Die Erste Internationale und die Frauen
Feminismus und Antifeminismus in der frühen Arbeiterbewegung
Mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftige ich mich seit etwa 15 Jahren, damals nämlich musste ich an der Uni im Pflichtseminar »Europäische Arbeiterbewegung« bei Brakemeier ein Referat über die Erste Internationale halten. Was zuerst wirklich nur eine Pflichtübung war, hat aber bald bei mir Feuer gefangen, und zwar, als ich den wunderbaren, dicken Wälzer von Rudolf Meyer in die Hände bekam »Der Emanzipationskampf des vierten Standes«, von 1874. Darin schreibt er, die Idee zur Gründung einer internationalen Arbeitervereinigung hätte eine Frau gehabt, Jeanne Deroin. Und das hat mich dann doch interessiert. Und so fing das an, was dann später meine Doktorarbeit wurde, die vor anderthalb Jahren fertig wurde, und auch hier am Büchertisch liegt.
Ich möchte auch heute abend mit der Frage beginnen, mit der bei mir damals alles angefangen hat: Wer war Jeanne Deroin? 1848, im Jahr der zweiten Französischen Revolution, stellte sich Jeanne Deroin, eine damals recht bekannte Pariser Sozialistin, als Kandidatin für die Parlamentswahlen auf. Sie begründete das folgendermaßen: »Gerade deshalb, weil die Frau dem Mann zwar gleich ist, aber doch nicht mit ihm identisch, sollte sie sich an der Arbeit für soziale Reformen beteiligen und darin die notwendigen Elemente verkörpern, die dem Mann fehlen, damit das Werk vollständig sein kann.«
Ich möchte euch auffordern, dass ihr das, was ich über die Frauen in der Ersten Internationale sage, in diesem Licht hört – es geht mir nicht darum, was Frauen zum Sozialismus zu sagen hatten, und erst recht nicht darum, was der Sozialismus zu Frauen zu sagen hatte. DieGegenüberstellung ist falsch. Das, was diese Frauen sagten und machten, war der Sozialismus, zumindest auch. Es geht nicht darum, irgendwelche vergessenen Frauen wieder ins Rampenlicht zu rücken, sondern darum, wie Jeanne Deroin sagte, dass das Werk vollständig sein kann.
Die gesamte politische Ideengeschichte ist, neben anderem, auch ein Dialog zwischen Männern und Frauen. Ich bin davon überzeugt, dass man die Meinungen und Ideen der »Männer«, in unserem Fall also die von Marx, Bakunin und anderen, nicht verstehen kann, wenn man nicht sieht, dass sie auch eine Antwort, eine Reaktion auf die Meinungen und Ideen von Frauen sind. Das heisst natürlich nicht, dass alle Frauen dieselbe Meinung haben, bloß weil sie Frauen sind. Genauso wie die Männer vertreten sie höchst unterschiedliche Positionen. Aber ich glaube schon, dass die Geschlechterdifferenz einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis politischer Ideen darstellt, auch wenn das in unserer Denktradition ungewöhnlich ist.
Übrigens: Jeanne Deroin hatte nicht die Idee zur Gründung einer Internationalen Arbeitervereinigung, da hat sich Rudolf Meyer geirrt, aber es war, wie ihr vielleicht wisst, trotzdem eine Frau, Flora Tristan, auch eine Französin – nachzulesen in ihrem Buch »Die Arbeiterunion«, erschienen 1844 – vier Jahre vor dem Kommunistischen Manifest. Aber jetzt zur Ersten Internationale.
Die berühmte Erste Internationale bestand von 1864 bis 1872 und war der erste europäische Dachverband der Arbeiterbewegung. Für die Linke ist die Internationale Arbeiter-Assoziation – so der offizielle Titel – zu einem Mythos geworden. Die Marxisten sehen darin ein Beispiel dafür, wie Karl Marx die Arbeiterbewegung organisierte (sozusagen die praktische Seite des großen Theoretikers), für die Anarchisten ist sie eine Erinnerung an bessere Zeiten, in denen man unter Sozialismus noch nicht Marxismus verstand. Obwohl Legionen von Forschern sich seither mit der Internationale beschäftigt haben, ist bis heute nahezu unbekannt, daß es dort auch Frauen gab.
Die Diskussion über das Verhältnis von Frauen und Männern spielte aber in der Ersten Internationale eine wichtige Rolle. Und zwar eine so wichtige, daß man sagen muß: Die Erste Internationale war in ihren Anfängen vor allem eine antifeministische Organisation. Auf den ersten beiden Kongressen (1866 in Genf und 1867 in Lausanne) diskutierten die jeweils rund sechzig Delegierten – alles Männer – ausführlich über die Frage der Frauenerwerbsarbeit und über das Verhältnis von Frauen und Männern in der Gesellschaft.
Die Franzosen, vor allem aus der Pariser Sektion (zum Beispiel Henri Tolain), waren mehrheitlich Anhänger des extrem frauenfeindlichen Sozialphilosophen Pierre-Joseph Proudhon. Sie vertraten die Auffassung, daß Frauen grundsätzlich heiraten sollten und daß verheiratete Frauen grundsätzlich nicht außer Haus erwerbstätig sein sollten, damit sie sich ganz um die Kindererziehung und die Versorgung ihres Ehemannes kümmern können. Die Engländer, wo die Industrialisierung schon weiter fortgeschritten war und es bereits große und starke Gewerkschaften gab, waren ebenfalls gegen Frauenerwerbsarbeit, aber nicht zum Schutz der Familie, sondern weil sie eine Senkung ihrer Löhne durch billige Arbeitskräfte fürchteten.
