Eigentum

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

Home ] Diskussionsforum ] Kapitel 1 ] Rezensionen und Zuschriften ] Veranstaltungen ] Die Autorinnen ] Der Prozess ] Literatur ] Links ]

Startseite

Affidamento
Alter/Generationen
Aktionen/Engagement
Angela Merkel und Co.
Autorität und Amt
Begehren
Big Brother
Bindung an Dinge
Cyberwelt
Dankbarkeit
Daseinskompetenz
Differenz
disfieri - Maschen aufziehen
Eigentum
Ende des Patriarchats
Ethik und Normen
Feminismus im Mainstream?
Flugschrift allgemein
Frauenbewegung
Frauen von...
Freiheit und Abhängigkeit
Geld
Gelingende Beziehungen
Geschlechterdifferenz
Globalisierung
Glück
Gurus unter Frauen
Handeln - tätig sein
Hausarbeit - Care
Herr und Gott
Homosexualität
Ideen
Illusionen
Institutionalisierung
IQ-Tests
Italienerinnen
Juristinnen
Macht
Das männliche Imaginäre
Mailingliste
Mystik/Spiritualität
Politik
Präsenz des Weiblichen
Schweizer Expo
Schweden
Sexualität
Sozialarbeit
Sozialstaat
Staat und Gerechtigkeit
Sprache und Theoriebildung
Symbolische Ordnung
Teilen
Terroranschlag
Verantwortung der Mütter
Verfassung
weibliche Identität
Väter
Zivilisation

 

Ina Prätorius:

wer mag mit mir über den Eigentumsbegriff (in der Flugschrift) diskutieren? Also: in der Flugschrift ist ein revolutionärer Eigentumsbegriff versteckt, vor allem in diesem Satz: "Die persönliche Bindung an Dinge zum Massstab für Weltgestaltung zu machen, könnte bedeuten, dass beispielsweise ein Erbanspruch von der Bindung an das zu erbende Ding abhängig gemacht würde."(16). Dieser Satz hat natürlich einen logischen Zusammenhang zur Gesamtausrichtung der Flugschrift am Beziehungsbegriff, Insofern ist er nicht "zufällig", sondern integraler Bestandteil des Ganzen, und er widerspricht radikal dem patriarchalen Eigentumsverständnis, das auf gesetzlichen Ansprüchen beruht, die wiederum, wenn ich das richtig sehe, in erster Linie auf den Konzepten "Erwerb (durch Geld)" und "Erbschaft (im patriarchalen Familienverständnis)" fusst. (Ausserdem gibt es im Patriarchat noch den Eigentumserwerb durch Krieg/Eroberung/Plünderung, der spielt derzeit in unseren mitteleuropäischen Rechtsstaaten offiziell keine grosse Rolle, lässt sich aber jederzeit reaktivieren (vgl. Ex-Jugoslawien u.a.). Das Kriterium "persönliche Bindung" ist nun derart anders, dass ich in seiner positiven Variante erstmal Schwierigkeiten bekomme. Ich frage mich zum Beispiel: Wie soll ich da noch etwas (mit Geld) erwerben, wo ich doch zum zu erwerbenden Ding noch gar keine Bindung haben kann, diese Bindung vielmehr erst nach dem Erwerb überhaupt entstehen kann? Anders verhält es sich mit einer negativ formulierten Variante dieses Eigentumsbegriffes. Den folgenden Satz finde ich zum Beispiel aufregend und durchaus als Realität vorstellbar: Wer keine persönliche Bindung an ein Ding hat, kann es nicht sein oder ihr eigen nennen. Stellt euch vor, was mit Mietswohnungen, mit Landbesitz irgendwo im Ausland, mit Konten auf irgendwelchen Steueroase-Banken passieren würde? Aber halt: Was wäre überhaupt mit dem Eigentum an Geld? Kann man an Geld eine "persönliche Bindung" haben? Oder unterläuft das allgemeine Tauschmittel Geld schon dieses alternative Eigentumsverständnis? Und kennt sich vielleicht eine von Euch aus in der juristischen Unterscheidung zwischen "Besitz" und "Eigentum"? (Die könnte vielleicht analytisch weiterhelfen). So weit mal. Was findet Ihr? (16.2.01)

 

Fidi Bogdahn

Über den Eigentumsbegriff diskutieren, Ina (ver)mag ich noch nicht. Aber ein kleines Bild malen über einen Londoner "Bildermahler" frei nach einem Bericht im Feuilleton der heutigen SZ - das möchte ich: Da wird von einem Künstler berichtet, der all seine Hab-Seligkeiten vernichten will, -und zwar mit Hilfe einer großen Schreddermaschine. Das beginnt demnächst als öffentliches Spektakel, soll 14 Tage dauern. Sein gesamtes Eigentum hat er lückenlos aufgelistet:  7006 Gegenstände sind es, - die werden zu Schrott.  Problematisch wird es z.B. beim Reisepass, der dem Staat gehört... oder bei Kunstwerken, wo sich Künstler schon gegen die Vernichtung ihrer Werke gewandt haben. Der Titel dieser Show ist "Breakdown";  anschließend wird "Breakdown" seinen zweiten Sinn zeigen,  denn der Ma(h)ler wird vor dem materiellen Nichts stehen...  Es geht um die rituelle Vernichtung von Warenwerten: "Souverän ist, wer sein Eigentum zerstören kann" -und andererseits steht im Hintergrund der alte Dualismus von Existenz und Substanz. Dieser Künstler teilt offenbar die metaphysische Vorstellung,  dass die Dingwelt den Geist fessele und dass es gelte,  um einer höheren Existenz willen, die Substanz zu überwinden. * Lass ich den Jungen das mal so in London machen. -Wenn ich mich heute in meiner Bude umsehe... vielleicht lässt er sich anschließend von mir engagieren und verschreddert mir all die Sachen, die ich nicht mehr "mit Leben  erfülle", die mich eigentlich nur noch belasten, mir die Luft nehmen, "ich kann doch kein Buch wegschmeißen..." heißt es z.B. immer... Eigentümlich...was für Gedanken manchmal kommen... (17.2.01)

