André Léo (1824–1900)
Die französische Journalistin und Schriftstellerin André Léo war eine der führenden Persönlichkeiten der Pariser Kommune. Die 1871 bereits 46jährige war zu ihrer Zeit eine bekannte Intellektuelle, Mitbegründerin feministischer Gruppen. Sie gehörte zu einer älteren Generation von Revolutionärinnen und Revolutionären, der es vor allem darum ging, das aufbrechende Engagement und den Aktivismus der mehrheitlich jüngeren ›Macher‹ zu beeinflussen und in die ›richtigen‹ Bahnen zu lenken.
Wichtigstes Leitmotiv im Denken von André Léo ist die Überzeugung, daß der Zweck niemals die Mittel heiligt, und ihr Eintreten für die unbedingte Freiheit des Individuums. Sie war bereits eine bekannte Schriftstellerin, als sie Ende der sechziger Jahre Mitglied in der von Benoît Malon geführten IAA-Sektion Paris-Batignolles wurde, und ihre Ansichten über die Internationale waren in Frankreich bis zu einem gewissen Grad auch meinungsbildend für einen Teil der linksliberalen Öffentlichkeit. Als eine der profiliertesten Unterstützerinnen der Pariser Kommune mußte sie im Sommer 1871 ins Exil gehen und initiierte später von der Schweiz aus den Protest der ›antiautoritären‹ IAA-Sektionen gegen den Führungsstil des Londoner Generalrats.
Anders als Bakunin und Marx hatte André Léo, von einigen Kontakten zu frühsozialistischen Gruppen abgesehen, keine spektakuläre revolutionäre Vergangenheit. Die Tochter eines Notars aus Lusignan baute ihre schon in den fünfziger Jahren begonnene schriftstellerische und journalistische Tätigkeit nach dem Tod ihres ersten Mannes 1863 zunehmend zum Gelderwerb aus. Die Zeit für feministisches Publizieren war günstig: Mit ihren ›Frauenromanen‹, in denen eine emanzipatorische Wirklichkeitssicht dominiert, mit ihren Kommentaren zu antifeministischen Zeitgenossen und mit ihrer theoretischen Arbeit »Les femmes et les moeurs« stieß André Léo gewissermaßen in eine Marktlücke:
Ausgelöst durch die frauenverachtenden Ideen französischer Intellektueller wie Comte, Michelet und vor allem Proudhon (Foto rechts) war es gegen Ende der fünfziger Jahre zu einer breiten Protestwelle gegen einen solch abenteuerlichen Antifeminismus gekommen; feministische Bücher, Gruppen, Flugblätter und Diskussionen mischten sich in den öffentlichen Diskurs und es gab einen Markt für entsprechende Publikationen. »In keinem Abschnitt der französischen Geschichte sind so viele Bücher über Frauen geschrieben worden, wie im Second Empire«. In dieser neuen ›Querelle des Femmes‹ profilierte sich André Léo schnell als profunde Denkerin, der es gelang, diese Popularität der ›Frauenfrage‹ mit einer sozialistischen Gesellschaftstheorie zu verbinden, die an die frühsozialistisch-feministischen Erfahrungen anknüpfte, sie aber gleichzeitig in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ideen und Notwendigkeiten weiterentwickelte.
1866 gründete sich in ihrer Wohnung die »Société pour la Revendication du Droit des Femmes«, die schon bald zum Sammelbecken der führenden Feministinnen in Paris wurde. Zu der Gruppe gehörten neben Paule Minck (Foto links) und Louise Michel auch Elie und Noémie Reclus, die Frau von Jules Simon und einige andere, vor allem die später führende Feministin Maria Deraismes. Sie knüpften auch internationale Kontakte, etwa nach Rußland , publizierten, wurden bekannter und ihre Forderungen wurden öffentlich diskutiert. Ihre Ideen, ihre Prinzipien und Forderungen repräsentieren das, was im französischen Kontext dieser Jahre und zumal in der Internationale, zu der viele ihrer Mitglieder Verbindung hatten, unter französischem Feminismus verstanden wurde.
Sowohl in ihrem Programm als auch in ihrer Zusammensetzung – die Gruppe war ausdrücklich auch für Männer offen – markierte die Société eine Neuorientierung gegenüber dem frühsozialistischen Feminismus: Auf dem Hintergrund der antifeministischen Kampagnen von Proudhon, Michelet und anderen stellte sie nicht mehr die Geschlechterdifferenz in den Vordergrund, argumentierte nicht mehr mit den besonderen Fähigkeiten und Interessen von Frauen, die deren Partizipation am öffentlichen Leben notwendig machten, sondern betonte die Gleichheit der
André Léo schloss sich 1868 der Internationale an. Ihr frauenpolitisches Hauptwerk »Les femmes et les moeurs« war soeben erschienen, in dem sie sich mit den antifeministischen Ideen französischer Intellektueller wie Proudhon, Compte und Michelet auseinandersetzt. Auch sie tendierte in der Internationale, wie Virginie Barbet, eher zum libertär-anarchistischen Flügel, blieb aber mehr auf Distanz. Mit Bakunin lag sie zeitweise im Streit, weil sie auch im liberal-republikanischen Milieu um Bündnispartner und -partnerinnen war, was für Bakunin eine Anbiederung an die »Bourgeoisie« war.
André Léo war eine der führenden Kommentatorinnen der Pariser Kommune und kritisierte die zentralistischen und autoritären Strukturen von Dmitrieffs »Union des Femmes«, aber auch unfreiheitliche Maßnahmen der Kommune überhaupt. Auch ihr gelang nach der Niederschlagung der Kommune die Flucht in die Schweiz, wo sie zu einer der entschiedensten Gegnerinnen der »autoritären« Tendenzen des von Marx dominierten Generalrats der Internationale wurde.
André Léo und der frühe Anarchismus
Frauen in der Ersten Internationale · Frauen in der Pariser Kommune