Freiheit und Abhängigkeit

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Xenia Auksutat:

Ich lese von Anfang an alle Diskussionsbeiträge. Mir gefällt am besten, daß jede ihren Lebensentwurf in Zusammenhang mit ihrer gedanklichen Frage oder Überlegung bringt. Das mache ich auch gleich. Einhaken möchte ich bei der Frage nach der Abhängigkeit. Ina Prätorius schreibt, daß sie sich nicht bewerten (lassen) will aufgrund irgendwelcher erbrachter Leistungen. Sie als Mensch ist es wert, punktum. Da steht ja in der Flugschrift auch eine gute These: "Nicht Unabhängigkeit ist erstrebenswert, sondern Freiheit." (S. 29, Kapitel 9 "Geld als Symbol der Abhängigkeit und der Politik") und weiter: "Freiheit gründet darin, die gegenseitige Abhängigkeit von allem und allen anzuerkennen." Das halte ich für eine tiefe Einsicht und das im Leben nachzuvollziehen ist wirklich etwas, was Persönlichkeit fordert. Vielleicht fällt uns Frauen besonders schwer, Abhängigkeit zuzulassen, weil wir auch nicht wahrhaben wollen, wenn andere von uns abhängig sind. Ich erlebe immer wieder, daß Männer total von ihren Partnerinnen abhängig sind. Wie sonst wäre zu erklären, daß soviele verlassene Männer ihren Frauen nachstellen, sie belämmern und sie sogar töten? Oder eine ebenso große Zahl sich in Selbstmitleid ergeht, trinkt und obdachlos wird? (Das skizziere ich verkürzend mal so drastisch.) Ich kenne viele Frauen, die sind stark und tüchtig, egal ob als Familienfrau oder Berufsfrau oder was sonst. Dennoch nehmen sie sich selbst nicht als stark, leitend, gestaltend wahr. Sie entschuldigen sich dafür, sie rechtfertigen sich dafür, nicht größeres, besseres, anderes auch noch zu tun. Warum ist das so? Es gibt ja aus der Entwicklungspsychologie interessante Theorieansätze, etwa von Christiane Olivier (in "Jokastes Kinder"). Es gibt auch wissenschaftstheoretische Beobachtungen, etwa die Bemächtigung der körperlichen Selbstwahrnehmung von Frauen durch die medizinische "Fachwissenschaft". (Barbara Duden: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben" ein sehr lesenswertes Buch!)

Ich habe in meiner Biografie vieles abarbeiten müssen an Erfüllung gesellschaftlicher Normen, väterlicher Projektionen, eigener Begrenzung bevor ich zu meiner Stärke stehen konnte. Jetzt lebe ich als berufstätige Mutter und Ehefrau in einer momentan gut gelingenden Partnerschaft (mit einem Mann, der besser putzen kann als ich, weil seine Mutter ihm das so gut beigebracht hat).Persönlichkeit haben heißt doch meistens, sich in Beziehung zu dem setzen, was einen umgibt. Sensibel zu sein statt ignorant. Grenzen zu ziehen statt Allmacht zu fantasieren.Persönlichekiten sind stark und wissen dennoch um ihre Abhängigkeiten, sie pflegen die Beziehungen zu anderen Menschen.Und das ist wirklich etwas beinahe religiöses (da war Ina Praetorius ja auch schon drauf gekommen). Theologie und Existenzphilosophie hat dafür so Worte wie schlechthinnige Abhängigkeit beutzt. Luther hat ein Büchlein "Von der Freiheit eines Christenmenschen" verfaßt.

 

Ina Praetorius:

Du bringst ein neues Thema in die Diskussion, ein ganz zentrales - für die Flugschrift und überhaupt: die Freiheit. Für mich ist diese Konzeption von Freiheit, wie ich sie auch schon von Hannah Arendt her kenne - sie sagt: "den eigenen Faden in ein Gewebe schlagen, das schon da ist" - so plausibel, dass mir gar nichts mehr Kritisches oder Weiterführendes dazu einfällt, ausser den eigenen Geschichten eben, so wie Du, Xenia es auch verstanden hast. Das androzentrische Autonomiekonzept ist demgegenüber schlicht unrealistisch und verquer (wobei ich allerdings in meiner wissenschaftlichen Laufbahn auch gelernt habe, Konzepten, die auf Anhieb plausibel sind, erst mal zu misstrauen. Ist diese Konditionierung auf stets sprungbereite Kritik aber vielleicht genau der androzentrische Begriff von Lernen und Wissenschaft, den wir jetzt zurücklassen?)

Was mir in Deinem Beitrag weniger entgegenkommt, ist Dein Gebrauch des Begriffes der Persönlichkeit. Dieser Begriff hat in meiner bildungsbürgerlichen Erziehung als eine Art Passepartout gedient, mit dem sich alles und nichts sagen liess: Man muss eben eine "Persönlichkeit " sein - oder sogenanntes "Format" haben -, dann regelt sich der Rest ganz von selber. Aber wie wird man oder frau zu dieser mysteriösen Einheit aus Lebenserfahrung, Wissen, Bildung und Gelassenheit? Das habe ich mich als Kind oft ziemlich ratlos gefragt. Der Begriff der Persönlichkeit ist mir - im Gegensatz zu dem bei Arendt und auch in der Flugschrift theoretisch gut entfalteten Begriff einer nicht als Autonomie verstandenen Freiheit - zu unanalytisch. Mir fällt auf, dass ich selber in der Weltvermittlungsarbeit meiner Tochter gegenüber noch nie mit diesem Begriff gearbeitet habe. (Wobei ich andererseits allerdings feststelle, dass viele dieser bürgerlichen Begriffe und Lebensweisheiten, mit denen meine Eltern mich erzogen haben, sich je länger je mehr als erstaunlich hilfreich erweisen...)

