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Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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Wie aus wenigen aber einfachen Termini ein Altar zu bauen ist.

(in: an.schläge mai 2000)

Eine Replik hierzu

 

Die Flugschrift basiert inhaltlich auf zwei begrifflichen Pfeilern, zu denen sich die gesamte politische ökonomische und gesellschaftliche Problematik – sofern sie dergestalt als Konglomerat existiert – in Beziehung setzen läßt, und die, sobald ihr tragender Wert erkannt wird, Heil versprechen.

Es sind dies die Begriffe Beziehungen und Bindung an Dinge.

Frauen können frei und in-der-Welt-sein, wenn sie aus Beziehungen und vermittels Bindungen leben. Dinge und Beziehungen werden hier als ständig wiederkehrende Katalysatoren eingesetzt. Geld wird zum Ding – in diesem Fall ein schlechtes. Die kapitalistische Wirtschaft zerstört die Bindung an Dinge; an die guten versteht sich – nämlich Lebensorte und Arbeitsplätze. Das gesunde Aufwachsen eines Kindes hängt von der vollen Verantwortung der Frauen für die Beziehung zu ihren Kindern ab. Generationen leben in einer Wechselbeziehung, die von beiderseitiger Dankbarkeit lebt. Politik ist überhaupt eine einzige große Beziehungskiste. Mit Dingen.

Die Autorinnen gehen davon aus, daß Frauen einen politischen Horizont haben, nämlich den der weiblichen Freiheit. Und sie gehen auch davon aus, daß die Aussagen in ihrer Flugschrift in alte politische Lager eingeordnet und im Rahmen falscher Alternativen interpretiert werden könnten. Wie wahr. Wie klug. Wie windig. Und: Amen! könnten wir noch hinzufügen. Denn die Schrift ist wie ein einlullender Glaubenssatz aufgebaut und abgefüllt. Jeweils ein Kapitel einleitend, werden mehr oder weniger kritische Denkansätze (da)hingestellt, die dann mit simplen Thesen verwoben und schließlich beantwortet werden, so daß gegen Ende jedes Kapitels ein rundes, handliches Gebot dasteht. Und wie bei jedem Gebot, hilft es auch hier nicht, nachzufragen.

Der Populismus dieser Flugschrift ist esoterisch verpackt. Das macht das Büchlein zu einer widersprüchlichen Fibel für Weltschmerzen. Die Kritik an einer konsum- und gewinnorientierten Gesellschaft und die Einforderung der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensformen und –gemeinschaften (Lesben werden zweimal erwähnt) stehen im Kontrast zu nicht hinterfragten Behauptungen, die idyllische Lösungen anbieten.

An die Feststellung, daß Armut immer noch weiblich ist, knüpfen die Autorinnen die Aussage: Aber. Frauen sind reich an Fähigkeiten und Dingen zur Bereicherung des Lebens, reich an Freiheit, an Lebensweisheit und Überlebensstrategien, reich an Beziehungen.

Die reiche und satte Freiheit versetzt Frau denn auch in die Lage, einen Arbeitsplatzverlust als Verlust eines liebgewonnenen Dings zu erkennen, zu relativieren und dann vollkommen beruhigt als Etwas einzuordnen, das ohnehin eine Illusion ist. Weil Geld nämlich gar keine Freiheit bringt und nur als Symbol der Abhängigkeit fungiert. So ist das. Und, wie nahezu alle Stehsätze im Text, nicht hundertprozentig unwahr. Aber eben etwas zu einfach gestrickt und gewoben – um nun doch einmal ein paar Vokabeln aus den romantisierenden Vorstellungen von Subsistenzwirtschaft zu benutzen.

Der Hunger nach Sinn stellt sich beim Lesen der Flugschrift tatsächlich ein. Welche Bedeutung hat diese Aneinanderreihung von Nullaussagen? Inwieweit läßt sich das Beziehungs-Dings-Muster auf die Arbeitsmarktsituation, die Reproduktionsarbeit, Diskriminierung, Ökonomie, Versorgungsarbeit (hier Care-Arbeit genannt), Geschlechterdifferenzen und Ausbeutungssysteme übertragen?

Der Abschnitt 8, Abstrakte Beziehungen und formalisierte Rechte: wie Gesellschaft denken? Ist einer der kürzesten und beinhaltet überhaupt keine Aussage. Die Frage: Wie Gesellschaft denken? Wird nicht beantwortet. Der Feststellung, daß der Rechtssaat Ansprüche und Abhängigkeiten Einzelner zu recht formalisiert hat, folgt bald eine weitere Feststellung, nämlich die, daß dadurch Vereinzelung gefördert werden kann, unter der wir ebenso leiden können wie unter unguten Abhängigkeitsverhältnissen.

