Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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(November 1999) Es ist ein kleines Bändchen, das Ulrike Wagener, Dorothee Markert, Antje Schrupp und Andrea Günter als Flugschrift veröffentlicht haben. Aber dieser Text, der an die Flugschriften des Mailänder Frauenbuchladens anknüpft, hat es in sich. Die Autorinnen verstehen ihn als neue feministische Verständigungsgrundlage, der einen Diskussionsprozeß in Gang bringen soll. Im Mittelpunkt steht eine Auffassung von Politik, die auf die Schaffung gelingender Beziehungen zielt. Es geht um frauenpolitisch bedeutsame Themen: um Arbeit, Mütter und Kinder, Familien- und Hausarbeit, Wirtschaft und Politik. In kurzen Kapiteln nehmen die Autorinnen dazu Stellung, wobei das Denken des Affidamento und die Ökonomiekritik der "Weiberwirtschaft" im Hintergrund steht. Die Form der Programmschrift ist jedoch nicht unproblematisch. Die Kürze der Statements geht auf Kosten von Differenzierungen. Deutlich wird dies zum Beispiel beim Thema ‚Mutterschaft'. Die Autorinnen sehen weibliche Autorität in der Kindererziehung gefährdet: "Mütter tragen die volle Verantwortung für ihre Kinder. Sie leben jedoch mehr und mehr in dem Bewusstwein [...], sie seien dazu nicht in der Lage und müssten sich von Männern helfen lassen bzw. seien auf die Anleitung und Unterstützung staatlicher Institutionen angewiesen." (S. 18) Die Kritik an der ‚vaterlosen Gesellschaft' wird zurückgewiesen und hauptsächlich Müttern die Verantwortung für Kinder zugesprochen (vgl. S. 20 ff.). Ich verstehe diese Forderungen als Anfrage an gesellschaftliche Errungenschaften wie etwa Erziehungsgeld, staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen etc., die Mütter doch gerade entlasten. Zudem wird ein ideologischer Mutterschaftsbegriff deutlich, der dem feministischen Anliegen widerspricht, die Festlegung von Frauen auf die Mutterrolle als biologistische Konstruktion zu entlarven. So bleibt das Ringen um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf allein ein Problem der Frauen, das weder gesellschaftskritisch noch -verändernd thematisiert wird. Die Flugschrift erscheint als neues Manifest feministischer Politik, das viele Stimmen von Frauen auf sich vereinen soll. Was allerdings fehlt, ist eine kontextuelle Einbindung. Mir ist nicht deutlich geworden, an wen sich die Flugschrift wendet: Geht es um eine feministische Selbstvergewisserung oder um eine neu formulierte Kritik an der deutschen Gesellschaft? Neu sind die Thesen der Flugschrift jedenfalls nicht. Neu ist allein die Form der Publikation. Claudia
Kolf-van Melis
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