 

Ina Prätorius:

zu Deiner Shredder Geschichte fällt mir diese Aktion von einer Band ein (auch in England), die vor ein paar Jahren auf einer Insel eine Million Pound in Noten verbrannt hat - auch als Aktionskunst aufgemacht. Mich hat diese Aktion fasziniert. Auch damals gab es natürlich Proteste, einerseits vom Staat, der fand, Banknoten gehörten ihm, und andererseits von sozial engagierten Leuten, die fanden, man hätte das Geld spenden sollen. Es gibt einen Film und ein Buch über diese Aktion. Offensichtlich gibt es immer wieder mal Leute (Künstler), die das Bedürfnis haben, Gebrauchs- oder Geldwerte in einem öffentlichen Ritual zu vernichten. Ist es ein Unterschied, wenn es da um Sachwerte oder um Geldwerte geht? Für mich ja, gefühlsmässig, aber warum? Vielleicht wegen der möglichen "persönlichen Bindung" an Sachen, die mir gehören? Interessant zu diskutieren fände ich auch die eher alltäglichen eher weiblichen Formen des Sichentledigens von überflüssigem Eigentum -Garagenflohmärkte, Bazars, Geschenk e, Patchwork, Basteln mit Abfall, Kleidersammlung, Carepakete... Was ist der Unterschied zu den spektakulären Aktionen? Irgendwie kommen wir schon an dieses Thema ran. (18.2.01)

 

Antje Schrupp:

wo ich dein (erstes, bei den anderen bin ich noch nicht) Geldmail gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass das so revolutionär vielleicht gar nicht ist, jedenfalls bilde ich mir ein, Hegel hätte den Eigentumsbegriff in der Rechtsphilosophie ganz ähnlich abgeleitet. Kann ich erst nachprüfen wenn ich wieder zuhause bin, mehr also Ende der Woche. (19.2.01)

 

Antje Schrupp:

Ich habe, wie angedroht, zum Thema Eigentum mal bei Hegel nachgeschaut. "Die Person hat das Recht, in jede Sache ihren Willen zu legen, welche dadurch die meinige ist" - und "Das Vernünftige des Eigentums liegt nicht in der Befriedigung der Bedürfnisse, sondern darin, dass sich die bloße Subjektivität der Persönlichkeit aufhebt". Also einig bin ich mir mit Hegel darin, zu sagen, dass es Sinn macht, zwischen Eigentum und Besitz zu unterscheiden - Besitz wäre sozusagen das, was ich benutze/(ge)brauche. Eigentum hingegen hängt davon ab, dass ich eine Beziehung zwischen mir und dem Ding herstelle - ob man das jetzt "meinen Willen hineinlegen" nennen würde, oder nicht. Indem ich mein Verhältnis zu den Dingen gestalte, mache ich mich sozusagen objektiv bemerkbar, bewege ich mich in der Welt, biete Kommunikationsmöglichkeiten mit anderen Menschen, die ebenfalls eine Beziehung - möglicherweise zu denselben Dingen - herstellen oder so.  Das Interessante nun, im Bezug auf eure Geschichten von den Leuten, die ihr Eigentum demonstrativ verbrennen, zerstören, vernichten: Das Eigentum-Bilden vollzieht sich nach Hegel in einem Dreischritt (wie alles bei ihm): A: Besitznahme, B: Gebrauch, C: Entäußerung. Das heißt: Ich eigne mir etwas an, ich gebrauche es, aber wirklich meine Eigentümerschaft über das Ding erwiesen habe ich erst, wenn ich es wieder veräußere, also verkaufe, vernichte, oder sonst was. Dinge, von denen ich mich nicht trennen kann (weil ich sie brauche oder sie liebe z.B.) sind laut Hegel gar kein "richtiges" Eigentum. (und hmmm deswegen liebe ich Hegel so) - so wären also diese Pseudorevoluzzer entlarvt: Indem sie so theatralisch ihr Eigentum zerstören, beweisen sie nämlich nichts anderes, als dass sie wahre Meister im Eigentum haben sind. Wenn wir dagegen die Bindung an Dinge als Maßstab nehmen, dann haben wir damit Hegel widersprochen: Für uns ist die Möglichkeit der Entäußerung nicht das Kriterium für wahre Eigentürmerschaft. Die Frage ist aber - wie können wir dieses Verhältnis zu den Dingen, die wir unser Eigentum nennen, näher bestimmen oder beschreiben? Wir wissen bis jetzt, was es nicht ist: Es ist nicht das (Ge)brauchen im Sinne von Bedürfnisbefriedigung (da würde ich Hegel recht geben), sondern es ist eine "persönliche Bindung". Aber anders als bei Hegel ist diese persönliche Bindung nicht gleichbedeutend mit "meinen Willen in die Dinge legen" (was notwendigerweise zur Trennung/Zerstörung der Dinge führt, wie Hegel selbst ja zeigt). Was könnte es aber sonst sein? Daran entscheidet sich m.E. dann auch die Frage, Ina, wie wir es mit den anderen Dingen halten, den entfernten, nie genutzten Landsitzen und dem Geld. Dass wir es nicht "benutzen", kann kein Gegenargument sein, denn um Gebrauch geht es nicht. Hegel behauptet, wir können diese Dinge unser eigen nennen, weil wahres Eigentum sich ja gerade im Entäußern zeigt (und das heißt, wenn nicht zerstören, dann ja "zu Geld machen"). Wir aber sind da anderer Meinung, uns geht das gegen den Strich. Also bleibt die Frage: Welcher Art muss unsere Beziehung zu den Dingen sein? Mein vorläufiger Antwortversuch bewegt sich in dem Dunstkreis von: Ich kann mich zwar von ihnen trennen, will es aber nicht. Also - wenn sie mir verloren gingen, wäre meine Existenz zwar nicht bedroht, aber ich wäre doch unglaublich traurig. So wie damals, als ich mein fast vollgeschriebenes Tagebuch verloren habe. Könnte der Grad des Eigentums sich vielleicht im Verhältnis zu der Menge an Traurigkeit bestimmen lassen, die ich hätte, wenn ich das Ding verlieren würde? So dass Eigentum auch keine Sache von ja oder nein, sondern von mehr oder weniger wäre? (21.2.01)