Im Kapitel Notwendigkeit und Wertschätzung der Familien- und Hausarbeit erfährt die Leserin nach dem standardisierten Gesülze, daß es den Müttern der Frauenbewegungsgeneration nicht gelungen ist, ihren Töchtern den Sinn der Hausarbeitstätigkeiten zu vermitteln. Hausarbeit dient nämlich der Erhaltung des Werts und der Schönheit von Dingen. Nun wissen wir es aber. Und weil wir doch nicht zur bösen, bösen Wegwerfgesellschaft gehören wollen, sollten wir Mütter und Nichtmütter in Hinkunft unseren Töchtern und Nicht-Töchtern, aber vor allem auch unseren Söhnen und Nicht-Söhnen beibringen, wie die schönen Dinge zu putzen sind. Und wir sollten verlangen, daß diese Schmück-Arbeit bezahlt wird. Jawoll. Und zwar von den Männern, die nicht  mittun wollen. Oder vom Staat an sich. Denn der putzt ja auch nicht. Wenn wir schon dabei sind, lassen wir doch auch gleich die Pflegearbeit hochschätzen und ebenfalls bezahlen. Genau. Hierfür müssen neue gesellschaftliche Dankbarkeitsrituale erfunden oder alte wiederbelebt werden. Kein Problem.

Die Teilzeitbeschäftigung, die irgendwie gut ist, weil sie Ruhezeiten verschafft, verlagern wir noch rasch in die besserbezahlten und anspruchsvolleren Tätigkeitsbereiche. Dann wäre alles gebongt. Supa! Schnell noch einmal den Begriff kapitalistische Wirtschaftsordnung eingefügt, und alles wird gut. Nun können wir uns entspannt zurücklehnen und zum wiederholten Mal darüber nachdenken, welche Bedeutung Beziehungen haben, wie reich wir eigentlich sind, und wie sehr sich alles und jedes auf Beziehungen zurückführen lassen kann. Während wir uns in unserem geschmückten Heim zwischen Dingen und schnöden Mammonstapeln räkeln, und der bettlägrige Opa im Nebenzimmer vor Dankbarkeit dahinschmilzt, können wir in der bunten Fibel blättern und nachlesen, daß Obdachlose berichten, daß am Anfang ihres Abstieges meist das Ende einer wichtigen Beziehung stand. Dann springen wir aber schnell auf und geben dem Opa noch ein Bussi, denn wir wollen doch nicht auf der Straße landen ... Danke sollten wir auch noch sagen. Warum? Einfach so, wegen des Generationensprungs.

Ähnlich einleuchtend wird zu den Themen Mutterschaft, Ehrenamt, Patriarchat, Hierarchien in Betrieben und Politik argumentiert.

Die Flugschrift ist als dogmatisches Manifest einzuordnen, dessen Vokabular nationalsozialistischen, kirchlichen und alternativen Zusammenhängen entlehnt wurde, um damit den Anspruch zu erheben, neue Denkansätze kreiert zu haben. Da die Rezensentinnen die Gelegenheit hatten, mit den Autorinnen über mehrere Tage hinweg persönlich zu diskutieren, stellte sich heraus, daß die Verfasserinnen des Manifests außer der Provokation wenig nachvollziehbare Absichten mit ihrem Werk verbinden. Im (Streit)Gespräch wurde lediglich klar, daß der Sprachgebrauch der „Linken“ allmählich zu langweilig erschien, und Begriffe – auch bereits besetzte – doch neu gedacht werden könnten. Neues Denken erfordert aber neue Ideen. Eine greifbare, erkennbare Ideologie, die hinter dieser Flugschrift stehen könnte, war und ist aber nicht feststellbar.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Text einerseits äußerst schwammig, andererseits dogmatisch belehrend abgefaßt ist. Zuletzt noch ein nichtssagendes Zitat: Politik ist nichts anderes als das Ermöglichen und Erhalten gelingender Beziehungen zwischen Menschen in ihrer Verschiedenheit.

Eine aussagebefreite Antwort als Formel für einen aussagelosen Text: Quadratisch – praktisch – gut.

 

Nina A. Müller u.a.

 

 

Und eine Replik

(an.schläge Juni 2000)

 

Verwunderung

Wir sind sehr verwundert, wie frau den Text der Weiberwirtschaft „Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn“ auch lesen kann.

Zusammenhänge mit dem Nationalsozialismus herzustellen, ist unverantwortlich und soll offensichtlich das verhindern, was das Außergewöhnliche und Unbequeme an dieser Broschüre ausmacht. Sie eröffnet Diskussionen jenseits der eingefahrenen Bahnen. Der Text bringt akademische Diskurs in eine alltagsrelevante Sprache und fordert persönliche Stellungnahmen heraus. Klar ist es ungewohnt, mit Themen wie Besitz(en) und Erben, der Reichtum, der durch Beziehungen geschaffen wird, fragwürdige Aspekte der Lohnarbeit, die Differenzierung von unbezahlter Arbeit und nicht zuletzt das Verhältnis zwischen alten und jungen Feministinnen provoziert zu werden. Aber diese Auseinandersetzung ist fällig!

In diesem Sinne: Grüße von den alten an die jungen Rebellinnen.

Elisabeth Eckhart, Hedi Presch

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