Die »Union des Femmes«
Die größte Frauenorganisation der Pariser Kommune (1871) und die Kritik libertärer Feministinnen daran
Frauen spielten beim Kommuneaufstand im Frühjahr 1871 in Paris eine wichtige Rolle – nicht nur, weil sie als Marketenderinnen die Kämpfenden mit Essen und Trinken versorgten. Viele von ihnen diskutierten mit, hielten Reden, organisierten die Arbeit in den Werkstätten. Die »Union des Femmes« war zwar die wichtigste Frauenorganisation der Pariser Kommune, aber nicht die einzige.
Die russische Sozialistin Elisabeth Dmitrieff, die kurz nach dem Kommuneaufstand nach Paris gereist war, trat zunächst einem bereits bestehenden, während der Belagerung gegründeten »Comité des Femmes« bei, dem etwa 160 Gruppen und Initiativen angehörten und das 1800 Mitglieder zählte, darunter auch Anna Jaclard, André Léo, sowie die führende Frau der Pariser Internationale, Natalie Lemel. Das Comité scheint ein weitverzweigtes Netz aufgebaut zu haben, das sowohl praktische organisatorische Aufgaben übernahm wie auch einen Zusammenschluß der eher politisch interessierten Frauen ermöglichte. Doch offenbar kam es hier bald schon zu Differenzen, und Elisabeth Dmitrieff machte sich an die Gründung ihrer eigenen Organisation. Am 11. und 12. April erschien in drei Pariser Zeitungen ein Appell von ‘Bürgerinnen’, in dem die Pariserinnen aufgefordert wurden, den militärischen Kampf ihrer Männer und Brüder vorbehaltlos zu unterstützen und auch selbst zur Waffe zu greifen: »Und wenn wir auch keine Gewehre und keine Bajonette haben, so bleiben uns doch die Pflastersteine, um die Verräter zu zermalmen« . Die Pariser Kommune wird darin in eine Reihe gestellt mit Revolutionen und sozialen Aufständen in ganz Europa und als Zeichen des Klassenkampfes gewertet. Anschließend werden die Frauen aufgefordert, sich am gleichen Tag um acht Uhr abends in der Rue du Temple Nummer 74, im Grand Café des Nations, zu versammeln, um Frauenkomitees in allen Arrondissements zu gründen. Wie viele Frauen diesem Aufruf gefolgt sind, ist nicht bekannt. Es sind neben Dmitrieff sieben »Arbeiterinnen« , die sich in einem offenen Brief am 14. April an die Verantwortlichen der Kommune wandten, weil
»die Kommune als Repräsentantin des großen Prinzips der Aufhebung aller Privilegien und jeder Ungleichheit gehalten ist, den berechtigten Forderungen der gesamten Bevölkerung nachzukommen, ohne Unterschied des Geschlechts, eine Unterscheidung, die geschaffen und erhalten wird durch die Bedürfnisse des Antagonismus, auf dem die Privilegien der herrschenden Klassen ruhen.«
Weil außerdem angesichts der »unmittelbaren Gefahr« und weil »der Feind vor den Toren von Paris steht« alle Gruppen der Bevölkerung »für die große Sache des Volkes, für die Revolution« kämpfen müßten, verlangte die »Union des Femmes pour la défense de Paris et les soins aux blessés«, wie sie sich später nannte , einen Versammlungsraum in jedem Arrondissement sowie Geld für die Veröffentlichung von Flugblättern und Propagandaschriften. In ihrem revolutionären Pathos gehen diese Appelle weit über das hinaus, was selbst in diesen Tagen üblich war. Gleichzeitig beanspruchte Dmitrieff, daß ihre Union als Alleinvertreterin der Frauen anerkannt werde:
»Die Regierungskommissionen haben sich ausschließlich an das Zentralkomitee der Bürgerinnen zu wenden, um die gewünschte Anzahl von Frauen zu finden, die bereit sind, in den Krankenstationen zu dienen oder, wenn es notwendig ist, auf den Barrikaden« .
