Politik

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Prätorius:

Ich lese gerade: Seyla Benhabib, Hannah Arendt - die melancholische Denkerin der Moderne. Das ist ein sehr erhellendes Buch von einer feministischen politischen Denkerin, die - eher an Habermas orientiert - sich im Prinzip zu den liberalen Werten westlicher Demokratien (Freiheit, Gleichheit, Solidarität) bekennt und dennoch (?) Hannah Arendts politisches Denken liebt. Der Grundtenor heisst: Mit Arendt gegen Arendt. Und das ist mir sympathisch und wirft für mich auch ein neues Licht auf die Flugschrift - in dem Sinne, dass ich so einen gewissen Wunsch verspüre, bald eine neue Flugschrift zu schreiben. Mir ist plötzlich auch wieder das kurze, knappe Urteil eingefallen, das Mascha Madörin (die feministische Oekonomin) auf der oesterreichischen Frauensynode mir gegenüber über die Flugschrift ausgesprochen hat: "Oberschwach". Ich habe zwar gleich zu Mascha gesagt, dass ich dieses Urteil keineswegs teile, und leider hatten wir dann keine Zeit mehr, genauer zu reden. Aber es geht mir im Kopf herum, denn Mascha ist keineswegs dumm und hat sicher ihre Gründe. Welche? Ich kann das nur ahnen. Nach der Benhabib-Lektüre habe ich vor allem Zweifel an diesem Satz bekommen: "Politik, so wie wir sie verstehen, findet derzeit in Deutschland nicht statt."(S.45). Dieser Satz, meine ich, setzt die strike Arendtsche Trennung zwischen dem Politischen und dem Oekonomisch/Gesellschaftlichen voraus, und genau diese Trennung stellt Seyla Benhabib mit sehr guten Argumenten in Frage. Zum Beispiel mit diesem Satz von Mary McCarthy: "Wenn ... alle Fragen der Wirtschaft, der menschlichen Wohlfahrt ... von der politischen Bühne ausgeschlossen sind, dann wird es für mich mysteriös. Es bleiben nur noch die Kriege und Reden übrig. Aber die Reden können nicht einfach Reden sein. Sie müssen Reden über etwas sein."(Benhabib S.247). Auch in der Flugschrift, scheint mir, ist manchmal ähnlich unklar wie bei Arendt, worum es in der "richtigen" Politik eigentlich konkret gehen soll, wenn z.B. Geldverteilung kein Thema der Politik sein soll, oder doch? Benhabib sagt, dass Arendt "Wirtschaft" entweder technokratisch oder aristokratisch-gräkophil denkt, d.h. das Wirtschaftliche soll irgendwie schon erledigt sein, wenn die "richtige" Politik anfängt. Wie ist das in der Flugschrift gedacht? Irgendwie kapier ich das im Moment nicht mehr ganz. Und ist die geforderte Neuordnung der Beziehungen der Wirtschaft vorgeordnet oder ein Aspekt der wirtschaftlichen Neuordnung? Und machen die vielen Frauen, die inzwischen in Deutschland "Politik" machen, indem sie z.B. an der Rentenreform u.ä. mitwirken, tatsächlich keine Politik? Wer klärt mich auf? (13.12.00)

 

Antje Schrupp:

wer will denn Wirtschaft und Politik trennen? Also ich bestimmt nicht, und die Flugschrift doch auch nicht. Es geht ja gerade darum, solche "Wirtschafts"- Fragen und Themen ( wie handeln, tauschen, etc.) in die Politik hineinzuholen. Insofern kann ich dein Zitat aus dem Benhabib-Buch vollkommen unterschreiben. Es ist doch gerade das Problem, dass die Politik derzeit diese Fragen ganz der Wirtschaft überlässt. Politik findet für mich dort statt, wo die Menschen versuchen, ihr Zusammenleben zu regeln mit dem Ziel, es möglichst "gut" zu gestalten. Und da beklage ich die gegenwärtige Selbstbeschränkung der Politik auf das "Machbare" (wie ich meinem Aufsatz über das Wünschenswerte und das Machbare in dem DIOTIMA-Buch "Die Welt zur Welt bringen" beschrieben habe) und die gleichzeitige Ausweitung der "Wirtschaft" auf - ebenfalls das Machbare. Die Frage "Was wollen wir?, was willst du? was will ich? Wie bringen wir das zusammen? Wollen wir dafür Regeln erfinden? Wer soll die durchsetzen?" - all so was wird nicht gefragt, weder in der Wirtschaft, noch in der Politik, sondern es wird gefragt "Was geht?". Und dieses ominöse "Was geht" (Sachzwänge in der Politik, technisch Mögliches in der Wirtschaft) bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen uns das Denken erlaubt ist. Wer sich ausserhalb bewegt gilt als naiv oder altmodisch oder eben "oberschwach". Die Frauen, die sich derzeit in der Politik engagieren, machen natürlich Politik, viele von ihnen wollen das zumindest, weil sie die Fragen stellen, von denen ich eben geredet habe, aber die Frage ist, ob die politischen Strukturen, innerhalb deren sie das tun, so etwas überhaupt ermöglichen. Und da sage ich: Sie machen es bestimmt nicht leicht, bzw. wenn es möglich ist, dann trotz nicht wegen der Strukturen. Eher beobachte ich solche Diskussionen und Überlegungen derzeit in Teilen der New Economy, aber auch  nur in Teilen. Der Satz aus der Flugschrift ist natürlich verkürzt. Die Italienerinnen sprechen im roten Sottosopra von einer ersten und einer zweiten Politik. Die erste ist für sie die z.B. der kleinen Gewerkschafterin, die sich an der Basis für eine Politik in dem Sinne, wie ich es eben beschrieben habe, engagiert, die zweite Politik ist die der "offiziellen" Wichtigtuer, Redenhalter und Kriegführer. Über die erste Politik sollten wir vielleicht wirklich die nächste Flugschrift schreiben, da die Flugschrift die Frage: "Und wie setze ich das jetzt um?" ja gradezu aufdrängt. Die zweite Politik würde ich in der Tat nicht mehr so nennen, sondern sagen: Das ist nicht die zweite, das ist gar keine Politik. (13.12.00)