Die Gegnerschaft zur Frauenerwerbsarbeit war einer der wenigen Punkte, an dem sich die Delegierten bei diesen ersten Kongressen einig waren. Sie faßten Beschlüsse, die ein Verbot oder zumindest eine Einschränkung der Frauenerwerbsarbeit forderten – und das zu einer Zeit, wo das Hauptthema der Frauenbewegung die Forderung nach mehr Erwerbsarbeitsmöglichkeiten war. Die Internationale war also nicht nur antifeministisch, wenn man sie an heutigen Ideen und Ansprüchen mißt, sondern weil sie gegen die Feministinnen ihrer Zeit Position bezog – und also im Wortsinne anti-feministisch war. Es ist deshalb zunächst überraschend, daß es auch Frauen in der Ersten Internationale gab. In der Tat finden sich in diesen ersten Jahren kaum Spuren von Frauen, die dort inhaltlich mitgearbeitet hätten. Aber in den folgenden Jahren sind gleich mehrere interessante Frauen dort eingetreten. Es ist also anzunehmen, daß diese antifeministische Position an einem bestimmten Punkt ins Wanken gekommen ist.
Eine von diesen Frauen ist Virginie Barbet in Lyon. Von ihr weiß man biografisch nicht viel, nur daß sie eine Gaststätte betrieben hat und Mitglied in einer Gruppe von Feministinnen war. Virginie Barbet kam über einen Umweg zur Internationale. Ende 1868 nahm sie an einem Friedenskongreß in Bern teil und hielt dort eine Rede für den Zugang von Frauen zu Bildung und Erwerbsarbeit. Der Kongreß war veranstaltet von der Friedens- und Freiheitsliga, einem internationalen Zusammenschluß von zum Teil sehr prominenten fortschrittlichen Liberalen, wie zum Beispiel Victor Hugo, Giuseppe Garibaldi oder John Stuart Mill. Sie trat ein für eine Abschaffung der stehenden Heere, für die Auflösung der Nationalstaaten und die Gründung einer Europaunion. Die Liga war nicht nur bedeutender als die Internationale, hier gab es auch zahlreiche Frauen, meistens dezidierte Feministinnen.
Auch der russische Revolutionär Michael Bakunin und einige seiner politischen Freunde und Freundinnen gehörten damals zur Friedensliga und nicht zur Internationale. Beim Kongreß in Bern kam es jedoch zu einem Streit über die Frage, ob die Liga auch wirtschaftspolitische, sozialistische Forderungen in ihr Programm aufnehmen sollte. Das hatte Bakunin in einer Rede gefordert, aber die Mehrheit der eher bürgerlichen Ligamitglieder lehnte das ab. Daraufhin traten 18 Männer und Frauen aus und schlossen sich zu einer »Allianz der sozialistischen Demokratie« zusammen.
Offenbar hat Virginie Barbet mit dieser Gruppe am Rande des Ligakongresses Kontakte geknüpft. Einige Monate später gründete sie nämlich in Lyon eine Allianz-Sektion. Sie war bald schon ein sehr aktives Mitglied, schrieb zahlreiche Artikel für die Zeitung »Egalité«, die die Allianz in Genf herausgab, und stand in einem politischen Briefwechsel mit Bakunin über Inhalte und Strategien der sozialistischen Bewegung. Barbet fand in der Allianz offenbar eine politische Heimat, die sie weder in der Frauenrechtsbewegung finden konnte, die (wie die Feministinnen in der Friedensliga) die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse unangetastet ließ, noch in der damaligen Internationale mit ihrem antifeministischen Programm.
Die Allianz dagegen gab sich ein Programm, das gleich im zweiten Punkt – so wörtlich – die »Gleichmachung der Menschen beiderlei Geschlechts« fordert. Und zwar sollte das durch die Abschaffung des Erbrechts und die Sicherung einer qualitativ hochwertigen Ausbildung für alle Kinder gelingen. Man stellte sich vor, daß so ein gleicher Ausgangspunkt für alle Menschen geschaffen würde, von dem aus sie sich dann in ihrer individuellen Unterschiedlichkeit fortentwickeln könnten. Nur durch eine solche »Gleichmachung« wären die Unterschiede zwischen den Menschen wirklich auf ihre individuelle Verschiedenheit zurückzuführen und nicht mehr durch die Geburt vorherbestimmt – etwa das Geschlecht oder die Vermögensverhältnisse der Eltern. Dieses Programm verteidigte Virginie Barbet nicht nur in ihren Broschüren, Flugschriften und Zeitungsartikeln, sie war auch – wie man aus ihren Briefen an Bakunin entnehmen kann – maßgeblich an seiner Entstehung und Weiterentwicklung beteiligt.