Elisabeth Dmitrieff
Anna Jaclard
André Léo
Natalie Lemel
Die französische Historikerin Edith Thomas charakterisiert die Union des Femmes schlicht als »die weibliche französische Sektion der Internationale« . In der Tat sind die Verbindungen offensichtlich, zum Beispiel wurde der Mitgliedsbeitrag auf 10 centimes festgesetzt – der gleiche wie bei der Internationale – und später als 1. Punkt der Statuten festgelegt, daß jedes Mitglied der Union automatisch auch Mitglied der Internationale ist und die Mitglieder im Zentralkomitee der Union des Femmes waren auch tatsächlich überwiegend Arbeiterinnen. Es wird hier auch deutlich, wie sehr sich die Pariser IAA unter der Führung von Malon und Varlin, vermutlich auch unter dem Einfluß von André Léo und Nathalie Lemel gewandelt hatte, daß an die Stelle des ehemaligen proudhonistischen Antifeminismus das Bemühen getreten war, Frauen als Mitglieder und Mitkämpferinnen zu gewinnen. Die Pariser Internationalen sagten nun von sich, in deutlicher Parallele zum Allianz-Programm, sie wollten »eine soziale, eine politische Gleichstellung für Alle, ohne Unterschied des Geschlechts, des Glaubens und der Nation« . Mit der Gründung der Union des Femmes als Sektion der IAA unternahm Dmitrieff auch einen Versuch, die Internationale beim Wort zu nehmen. Bei den Frauen war dieser Schritt jedoch umstritten. Zwar wechselten viele aus dem alten Comité des Femmes zu Dmitrieffs ‘Union’ über – vor allem Natalie Lemel, die eine führende Rolle in der Union einnahm. Andere aber weigerten sich, der neuen Organisation beizutreten, zum Beispiel – obwohl sie in der IAA Mitglied war – André Léo und, was besonders erstaunt, Elisabeths ehemaliges revolutionäres Vorbild, Anna Jaclard.
Die Union des Femmes entwickelte eine rege Tätigkeit. Vom 11. April bis zum 14. Mai organisierte sie 24 öffentliche Versammlungen. Ihre Statuten wurden umgehend in der Presse bekannt gegeben. Wichtigste Aufgabe war es, »den Regierungskommissionen bei der Bereitstellung von Ambulanzen, Lebensmitteln und Barrikaden zu helfen« . Die Komitees in den Arrondissements sollten rund um die Uhr besetzt sein, Freiwillige registrieren und einteilen, und dem Zentralkomitee täglich über ihre Fortschritte berichten. Wichtig ist zudem noch Punkt 14 der Statuten: Er sah »den Einkauf von Petroleum und Waffen für die Bürgerinnen, die kämpfen« vor – von hier stammt die Bezeichnung »Pétroleuses« für die Kommunardinnen, die dann später für die Brandstiftungen in Paris verantwortlich gemacht wurden. Die Union etablierte sich so als Kontaktstelle zwischen der Kommuneregierung und einem dichten Netz an Frauengruppen und -initiativen. Es gab Mitgliedskarten, offizielle Beauftragte und feste Bürozeiten.
Schon bald bildete sich ein Arbeitsschwerpunkt heraus, der im ursprünglichen Programm gar nicht vorgesehen war: Die Organisation der Frauenerwerbsarbeit. Die Organisation der Produktion in den Werkstätten und Fabriken war nämlich eines der wichtigsten Probleme der Kommune. Nach dem 18. März hatten zahlreiche Unternehmer die Stadt verlassen und waren nach Versailles gegangen, »nachdem sie ihre Geschäftsführer angewiesen hatten, die Produktion zu desorganisieren und die Dekrete der Commune zu sabotieren« . Dadurch wurde die Versorgungslage in der Stadt immer schlechter, während die Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Einkommen blieben. Es war dringend notwendig, die Produktion zumindest der wichtigsten Güter – Nahrungsmittel, Kleidung, aber auch militärische Ausrüstung etc. – wieder in Gang zu bringen. Gerade diese Arbeitsbereiche gehörten aber traditionell in den Aufgabenbereich von Frauen und sie übernahmen dies auch in der Kommune: Rund 3000 Frauen, schätzt Edith Thomas, arbeiteten in der Herstellung von Patronen, tausende produzierten Säcke zum Barrikadenbau oder nähten Militäruniformen.
