zu bieder, zu wenig "aggressiv", zu bieder vielleicht, zu wenig provokativ findet. (17.11.01)
Fidi Bogdahn:
Ich erinnere mich bei diesem "Strickjacken-aufrebbel-Bild"
("aufrebbeln" -so hieß das bei uns) an die Nachkriegs-Zeit, wo wir
dieses "aufrebbeln" selbstverständlich tun mussten; allerdings
waren damals die Sachen wirklich durch und durch gestrickt und waren nicht wie
heute meistens mit diesen dicken Nähten in Form genäht. Meine Hinweise, "wie
der Faden aus einem „verstrickten“ ausgedienten Gewebe herausgelöst werden
kann... ": |