Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Die
Stellungnahme der Gruppe Chora
Beiträge
auf dieser Seite: Antje Schrupp:
Über „Plakativität“ und „was ist Politik?“ Ina
Praetorius: Belesenheit und Dogmatismus Dorothee
Markert: Erwiderung zur Stellungnahme
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Antje
Schrupp: Mit der Kritik an der „vereinfachenden“ Sprache der Flugschrift sprecht Ihr ein Thema an, das wir hier auch schon andiskutiert haben. Die Flugschrift soll ein Verständigungstext sein, der gerade nicht wie das in akademischen Arbeiten üblich ist, hochgradig differenziert argumentiert (und so nur einem kleinen Publikum zugänglich ist), sondern Positionen verständlich für alle formuliert. Ob das gelungen ist, das wollen wir in den kommenden Monaten auswerten, indem wir verschiedenste Reaktionen zusammentragen. Es geht also um allgemeine Relevanz, das ist etwas anderes als „Plakativität“. Ich will das an dem von euch kritisierten Satz „Frauen glauben nicht mehr an das Patriarchat“ deutlich machen. Ihr hättet da lieber gesehen, wenn wir geschrieben hätten „viele Frauen“. Da liegt aber ein logischer Fehlschluss: Wir haben ja nicht geschrieben „alle Frauen“, sondern allgemein „Frauen“ (also unbestimmt, was die Quantität angeht). Damit ist das (qualitative) Phänomen benannt, dass man heute im allgemeinen nicht mehr davon ausgehen kann, dass Frauen an das Patriarchat glauben (anders als noch vor 30 Jahren). Es ist etwas geschichtlich Neues, dass Frauen (in relevantem Ausmaß, was aber keineswegs bedeutet, jede einzelne und noch nicht mal zwingend die Mehrheit, auch wenn ich selbst glaube, dass dem so ist) dem Patriarchat den „Kredit“, die Glaubwürdigkeit, entzogen haben, wie Luisa Muraro sagt. Die zweite Unklarheit seht Ihr in unserem Gebrauch des Wortes Politik. In der Tat haben wir nicht genau definiert, was wir damit meinen. Wenn wir schreiben „Politik findet nicht statt“, dann heißt das natürlich, dort, wo im allgemeinen von Politik die Rede ist (Parlament, Parteien, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Lobbygruppen, runde Tische etc.) Dass es trotzdem Leute gibt, die sich um gelingende Beziehungen bemühen, ist klar, und in gewisser Weise könnte man sagen, die machen Politik. Ich persönlich bin aber dagegen, zu vieles unter diesem Begriff zu fassen. Eine Flugschrift zu schreiben zum Beispiel ist meiner Meinung nach noch nicht Politik. Ich würde daher auch nicht von einer „Politik der Differenz“ oder einer „Politik des Affidamento“ sprechen. Wie würde ich Politik definieren? Vielleicht so: Politik ist ein gesellschaftlich etablierter Ort, wo die Regeln des menschlichen Zusammenlebens diskutiert und eingesetzt werden. Und wenn man von dieser Definition ausgeht, findet Politik in der Tat nicht statt. Die Regeln werden derzeit entweder von „politikfremden“ Faktoren (Wirtschaft, Medien) bestimmt oder andererseits von einzelnen Menschen oder kleinen Gruppen, die Lebensmodelle erfinden und (für sich) umsetzen. Aber es gibt sozusagen keine „Polis“, keinen öffentlichen Ort für ihr Tun. Soweit für den Moment, die Diskussion geht sicherlich noch weiter... Ach so, noch eine Hintergrundinfo zu eurer Frage nach den konkreten Forderungen, die aus unseren Überlegungen zu Care etc. folgen (können, sollen). Darüber haben wir lange und viel diskutiert, aber wir waren uns oft nicht einig. Zum Beispiel sind wir im Kreis der Autorinnen unterschiedlicher Meinung zur Rolle der Grünen oder auch darüber, inwiefern Forderungen nach gesetzlichen Regelungen im derzeitigen staatlichen Kontext sinnvoll ist. Hier sind wir also auch selbst noch mitten in der Diskussion. Ina
