Gurus unter Frauen

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Prätorius:

Heute Morgen merke ich, dass ich die letzten Tage ein Unbehagen mit mir herumgetragen habe, das mit dem "Jahrtausend der Frau" zusammenhängt. Dieses Wort hängt einer doch wie ein Mühlstein am Hals, Euch nicht? Dem Patriarchat das Ende anzusagen, ist das eine. Aber für das nächste Jahrtausend als "die Frau" sozusagen die Verantwortung zu übernehmen, das macht irgendwie eng. Natürlich bedeutet "Jahrtausend der Frau" nicht, dass wir die Verantwortung übernehmen müssen. Trotzdem: Mir wäre, zum Beispiel, ein Jahrtausend der gelingenden Beziehungen oder sowas interessanter und leichter. "Die Frau" ist mir zu knallig geworden. Auch wenn es stimmt, dass die Frauen auch ein "Jahrtausend der gelingenden Beziehungen" vermutlich irgendwie anführen würden. Was Du, Antje, von dem Auftritt der beiden italienischen Frauen in Frankfurt erzählst, ist interessant. Wie ist eigentlich die Stimmung rund um diese Frauen in einem solchen (deutschen) Kontext? Schon gurumässig? Oder wie? (4.6.00)

 

Britt Frank:

Mir hängt das "Jahrtausend der Frau" nicht wie ein Mühlstein am Hals, und ich empfinde es auch nicht wie eine erdrückende Verantwortung. Aber ich erwarte auch nicht, daß alle Frauen nun die Ärmel hochkrämpeln werden/müssen. Verantwortung übernehmen wir doch jetzt auch schon - u.a. indem immer mehr Frauen sich zur Wort melden, weil sie nicht mehr alles als gegeben hinnehmen wollen. Sie äußern sich in unterschiedlicher Weise und in verchiedenen Foren und Gruppierungen. Es ist ein langer, z.T. schleichender Prozess, der auch dazu geführt hat, daß die patriarchalen Strukturen in dieser Gesellschaft nun bröckeln. Mit meinen 53 Jahren, gehöre ich wohl zu den "älteren". Aber ich komme nicht aus der Frauenbewegung, und war nie so verhaftet in dem Gleichheitsdenken (was früher oft Kopfschütteln und Vorwürfe von anderen Frauen ausgelöst hat.) Trotzdem habe ich mir manchmal schwer damit getan, die Theorien von z.B. Luisa Muraro nachzuvollziehen. Lange betrachtete ich das auch als "gurumässig". Aber heute stellen wir Affidamento und den Wert von gelingenden Beziehungen nicht mehr in Frage. Welcher Name wir auch ein neues Jahrtausend geben würden, es würde von Frauen angeführt werden - das glaube ich auch. Warum es denn nicht gleich beim richtigen Namen nennen? Gestern war ich mit meiner Tocher (23) in der Stadt. Bei Karstad (das im Herbst hier schlissen wird) fragte ich eine Verkäuferin, was denn aus ihr wird wenn Karstad zumacht. Daraus entwickelte sich ein Gespräch, zunächst über das Profitdenken in dieser Gesellschaft. Dann erzählte sie, daß sie früher mal zu den "Emma-Frauen" gehört hatte. Und sie hätte so gern eine Tochter gehabt, der sie etwas anderes mit auf dem Weg geben könnte, als das was ihre eigene Mutter gesagt hatte: du brauchst kein Beruf, du wirst heiraten und Kinder gebären. Zum Schluß sagte sie: "es stimmt, Frauen haben keine Heimat, wenn sie sich an den patriarchalen Strukturen orientieren." (4.6.00)

 

Antje Schrupp:

Die Rolle des Gurus hat an diesem Nachmittag (Beim Fest der 2000 Frauen/Vortragsnachmittag Anfang Juni 2000 in Frankfurt) Mary Daly übernommen, die sich erst zierte, dann eine Stunde zu spät anfing und von den Frauen trotzdem (oder deshalb?) mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Weil sie soviel "Energie" hat. Sie lief wie ein Baseballspieler mit in die Höhe gereckten Armen über die Bühne, dann hat sie uns mit einer guten Performance ein Stück aus der Einleitung ihres neuen Buches vorgelesen, na ja. Das Buch heisst "Quintessence" und es geht darum, wie schrecklich die Männer die Welt hergerichtet haben (Gentechnologie, Bioethik usw.) und dass die Frauen irgenwie die archaische Zukunft machen sollen. Jedenfalls: Ich hatte mein Notizbuch dabei und habe nichts reingeschrieben. Es hat mich gelangweit, aber auch wiederum nicht richtig geärgert, eher amüsiert. Aber dich, Ina, dürfte das vielleicht interessieren, weil hier nach dem Motto "Jetzt oder nie" am Beispiel von Gentechnologie ein neues Horrorszenario aufgemacht wird, das das weibliche Denken u.U. auf Abwege führen kann. Da steuerst du ja zurecht dagegen an (ich hab mir gestern im Park einen kleinen Sonnenbrand geholt, weil ich dein Buch dabei hatte und so lange drin gelesen hab).

Vielleicht ist das mit dem "Jahrtausend der Frau" auch so ähnlich: Mir persönlich gefallen diese großen Inszenierungen nicht, weil sie zu einfach sind und mich persönlich nicht herausfordern. Aber ich sehe auch keine allzu große Gefahr drin. Ich glaube eigentlich auch nicht, dass Luisa Muraro oder die "Italienerinnen" allgemein einen Kultstatus bekommen können, die Gefahr ist klein, weil es einfach sehr anstrengend ist, ihrem Denken zu folgen. Das macht Arbeit und man muss sich dafür mehr Zeit nehmen. Die Auswirkungen sind dann auch weniger spektakulär, aber ihre Stärke ist, dass sie alltagstauglich sind. Ich weiss jedenfalls, was sich dadurch in meinem Leben geändert hat. Solche großen Inszenierungen machen vielleicht mehr Spaß, aber ich halte ihr Veränderungspotenzial für eher klein. Vielleicht ist es auch einfach so, dass nicht alle Frauen Philosophinnen sein können. Ich hab in der Pause zufällig neben zwei Frauen gestanden, die von Mary Daly ganz begeistert waren und ich hatte den Eindruck, dass es keinen Zweck hat und auch nicht notwendig ist, sie in inhaltliche Argumentationen zu verstricken. Die Ansprüche sind eben verschieden. Mir macht es Spass, intellektuell herausgefordert zu werden, deshalb langweilt mich Daly und begeistert mich Muraro. Bei anderen ist es eben anders. So what! Problematisch finde ich in Deutschland höchstens das Modewort "Affidamento". Deshalb weiss ich nicht, ob es so gut war, dass Lia Ciagarini sich darauf eingelassen hat und nochmal über Affidamento gesprochen hat, sie hat es zwar gut erklärt, aber ich fürchte, bei der Masse der Frauen ist vor allem hängen geblieben, dass es bei "den Italienerinnen" um "Affidamento" geht. Was ich neu gelernt habe, ist der Satz: "Hierarchie ist die Folge von nicht praktizierter Ungleichheit" (Muraro) - ich lerne die Philosophie der Italienerinnen immer in Sätzen, die ich dann verstehe und mir einverleibe und aneigne, fast wie bei einer Meditation. Weiter: Gleichheit ist deshalb die schlechteste aller möglichen Antworten auf Hierarchien, man bekämpft sie besser, indem man Ungleichheit praktiziert, was heisst, sich öffnet für die Tausch mit anderen. Nichts wirklich neues natürlich, aber nochmal neu und schön klar gesagt. (5.6.00)

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