Es entstand in der Allianz ein Streit darüber, ob man sich nun, nach dem Austritt aus der Friedensliga, der Internationale anschließen sollte. Vor allem die französischen Allianzmitglieder, zum Beispiel der später berühmte Geograf und Anarchist Elisée Reclus – waren dagegen. Sie wollten mit den französischen Internationale-Mitgliedern, den Anhängern Proudhons, nichts zu tun haben. In diesem Zusammenhang möchte ich anmerken, daß es nicht nur aus der Perspektive von Frauen, sondern auch aus zahlreichen anderen Gründen völliger Unsinn ist, Proudhon als Vater des Anarchismus zu bezeichnen. Die Begründer des anarchistischen Sozialismus um Bakunin grenzten sich von Proudhon viel mehr ab, als von Marx.
Daß die Allianz schließlich doch der Internationale beitrat, liegt daran, daß die Proudhonisten zu dieser Zeit bereits an Bedeutung verloren hatten. Andere hatten die Führung in der Pariser Internationale übernommen – zum Beispiel Eugène Varlin und Benoît Malon, zwei Männer, die bei den ersten Internationale-Kongressen gegen ihre antifeministischen Kollegen gesprochen hatten.
Die Geschichte der Allianz und ihres Beitritts zur Internationale ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, wie falsch Diskussionen laufen können, wenn man die Geschlechterdifferenz vergisst. Als die Allianz ihre Aufnahme in die Internationale beim Generalrat (in dem saß Marx) beantragte, musste sie ihr Programm mit dem Satz »Die Allianz fordert die Gleichmachung der Klassen und der Menschen beiderlei Geschlechts« einschicken. Marx schickte das zurück mit dem Kommentar, die Gleichmachung der Klassen sei ja wohl eine falsche Forderung, man müsse die Abschaffung der Klassen fordern. Geschenkt, sagte die Allianz, und der Satz wurde geändert in: »Die Allianz fordert die Abschaffung der Klassen und die Gleichmachung der Menschen beiderlei Geschlechts«. Es handelte sich offensichtlich um ein Missverständnis, man eben beides (Klassenherrschaft und Geschlechterherrschaft) in einem Satz unterbringen und Menschen kann man ja schlecht abschaffen, daher das Wort Gleichmachung. Bakunin hat das in einem langen Brief an Marx erklärt und sich für die schludrige Formulierung in der ersten Fassung entschuldigt. Er betont, dass er selbstverständlich für die Abschaffung der Klassen ist, dass aber diese beiden Forderungen zusammenhängen. Als es später dann zur Konfrontation zwischen Marx und Bakunin in der Internationale kam, hat Marx diese Episode wieder hervorgeholt und als Beleg dafür angebracht, dass Bakunin kein rechtes Klassenbewusstsein hätte. War das nun fies,weil er jawusste, dass Bakunin es nie so gemeint hatte, oder war es einfach ignorant, weil ihm die Forderung zum Geschlechterverhältnis offenbar in ihrer Bedeutung völlig entging? Der eigentliche Hammer kommt aber noch: Es gibt ja zur Internationale eine Unmenge von Literatur und in fast allen Büchern wird diese vermeintliche Kontroverse Gleichmachung / Abschaffung der Klassen dargestellt. Aber kein einziges (bis auf meins natürlich), bringt das in Zusammenhang mit der Geschlechterfrage.
Wie auch immer, um das Jahr 1868/69 herum löste sich, vor allem in Frankreich, die Internationale zunehmend von ihrem Antifeminismus der ersten Jahre. Deshalb begannen nun auch in Paris Frauen, sich für die Internationale zu interessieren. Eine der wichtigsten von ihnen ist die Schriftstellerin André Léo, die in fortschrittlichen Kreisen eine anerkannte politische Kommentatorin war, und deren Unterstützung der Internationale viel dazu beigetragen hat, daß die Organisation in der Öffentlichkeit an Bedeutung gewann.
André Léo war ungefähr Mitte vierzig. Ihr Name ist ein Pseudonym, das sich von ihren Zwillingssöhnen André und Léo herleitet. Sie hatte einige erfolgreiche Romane veröffentlicht und 1866 eine feministische Gruppe gegründet, zu der auch später berühmte Feministinnen und Sozialistinnen gehörten wie zum Beispiel die Anarchistin Louise Michel, die Frauenrechtlerin Marie Deraismes oder die Mitbegründerin der französischen Arbeiterpartei, Paule Minck. Wie schon Virginie Barbet trat vermutlich auch André Léo in die Internationale ein, weil ihr der liberale, republikanische Feminismus die ungerechten Eigentumsverhältnisse zu wenig berücksichtigte. Außerdem sah sie darin eine Möglichkeit, die verschiedenen oppositionellen Kräfte in Frankreich zusammenzubringen: In Frankreich lag die Monarchie in den letzten Zügen. Allerdings war die Opposition reichlich zerfleddert, es gab Feministinnen, Sozialisten, Republikaner, die jeweils ihre eigenen Schwerpunkte setzen. André Léo versuchte, diese Gruppen davon abzubringen, sich gegenseitig zu bekämpfen und stattdessen gemeinsam auf die Abschaffung der Monarchie und die Etablierung einer echten Demokratie hinzuarbeiten. Demokratie war für sie nicht einfach eine parlamentarische Staatsform, sondern eine Gesellschaft, die in allen ihren Bereichen der Gleichheit der Menschen Rechnung trägt.