 

Ina Prätorius:

vielen Dank für die Bemerkungen zu Hegel. Sie tragen in meinem Kopf derzeit dazu bei, dass ich noch weniger durchblicke, wie das mit Besitz und Eigentum (bei mir) eigentlich funktioniert. Ich freue mich an dieser vorerst nicht in die Bahnen einer Systematik lenkbaren Komplexität und denke weiter, ausgehend von tausend Geschichten, die mir zu dieser Thematik laufend in den Sinn kommen. (22.2.01)

 

Alexandra Robin:

ja ja, ich weiß, es ist mein üblicher linker zeigefinger, trotzdem: es ist eine eigentumsbegriffsbestimmung der westlichen industriegesellschaftsmenschen. meiner ansicht nach gibts mehrere sorten  besitz- dinge, auf die ich existenziell angewiesen bin und "luxusgüter", mal als grobe unterscheidung. ich bin nach wie vor der meinung, daß "eigentum" erst mal eine sache ist, die kritisch hinterfragt gehört. ist doch das, was wir dann später besitzen zunächst eine sache, die hergestellt wird. mit einem ziemlichen aufwand von energie, rohstoffen und arbeitskraft. und einem großen anfall von abfall. die existierenden produktionsweisen begründen ausbeutung, umweltverschmutzung, etc. so haben wir eine spülmaschine. das zeugs, welches für ihren betrieb notwendig ist ist giftig. das weiß ich. und benutze sie trotzdem, weils mir so bequem ist. ich hänge an ihr, weil sie mir blöden abwasch erspart. aber ich benutze sie wider besseres wissen. genau wie ich mein auto "brauch", an dem ich ebenfalls hänge. ich weiß aber um lärmbelästigung, die auswirkungen der abgase, um die politischen zusammenhänge zwischen dem sprit in meinem tank und geführten kriegen. das ist wie rauchen, was ich nicht bleiben lasse, obwohl mein körper mittlerweile dagegen rebelliert. da bin ich süchtig und an der stelle bezweifle ich, daß bindung das kriterium zur eigentumsbestimmung ist- zumindest was "luxusgüter" angehrt, weil bindung auch bei der süchtigen kriterium ist. diese schieflage noch weiter zu emotionalisieren indem ich ausgerechnet mit bindung argumentiere halte ich für falsch. (22.2.01)

 

Ina Prätorius:

ich verstehe Deinen linken Zeigefinger. Trotzdem glaube ich, dass wir in dieser Debatte einfach nicht weiterkommen, wenn wir uns nicht entschliessen, eine Unterscheidung zu machen zwischen der Situation, in die uns die "existierenden Produktionsweisen" gebracht haben und unseren grundsätzlicheren Ueberlegungen zur Frage der Beziehung zu den Dingen. Ich bin auch nicht sicher, ob Hegels Dreischritt uns weiterbringt, oder ob wir wirklich mit dem Begriff der "Bindung" arbeiten sollen. Hegel ist ja in die Diskussion vor allem hereingekommen, weil Antje zeigen wollte, dass das Eigentumsverständnis der Flugschrift nicht einfach von der Tradition isoliert ist. Es ist richtig, dass wir vermutlich heute alle auch an Dingen hängen (z.B. Autos), die in vieler Beziehung, v.a. ökologisch fragwürdig sind. Aber mir hilft es nicht viel, solche existierenden Beziehungen einfach mit dem linken Zeigefinger als hochfragwürdig zu brandmarken. Ich möchte erstmal darüber nachdenken, wie es zu solchen Bindungen kommt und was sie über mein Dasein in der Dingwelt aussagen. Auch ich hänge an diesem Gerät, das es mir ermöglicht, mich schnell von einem Ort an einen anderen zu bewegen. Ich hänge auch an meinem iMac, weil er mir interessante Kommunikation ermöglicht etc. Das geht alles weit über "Grundbedürfnisse" hinaus und macht doch faktisch meine Lebensqualität aus und auch meine Freiheit, kritisch in die Welt einzugreifen. Da hilft es mir erstmal nicht viel, wenn ich mich daran erinnere, dass dies eigentlich alles nicht sein sollte oder dürfte... (22.2.01)

 

Alexandra Robin:

nein, es geht mir nicht ums bloße aufzeigen dessen, was nicht sein darf oder wohin uns die existierenden verhältnisse gebracht haben. eher darum, inwieweit ich selbst in der lage bin/wäre, die von mir als lebbar bezeichneten alternativen auch umzusetzen. und ich zweifle stark daran, daß ich das als kind der existierenden verhältnisse auch bin ( graduelle sache, natürlich). als beispiel dafür habe ich das phänomen sucht gebraucht. ich bin nicht einverstanden damit, das vorgefundene einfach nur umzudeuten. für mich muß es einen mittelweg geben zwischen der kritik am vorgefundenen und natürlich der würdigung dessen ,wo´s das denn verdient hat und dem entwurf der utopie. die bestehenden verhältnisse auf eine bestimmte art auszublenden würde bedeuten, mich ahistorisch zu verhalten und das geht nicht. denn meine geschichte- und die der frauen vor mir war immer in die die historischen zufälligkeiten -wenns denn solche waren und den eindruck kann eine kriegen...- eingebettet. und für mich findet da eine wechselwirkung statt, die ich für absolut tiefgreifend halte. (22.2.01)

 

Antje Schrupp:

