Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
|
|
Verwandte
Sites: Ina Praetorius: Andrea
hat gefragt, was mit diesen gelingenden Beziehungen eigentlich gemeint sei.
Tatsächlich mache auch ich die Erfahrung (weniger hier im Netz als in der
Diskussion, die in der Zeitschrift Neue Wege im Anschluss an ein publiziertes
Gespräch zwischen mir und Andrea G. läuft), dass sich dieser Begriff der
gelingenden Beziehungen schnell als eine Art neues politisches Dogma abkapselt,
das dann entsprechend unverständlich wird und Widerstand auf sich zieht. Das
ist aber gar nicht nötig. Unter gelingenden Beziehungen sind diejenigen
Beziehungen zwischen verschiedenen Menschen (dass es sich immer um Verschiedene
handelt, muss frau im androzentrischen Kontext immer noch dazusagen, obwohl es
eigentlich selbstverständlich ist) zu verstehen, bei denen in gegenseitigen
Verhandlungen erreicht wird, dass beide (alle) ihre Bedürfnisse möglichst gut
befriedigen und ihre Wünsche möglichst gut realisieren können, sprich, dass
für beide (alle) ein Plus an Leben und Freiheit entsteht. Stimmts?
Susan
Drye: Ich finde die Idee gut, dass man hier im Internet über die Flugschrift diskutieren kann und ich habe mit Interesse die emails aus den letzten Wochen gelesen. Bei allen unterschiedlichen Meinungen sind sich ja alle mehr oder weniger einig, dass gerade der Teil über die gelingenden Beziehungen gut ist. Jetzt las ich aber im Zusammenhang mit der Korruption in der CDU im Spiegel diese Woche den Satz von dem Bekenntnis Helmut Kohls, der gesagt haben soll, dass in seinem Leben "persönliches Vertrauen wichtiger als rein formale Überprüfungen war und ist". Und der Spiegel kommentiert das so: "In unfreundlicher Übersetzung liest die Öffentlichkeit ... Politik ist Kumpanei und Filz". Gelingende Beziehungen in der Politik zu einem Kriterium zu machen, ist also in der "öffentlichen Meinung" vollkommen suspekt und wird mit Vetternwirtschaft gleichgesetzt. Und manchmal ja doch auch zu Recht. Welche Frau kann denn bei einer solchen Stimmung jetzt noch auf "Beziehungen" in der Politik Wert legen? Wie kann man denn zwischen "guten" und "schlechten" Beziehungen unterscheiden? Ina
Praetorius: Es ist Samstagnachmittag, ich lese Diotimatexte und denke über Susans Frage nach Kohls Beziehungspolitik (Stichwort "Ehrenwort") nach: 1. Ich gehe davon aus, dass nicht alles, was Kohl sagt und tut, falsch ist. 2. Richtig ist, dass er etwas kennt, das "höher" (anders, jenseits) ist als Gesetze. 3. Falsch ist, dass er sich von den Angehörigen seiner Partei und den Leuten, die ihn gewählt, ihm also einmal das Vertrauen ausgesprochen haben, zu denen er also auch verbindliche Beziehungen unterhält, nicht bewegen/verändern lässt. Diese Leute nämlich sagen seit einiger Zeit öffentlich, dass sie es nicht für anständig halten, wie Kohl das Vertrauen, das sie in ihn gesetzt haben, missbraucht und dadurch das gemeinsame Werk - die Partei - zerstört. 4. Es handelt sich also weniger um eine Konfrontation Gesetz versus Beziehungen als darum, dass die einen Beziehungen (zu unbekannten Geldgebern) gegen die anderen Beziehungen (zu BürgerInnen und ParteigenossInnen) ausgespielt werden. 5. Indem Kohl den Konflikt als einen zwischen Beziehungen und Gesetz darstellt, negiert er zum einen die Beziehungsvielfalt, die immer auch konfliktträchtig ist, gerade bei öffentlich tätigen Personen oder "Idolen", zum anderen die Tatsache, dass Gesetze nichts anderes sind als schriftliche Regelungen von Beziehungen, auf die sich diejenigen, die sich betrogen fühlen, berufen und auf die er sich, indem er ein öffentliches Amt in einem Rechtsstaat übernommen hat, selbst verpflichtet hat. 6. Es ginge also jetzt darum, auf den Ursprung des Rechts in Vertrauens- und Autoritätbeziehungen hinzuweisen, statt sich von dem vermeintlichen Gegenüber von Beziehung und Recht, das Kohl aufbaut und das der Spiegel gehorsam nachvollzieht, beirren zu lassen. So weit das Ergebnis meiner Überlegungen. Was sagst du dazu, Susan? Susan Drye: Das