Léos Eintritt in die Internationale hatte vor allem den Zweck, die Sozialisten für die Anliegen der Feministinnen sensibel zu machen und so die Grundlage für eine Zusammenarbeit zu schaffen, während sie andererseits versuchte, die Feministinnen von der Notwendigkeit sozialistischer Forderungen zu überzeugen. Darüber kam es zum Konflikt zwischen ihr und Bakunin. Léo kritisierte vor allem Bakunins rigide Abgrenzung von der sogenannten »Bourgeoisie«. Seine polemischen Beschimpfungen möglicher Bündnispartner aus dem republikanischen Lager und seine radikale Rhetorik schade der gemeinsamen Bewegung.
Bakunin seinerseits kritisierte Léo als schwächlich und zu emotional. Sie hoffe, so schrieb her – typisch Frau, liest man zwischen den Zeilen – auf Harmonie, wo konsequente Härte und Abgrenzung gefragt sei. Allerdings stand Bakunin mit dieser Meinung ziemlich alleine da. Die meisten wichtigen Allianzmitglieder, zum Beispiel Reclus und Malon, unterstützten André Léo. Bakunin hat sein Urteil über André Léo später übrigens teilweise wieder revidiert.
André Léos Versuch, sozialistische und feministische Anliegen zusammenzubringen, wurde in der Pariser Kommune 1871 auf eine schwere Probe gestellt. Nach der Niederlage Frankreichs im deutsch-französischen Krieg und dem Ende der Monarchie, kam es im März 1871 zu einem Aufstand der Pariser Bevölkerung gegen die neue republikanische Regierung. Belagert von preußischen Truppen und angegriffen von französischem Militär konnte sich die Pariser Kommune nur zwei Monate halten, bevor sie blutig niedergeschlagen wurde, aber hier fand doch das erste »realsozialistische« Projekt der europäischen Geschichte statt.
André Léo gehörte zu den prominentesten Unterstützerinnen der Pariser Kommune. Allerdings erwies sich das Bündnis zwischen Sozialisten und Feministinnen als äußerst brüchig. Viele Feministinnen – teilweise auch Freundinnen von Léo – wandten sich gegen die Kommune und verließen Paris, während die rein männliche Kommuneregierung wiederum die Ansichten von Frauen nicht berücksichtigte. Daß Frauen wieder nicht wahlberechtigt waren, ist eine Sache. Schwerwiegender war jedoch, daß man einen erklärten Antifeministen, Jaroslav Dombrowski, zum Oberbefehlshaber der Kommunetruppen machte. Daß er sogar versuchte, Krankenschwestern und Marketenderinnen, die die Soldaten mit Essen versorgten, den Zugang zu den Schlachtfeldern zu verbieten, beschleunigte die militärische Niederlage der Kommune.
André Léo organisierte deshalb so etwas wie eine solidarische Opposition innerhalb der Kommune. In ihren Zeitungsartikeln kritisierte sie nicht nur antifeministische Beschlüsse der Kommuneregierung, sondern auch andere unterdrückerische Maßnahmen wie etwa die Einführung der Pressezensur oder die Absetzung kritischer Minister. Sie kritisierte vor allem die Haltung vieler Kommunarden, daß der Zweck die Mittel heilige. Für Léo stand aber fest, daß eine Bewegung, die ihre eigenen Ziele schon in ihren Anfängen verrät, zum Scheitern verurteilt sei. »Wenn wir uns verhalten, wie unsere Gegner«, schrieb sie, »wie soll sich dann die Welt zwischen ihnen und uns entscheiden?«.
Nicht alle teilten diese Meinung. So scheint zum Beispiel Louise Michel, die später für ihr Engagement in der Kommune berühmt wurde, mehr Verständnis für autoritäre Maßnahmen gehabt zu haben. Zur Anarchistin wurde sie erst später, nach ihrer Rückkehr aus der Deportation. Allerdings war sie damals auch noch sehr jung und spielte keine bedeutende Rolle. Man müßte einmal den Einfluß von André Léo auf Michels Denken untersuchen, ich glaube, daß er erheblich ist.
Es gab aber eine andere Gegnerin von André Léos kritischsolidarischer Haltung gegenüber der Kommune, die sehr einflußreich war, und zwar die Russin Elisabeth Dmitrieff. Auch sie war ein Mitglied der Internationale. Sie war noch sehr jung, gerade 21 Jahre alt, und außerdem recht wohlhabend. Sie stammte aus einer aristokratischen Familie und lebte eigentlich in Genf. Dort hatte sie ein Jahr zuvor eine russische Internationale-Sektion gegründet, die gegen die Allianz Opposition machte. Sie störte sich vor allem an der radikalen Rhetorik des Allianz-Programms, das ihr zu weltfremd und zu abgehoben erschien, um damit die Massen zu erreichen. Ende 1870 war sie nach London gereist, um Kontakt mit Karl Marx und mit dem Generalrat der Internationale aufzunehmen. Als die Nachricht vom Kommuneaufstand kam, setzte sie sich in den nächsten Zug nach Paris.