 

Ina Prätorius:

Hört sich plausibel an und macht mich trotzdem nicht so ganz zufrieden. Irgendwie ist da doch noch einiges unklar in diesem Feld zwischen den beiden Politikverständnissen (eins und zwei, scheint mir aber bisschen einfach gestrickt zu sein.) Ich kann mir im Moment diese Art von Politik, die in erster Linie eine neue Beziehungsordnung einsetzt, nicht konkret vorstellen. Zwar empfinde ich es durchaus als Politik, wenn ich in letzter Zeit in meinen Referaten und Texten andauernd meine Mutter statt irgendwelche akademischen Grössen zitiere (und zwar ganz von selber, ohne mich ideologisch dazu auffordern zu müssen.) Aber: ist es das schon? Oder was bedeutet diese "richtige" Politik eigentlich für Euch - konkret? Naja gut, wie ich bereits sagte: im Moment hab ich nicht die Ruhe zum sorgfältigen Denken. (14.12.00)

 

Christof Arn:

Mein Freund und ich haben gerade eine überschlagsmässige Rechnung gemacht von wegen Alterung und Defizit in der Sozialversicherung. Dabei ist herausgekommen: Wenn wir 1998 keine Lohndiskriminierung der Frauen gehabt hatten, hatte es in diesem Jahr in der Schweiz auch kein Defizit in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) gegeben. Weil dann eben logischerweise die Beitrage der Frauen hoher gewesen waren. In der Schweiz werden die verschiedensten Vorschlage gemacht, wie die AHV saniert werden konnte - aber die Lohndiskriminierung der Frauen aufzuheben, hat in diesem Zusammenhang noch niemand vorgeschlagen. Ich finde das ziemlich wild, um was für Zahlen es da geht. Und dachte mir, für die Diskussion des Politikverständnisses ist das eigentlich auch interessant. Es ist zwar noch in einem alten Politikverständnis gedacht. Aber es fallt auf, dass die Schieflage im Verhältnis zwischen Frauen und Männern andere Probleme zusätzlich schwieriger macht. Oder umgekehrt: Hatten wir stimmigere Verhältnisse zwischen Frauen und Männern, waren wir politischen Herausforderungen (und das gilt wahrscheinlich für fast alle, auch für die Migration z.B.) viel besser gewachsen. (26.12.00)

 

Antje Schrupp:

Beim Versuch, die letzten Beiträge von Maria und mir auf unserer Website irgendwo thematisch zuzuordnen hab ich nochmal die Diskussionen auf der Seite Politik gelesen. Damals - im Dezember - hattest du, Ina, von den Einwänden dieser Mascha Madörin, die Flugschrift sei "oberschwach" (hast du zwischenzeitlich mal mit ihr sprechen können?) berichtet und deine eigene Skepsis bezüglich des Satzes "Politik, so wie wir sie verstehen, findet derzeit in Deutschland nicht statt" geäußert. Zwischenzeitlich ist mir dazu einiges klarer geworden, grade auch nach den Diskussionen über politisches Handeln neulich in Rüsselsheim (hallo, ihr!!!), wo wir, z.B. an der Frage Protest gegen Flughafenausbau Rhein-Main die Unterschiede zwischen "politisch handeln" und "Politik machen" herausgearbeitet haben. Und das hat auch was mit den letzten Überlegungen von Maria zu tun. "Politik machen" wäre das, was du, Maria, als die Versuche beschreibst, irgendwelche politischen "Ziele" "umzusetzen", mit Hilfe von Strategien usw. Was du in deiner Beschreibung dagegen setzt wäre "politisch Handeln", dass also jemand sich mit dem eigenen Begehren in die Welt begibt, natürlich auch Dinge erreichen will, aber eben wissend, dass das Ende offen bleibt für Veränderungen (auch u.U. der eigenen Meinung und Position). Vielleicht könnte der Satz aus der Flugschrift auch so lauten: "Politisches Handeln findet derzeit in Deutschland nicht statt" (auf der "offiziellen" Politikebene natürlich, woanders schon, in der Politik der Frauen z.B.), weil alle mit "Politik machen" beschäftigt sind. Der Erfolg von politischem Handeln bemisst sich nicht an der Durchsetzung von Zielen (nach dem Motto: Wenn wir den Flughafenausbau nicht verhindern, ist unser Einsatz gescheitert, was dann Resignation, Politikverdrossenheit - man kann ja sowieso nichts machen - und all das nach sich zieht). Sondern daran, dass neue Kriterien und Maßstäbe in die Welt gebracht werden (Erhaltung von Bindungen, etwa an Wohngegenden, gelingende Beziehungen etc.), wo sie dann so oder so Wirkung entfalten. (4.4.01)

 

                                                                         

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