ist alles schon auch richtig, was du schreibst, Ina. Aber es sieht ja so aus,
als ob es die anonymen Geldgeber, denen Kohl sein Ehrenwort gegeben haben will,
in Wahrheit gar nicht gibt, sondern das Geld eben aus kriminellen Machenschaften
kommt, die durch die angeblichen Geldgeber nur verschleiert werden sollen. Wenn
ein wirklicher Beziehungskonflikt dahinter steckte, ginge es ja noch. Aber die
Beziehung wird hier zum Alibi wo gar keine Beziehung da ist. Ich meine schon,
dass das Problem tiefer geht, und auch schon in ganz kleinen Dingen liegt. Zum
Beispiel wenn ich in meiner Firma einen Werbeauftrag an eine Freundin vergeben
will, die eine gute Werbefrau ist, dann darf ich das nicht, sondern muss
einen offiziellen Wettbewerb ausschreiben. Und wenn ich meiner Freundin
die Angebote der anderen sage, bin ich kriminell. Von aussen betrachtet sieht
das doch genauso aus wie die politische Korruption (Grossauftrag an befreundete
Firma etc.) und ich kann es wirklich nicht rechtfertigen, weiss aber, dass es im
Endeffekt auch nicht gut ist, mit Wildfremden zusammenzuarbeiten, nur weil sie
ein Mark billiger waren. Vielleicht ist die Frage ja, welche "Sache"
man im Kopf hat, welches Anliegen? Dass man Kohls "schlechte"
Korruption und Vetternwirtschaft von meiner "guten" dadurch
unterscheiden kann, dass er die CDU gegen allen parlamentarischen Wettbewerb und
zu Lasten der anderen Parteien an der Macht halten wollte (was eine schlechte
Sache ist) und ich nur eine gute Kampagne der Firma will (was eine gute Sache
ist). Aber das ist alles sehr heikles Terrain, finde ich.
Ich weiss keine klare Antwort auf deine Frage, habe aber ein paar Ideen: 1. In der Ordnung des Gesetzes und der Macht bedeutet "Beziehungen pflegen" eine anrüchige Praxis, in der es vor allem darum geht, einander "hintenherum" - "vorne" ist das Gesetz - Vorteile zu verschaffen. Dies bedeutet "Beziehung" im Kontext des Denkens der Geschlechterdifferenz definitiv nicht, denn dieses Denken verankert im Begriff der Beziehung sozusagen eine neue Anthropologie, und von dieser her - von der "symbolischen Ordnung der Mutter" her - ist Beziehung zu denken als eine unhintergehbare Konstante des Menschseins, die sich, wenn sie - wie im Patriarchat - verleugnet wird, pervertiert zu ebendiesem "Filz", den man dann so schön gegen ein vermeintlich lauteres Gesetz ausspielen kann. 2.Im Rahmen eines gegebenen Betriebs ist die Politik der Beziehungen wohl nicht eins zu eins oder "perfekt" von null auf hundert umzusetzen. Aber sie kann jederzeit und überall angefangen werden. Zum Beispiel dadurch, dass die Frage nach dem Sinn der Regeln offen gestellt wird, eben diese Frage, ob das Kriterium des billigeren Produkts eigentlich ein gutes ist oder ein blosser bürokratischer Selbstläufer. Meiner Erfahrung nach sind Wirtschaftsleute dieser Frage gegenüber nicht ganz verschlossen, weil sie nämlich - zumindest auch - Qualität wollen. Es gibt sicher noch mehr Möglichkeiten, in Deiner Situation anders zu handeln als einfach nach den gegebenen Regeln. Keine gutes Lösung ist es jedenfalls, darüber zu klagen, dass es "ja doch nicht funktioniert", bevor Du wirklich intelligente Lösungen durchgespielt hast. 3. Wie ich in meinem letzten mail bereits angedeutet habe, halte ich die Frage, was "das Gesetz" (oder diese allgemein akzeptierten Regeln...) im Rahmen des Denkens der Geschlechterdifferenz eigentlich ist, auch nicht für ganz geklärt. Ich meine, dass Gesetze aufgeschriebene - je nachdem erstarrte – Beziehungen sind (wie bereits in meinem Kohl-mail ausgeführt) und dass es deshalb eine falsche Alternative ist, Gesetze gegen Beziehungen zu stellen. Wir müssen vielmehr im Einzelfall fragen, inwiefern Gesetze gelingende Beziehungen unterstützen und inwiefern sie sie behindern.(Allgemein kann frau, glaube ich, sagen, dass die Gesetze, mit denen wir leben, meist noch patriarchalische sind und also gute Beziehungen zwischen den Geschlechtern sicher eher nicht fördern). Wie diese Frage in Deinem konkreten Beispiel zu beantworten wäre, weiss ich nicht, würde mich aber interessieren.