Die Bemerkung von Sandra, dass nicht jede Bindung gut ist (Beispiel Sucht), finde ich wichtig. Hegel, könnte man nun sagen, nimmt die extreme Gegenposition zur Sucht ein, indem er die Bindung an Dinge als "meinen Willen in etwas legen" definiert, also gerade jede Abhängigkeit meinerseits von dem "Ding" ablehnt, was dann konsequenterweise zu Zerstörung/Veräußerung des Dings führt, also zum Abbruch der Bindung. Genau das ist aber bei einer Sucht-Abhängigkeits-Bindung nicht mehr möglich, mein Wille funktioniert nicht (ich kann nicht mit dem Rauchen aufhören...) Beides ist zerstörerisch: Sucht zerstört mich, mein Wille zerstört das Ding. Beide Bindungsarten sind also per Definition nicht von Dauer. Was könnte aber nun eine andere Form der Bindung sein, die weder Sucht ist noch reiner Wille? Ich halte es nicht für sinnvoll, an diesem Punkt nun moralische Maßstäbe einzuführen, nach dem Motto, ist das Ding, an das ich mich binde gut (Tagebuch, altes Geschirr) oder schlecht (Auto, Spülmaschine). Das ist eine Diskussion, die man an anderer Stelle zwar führen kann, aber es hilft uns nicht weiter, das Wesen des Eigentums zu verstehen (und bevor ich das nicht verstanden habe, wüsste nicht, wie ich es kritisieren soll oder politische Gegenentwürfe formulieren...) Ich habe mir in dem Zusammenhang unsere Diskussion über "Bindung an Dinge" nochmal durchgelesen, wo wir ja auch über die geteilte Nutzung (etwa Car-Sharing) diskutiert haben und die Frage offen blieb, inwieweit diese wünschenswerte Sache nicht der Flugschrift-These von der Wichtigkeit der Bindung an Dinge widerspricht. Vielleicht haben wir ja zumindest zu diesem Problem eine Lösung gefunden: Genau das ist doch möglicherweise der Unterschied zwischen "Besitz" und "Eigentum". Das eine ist der Besitz von Dingen, die ich nutze, gebrauche, die nützlich sind. Bei diesen Dingen ist meine Bindung an sie von ihrem Nutzen abhängig, und da kann es sinnvoll sein, sie zu teilen, um andere nützliche Effekte zu erzielen, Umweltschutz etc. Darüber hinaus gibt es aber auch Dinge, an die ich mich aus anderen Gründen binde, also aus Gründen, die nicht unbedingt an ihrem Nutzen oder Gebrauchswert hängen. Schöne Dinge, Sachen, die mit Erinnerungen verbunden sind, und diese kann ich eben nicht teilen, weil darin ein Stück meiner eigenen Person liegt, der eigenen Geschichte (wie in dem Beispiel von Inas altem Auto). Ich meine, wir haben hier ein rein theoretisches Problem. Praktisch haben wir ja alle solche Dinge, aber was uns noch nicht gelungen ist, ist das Prinzip, nach dem wir diese Art der Bindung von der Sucht unterscheiden können. Und ich glaube, Sandra, solange wir das nicht verstanden haben, haben wir auch keinen Ansatzpunkt, unser eigenes Handeln und das der anderen in der Praxis und politisch zu beurteilen. In deiner Eigentumskritik gehst du zu sehr von dem Ding aus - ist das Ding gut oder schlecht - aber ich finde, wir müssten bei unserem Urteil von der Art der Bindung zwischen mir und dem Ding ausgehen.  Bisher haben wir die Ausschlusskriterien - schlecht ist diese Bindung, wenn sie mich zerstört (Sucht) oder das Ding zerstört (Dominanz meines Willens über das Ding). Vielleicht könnte man es so verstehen, dass eine "gute" Bindung an Dinge ist, wenn es ein freiwilliges Abhängigkeitsverhältnis ist. Also ich willige ein, von diesem Ding abhängig zu sein. Es ist mir zwar möglich, diese Bindung zu lösen (und wenn sie mir aufgezwungen wird, Beispiel verlorenes Tagebuch oder kaputt gegangenes Auto), dann bin ich nicht existenziell bedroht (oder auf Turkey), aber doch eben traurig. Es ist gewissermaßen eine Bindung, auf die ich zwar verzichten könnte, auf die ich aber tatsächlich nicht verzichte, weil die Herrschaft meines Willens über das Ding - anders als bei Hegel - kein Kriterium dafür ist, dass dieses Ding wirklich "mein eigen" ist. (23.2.01)

 

Ina Prätorius:

wenn ich auf die Suche gehe nach einer adäquaten Beschreibung einer positiven Beziehung zum Ding (zwischen Sucht und Herrschaft), dann fällt mir die Metapher "Gespräch" ein. Ich stelle mir vor, dass ich dieses Ding (Auto, Tagebuch, Kochbuch...) frage: "Weisst Du noch...?" und das Ding antwortet "Ja, ich weiss noch...". Und dann erzählen wir einander Geschichten von früher. Natürlich können Dinge nicht reden. Mein gelingender Sachbezug ist also abgeleitet von einer Vorstellung von gelingender Beziehung zwischen Menschen, die wirklich miteinander reden können. Tatsächlich bedeutet positiver Sachbezug in meiner Erfahrung eine Art Personifizierung der Sache (Aristoteles: "Beseelte Sachen" - damit meinte der Alte allerdings die Frauen, Sklaven und Tiere...). Der positive Sachbezug ist meiner Erfahrung nach meistens (oder immer?) verwoben mit den Beziehungen zwischen Menschen: Dass ich mein Auto "liebe" hat weniger mit der Funktion der Fortbewegung zu tun als mit der Tatsache, dass ich in diesem Gefährt jahrelang Freud und Leid mit mir wichtigen Menschen geteilt habe. Sandra, meinst Du nicht, dass ein solcher Massstab für einen gelingenden Sachbezug durchaus ein Korrektiv gegen Sucht und Konsumismus, also gegen die vernutzenden bzw. zerstörerischen Sachbezüge in dem, was Du "das Gegebene" nennst, sein könnte (wie das auch die Flugschrift behauptet)? Für mich ist das nicht bloss Umdeutung des Gegebenen, sondern eine neue Blickrichtung, die ich als widerständiger empfinde als die Kritik eines scheinbar einheitlichen, geschlossenen "Gegebenen", zu dem ich mich nur negativ verhalten kann. Ich habe dazu das einschlägige Kapitel 10 der Flugschrift nochmal gelesen. Da steht das in nuce alles drin, allerdings könnte frau es noch viel präziser, schöner und weniger missverständlich sagen. (Noch was: ich möchte keinesfalls das Thema "Bindung an Dinge" schon wieder verlassen, denn da gibt es noch viel zu erfinden. Worüber ich dann aber auch gern reden würde, wäre - aus aktuellem Anlass des "Jahres der Freiwilligenarbeit" - die Frage des Ehrenamtes. Ueber das Ehrenamt wird, zumindest hier in der Schweiz, jetzt dauernd so geredet, als ginge es um einen Ersatz für den Sozialstaat. Dieser verkehrte Diskurs wäre für mich ein guter Anlass, um mit den Gedanken in Flugschrift Kap.14 eine grössere Oeffentlichkeit zu erreichen.) (24.2.01)

