Stellungnahme von Chora

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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lob und kritik der Gruppe Chora

(Januar 2000)

 

Mit großem Interesse haben wir, die dreiköpfige Gruppe Chora aus Kassel, eure Flugschrift gemeinsam gelesen und diskutiert. Wir haben folgende positive (+) und negative (-) Anmerkungen.

+1 Die Gestaltung des Heftchens ist sehr schön, der Drucksatz gut lesbar mit genug Rand um sich Anmerkungen zu machen.

+2 Die ersten 6 Kapitel haben uns sehr gut gefallen, denn sie bringen vieles über die Zusammenhänge von Politik, Kultur und persönlichen Bindungen deutlich auf den Punkt. Schön und genau ist die Beschreibung von Politik und Kultur ausgehend von Fülle und Verschiedenheit.

-1 Unsere größte Kritik betrifft den gesamten Text. Uns enthält er zu viele Ungenauigkeiten, Vereinfachungen und Verallgemeinerungen, die wir von solchen Autorinnen wie Dorothee Markert oder Andrea Günter (die wir in anderen Texten als sehr präzise Schreiberinnen kennengelernt haben) nicht erwartet hätten. Der letzte Absatz der Einleitung weckt zum einen große Hoffnungen auf die Klarheit des Textes. Zum anderen stellt der letzte Satz so eine Art Absicherung dar, die unserer Meinung nach nicht nötig ist: Missverständnisse ergeben sich aus dem falschen politischen Verständnis. Ohne unterschiedliche Verständnisse gibt es keine Diskussion!

An einigen Beispielen wollen wir Ungenauigkeiten an denen wir uns gerieben haben, darstellen:

- die Rede von 'den Frauen' z.B. "Frauen glauben nicht mehr an das Patriarchat..." Warum nicht "Viele Frauen ..." Ist es für die Plakativität der Flugschrift notwendig, dass die Differenz unter den Frauen verschwindet?

- der Begriff 'Politik': Zuerst beschreibt ihr sehr schön und genau euer Verständnis von Politik, aber im folgenden Text erschließt sich oft erst aus dem Kontext ob mit diesem Wort 'die Politik der Frauen' oder die 'offizielle Staatspolitik' oder noch etwas anderes gemeint ist. Das fängt bereits in der Einleitung (S. 10) an, wenn ihr davon schreibt Politik neu "erfinden" zu müssen - nein, wir müssen Politik nicht neu erfinden, denn die Politik der Frauen, die Politik der Differenz, die Politik des Affidamento gibt es bereits! Wir müssen diese Politik sichtbar machen! Politik wie wir sie verstehen (S. 45) findet durchaus statt! "Politik wie wir sie verstehen, findet derzeit in Deutschland nicht statt." Wie kann ein solcher Satz am Ende eines solchen Textes stehen? Ihr widersprecht euch selbst!

-"...dass es einen 'gesunden' Zustand der Anwesenheit von Vätern niemals gegeben hat." Woher wisst ihr das? Wir meinen eher, dass die Anwesenheit von Vätern niemals gesellschaftliche Relevanz hatte, und somit die anwesenden' Väter unsichtbar sind. Ebenso wie bei diesem Beispiel denken wir, dass vieles von dem behauptet wird das gäbe es nicht, unsichtbar ist, weil es kein Bestandteil der gesellschaftlichen symbolischen Ordnung ist!

+3 Neu war uns das genauere Nachdenken über die Bedeutung der Bindung an Dinge und den Zusammenhang dieser Bindung mit der Liebe zu (der Bindung an) Menschen. Hier stellten wir Bezüge her zu Hannah Arendt und zu Simone Weil mit ihrer Theorie der Einwurzelung und Entwurzelung. Maja Nadig drückt den Gedanken es Widerstandes durch die Bindung an die alltäglichen Dinge andersherum auch so aus, dass die Arbeiten, die wir über längere Zeit täglich verrichten, die Orte, die wir dabei aufsuchen und die Dinge, die wir dabei benutzen, unsere Heimat sind. Je stärker wir beheimatet sind, um so geringer ist unsere kapitalistische Verwertbarkeit. Konsequent und doch ungewohnt war ausgehend von diesen Gedanken die Neubewertung der reproduktiven, pflegenden Hausarbeiten wie z.B. Putzen.