Susan Drye: Ich glaube ein Problem dabei ist auch, dass bisher "Beziehungen" im Privaten galten und "Recht" im Öffentlichen. Und solange diese Bereiche getrennt sind, hat es ja auch gut funktioniert. Es funktioniert aber nicht, wenn beide auf derselbenen Ebene konkurrieren. Um bei meinem Beispiel zu bleiben: Mit meiner unmittelbaren Umgebung kann ich solche Dinge im konkreten Fall schon "intelligent" aushandeln. Wenn aber, jetzt mal fantasiert, irgendwann in zehn Jahren mir jemand ans Leder will, geht er zur Lokalzeitung, zieht so einen alten Fall aus der Tasche (gegen den damals niemand was einzuwenden hatte) und ich werde demontiert. Vielleicht beginnt das Problem da, wo das Kriterium Beziehungen allgemein gelten soll, denn Beziehungen sind eben doch immer privat (zwischen einzelnen) und Recht ist immer allgemein. Das geht nicht zusammen. Fehlverhalten, wie am Beispiel von Kohl deutlich wird, betrifft ja meistens beides - er hat das Recht gebrochen und seine Beziehungen. Aber die Allgemeinheit, die Zeitungen, wir alle, die Gerichte, kann ihn nur verurteilen, was das Recht betrifft, weil es formal und allgemein ist. Aber welche "theoretische" Bedeutung haben Beziehungen, wenn sie sich einem allgemeinen, formalen Masstab entziehen? Verstehst du, was ich meine?
Antje
Schrupp: Zurück von der Flugschrift-Tagung am Wochenende möchte ich euch einige Überlegungen weitergeben, die unsere Diskussionen hier auch berühren (ich mache das auf verschiedene mails verteilt in den nächsten Tagen). Schon öfters haben wir ja das Thema gelingende Beziehungen angesprochen, aber die Debatte kam nie so recht in Gang. Am Wochenende hat uns das nun ziemlich lang beschäftigt. Folgende Punkte erschienen mir wichtig: 1. Dass es weniger um die Frage geht, was gelingende Beziehungen eigentlich sind, als um die Frage, warum gelingende Beziehungen für Frauen so sehr wichtig sind (z.B. im Beruf) 2. Dass dieser Wunsch nach gelingenden Beziehungen ambivalent ist, denn er bedeutet, dass die andere Person das Subjekt ist, das entscheidet, ob die Beziehung gelingt. Je mehr ich mir wünsche, dass eine Beziehung gelingt, desto mehr bin ich bereit, dafür zu tun, u.U. auch gegen meine Interessen und Bedürfnisse (dies war Anlass zu Kontroversen: Liegt das nur an einer fehlenden Unterscheidung zwischen "gelingenden" und "harmonischen" Beziehungen? Oder liegt es in der Natur der Sache selbst? Fehlt in der Flugschrift ein Kapitel zum Thema Konflikte?) 3. Es fehlen uns Bezeichnungen und Namen für bestimmte Beziehungen jenseits von Verwandtschaft. In welchem Verhältnis steht etwa eine Frau zur Tochter ihrer WG-Mitbewohnerin? Obwohl sie u.U. jahrelang mit ihr zusammenlebt gibt es kein Wort dafür ... (10.4.2000) Meiner
Meinung nach ist es eine Frage des Maßstabs: Woran messe ich, daß eine
Beziehung "gelungen" ist? An meinem Wohlbehagen? An dem was ich durch
sie erreiche? Ich messe sie daran, wie sie mich und die Welt verändern und das
ist nicht unbedingt eine Frage der Dauer, sondern mehr eine Frage des
gegenseitigen anvertrauens. Eine "gefährliche" Sache, aber sehr
fruchtbar, trotz aller Konflikte und Verletzungen. (11.4.2000)
Ina
Praetorius: Da gibt es einen Link (von der Diskussion der Site "Cyberwelt") zu dem Gedanken von Andrea Günter, den Du, Antje, von der Tagung berichtet hast: Das "Gelingen" einer Beziehung hängt von der anderen ab, die zum Subjekt der Beziehung wird oder so ähnlich. Diesen Gedanken habe ich allerdings nicht richtig verstanden. Wie war das genau gemeint?) (17.4.2000)
