Institutionalisierung

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Ina Prätorius:

Die Frage "Was läuft heute in der Frauenbewegung?" und die nach den Institutionalisierungen ist tatsächlich sehr interessant. Zwei Beispiele dazu: - Vorgestern habe ich zufällig Elisabeth Camenzind vom IFF-Forum St.Gallen getroffen (Das ist oder war eine sehr agile feministische Institution, die u.a. eine Ausbildung für feministische Psychotherapie angeboten hat.). Das IFF steht vor dem Aus, weil die Kurse nicht mehr besucht werden. Die potentiellen Kursbesucherinnen, die dann doch nicht kommen, sagen, das Genderthema käme jetzt in allen "normalen" Kursen genug vor... - Zahlreiche Frauenhäuser haben Existenzprobleme, nicht nur wegen der üblichen Selbstausbeutungsprobleme, sondern auch, weil es jetzt immer mehr Gesetze gibt, die der Polizei die Kompetenz geben, gewalttätige Männer von ihren Wohnungen fernzuhalten. Die Frauen können also drin bleiben... Also kurz gesagt: Der Erfolg der Frauenbewegung ist ihr Problem. Ich als Freischaffende, die nie etwas "gegründet" und seit mehr als zehn Jahren nur noch sporadisch für Institutionen gearbeitet habe, kann mich solchen Trends ganz gut anpassen. Und da wird sehr deutlich: Was prima "läuft", das sind Berufsverbände (JuristInnenverband, Hauswirtschaftlerinnenverband, Frauenunternehmensnetzwerk...), und konstruktives Weiterdenken des Feminismus ist auch in ganz traditionellen Institutionen (vorgestern z.B. war ich als Referentin in der interstaatlichen Maturitätsschule für Erwachsene) gefragt. Was auch zu laufen scheint, sind die Genderstudies an den Unis. Was nicht mehr läuft, sind alte feministische Dogmen, "offene" Tagungsarbeit und alles, was sich "nur" oder allzu offensichtlich mit "Frauenthemen" und nicht auch explizit mit "Welt" befasst. Ich hätte grosse Lust, darüber einen Austausch zu haben mit Euch. Mit anderen Worten: Deine Idee, Antje, die Flugschriftliste wieder als aktuelles Debatten- und Reflexionsforum zu beleben, gefällt mir. (5.3.02)

 

Antje Schrupp:
als Frau, die nicht in einer Institution arbeitet, hast du es natürlich in gewisser Weise leicht, du gehst einfach da hin, wo was "los" ist, sozusagen. Aber dadurch entstehen keine Gruppen oder Kontinuitäten: die Frauen, die heute dich einladen, laden morgen jemand anderen ein. Und in gewisser Weise beginnst du immer wieder bei Eva und Adam. Das ist zwar für sich genommen nicht schlimm, aber es fehlt etwas dabei: Kontinuität, die über deine Fortentwicklung als Individuum hinausgeht. Kontinuitäten entstehen in bestimmten institutionellen Zusammenhängen, darüber haben wir in Feuerstein z.B diskutiert. Und zwar nicht in expliziten "Frauen"-Institutionen, sondern solchen, die wie du schreibst auf die Welt gerichtet sind, also ganz normale Bildungseinrichtungen oder die Kirche oder so. Wenn gute Frauen dort einen "Posten" haben, als Referentin oder Führungskraft oder so, dann ensteht durch ihre Arbeit ein Anknüpfungspunkt für andere Frauen, indem sie theoretischen Input, Ressourcen usw. zur Verfügung stellen. Wir müssen aber feststellen, dass diese Gruppen, sobald diese Frau dann geht, sehr geschwächt sind oder gar auseinanderfallen. Also stellten wir uns die Frage: Was müsste eigentlich geschehen, damit hier eine Kontinuität entsteht, die nicht an die spezielle Person gebunden ist? geht das überhaupt? Oder sind wir hier auf den Zufall angewiesen? Mir scheint grade, als sei das Problem, dass es einen doppelten Qualifikationen-Kriterien-Katalog gibt. Einmal die fachliche Qualifikation, die die Institution je nach Stellenbeschreibung erfordert (Ausbildung, Leitungs- und Fachkompetenz, Studium etc), und nach der diese Stellen besetzt werden. Dann aber eben auch - wie soll ich sagen - "unsere" Qualifikationsanforderungen: Bewusstsein der weiblichen Differenz usw. Was muss passieren, damit dies eine Rolle spielt bei der Wiederbesetzung so einer Stelle? Welche Verantwortung hat die Vorgängerin? Die Klientinnen/Kundinnen/Mitarbeiterinnen?  (5.3.02)

 

Ina Prätorius:

dass ich nichts "gegründet" habe und nicht fest in Institutionen arbeite, heisst keineswegs, dass es keine Kontinuität ausserhalb meiner selbst gibt. Bestes Beispiel: Die Weiberwirtschaft. Die hab ich vor mehr als zehn Jahren zusammen mit ein paar anderen Frauen in die Welt gesetzt, und es gibt sie immer noch. Wir haben uns damals wohl überlegt, ob wir einen "Verein" oder ein "Institut" draus machen sollen, haben dann aber eine andere Form gewählt, und die bewährt sich bis heute. Durch den Beginn meiner Krankheit vor fünf Jahren ist Weiberwirtschaft nicht kaputt gegangen, sondern hat sich gewandelt, was u.a. zur Flugschrift geführt hat. Und jetzt knüpfe ich zum Beispiel mit der Salzburger Tagung wieder an diese Tradition an, die aus einem Wort, einer bestimmten Art zu denken und einem sich ständig wandelnden Beziehungsnetz besteht. Das ist doch was, oder? Beispiel zwei: Meine Oase. Die besteht seit mehr als drei Jahren als
spirituell-experimenteller Ort, hat aber auch keine festgeschriebene Struktur, die das Experimentieren einengen könnte. Trotzdem gibt es da sowas wie Tradition, die einigen Leuten sehr wichtig ist, weshalb ich nicht glaube, dass dieser Ort einfach verschwinden wird, ohne Spuren zu hinterlassen. Es gibt noch mehr Beispiele, aber diese beiden sind die prägnantesten. (5.3.02)