+4 Weitergedacht habt ihr für uns auch das Generationenverhältnis in unserer bundesdeutschen Gesellschaft, in der Ökonomie und in der Frauenbewegung. Gut gefallen hat uns die Inwertsetzung der 'Tanten'. In dieser Deutlichkeit neu war der Gedanke der Abwertung der Mütter durch die Forderung nach dem Vater.

+5 Sehr schön ist die Beschreibung des Geldes als Symbol der Abhängigkeit und eure Unterscheidung von Reichtum und Habgier.

-2 Zum Thema die allein lebende Frau sehen wir doch einen großen Unterschied zwischen den historischen Formen des Zusammenlebens einzelner Menschen und unserer modernen Single-Gesellschaft, die auf Vereinzelung beruht.

+6 Dagegen ist es klasse, dass das Engagement der 'Singles' für die Gemeinschaften in denen sie leben benannt wird.

-3 Schwierig wurde es für uns ab Kapitel 11 durch den hier wechselnden Sprachstil. Sätze wie "Viel konsequenter als in bisherigen Ansätzen müssen Frauen darauf hinwirken, dass ..." entstammen unserem Verständnis nach der 'Politik der Forderungen', nur dass sich die Forderungen hier an die engagierten Frauen selbst wenden. Wo bleibt da die Freiheit für die Differenz der Forderungen? Die ständige Rede vom 'müssen' und 'sollen' erzeugte bei uns erhebliche Widerstände den Text inhaltlich ganz zu erfassen. Die Forderungen sind oft auch unklar. Wir wünschen uns eine exakte Zielbeschreibung: Welche gesetzlichen / rechtlichen Regelungen schweben euch vor z.B. bezogen auf Vererbung, Care-Arbeit, Erziehung ???

+6 Wertvolle Gedanken in den letzten Kapiteln waren die Frage der Dankbarkeitsrituale und der Zusammenhang zwischen Funktion einer Person, ihrer Persönlichkeit und dem imaginären Entfaltungsraum, d.h. der Anstoß als Frauen öffentliche Funktionen nicht nur funktional sondern als Persönlichkeiten auszufüllen.

So, wir hoffen unsere Gedanken sind verständlich und bereichern eure Diskussionen.

Andrea Appel, Andrea Koelzer, Claudia Tiemann, Gruppe Chora, Kassel

 

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Wer wir sind:

Ihr wolltet mal wissen wer wir sind: Wir sind eine Gruppe von drei Frauen und treffen uns jeden Montag um Texte aus dem Umfeld der "Mailänderinnen" miteinander zu diskutieren. Begonnen haben wir im Rahmen einer größeren Gruppe

mit "Wie weibliche Freiheit entstehet" vor etwa 11 Jahren im Studiengang Stadt- und Landschaftsplanung an der Uni Kassel. Zusammen mit einer zweiten Gruppe haben wir vor 2 Jahren zu Ehren einer unserer "Mütter" ein kleines Büchlein mit eigenen Texten zu unserer Arbeit an der Perspektive der Differenz und wie sie sich in unserem Alltag auswirkt im Selbstverlag herausgegeben. Der Titel ist "voraus-erinnern" und es ist für 10 DM + Porto zu beziehen über Planungsbüro Stadt-Land-Fluß, Sophienstr. 5, 34 117 Kassel. Uns geht es so, dass wir der 'offiziellen' Politik eher fremd gegenüberstehen. Doch auch wir halten Änderungen der staatlichen Strukturen für dringend notwendig.

 

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