Elisabeth Dmitrieff war keine große Denkerin und Theoretikerin, aber eine begnadete Agitatorin. In nur zwei Wochen stampfte sie die größte Frauenorganisation der Kommune aus dem Boden, die Union des Femmes. Vermutlich hatte sie Empfehlungsschreiben von Marx für die Kommuneregierung dabei, aber es ist trotzdem eine erstaunliche Leistung. Die »Frauenunion« etablierte sich rasch als Vertreterin von Fraueninteressen generell, Elisabeth Dmitrieff verhandelte mit der Kommuneregierung über die Organisation der Frauenarbeit, sie setzte feste Aufträge und Preise durch für die Frauenwerkstätten, die zum Beispiel die Uniformen für die Nationalgarde nähten. Die Union organisierte Krankenhelferinnen, verteilte Lebensmittel, und agitierte unter Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen für die Ziele der Kommune.
Elisabeth Dmitrieff hatte kein Verständnis für André Léos kritische Position gegenüber zentralistischen, diktatorischen Tendenzen in der Kommune. Wer intern Kritik äußerte, war für sie eine Verräterin, und sie griff André Léo deshalb öffentlich an. Die ging ihrerseits nicht öffentlich auf diese Angriffe ein, aber es ist auffällig, daß Louise Michel in ihren Memoiren, in denen sie ausführlich über die Pariser Kommune schreibt, Dmitrieff nur in einem Nebensatz erwähnt.
Dmitrieffs fehlende Konsequenz in der Einforderung feministischer Anliegen gegenüber den Männern die Kommune führe ich auf ihre Herkunft zurück. In Rußland waren die jungen Revolutionäre und Revolutionärinnen damals überzeugt, daß sie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern einfach dadurch abgeschafft hätten, daß sie sie nicht mehr gelten lassen. Die Gleichheit von Frauen und Männern hängt ihrer Meinung nach also von einem reinen Willensakt ab. Diese sogenannten »Nihilistinnen« stammten meistens, wie Dmitrieff und Bakunin ja auch, aus aristokratischen Verhältnissen, so daß sie die typisch bürgerliche Geschlechterkonstruktion nicht selbst kennengelernt hatten. Paradoxerweise führte das dazu, daß sie den Kampf gegen diese Konstruktion des Geschlechterunterschiedes für nicht so wichtig hielten.
Die Französinnen dagegen wußten, daß man die Abschaffung Geschlechterrollen nicht einfach so beschließen kann. Sie wußten, daß es ein langer und mühsamer Prozeß ist, der an die Grundfesten der gegebenen Gesellschaft rührt. Deshalb legten sie auch besonders großen Wert auf eine Reform des Erziehungswesens. Die Kommune bestand aber nicht lange genug, um diese Differenzen auszutragen.
Nach der Niederschlagung der Pariser Kommune Ende Mai 1871 gelang beiden, Léo und Dmitrieff, die Flucht in die Schweiz. Und dort spielte Dmitrieff keine Rolle mehr, wohl aber André Léo, die nun eine Lebensaufgabe darin sah, die Verbrechen des französischen Militärs – in nur wenigen Tagen wurden mindestens 20.000 Männer und Frauen ohne Urteil hingerichtet – anzuprangern.
Nach der Kommune kam es zum Richtungsstreit in der Internationale. Die meisten Kommuneflüchtlinge, die in sozialistischen Kreisen nun als Helden und Heldinnen galten, orientierten sich eher zur anarchistischen Allianz. Karl Marx und Friedrich Engels fürchteten um ihren Einfluß. Deshalb gingen sie – im Namen des von ihnen kontrollierten Generalrats in London – zunehmend dazu über, unliebsame Sektionen aus der Internationale auszuschließen. Zu einem ihrer ersten Opfer wurde die Sektion 12 in New York – und dies führt uns zu einer weiteren interessanten Frau in der ersten Internationale.
In die USA war die Internationale zunächst durch Einwanderer aus Deutschland, Frankreich, Irland und Osteuropa gekommen. Meistens sprachen sie nicht einmal englisch, und daher wurden sie auch von den einheimischen Arbeitern und von der amerikanischen Öffentlichkeit kaum beachtet. Das änderte sich erst, als Victoria Woodhull mit ihrer Schwester, Tennessee Claflin, und einigen Freundinnen und Freunden (unter anderem der bekannte Freidenker und Philosoph Stephen Pearl Andrews) die erste englischsprachige Sektion der Internationale gründete, die sogenannte Sektion 12 in New York.
Victoria Woodhull war damals eine berühmte Rednerin und Frauenrechtlerin, die soeben bekanntgegeben hatte, daß sie für die Präsidentschaft der USA kandidieren wolle. Sie stammte aus einer dubiosen, kleinkriminellen Unterschichtsfamilie, war aber mit Hilfe des Eisenbahnmillionärs Cornelius Vanderbilt zu Wohlstand gekommen. Der damals wohl reichste Mann Amerikas bezahlte Victoria Woodhull und ihrer Schwester Tennessie Claflin üppige Honorare – für hellseherische und vermutlich auch sexuelle Dienstleistungen. Mit dem Geld hatten die Schwestern eine eigene Broker-Firma an der Wallstreet gegründet und waren durch geschickte Investitionen reich geworden. Sie gründeten eine Zeitung, das Woodhull and Claflin’s Weekly, in der sie frauenrechtlerische und sozialistische Artikel neben den neuesten Börsennachrichten brachten. Die Zeitung veröffentlichte als erste in den USA das kommunistische Manifest, auch Jenny Marx und andere europäische Internationale schrieben hier Artikel. Karl Marx war froh, das kann man seinen Briefen aus dieser Zeit entnehmen, endlich ein Sprachrohr zu haben, über das man die amerikanische Öffentlichkeit erreichen konnte.