 

Christof Arn:

Eine Moglichkeit, die Flugschrift in die Diskussion zum Internationalen Jahr der Freiwilligenarbeit einzubringen, ware die dort laufende Internet-Diskussion: www.iyv-forum.ch . Notig ware es fur dieses Jahr sehr, die Flugschrift aufzunehmen... Vielleicht konnte fran auch erreichen, dass dort ein Link auf www.flugschrift.de angebracht wird. Zum Eigentum kommt mir in den Sinn, dass es so einen Mann gab, der ein Geld erfunden hat, das keine Zinsen bringt und der hat eben mehr als das Gedacht und gesagt, dass der Boden nicht verkauft, sondern nur vermietet werden kann und dass dieser Mietertrag als eine Art Mindesteinkommen fur das Uberleben aller gebraucht werden soll. Dahinter steckte unter anderem die Empfindung, dass der Boden etwas Mutterliches ist und analog die Mieten fur den Boden als etwas ebenfalls Fursorgendes gerade das
nicht-leistungsorientierte Leben am Leben erhalten soll. Irgendwie so, genau weiss ich es nicht mehr, konnte aber herumfragen, wenn es wichtig ware. Jedenfalls finde ich das Thema Geld und Land recht wichtig, weil diese beiden es besonders moglich machen, dass Besitz sich "von selbst" - was soviel heisst wie: auf Kosten anderer - vermehrt. Zu Geld als Geld man fran ubrigens gar keine Beziehung haben. Das wurde heissen, dass es keinen legitimen Geldbesitz geben kann, wenn die Beziehung zum Eigentumsgegenstand das Kriterium ist. Das kommt mir jetzt beim Schreiben gerade so in den Sinn. Was wurde daraus dann eigentlich folgern? (27.2.01)

 

Ina Prätorius:

tatsächlich ist hinsichtlich des Geldes nicht ganz klar, wem es eigentlich gehört. Anlässlich der Geldverbrennung hat jedenfalls der britische Staat (die Nationalbank?) protestiert mit der Behauptung, Banknoten seien staatliches Eigentum und würden nur zur Nutzung freigegeben, dürften also von den Nutzern nicht mutwillig zerstört werden. Ob es daraus allerdings einen Rechtsstreit gab bzw. wie der ausging, weiss ich nicht. Jedenfalls ist die Sache juristisch nicht eindeutig. Was Deine Idee mit der Bodenmiete angeht, vertritt z.B. Hannah Arendt da meines Wissens einen dezidiert anderen Standpunkt, der mir irgendwie einleuchtet. Sie sagt in Vita Activa, dass Menschen ein Zuhause in Form eines eigenen Hauses auf eigenem Grund brauchen, um in der Welt daheim zu sein und als Voraussetzung für ein ("geerdetes" - würden wir heute sagen) Handeln. Wenn Menschen das nicht haben, lösen sie sich von der Erde, werden heimatlos (Flüchtlinge) und haben keinen Ort mehr, von dem aus sie Welt gestalten können. Das spricht für Grundeigentum, allerdings nur im Sinne des Grundes, den ich auch tatsächlich bewohne, und dieser Gedanke würde nun die Bodenmiete gerade ausschliessen, oder? Weil jedem und jeder den Ort, an dem er oder sie wohnt gewissermassen qua Wohnrecht zueigen ist. Was mich an der Bodenmiete stört ist, dass Leute dann gewissermassen für ihr blosses Dasein schon zahlen müssten (vgl. Prinzip der "Kopfsteuer"). (1.3.01)

 

Christof Arn:

Ja, wie ist das mit dem Geld-Eigentum? Ich weiss da nichts Schlaues. Mit der Boden-Miete stelle ich mir das so vor: Weil die Boden-Miete für einen Grundlohn für alle verwendet wird, müssen nur diejenigen draufzahlen, die mehr Boden nutzen als durchschnittlich für jedeN zur Verfügung steht. Hat übrigens Hannah Arendt eine Vorstellung, wie Boden und Häuser verteilt werden können, was wie "vererbt" wird und so? - aber ich wollte mit den beiden Bemerkungen von Geldeigentum und Bodeneigentum die Diskussion nicht umlenken. Ich habe die Diskussion über Beziehung zu Dingen und Eigentum sehr interessant gefunden, vielleicht sollte diese zuerst auf den Punkt gebracht werden, dann können vielleicht die Spezialfälle Geld und Boden noch überlegt werden. (1.3.01)

 

Antje Schrupp:

Mal ein ganz blöder Einwurf dazu (braucht man Grundeigentum an Boden zum Handeln): Das erinnert mich an den Werbespruch, der derzeit auf allen Kanälen läuft: "Ein Haus bauen liegt in der Natur des Menschen, Miete zahlen nicht" (und dabei sieht man irgendwelche Menschen in Alaska oder Afrika oder sonstwie und die Werbung ist natürlich von irgendeiner Bausparkasse. Ich schreibe gerade an einem Artikel über Religion und Werbung/Konsum, und hatte mir grade überlegt, dass es ein Problem ist, um bei Hannah Arendt zu bleiben, dass Werbung häufig verspricht, man könne Sachen "herstellen", die eigentlich in den Bereich des "handelns" fallen. Wo schreibt sie denn das mit dem Eigentum an Grund als Voraussetzung für "Handlungsfähigkeit"? Die Stelle hab ich sicher überlesen, weil sie mir inhaltlich nicht passt. Wenn man Flüchtling ist bzw. im Exil lebt, hat man ja noch vieles anderes verloren, Beziehungen zum Beispiel. Vor allem Beziehungen, meine ich. (1.3.01)