Morgen will ich meine Mutter besuchen Vielleicht frage ich sie, ob sie mir erklären kann, was sie eigentlich unter "Persönlichkeit" und "Format" versteht. Wahrscheinlich wird sie geheimnisvoll schmunzeln und sagen, dass man das leider nicht erklären kann. Irgendwie hat sie ja schon recht... Bloss: die Arbeit von uns Theoretikerinnen besteht darin, mit dem Erklären immer noch ein Stück weiter zu gehen, bis an die Grenzen des Sagbaren.

 

Xenia Auksutat:

Die Frage nach der Persönlichkeit klingt wirklich altbacken und bürgerlich gegen so kämpferisch daherkommende Formeln wie die von der Autonomie des Subjekts. Immerhin gehört das Persönlichkeitsrecht zu den Grundrechten der Verfassung (Artikel 1 und 2). Aber ich sehe einen Zusammenhang zwischen diesem Begriff und dem Streit über die Hausfrauenthematik. Denn bei der Persönlichkeit geht es um die Entfaltung der geistigen und charakterlichen Möglichkeiten eines Menschen. Das ist total auf Beziehung hin gedacht. In der Interaktion, im Austausch mit anderen Menschen ermißt sich, wozu eine fähig ist oder sein sollte, wenn sie eben hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt. Aber selbst dann ist es eine Persönlichkeit, die dazu das Recht hat, auf ihre Entwicklung und Entfaltung zu verzichten. Das kann politisch natürlich einseitig interpretiert werden ("Die sind doch alle selbst schuld an ihrer Armut/Vertreibung/Arbeitslosigkeit" etc.) Ich finde dennoch das Befreiende daran, daß es ein relationales Verständnis hat. Es gibt kein absolutes Maß. Alles handelt sich neu aus. Was gestern fortschrittlich war, ist morgen bedeutungslos und umgekehrt. Was Antje schrieb über die Entwicklung eines eigenen Lebenskonzeptes unabhängig von der Anerkennung mittels Lohnarbeit hat doch gerade darum etwas mit ihrer Persönlichkeit zu tun, weil sie denkt, analysiert und ihr eigenes Lebenskonzept entwickelt. Also nochmal: Persönlichkeit als jemand die mit ihren persönlichen Fähigkeiten Gesellschaft mitgestaltet.

 

Antje Schrupp:

Hallo, Ksenija. Auf das Thema Freiheit und Abhängigkeit wollte ich auch schon längst mal zu sprechen kommen. Der Gedanke, dass Freiheit nichts mit Autonomie zu tun hat, ist für mich einer der wichtigsten im Denken der "Italienerinnen". Das Autonomie-Streben steckt in unserer westlich-abendländischen Ideengeschichte einfach so tief drin, dass man eigentlich täglich wieder neue Fallen entdeckt. Andererseits ist es aber auch wichtig, dann im positiven Sinn über Freiheit nachzudenken: Wenn es nicht Autonomie ist, was macht dann die Freiheit aus? Welche Art von Abhängigkeit? Und zu welchen Bedingungen? Wie wichtig das ist, wurde mir klar, als ich kürzlich mit einer Frau über die Flugschrift diskutierte, die in der DDR aufgewachsen ist und studiert hat. Sie sagte, diese These erinnere sie an einen Satz, den sie immer gelernt hätten: "Freiheit ist die Einsicht die Notwendigkeit". In diesem Kontext ist die Ablehnung des Autonomiebegriffs im Zusammenhang mit Freiheit also eine Rechtfertigung für staatliche Unterdrückung geworden. Das ist also auch möglich, wir müssen deshalb vorsichtig sein.

Bakunin hat geschrieben (aus dem Gedächtnis zitiert): "Ich kann nur frei sein, wenn jeder Mensch um mich herum, egal ob Mann oder Frau, genauso frei ist wie ich". Das drückt es für mich gut aus: Meine Freiheit selbst ist von der Freiheit der anderen abhängig. Also nicht die Autonomie ist Voraussetzung für Freiheit, sondern die Beziehung. Was mir an diesem Satz auch gut gefällt ist die Einschränkung "um mich herum". Es ist also nicht notwendig, die ganze Welt zu befreien, bevor ich frei sein kann. Aber diese Beschreibung von Abhängigkeit ist noch eine formale und damit kann man ihr leicht zustimmen. Was ist aber nun im persönlichen Leben? Da sind wir dann wieder bei den gelingenden Beziehungen - da steht ja hier auch noch die offene Frage im Raum, was das eigentlich ist. Vielleicht sind gelingende Beziehungen solche, in denen aus Abhängigkeit Freiheit entsteht?

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