Allerdings hatte Victoria Woodhull ihre eigenen Ansichten über den Sozialismus. Dessen wichtigste Aufgabe sei es, so meinte sie, für die »soziale Freiheit« zu kämpfen, ein Begriff, der in Europa meistens mit »freie Liebe« übersetzt wurde. Woodhull trat für die sexuelle Befreiung der Frauen ein, wozu auch das Recht auf Abtreibung oder eine Anerkennung von Prostituierten zählte, für die Unabhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern, gegen moralische und sittliche Schranken für den weiblichen Freiheitsdrang. Dieses Ziel, meinte sie, müsse sich auch der Sozialismus auf die Fahnen schreiben, was natürlich den konservativen Einwanderern, vor allem denen aus Deutschland und Irland, nur schwer zu vermitteln war.
Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Theorien von Victoria Woodhull im Detail darzustellen, denn dazu müßte ich zunächst über die Situation in den USA sprechen, die sich sehr von der in Europa unterschied. Ähnlich wie André Léo trat jedoch auch Woodhull für eine Zusammenarbeit zwischen proletarischen, feministischen und bürgerlichen Kräften ein. Interessant ist aber vor allem die Reaktion, die sie in Europa auslöste – es kam nämlich am Beispiel der Sektion 12 zur ersten expliziten Diskussion über das Thema Haupt- und Nebenwiderspruch. Auf Protest vor allem der deutschen Einwanderersektion schloß der Generalrat die Sektion 12 aus der Internationale aus mit der Begründung, daß in der Internationale nur die Arbeiterfrage zu behandeln sei, und nicht die Frauenfrage.
Zu dieser Zeit lag die Internationale aber ohnehin schon in den letzten Zügen. Marx und Engels schlossen nicht nur die Sektion 12, sondern auch viele andere, die nicht ihr begrenztes Verständnis von Sozialismus teilten, aus, zum Beispiel auch eine Sektion, die Kommuneflüchtlinge in Genf gegründet hatten, und zu der André Léo und Virginie Barbet gehörten. Bakunin und einige seiner Anhänger wurden ebenfalls aus der Internationale ausgeschlossen. Die allermeisten Sektionen in Belgien, Italien, Frankreich, Spanien und der Schweiz, schließlich sogar viele in England wandten sich nun von der Internationale ab oder versuchten, Einfluss im Generalrat zu bekommen. Um das zu verhindern verlegten Marx und Engels schließlich den Sitz des Generalrats nach Amerika, was natürlich faktisch das Ende der Internationale bedeutete.
Die feministischen Sozialistinnen in der Ersten Internationale versuchten alle, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, ihr feministisches und ihr sozialistisches Engagement miteinander zu vereinbaren. Und dabei hatten sie es schwer, weil Frauenbewegung und Arbeiterbewegung in dieser Zeit auseinander drifteten. Beide hatten die Tendenz, das Problem des bürgerlich-patriarchalen Kapitalismus auf einen bestimmten Teilaspekt zu reduzieren – die einen sahen das Problem im Interessensgegensatz von Frauen und Männern, die anderen im Widerspruch von Kapital und Arbeit. Diese beiden Positionen hatten den Vorteil, dass sich daraus konkrete Forderungen ableiten ließen – das Frauenwahlrecht, Zugang zu Erwerbsarbeit auf der einen Seite, die Gründung von Arbeiterparteien oder Forderung höherer Löhne auf der anderen. Allerdings ließen sie sich gerade deshalb auch nicht miteinander vereinbaren: Wenn Frauen auf den Arbeitsmarkt strömten, verschlechterte sich die Position der Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen, usw.
Die feministischen Sozialistinnen waren deshalb dagegen, konkrete Forderungen zu Prinzipienfragen zu machen. Drei Beispiele dazu: Erstens: Während Frauenrechtlerinnen wie Elizabeth Cady-Stanton gegen die 15. Wahlrechtsreform waren, nach der schwarze Männer wählen dürfen (mit der Begründung, dass der Ausschluss der Frauen dadurch noch krasser und diskriminierender würde), war Victoria Woodhull dafür (weil es ein Fortschritt im Bezug auf die Gesellschaft als Ganze ist). Zweitens: Als Frankreich im Krieg gegen Deutschland kurz vor der Niederlage stand, forderte André Léo die Gründung von Frauenbataillonen, um die Niederlage zu verhindern. Als die Pariser Kommune kurz vor der Niederlage stand und Frauen auch wieder forderten, zu den Waffen zugelassen zu werden, war sie dagegen, weil sie sah, dass das an der Niederlage auch aufhalten, aber die internen Konflikte noch größer machen würde. Und drittens: Als eine konservative Frauenvereinigung die Erhöhung der Löhne der Lyoner Textilarbeiterinnen forderte, polemisierte Virginie Barbet dagegen, weil das ja nur dazu dienen würde, das ungerechte Lohnsystem im Prinzip aufrechtzuerhalten. Als die Textilarbeiterinnen selber für höhere Löhne streikten, unterstützte sie den Streik.