 

Claudia von den Choras:

vielleicht hilft es ja sich die Grundbedeutung und Herkunft des Begriffs Eigentum vor Augen zu führen: eigen ist etwas, dass eigentlich untrennbar zu einer Person gehört, so wie ihr ein Verhalten oder eine Haarfarbe eigen ist. Besitz dagegen ist dagegen etwas auf dem eine Person sitzt, auf das sie ein Nutzrecht hat. Hannah Arndt hat in diesem Zusammenhang in vita aktiva auch sehr schön die Vertreibung der Landbevölkerung durch die Bodenrechtsreform im 19. Jh beschrieben (leider bekomme ich das gerade nicht mehr zusammen). Zum Thema Geld sind vielleicht die Überlegungen aus dem Subsistenzhandbuch ganz hilfreich, in dem beispielhaft Geld- und Tauschsysteme vorgestellt wurden in denen Geld nur noch Bedeutung als Tauschmittel und nicht mehr als Mittel zum Geldmachen Bedeutung hat. (1.3.01)

 

Antje Schrupp:

ich würde doch noch das Eigentum spezifizieren als Bezug/Beziehung zu Dingen, und es daher von "Eigenschaft" (Haarfarbe etc.) unterscheiden. D.h., manches, was mein eigen ist, ist auch Eigentum, als Sonderfall sozusagen, weil es ein Ding ist, das von mir unterschieden ist. Und ich glaube schon, dass der Knackpunkt darin liegt, wie man diese Beziehung definiert. Ein Eigentum an Geld kann es daher aus meiner Sicht nicht geben, weil es eben auch kein Ding ist, was heute mehr als früher deutlich wird, wo Geld meist nur in Form von Zahlen auf meinem Kontoauszug existiert, man hat es ja meistens gar nicht mehr in der Hand. Geld ist kein Ding, das ich mir zu eigen machen kann, es ist prinzipiell austauschbar - das ist ja geradezu seine Funktion. Mit Geld kann ich ja auch anderes erwerben, als Eigentum. Zum Beispiel Dienstleistungen, Nutzungsrechte, etc., ein Bereich, der im Vergleich zum Erwerb von Eigentum wächst. Eine interessante Frage wäre jedoch die, wie es mit Aktien ist, denn da erwerbe ich ja Anteile an Dingen, die mir aber nichts bedeuten, weil es nur um - ja, um was eigentlich? - geht (1.3.01)

 

Ina Prätorius:

in lockerer Anknüpfung an Deine letzte Frage, Antje, worum es bei Aktien eigentlich geht, möchte ich die Frage aus Flugschrift Kapitel 9 nochmal ins Gespräch bringen: Kann Geldbesitz Unabhängigkeit bringen, und ist Unabhängigkeit ein sinnvolles Ziel? Die Flugschrift entlarvt den Zusammenhang von Geldbesitz und Unabhängigkeit als "Illusion" und "Irrtum"(28) und setzt dagegen, dass es eigentlich nicht um Unabhängigkeit gehen kann, sondern um Freiheit, und Freiheit bedeutet, in realer Abhängigkeit und im Bewusstsein davon jeweils konkrete Handlungsmöglichkeiten auszuhandeln. Ich bin einverstanden. Bloss: Was nützt es, einen Zusammenhang als "Illusion" zu erkennen, wenn die Illusion sich sehr gut anfühlt? Ich gehe von mir selbst aus: Seit Jahren ermöglicht es mir mein ererbtes (nicht riesiges, aber anständiges) Vermögen, unabhängig zu schreiben. Ich kann meine Zeit einteilen, wie ich will, ich kann schreiben, was und für wen ich will, gratis oder gegen Honorar, ich kann es mir leisten, keine Unikarriere zu machen, ich kann mir für meine Arbeit eigens eine Wohnung mieten, ich kann in einer "strukturschwachen" und deshalb sehr schönen Gegend wohnen, muss mich mit keinem Arbeitgeber rumärgern usw. (die Liste der Annehmlichkeiten ist nicht vollständig). Meine Unabhängigkeit nutze ich nur selten dafür, "durch den Konsum von Fast-Food, sexuellen Dienstleistungen und industrialisierter Unterhaltung aus ... Abhängigkeit von ... persönlichen Beziehungen herauszukommen"(28) Trotzdem: es handelt sich um eine über Jahre stabile, real fühlbare Unabhängigkeit, die auf Geldbesitz beruht. Seit langem weiss ich, dass dies alles "Illusion" ist, denn in Wirklichkeit bin ich genauso abhängig von anderen wie die anderen. Aber manchmal können Illusionen ganz schön viel wert sein. Und mein Verdacht ist, dass andere GeldbesitzerInnen das genauso empfinden und - Fast-Food hin oder her - keine Neigung verspüren, ihren auf Illusionen bauenden Lebensstil irgendwie in Frage zu stellen, selbst wenn sie ihn als solchen erkennen. Meine Fragen heissen Was nützt die richtige Analyse in Kapitel 9 unter diesen Bedingungen? Worauf zielt das Kapitel 9 eigentlich ab?  Was bedeutet "Freiheit", wenn die Menschen von so unterschiedlichen Illusionen aus handeln? Und ist der Schlussatz, dass es "immer auf die konkrete Situation und die beteiligten Personen ankommt"(29) nicht einfach ein flacher Allgemeinplatz? (5.3.2001)

 

Alexandra E. Robin:

ich meine zu erinnern daß im genannten kapitel festgestellt wurde, daß es geldbesitz mehr wahlmöglichkeiten bezüglich der abhängigkeiten läßt (oder war das ein ergebnis unserer hiesigen diskussionen um die flugschrift).  und  da liegt für mich der punkt der größeren freiheit, dabei handelt es sich sicher nicht um eine illusion. (5.3.01)

 