Antje
Schrupp:
Ich habe Andreas Gedanken so verstanden, dass sie sagt, wenn ich den Wunsch nach einer gelingenden Beziehung mit einer bestimmten Person habe, diese Person dadurch (durch meinen Wunsch) das Subjekt ist, das darüber entscheidet, ob diese Beziehung gelingt. Deshalb, so Andrea, sei dieser mein Wunsch ambivalent, denn ich werde Dinge tun, für diese Beziehung, die u.U. meinen Interessen widersprechen. Beispiel Frauen, die auf der Arbeit Zugeständnisse machen oder Kinder in der Beziehung zu ihrer Mutter. Ich glaube, dass sie damit ein Prinzip richtig erkannt hat. Ausserdem kommt man so von dem Fehlschluss weg, es könnte "objektive" Kriterien dafür geben, was eine gelingende Beziehung ist. Ich meine allerdings nicht, dass dadurch der Wunsch nach gelingenden Beziehungen ambivalent ist, ich denke , dass er immer positiv ist und stimme Dorothee zu, die sagte, man müsse zwischen harmonischen und gelingenden Beziehungen unterscheiden. Das würde heißen: wenn ich mit einer Person nur eine harmonische Beziehung haben kann, indem ich nämlich gegen meine Interessen handele oder ihr immer nachgebe (weil mein Wunsch nach einer harmonischen Beziehung größer ist als ihrer), dann würde mein Wunsch nach gelingenden Beziehungen es u.U. notwendig machen, dass ich den Wunsch nach einer Beziehung in diesem konkreten Fall aufgebe. Was aber meiner Meinung nach meinen Wunsch, gelingende Beziehungen zu haben, gerade nicht aufhebt. (17.4.2000)
Ina
Praetorius:
Wie so oft bei Gedanken von Andrea schaltets bei mir erst ein paar Tage später... Diese Unterscheidung von "gelingend" und "harmonisch" finde ich sehr wichtig. Denn das erste, wenn wir "gelingend" hören, ist vermutlich bei den meisten "harmonisch", aber darum gehts genau nicht, jedenfalls nicht immer. Worum es bei "gelingend" geht, das müssen wir erst noch rausfinden, d.h.: in gute Worte fassen. Die Idee von Claudia, dass es darum geht, dass eine Beziehung "mich und die Welt verändert" (was ich immer erst im Nachhinein feststellen kann, oder?), finde ich immer noch ziemlich gut. Das ist ein allgemeines Kriterium, das trotzdem nicht "objektiv" in dem Sinne ist, dass es alle Beziehungen über einen Leisten schert. Das Gelingen der einen Beziehung kann darin bestehen, dass ich eine Frau jeden Tag sehe, dass ich mich an sie "gewöhne"... Und das Gelingen der anderen hängt vielleicht nur an einem einzigen treffenden Wort im entscheidenden Augenblick, oder an einem Streit, der den Abbruch der Beziehung bewirkt? Ein gelingende Beziehung kann durchaus "harmonisch" sein, aber das ist eine ganz andere Ebene... (19.4.2000)
Antje
Schrupp: Die
Unterscheidung von "gelingend" und "harmonisch" im Bezug auf
Beziehungen kam von Dorothee. In gewisser Weise spricht diese Unterscheidung
sogar gegen Andreas These vom Subjektwechsel. Denn man
könnte sagen, durch das Hintanstellen eigener Bedürfnisse und
Interessen, nur für den Erhalt einer Beziehung (wobei dann die andere das
Subjekt wäre und es durch diesen meinen Wunsch wird), kann ich zwar eine
"harmonische" Beziehung aufrechterhalten, nicht aber eine
"gelingende". Die Idee von Claudia mit dem veränderten Ich und der
veränderten Welt find ich auch gut. Sie führt aus dem Subjekt-Objekt-Dualismus
raus. (19.4.2000) |