Sie wandten sich also dagegen, konkrete, tagespolitische Forderungen zu Prinzipienfragen zu erklären, und das nicht nur gegenüber der Frauenbewegung, sondern auch in der Internationale. Da war die Situation ja noch viel krasser. Wenn ihr euch in der Geschichte der Internationale ein bisschen auskennt, wisst ihr, dass es da fast immer nur um Prinzipienfragen ging, stundenlang wurde bei den Kongressen um Detailfragen gestritten, und dabei ging es nie um eine konkrete Situation, sondern immer ums Prinzip. Auffällig ist, dass sich alle vier Frauen, bei allen unterschiedlichen Positionen, an all diesen Streitfragen überhaupt nicht beteiligen – mit der Ausnahme der Erbrechtsfrage, die für Virginie Barbet tatsächlich eine Prinzipienfrage war. Aber ansonsten fanden sie diese Debatten offenbar genauso langweilig und unwichtig wie ich beim Lesen der Bücher über diese Debatten.
Vor allem sahen sie, dass dieser Streit über Prinzipienfragen nur dazu führte, die Bewegung auseinander zu dividieren. Das betraf nicht nur die Zusammenarbeit verschiedener sozialistischer Positionen, sondern auch den Kern des – marxistischen wie anarchistischen – Glaubensbekenntnisses: Den Widerspruch von Kapital und Arbeit. Was im Rahmen einer Ökonomiekritik des 19. Jahrhunderts durchaus seine Berechtigung haben mochte, wurde im Rahmen der Internationale zu einer Prinzipienfrage, zum Handlungsprinzip: Gerade die größten Gegner in der Internationale, Marx und Bakunin, waren sich ausgerechnet an diesem Punkt einig – keine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie, mit republikanischen oder liberalen Kräften (also auch nicht mit den Feministinnen). Es ist sind dazu ausführliche Kontroversen zwischen André Léo und Michael Bakunin und zwischen Victoria Woodhull und Karl Marx überliefert.
Dabei spielt natürlich eine Rolle, dass die Kategorien »Proletariat« und »Bourgeoisie« im 19. Jahrhundert nur die Lebenswirklichkeit von Männern widerspiegeln und auf Frauen nicht anwendbar sind. Frauen in proletarischen Familien zum Beispiel wurden an bürgerlichen Frauenbildern gemessen, bürgerliche unverheiratete Frauen hatten oft weniger Geld zum Leben als eine durchschnittliche Fabrikarbeiterin. Deshalb macht es auch keinen Sinn, von »proletarischer« und »bürgerlicher« Frauenbewegung zu sprechen, die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung damals müssen mit anderen Kategorien analysiert werden.
Aber darauf will ich jetzt nicht näher eingehen. Denn bei den feministischen Sozialistinnen wird aus dieser lebensgeschichtlichen Realität eine theoretische Position: Sowohl gegenüber der Frauenbewegung als auch gegenüber der Arbeiterbewegung bestehen sie darauf, dass die Gesellschaft nicht als eine interpretiert werden kann, die im wesentlichen auf Interessensgegensätzen beruht – seien es die von Männern und Frauen, seien es die von Kapital und Arbeit. Stattdessen unterstellen sie eineInteressensgleichheit der Menschen, nämlich das Interesse, in einer freiheitlichen Gesellschaft zu leben. Nicht, weil sie naiv und optimistisch wären, sondern weil ohne diese Vorbedingung eine Verständigung über die politische Organisation der Gesellschaft unmöglich ist.
Das heißt nicht, dass sie Interessensgegensätze leugnen, verwischen und zudecken. Aber es heißt, dass Politik woanders ansetzen muss. Politik heißt für sie nicht, die verschiedenen Interessen von Männern und Frauen, Arbeitern und Kapitalisten irgendwie zusammenzuraufen – sei es durch faule Kompromisse (also »Revisionismus«) oder durch den Sieg der einen über die anderen (also »Revolution«). Politik gründet für sie auf der Erfahrung, dass aus einer echten Vermittlung zwischen unterschiedlichen Positionen etwas Neues entstehen kann.
Trotz der in ihrer Zeit so deutlich sichtbaren Interessensgegensätzen zwischen Arbeiterbewegung und Frauenbewegung bestanden sie daher darauf, dass letztlich doch beide ein gemeinsames Interesse haben – und machten sich an die Vermittlungsarbeit. Nicht in theoretischen Traktaten, sondern konkret, in erster Person sozusagen. Als dezidierte Feministinnen schlossen einer antifeministischen Organisation wie der Internationale anschlossen: Damit zwangen sie die Internationale, sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es ein weibliches politisches Denken gibt, das sich Gehör verschafft, und sie verhinderten, dass sich die Frauenrechtlerinnen als alleinige Repräsentantinnen des weiblichen politischen Denkens profilieren konnten. Und es lässt sich leicht denken, dass sie einen großen Teil ihrer Zeit damit verbrachten, genau diese Vermittlungsarbeit zu leisten, in unzähligen Gesprächen mit Sozialisten oder Feministinnen, in Zeitungsartikeln, Broschüren, Vorträgen und so weiter. Das heißt, die Frauen in der Internationale verkörpern im wahrsten Sinn des Wortes die politische Einsicht, dass die Anliegen beider Bewegungen gemeinsam sind, und dass die Gegensätze, die von beiden Seiten in der öffentlichen Diskussion aufgebaut werden, lediglich scheinbare Gegensätze sind. Schon mit ihrer bloßen Anwesenheit – als Sozialistinnen in den Frauengruppen, als Feministinnen in der Internationale – machen sie deutlich, dass es nicht darum geht, diese oder jene konkrete politische Forderung aufzustellen, sondern darum, die Bedeutung, den Sinn von Arbeiterbewegung und Frauenbewegung festzuhalten: nämlich die Arbeit an einer freiheitlichen Gesellschaft von Männern und Frauen. Neben diesem Sinn sind alle konkreten, tagespolitischen, aktuellen Forderungen, Handlungen und Aktionen nebensächlich – denn sie können je nach Kontext so oder so ausfallen. Das Entscheidende ist, was sie jeweils bedeuten, denn das macht ihren Sinn aus.