Antje Schrupp:

na, ich hab mich schon immer gefragt, wovon du eigentlich lebst... - woran ich merke, dass es immer noch so etwas wie ein Tabu ist, über Geld zu reden, sobald es konkret wird und uns persönlich betrifft: Schließlich hab ich dich ja auch nie danach gefragt. Hab ich mich nicht getraut? Wie auch immer, natürlich spüre ich so etwas wie "Klassenneid" in mir aufsteigen, weil ich auch gerne so Geld von irgendwoher hätte anstatt dauernd ins Büro rennen zu müssen, um für Geld langweilige Broschüren und  Presseerklärungen zu schreiben, wo ich doch so gern mein Buch weiterschreiben würde. Sicher hast du dadurch, dass du mehr Geld hast, mehr Möglichkeiten, und das ist keineswegs eine Illusion. Aber genau deshalb diskutieren wir ja hier über all die Dinge wie Existenzgeld, Entlohnung von Hausfrauen- und Carearbeit und all das. Weil wir natürlich die Frage stellen müssen, wie das Geld und die Dinge etc. verteilt werden sollen und wir sind uns sicher einig darüber, dass das derzeit nicht unbedingt optimal geregelt ist. Wenn du also feststellst, dass dir dein Geld Möglichkeiten bietet, die du ohne das Geld nicht hättest, ist das keine Illusion. Eine Illusion wäre es aber, wenn du das für Unabhängigkeit hieltest. Zum Beispiel bist du abhängig von uns, dass wir keine Revolution machen :)) Und vermutlich bist du auch noch mehr von deinen FreundInnen und der Familie abhängig, denn die werden dich bestimmt auch zur Verantwortung ziehen. So wie die Habenichtse in meiner Bekanntschaft mich zur Verantwortung ziehen, weil sie z.B. erwarten, dass ich mal mehr bezahle als sie, oder von mir Geld leihen, dass sie mir vielleicht zurückgeben oder auch nicht. Also da wird schon ganz schön verhandelt im Alltag. Die Dinge, die du als vorteilhaft aufzählst und die du dir mit deinem Geld ermöglichst, fallen meine Ansicht nach auch eher unter Besitz/Nutzung als unter Eigentum. Insofern nutzt du dein Geld im Prinzip zur zukünftigen Anschaffung von Besitz, oder? Die Frage ist natürlich, ob das ein sinnvoller Begriff ist, "zukünftiger" Besitz. (5.3.01)

 

Ina Prätorius:

danke, dass Ihr vorerst keine Revolution macht. Vielleicht würde  ich die aber auch noch schnell sponsern, bevor das ganze Geld weg ist. Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, wo ich als mittels Geldbesitz "Unabhängige" Abhängigkeit von anderen spüre: Mir kommen als erstes nicht Leute in den Sinn, die mich anpumpen wollen oder so, sondern vor allem ein spezifisches Anerkennungsproblem. Immer wieder begegne ich dem (richtigen) Argument, dass ich "von den wirklichen Problemen keine Ahnung habe" und dass deshalb die Produkte meines Schreibens und der moralische Anspruch, der da drin steckt, nur halbwegs oder gar nicht ernstzunehmen sind. Als Schreibende/Publizierende wäre ich aber darauf angewiesen, dass die Leute anerkennen, was ich zu sagen habe. Und dadurch, dass ich mich nicht, wie andere, um mein tägliches Auskommen sorgen muss, verliere ich für viele an Autorität. Möglicherweise ist dies sogar einer der zentralen Gründe, warum es ein Tabu ist, über die persönliche Finanzlage offen zu sprechen. Denn es gibt schliesslich ziemlich viele Leute wie mich, die klug daherreden, weil "sie es sich leisten können" (z.B. alle beamteten UniprofessorInnen). Gesicherter Geldbesitz vermindert also in den Augen vieler die Glaubwürdigkeit und damit den Anspruch auf Autorität. Das wär mal eines. Mehr dazu nach weiterem Nachdenken. (6.3.01)

 

Carola Enning:

Vorsichtig formuliert, möchte ich wohl das Gegenteil behaupten. Ein Zustand von "genug Geld haben", besagt nicht, daß man von gewissen Problemen keine Ahnung hat, sondern schlicht mehr Abstand zu ihnen genießt. Und Abstand hat in meinen Augen noch nie geschadet, etwas (evtl. gelassener) beurteilen zu können. (6.3.01)

 

Ina Prätorius:

Das, was Du formulierst, ist die klassische Gegenposition zu dem, was ich (manchmal) erfahre. Manchmal erfahre ich aber auch das, was Du sagst... In Adornos Minima Moralia wird, wenn ich mich recht erinnere, dieses Problem ganz am Anfang verhandelt: Ist der "unabhängige" (da entweder vermögende oder bedürfnislose) Intellektuelle besonders glaubwürdig, besonders unglaubwürdig oder einfach genau so glaubwürdig wie alle anderen, also je nach persönlichen Qualitäten (vgl. Flugschrift: Es kommt ganz auf die konkreten Umstände an...)? Adorno beklagt mit der ihm eigenen Melancholie, dass die Unabhängigkeit des unabhängigen (elitären) Intellektuellen heute nicht mehr geschätzt wird, weil sich die Lohnabhängigkeit und die ihr eigenen Qualität des "Für sich selbst sorgen Könnens" als Massstab durchgesetzt hat. Von dieser Melancholie fühle ich mich logischerweise - wie von Adorno überhaupt - angezogen, frage mich aber, wo nun eigentlich die Täuschung liegt oder ob die Flugschrift tatsächlich recht hat mit ihrer banalen Feststellung, dass alles nur im konkreten Kontext zu entscheiden ist. Jedenfalls gibt es ganz verschiedene Leute. Auf meine Situation bezogen: Es gibt Leute, die meine Texte gut finden, obwohl ich eine reiche Erbin bin. Es gibt Leute, die meine Texte schlecht finden, obwohl sie gar nicht wissen, wovon ich lebe. Es gibt Leute, die meine Texte deshalb gut finden, weil sie genau die Unabhängigkeit ausstrahlen, die vom Vermögen bewirkt wird. Und es gibt solche, die meine Texte schon gar nicht lesen, weil sie eh nichts lesen und sowieso schon vorher wissen, dass reiche Intellektuelle nichts Gescheites machen. Und dann gibt es noch Leute, die den einen Text gut finden und den anderen schlecht... Was schliessen wir daraus? (6.3.01)