 

Antje Schrupp:

Dann würd ich aus deinen Beispielen mal schließen: Mit Anbindung an eine Institution geht es besser mit der Kontinuität einer "Bewegung", ohne geht es aber u.U. auch - nur oft eben leider auch nicht. Ich finde ja eigentlich auch, dass die Anbindung an Institutionen problematisch ist, zum Beispiel weil sie doch eine gewisse Abhängigkeit/ Gewöhnung/ Bequemlichkeit schafft, und gleichzeitig die Institution als solche aber andere, wenn nicht sogar gegenläufige Ziele verfolgt, als ich/wir. Andererseits: Dass die Beispiele, von denen du erzählt hast, funktionieren, hat ja vielleicht auch etwas damit zu tun, dass du sie quasi "hauptamtlich" vorantreiben kannst bzw. im Fall von Weiberwirtschaft konntest, weil du deine Zeit nicht mit Erwerbsarbeit verbringen musst und Geld hast. Ich habe ja selbst im letzten halben Jahr gemerkt, wie schwierig das ist, bei einem vollen Job und wenn man auch ab und zu mal was mit FreundInnen machen will, noch "ehrenamtlich" theoretisch-praktisch-frauenbewegt zu arbeiten - zumindest, wenn man Freundeskreis und politisches Engagement nicht  in eins schmeisst, was ich sowohl für die Freiheit des Denkens, als auch aus pragmatischen gründen für wichtig halte (ihr seid doch alle so weit weg, da können wir nicht eben mal ins Kino gehen und anschließend bisschen weiterdiskutieren oder so). Zum Beispiel: Ich habe praktisch nichts mehr hier in der Liste geschrieben, weil ich dafür einfach keine Zeit hatte. Und einige Frauen haben mir schon gesagt, sie schreiben nichts, weil sie dazu keine Zeit haben. Natürlich kann man sagen, für etwas, das wichtig ist, hat man immer Zeit. Das stimmt: Anderes war mir wichtiger, als diese Liste - und nachdem ich alles wichtigere gemacht hatte (Arbeiten, Freunde, Schlafen, am Aufräumen und Putzen hab ich schon gespart, was ging :))) ), blieb eben keine Zeit mehr übrig. Deshalb: es ist ungleich einfacher, wenn man in einer Institution arbeitet, wo man dieses Engagement irgendwie in die Arbeit integrieren oder einbringen kann. Es ist ja auch gar kein entweder-oder. Ist es ja meistens nicht. (6.3.02)
 

Ina Prätorius:

"Institution" ist ein soziales Arrangement mit einer festen Rechtsform, die die Struktur und meist auch die Inhalte einer Sache für die Zukunft festlegt, stimmts? Ohne funktionierende Institutionen wäre das Leben natürlich furchtbar kompliziert. Zum Beispiel ist es sehr praktisch, dass meine Tochter vor einer halben Stunde (! kuckt mal auf die Uhrzeit!) zum Bus gegangen ist, um in die Schule zu fahren. Die Institution Post besorgt ihren Transport, die Institution Schule sorgt dafür, dass sie Mathe lernt... Und ich kann derweil gemütlich am Mac sitzen und mir was denken. Also: Institutionen sind sehr praktisch, aber eben nicht für alles. Für das Denken sind sie z.B. nur sehr bedingt praktisch. An Schulen und Unis, wie wir alle wissen, versteinert das Denken schnell, weil es abgepackt und in Päckchenform weitergegeben wird. Und genau deshalb war es wahrscheinlich sinnvoll, aus WW vorerst mal kein "Institut" zu machen. Sonst müssten wir uns jetzt nämlich mit Fundraising, Steuern, Präsidentinnenwahlen, Büroreinigung, Vorstandssitzungen, Lehr-, Stunden- und Forschungsplänen etc. rumquälen, statt frisch und froh in Feuerstein und Salzburg Tagungen zu machen, Flugschriften und Manifeste in die Welt zu setzen, uns schnell mal an die Schweizer Expo anzuhängen, Bücher rauszugeben... Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, wo der Nutzen von Institutionen aufhört, wie Bewegungen konstruktiv mit Institutionen zusammen wirken können und trotzdem "halten". Warum gibt es WW noch? Sicher nicht nur, weil ich Geld habe, sondern auch, weil das Wort prägnant ist, weil diese spezielle Art von Denken an der Zeit ist, weil hier Frauen Verantwortung übernommen haben und weil die Theorie der WW selbst eine Möglichkeit bietet, die eigene Praxis so zu reflektieren, dass daraus Tradition und Kontinuität entsteht. Und wenn es WW jetzt nicht mehr geben würde, dann würde ich daraus schliessen, dass wieder
ein anderes Denken an der Reihe ist, oder? (7.3.02)




 

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