Ich finde, gerade für uns heute, die wir in einer Zeit leben, wo Revolutionen »out« sind und wir nach neuen Wegen suchen müssen, wie diese Gesellschaft zum Besseren verändert werden kann, kann das Beispiel der feministischen Sozialistinnen in der Internationale sehr wertvolI sein. Im Prinzip geht es doch um die Frage: Wie funktioniert eigentlich Politik? Okay, Revolutionen finden heute nicht mehr statt, dafür haben wir eine andere Variante von Politik, die ihre Aufgabe im »Handling« der vermeintlichen Interessensgegensätze sieht: Die »Moderation« am grünen Tisch. Schröder als der große Moderator, der die verschiedenen Parteien und Interessensgruppen moderiert, ohne eine eigene Meinung zu haben. Genau darum geht es aber bei der Vermittlungsarbeit der feministischen Sozialistinnen in der Internationale nicht. Sie haben ja nicht die Frauenrechtlerinnen und die proletarischen Antifeministen um einen grünen Tisch versammelt, damit sie ihren kleinsten gemeinsamen Nenner herausfinden. Im Gegenteil: Sie haben überall ihre Position dezidiert vertreten, je nach dem Kontext, den sie vorfanden, und oft genug auch im Konflikt. Aber sie sahen in dieser ihrer Position nicht die absolute, universelle, allgemeingültige Weisheit, und das einzige Problem darin, dass nicht alle an diese Weisheit glaubten (darin war ja vor allem Karl Marx meisterhaft, wenn ich das hier mal so ketzerisch sagen darf, und die meisten seiner Nachfolger auch). Sondern sie verstanden Politik darin, ihre Position anderen zu vermitteln, wohl wissend, dass das nur möglich ist, wenn sie bereit sind, auch ihre eigene Position aufs Spiel zu setzen, oder besser, sie ins Spiel mit einzubringen. Um so zu einer neuen Position zu kommen, die kein Kompromiss ist, sondern etwas ganz anderes, etwas Revolutionäres.
Etta Federn, eine österreichische Anarchistin, schrieb 1938 ein Buch, in dem sie revolutionäre Frauen porträtiert. Marianne Kröger hat diese Texte vor drei Jahren neu herausgegeben. In ihrer Einleitung schreibt sie: »Revolutionär fand Etta Federn jene Frauen alle, weil sie Ungewöhnliches gedacht und getan hatten, weil sie gedankliches Neuland beschritten hatten, und weil sie mit ihrem Wirken nachhaltige Einflüsse auf die Gesellschaft ausgeübt hatten«. Ich finde, das ist eine recht gute Definition für feministischen Sozialismus: Ungewöhnliches zu denken und zu tun, gedankliches Neuland betreten und dadurch die Welt verändern. Wobei ich jedoch hinzufügen würde, dass solches Neuland niemals von einer allein gefunden werden kann, sondern immer aus der Vermittlungsarbeit entsteht, also daraus, dass ich meine Ideen, Meinungen, Erfahrungen und Ideale der Konfrontation mit anderen aussetze. Diese Vermittlung ist das Entscheidende, der Inhalt der Position ist demgegenüber sekundär. Oder anders gesagt: Die Vermittlung ist das Prinzip, nach dem eine soziale Bewegung funktioniert. Ihr Inhalt ist natürlich nicht unwichtig, aber eben nicht universalgültig, sondern beschränkt auf einen jeweiligen Kontext.
Das ist für mich die Lehre aus dem Beispiel der sozialistischen Feministinnen, eine Lehre, der die Erste Internationale und auch die marxistische Arbeiterbewegung nicht gefolgt sind, was meines Erachtens der Grund für ihr Scheitern ist. Wer denkt, es genügt, Recht zu haben, hat nicht verstanden, was Politik ist. Die Frauenbewegung war etwas klüger. Sie hat zwar auch so manche Blüte hervorgebracht, aber in ihrer Gesamtheit doch die Bedeutung der Vermittlungsarbeit immer wieder gesehen. Deshalb hat sie zwar nicht das Paradies geschaffen, aber doch die Welt mehr verändert als jede andere soziale Bewegung.
Vortrag im Mai 2000 bei der Sozialistischen Studienvereinigung Frankfurt
Antje Schrupp: Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin – Frauen in der Ersten Internationale, Ulrike-Helmer-Verlag, Königstein 1999.
Frauen in der Ersten Internationale – Frauen in der Pariser Kommune – Die Union des Femmes