 

Alexandra Robin:

na ja, irgendwie ist beides richtig- geldbesitz schafft abstand von bestimmten dingen, das ist für die besitzende eine prima sache. (Wer freut sich schon über existenzsorgen) ich denke es ist wie mit allem, die erfahrungen die ich mache hängen mit meiner konkreten situation zusammen. und bei der beurteilung mir fremder lebenssituationen zieht mein erfahrungshorizont die grenze meines verstehens. klassenunterschiede sind eine reale sache. ich hab mich mal arbeitslos gemeldet, bis mein antrag auf arbeitslosengeld bewilligt wurde ging einige zeit ins land. man hat mir erklärt, für diesen zeitraum solle ich mich beim sozialamt melden, da würde man mir unterhalt vorschießen, dieser wird nach bewilligung des arbeitslosengelds vom arbeitsamt ans sozialamt zurückgezahlt. die erfahrungen die ich in der zeit gemacht habe haben mein weltbild um einige wichtige punkte ergänzt, ich bin in meinem leben noch nie so schikaniert worden, solche formen der behördenwillkür waren mir bislang fremd. ich kann mittlerweile verstehen, warum leute trotzdem sie einen anspruch auf stütze haben nie nie nie zum sozialamt gehen würden. was bin ich froh, daß ich mit diesen dingen nichts zu tun haben muß. der maßstab des für sich selbst sorgen könnens- da gibts kellerräume deren existenz ich mir so nicht vorgestellt habe. was das für mich mit der flugschrift zu tun hat- die unabhängigkeit die geldbesitz mit sich bringt ist eine reale (eine beziehung zum sachbearbeiter vom soz braucht kein mensch), natürlich bin ich immer in abhängigkeit zu jemandem, aber es spielt eine riesenrolle in welchem kontext. und im kellergeschoß des sozialstaats bin ich nicht vertragspartnerin mit tarifrecht im rücken. und - ich kann mich als mittelstandskind für die erfahrung der armut entscheiden, das ist aber nicht umkehrbar, als arme kann ich mich nich dafür entscheiden, jetzt aber mal die erfahrung zu machen , wie sichs im mittelstand lebt. und da stimmt wieder der vorwurf, daß ich als mittelstandskind gerade wegen meiner größeren unabhängigkeit und eben dieser unumkehrbarkeit von bestimmten dingen keine ahnung habe. ich kann aber die erfahrung der existenz des kellergeschoßes in meine überlegungen mit einbeziehen. das erinnert mich an eine passage aus "wie weibliche freiheit entsteht", da schreibt eine , daß die formale gleichstellung und - berechtigung der menschen voraussetzung ist für alles andere, das seh ich auch so. (7.3.01)

Antje Schrupp:

Also soweit ich das sehe, spielen drei Faktoren eine Rolle, was unsere persönliche Wohlstandssituation angeht: Die politisch-wirtschaftlichen Strukturen, Glück bzw. Pech, und unsere eigene Entscheidung. Aus der Tatsache, dass jemand von Sozialhilfe lebt, kann ich noch nicht entscheiden, ob es Pech war oder die eigene Entscheidung, die sie da hingeführt hat (ich kenne beide Varianten). Was reiche Erbinnen betrifft, so spielt Glück sicherlich eine extrem wichtige Rolle. Und die Strukturen natürlich auch. Was ich wichtig finde ist, dass wir nicht vergessen, dass Glück/Pech immer mit im Spiel ist. Das Ideal kann nicht sein, dass wir die Strukturen so verändern, dass es allen gleich geht, denn das funktioniert eh nicht. Wenn du, Ina, vielleicht auch im Hinblick auf Geld Glück hattest, so hattest du doch in anderer Hinsicht (Krankheit) Pech. Deshalb ist mir wichtig, dass wir die Aufgabe der Politik (also der Instanz, die an den Strukturen arbeitet) in der Flugschrift so definiert haben, dass das Ziel dabei sein muss, gelingende Beziehungen zu ermöglichen, nicht einen Zustand von "Gerechtigkeit" herzustellen. Das heißt, Sandra, die Gleichstellung/-berechtigung ist nicht selber das Ziel, sondern sie ist nur deshalb wichtig, weil sie erfahrungsgemäß gelingende Beziehungen eher ermöglicht, als Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Sie ist nicht selbst Zweck, sondern (ein) Mittel (unter anderen). Deshalb kann sie in bestimmten Fällen eben auch kontraproduktiv sein. Man muss sie an ihrem Erfolg messen. Mir ist wichtig, dass die Welt niemals "gerecht" sein wird, weil es zum Wesen der Menschen gehört, unterschiedlich zu sein. Und dass immer ein Anteil da ist, der mit Pech/Glück zu tun hat - von unseren eigenen Entscheidungen und Handlungen ganz zu schweigen. Das heißt nicht, dass wir nicht gegen Ungerechtigkeiten vorgehen müssen, aber häufig ist - das zeigt die Geschichte und die eigene Erfahrung - in diesem Bemühen das Ziel aus den Augen verloren worden (oder von vornherein falsch definiert worden). Für die "Reichen" heißt das, sie dürfen nicht so tun, als sei ihr Wohlstand "wohlverdient" oder "ihr gutes Recht", sondern ich verlange, dass sie neben ihrem eigenen Bemühen anerkennen, dass sie auch die Hilfe der "Strukturen" hatten (meistens zu Lasten von anderen) und außerdem noch Glück. Es tragen immer gleichzeitig ich selbst, "die Strukturen" und überhaupt niemand die Verantwortung. Deshalb müssen wir auch immer gleichzeitig uns selber verantworten, die Strukturen kritisieren und die Verhältnisse eben hinnehmen wie sie sind. Vermutlich schließt sich das nicht aus, sondern bedingt sich gegenseitig. Jede Theorie, die hier einen Aspekt verabsolutiert, ein entweder-oder daraus macht, ist Käse. Und auch wenn es wieder banal klingt: Genaueres kann man eben nur im konkreten Fall dazu sagen. (7.3.01)

 

Home