Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Antje Schrupp: ich lese grade noch einmal einige Bücher von Paul Feyerabend wieder, z.B. "Erkenntnis für freie Menschen" und seine Autobiografie "Zeitverschwendung" und bin nun etwas verwirrt, weil ich darin so viele Ideen und Überlegungen finde, von denen ich bisher dachte, sie wären "unsere" (also irgendwie feministische). Diese Verwirrung möcht ich euch mal weiterreichen. Zum Beispiel les ich da sowas: "Gleichheit, Gleichheit der Frauen und Rassengleichheit eingeschlossen, heißt nicht Gleichheit von Traditionen; es heißt Gleichheit des Zugangs zu einer bestimmten Tradition - der Tradition des weißen Mannes. Weiße Liberale, die die Forderung nach Gleichheit mit so großem Lärm unterstützen, haben das gelobte Land eröffnet - aber es ist ein gelobtes Land, das nach ihren eigenen Plänen ausgebaut wurde, mit ihren eigenen Lieblingsspielzeugen angefüllt ist, und nur mit ihrer Erlaubnis betreten werden darf" (auf deutsch von 1980) Daraus leitet er eine - nun, er nennt sie "anarchistische" :))) - Erkenntnislehre ab, die davon ausgeht, dass Menschen Entscheidungen nach Kriterien und Maßstäben treffen, die ihrer Tradition entsprechen (Hopi-Indianer, Rationalismus oder so), wobei es nicht legitim sei, die eine Traditionen nach den Kriterien einer anderen zu beurteilen. Gleichzeitig lese ich in einem neueren Text von Luisa Muraro (Donne dell'altro mondo, Via Dogana, Sept. 2000), dass die männliche Kultur und ihre Wissenschaften nicht in der Lage sind, die Kultur der Frauen zu verstehen. Beide (Feyerabend und Muraro) kommen dabei zu einer radikalen Wissenschaftskritik, d.h. sie sprechen dem Instrumentarium, was wir so haben, wie wir forschen, die Fähigkeit ab, etwas Substanzielles herauszufinden über Dinge, die nicht selbst ein Teil dieser Kultur (zum Beispiel die "Geschichte der Frauen" oder die "Medizin der Hopi"), sind. Das finde ich sehr plausibel. Für mich stellt sich nun die Frage: Welche radikale Kraft steckt denn nun eigentlich im Feminismus, d.h. im Bewußtsein der Geschlechterdifferenz? Irgendwie verblüfft mich die Parallele zwischen Hopi-Indianern und Frauen: Beide wurden durch die Gleichheitsideologie bis zu einem gewissen Grad aus ihrer Kultur vertrieben, beide haben sich aber (in Teilen) das Unbehagen darüber bewahrt und das Wissen darum, dass es auch noch "eine andere Welt" gibt. Unter beiden gibt es aber auch "Überläufer", die sich in die weiße Männerwelt integrieren lassen. Früher ging das durch plumpe Anpassung, heute besteht eher die Gefahr, dass diese anderen Kulturen - ich finde den Ausdruck "symbolische Ordnung" besser, auch wenn Ina jetzt wieder schimpft :) - unter Anerkennung ihrer "Andersheit" gewissermaßen ruhig gestellt werden (der kulturellen Differenz zu huldigen, auch der Geschlechterdifferenz, ist eben "in" - auch dazu gibt es in den neuen Via Doganas sehr spannende Texte, aber das würde hier zu weit führen). Wie auch immer - worauf es für mich rausläuft, ist, dass es wieder notwendig ist, stärker in einen Konflikt mit der herrschenden Ordnung zu gehen, aber nicht mehr wie früher, indem man sich auf die Spielregeln der anderen einlässt und daraus den Anspruch auf Teilhabe einklagt, sondern indem man die eigenen Forderungen den eigenen Maßstäben gemäß einbringt, mit "Stolz", schreibt Chiara Zamboni, "mit dieser elementaren Kraft, die ich als kleines Mädchen hatte". Also quengelig, ignorant gegenüber den "Argumenten" der Gegenseite, stur etc. Wenn man sich so benimmt, macht man sich natürlich lächerlich - in den Augen der "offiziellen" Welt. So wie sich Paul Feyerabend als Wissenschaftler lächerlich macht, wenn er sagt, medizinische Forschung sei auch nicht plausibler als Geistheilung. (Allerdings hat man ihm trotzdem sein Leben lang tolle Professorenstellen hinterhergeworfen. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass er ein Mann war oder ob er einfach Glück gehabt hat, weil es in der Dominanzkultur immer auch das Bedürfnis nach einem Hofnarren gibt. Soweit ich das beurteilen kann, hat er jedenfalls nicht mehr Wirkung entfaltet, als ein Hofnarr.) Aber wie auch immer - ich persönlich finde mich da sehr wieder, und mir ist auch schon aufgefallen, dass ich als "Differenzfeministin" recht gut ankomme in dieser Welt. Wenn ich dagegen sage, ich gehe nicht wählen, weil ich Anarchistin bin, gucken mich alle an, als käme ich vom Mars. Also der "andere Welt"-Effekt ist deutlich höher. Deshalb frage ich mich: Muss ich bei dem, was ich will, mich nicht eher mit Leuten wie Feyerabend und den Hopi-Indianern zusammentun, als mit anderen Frauen? (das will ich natürlich nicht - also widerlegt mich bitte!!!). Oder anders gefragt: Wie wichtig sind in unserem Einleitungssatz zur Flugschrift: "Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert" eigentlich die Wörter "der Frauen"? Wir hatten - ich glaube auch hier auf der Liste - in den Diskussionen zur Flugschrift schon häufig den Einwand, dass dieses "der Frauen" missverständlich sei, weil es ja nicht "alle Frauen" seien. Ich habe dann immer argumentiert, dass dort ja auch nicht "alle Frauen" steht, sondern dass es eben um "weibliche" Liebe zur Freiheit geht. Im Moment frage ich mich, ob das wirklich wesentlich ist, oder ob "Liebe zur Freiheit" für sich nicht genügt. Die Liebe zur Freiheit all derer, die die Bedeutung von Differenz, von Verschiedenheit der Menschen und damit die Abhängigkeit voneinander erkennen und verstehen, dass das die Grundlage für Freiheit ist. Was vielleicht in unserer Gesellschaft den Frauen leichter fällt, weil sie nicht zur weiße-Männer-Dominanzclique gehören, was aber Männer wie Feyerabend oder - was weiß ich - der eine oder andere Hopi-Indianer auch sein kann. Und was viele Frauen nicht sind, weil sie gerne "dazugehören" wollen. Ganz abgesehen davon, dass dieser "Erkenntnisvorteil" der Frauen in gleichem Maße abnimmt, wie ihre Emanzipation gelingt. (18.4.01)
Alexandra Robin: ich denke, feminismus ist mittlerweile in einem maß "gesellschaftlich anerkannt" währenddessen die radikale linke aus der mode gekommen ist. - das erklärt nur den "mars-effekt". das was du im oberen abschnitt ansprichst entspricht der theorie der intersubjektivität, das buch von jessica benjamin, "die fesseln der liebe" (stroemfeld/ roter stern) kann ich dazu jeder nur ans herz legen. für meine begriffe analysiert sie die freudsche (im wesentlichen) entwicklungspsychologie im hinblick auf die konstitution der machtverhältnisse sehr präzise und zeigt den ausweg: die anerkennung der verschiedenheit der menschen, die anerkennung von abhängigkeit und bindung in der intersubjektiven beziehung- heißt, einer begegnung zweier subjekte. oder mit rilke: "ein wunderbares zusammenleben kann entstehen, wenn die menschen es schaffen sich ganz zu betrachten- ganz und vor dem hintergrund eines weiten himmels". was die notwendigkeit des konfliktes mit der herrschenden ordnung angeht kann ich aus vollem herzen zustimmen. (19.4.01) Antje Schrupp: nachdem du mir das Buch von Jessica Benjamin neulich (ist jetzt auch schon wieder Monate her...) schon so wärmstens empfohlen hast, hab ich es mir inzwischen immerhin besorgt, es steht neben meinem Bett und wartet auf Lektüre. Die Psychoanalyse ist nicht so meine Sache, deshalb hab ich bisher nur drin rumgeblättert, aber ich werd's jetzt nochmal angehen. Was den Konflikt mit der herrschenden Ordnung angeht, vielleicht kommen wir jetzt in eine neue Phase - für mich stellt sich die bisherige Entwicklung (in meinem Denken zumindest war es so, aber vielleicht auch in der Realität der "Bewegung) so dar: Zuerst war der Ärger darüber, dass Männer Dinge dürfen, die wir nicht dürfen, und der Protest dagegen, der sich radikal in Konflikten äußerte. Dann kam die Erkenntnis, dass es Quatsch ist, bei diesen Männerspielen überhaupt mitmachen zu wollen, und die Entdeckung einer neuen symbolischen Ordnung. Das hat dann aber vielleicht zu sehr dazu geführt, dass wir uns aus dem Konflikt herausgehalten haben, den wir ja nicht nach den Regeln spielen wollten, die da so üblich sind. Das hat, zumindest muss ich das für mich selbstkritisch sagen, zu einer Art Bequemlichkeit geführt. Nach dem Motto: Mit "denen da" hab ich nichts zu tun, da steh ich drüber, ich lebe nach anderen Maßstäben. Das interessiert mich nicht. Jetzt ist natürlich die Frage, wie wir - sozusagen auf einer neuen Ebene - diesen Konflikt mit der herrschenden Ordnung wieder aufnehmen können, ohne uns, wie früher, auf deren Spielregeln einzulassen und ihre Maßstäbe damit letztlich zu übernehmen. Jedenfalls merke ich, dass derzeit mein Interesse an gemischten "linken" Bewegungen wieder zunimmt. Vielleicht liegt das daran, dass mein Bewußtsein der sexuellen Differenz sich soweit konsolidiert hat, dass ich da nicht mehr so sehr die Gefahr sehe, mich "über den Tisch ziehen zu lassen". Neulich war ich sogar mal wieder auf einer Demo und fand es gar nicht so schlecht. Am 1. Mai ist hier ein Nazi-Aufmarsch geplant in Frankfurt, ich glaub, da geh ich wieder. (19.4.01)
Alexandra Robin: :-)))
Fidi Bogdahn: Antjes mail gestern Abend brachte die Frage: "...wie wir - sozusagen auf einer neuen Ebene - diesen Konflikt mit der herrschenden Ordnung wieder aufnehmen können, ohne uns, wie früher, auf deren Spielregeln einzulassen und ihre Maßstäbe damit letztlich zu übernehmen. -" Frag´ ich mich nun, ob Sandras mail als eine Antwort darauf gedacht ist... und ich probier für mich diese Methode gleich mal aus, (((<: Fidi :>))) (20.4.01)
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