Praetorius: Ich mache mir Gedanken über die Grenze zwischen
Belesenheit und Dogmatismus. Die Gruppe Chora ist eingefuchst auf den
italienischen Ansatz. Schön. Aber muss deshalb von jetzt an alles italienisch
klingen? Darf frau nicht mehr müssen oder sollen, bloss weil eine gewisse Frau
Muraro das mal so entschieden hat? Dorothee Markert: Über
Euren Kommentar zu unserer Flugschrift habe ich mich sehr gefreut, denn genau
das haben wir uns gewünscht: daß sich überall Gruppen von Frauen mit diesem
Text auseinandersetzen und sich über bestimmte Grundlinien von Politik und
Wirtschaft neu verständigen. Wenn unser Text dazu beiträgt, ist er in Ordnung,
auch wenn Ihr so einiges zu bekritteln habt. Übrigens finde ich, daß die Ebene
von Lob und Tadel in einer solchen Auseinandersetzung nichts zu suchen hat, vor
allem nicht auf so moralisierende Weise: „...,die wir von solchen Autorinnen
[...] nicht erwartet hätten.“ Ihr beurteilt hier ja keinen Schulaufsatz,
d.h., nicht der Text steht im Vordergrund, sondern das, was er bewirkt oder
nicht bewirkt. -
Mit der Ungenauigkeit des Politikbegriffes habt Ihr recht. Aber wenn diese
Ungenauigkeit dazu beiträgt, daß Frauen damit zur Arbeit an Präzisierungen
angeregt werden, ist das auch gut. Ich habe nicht den Eindruck, daß daraus
größere Mißverständnisse über unsere Hauptanliegen entstanden sind. -
Bewußt entschieden haben wir uns für die Formulierung „Frauen glauben nicht
mehr an das Patriarchat“. „Frauen“ heißt nicht: „alle Frauen“, also
verschwindet hier nicht die Differenz unter den Frauen. Es genügt, daß es eine
Pluralität von Frauen ist, mehr als eine oder wenige Ausnahmen, ob es „viele“
sind oder gar eine Mehrheit, wissen wir nicht, und es ist auch nicht wichtig. Ob
wesentliche Veränderungen bewirkt werden können, hängt nicht unbedingt von
der (Viel-)Zahl derer ab, die sich dafür einsetzen. -
Die Rolle und Bedeutung der Väter ist sicher ein Haupt-Diskussionspunkt. Hier
befürchte ich, daß wir nicht genau und vorsichtig genug waren und damit manche
Frauen und einige gutwillige Männer so verärgert haben, daß sie sich auch mit
den anderen Themen der Flugschrift nicht mehr beschäftigen wollten. Daß es
natürlich einzelne Männer gibt, die ihre Kinder versorgen „wie eine Mutter“,
hätte ich gern noch erwähnt. -
Danke für den Hinweis auf Maja Nadig zu „Bindung an Dinge“ und „Heimat“
als Widerstandsmoment gegen kapitalistische Verwertbarkeit. (Literaturangabe?)
Dieser Punkt ist mir persönlich der wichtigste an der Flugschrift, es war vor
allem Hannah Arendts Buch „Vita activa“, das mich darauf brachte, als ich es
unter der Fragestellung las, wieweit Arendts Unterscheidungen des Tätigseins
auch für die Haus- und Familienarbeit taugen. An diesem Thema werde ich in
nächster Zeit noch weiterarbeiten. -
Natürlich haben wir auch konkrete Vorschläge zum Vererben und zur Bezahlung
von Care- und Hausarbeit diskutiert, diese aber bewußt nicht in die Flugschrift
aufgenommen, da wir befürchteten, daß sich die Diskussion dann zu sehr an
konkreten Einzelheiten festbeißt. Über Euren Satz „Wir wünschen uns eine
exakte Zielbeschreibung“ mußte ich dann aber doch lachen. Ich denke, wenn wir
uns über die grobe Richtung verständigt haben, also wenn die hier angeregte
Diskussion breit geführt wird, haben wir bessere Voraussetzungen, um brauchbare
Regelungen zu entwerfen. Es wäre schön, wenn Ihr Euch weiterhin an diesem
großen Projekt beteiligt!
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