Am 16. April erlies die Kommuneregierung das berühmte Dekret, daß die verlassenen Werkstätten durch Kooperativen von Arbeiterinnen und Arbeitern geführt werden sollten. Die Union des Femmes übernahm nun die Rolle der Wortführerin der von Frauen betriebenen Kooperativen: Elisabeth Dmitrieff forderte die Kommuneregierung auf, der Union des Femmes und den ihr angeschlossenen »Associations productifes fédérées« die Alleinversorgung der Ausrüstung der Nationalgarde anzuvertrauen und ihnen den Auftrag und die finanziellen Mittel zu geben, die verlassenen Werkstätten zu übernehmen. Um dies zu gewährleisten, sollte eine Frau aus dem Zentralkomitee der Union regelmäßig an den Sitzungen des Ministeriums für öffentliche Arbeiten teilnehmen. Im Forderungskatalog der Union heißt es:
»Weil jede Konkurrenz zwischen männlichen und weiblichen Arbeitern abgeschafft werden muß, da ihre Interessen völlig gleich sind und ihre solidarische Einheit unersetzlich ist für den Sieg … fordert das Zentralkomitee der Union des Femmes die … Arbeits- und Handelskommission der Kommune auf, es zu beauftragen, die Frauenarbeit in Paris neu zu organisieren und zu verteilen und damit zu beginnen, daß sie das Zentralkomitee mit der militärischen Ausrüstung betraut. Da diese Arbeit aber für die Masse der Arbeiterinnen nicht ausreicht, fordert das Zentralkomitee die Kommission auf, den zusammengeschlossenen Produktionsassoziationen die notwendigen Geldsummen zu geben, um die Fabriken und Werkstätten, die die Bourgeois verlassen haben und die im wesentlichen von Frauen ausgeübte Berufe umfassen, wieder in Betrieb zu nehmen«.
Die Frauen, so Dmitrieffs Vorschlag, würden mit ihrer Arbeit die Nationalgarde mit Nahrung, Kleidung und Ausrüstung versorgen, dafür garantiert ihnen die Kommune ausreichenden Lohn und akzeptable Arbeitsbedingungen. Das bedeutete konkret: Die Kommuneregierung sollte nicht mehr bei den verbliebenen ‘bürgerlichen’ Unternehmern kaufen, die im Verhältnis zu den selbstverwalteten Kooperativen immer noch weit in der Mehrheit waren, die Löhne dramatisch gesenkt hatten und die Kooperativen preislich mühelos unterbieten konnten. Die Union gründete also nicht nur Werkstätten und organisierte den Verkauf ihrer Produkte an Privatpersonen, sondern Dmitrieff sicherte ihr durch die Absprachen mit der Kommuneregierung auch den Absatz zu vergleichsweise guten Preisen sowie die Versorgung und Verteilung der Rohstoffe auf die angeschlossenen Werkstätten oder Heimarbeiterinnen. Durch ihre nach Arrondissements geordnete, weit verzweigte Struktur gelang es der Union, ein Netz kurzer Wege und großer Flexibilität aufzubauen. Arbeiterinnen konnten sich hier mit Berufsangabe einschreiben und wurden dann in entsprechende Werkstätten vermittelt oder als Heimarbeiterinnen mit Aufträgen versorgt. Inwieweit die vielen unterschiedlichen Kommissionen, Ausschüsse und Komitees, die Dmitrieff hier für eine effektive Organisation der Frauenarbeit vorschlug, in der Realität tatsächlich existiert, geschweige denn funktioniert haben, ist nicht nachzuvollziehen. Jedenfalls wurden die Pariserinnen mit regelmäßigen Plakatanschlägen und Flugblättern über den Fortgang der Verhandlungen informiert und wiederholt zum Beitritt zur Union aufgefordert. Elisabeth Dmitrieff berichtete der Arbeits- und Handelskommission der Kommune regelmäßig über den Fortgang der Organisation und gab der Praxis der Union eine sozialistische Interpretation:
»Die Reorganisation der Arbeit, die dazu führen soll, den Ertrag dem Produzenten zu sichern, kann sich nicht anders vollziehen als durch freie Produktionsgenossenschaften, die die verschiedenen Arbeitsgebiete zu ihrem eigenen kollektiven Nutzen betreiben. Die Bildung solcher Genossenschaften sichert den Arbeitern die Direktion ihrer eigenen Angelegenheiten, indem sie die Arbeit dem Joch des ausbeuterischen Kapitals entzieht«.
Mit dieser eindeutigen Unterstützung der Kommune und indem sie sie als sozialistisches Experiment im Sinne der Internationale interpretierte, bezog Elisabeth Dmitrieff auch Position in einem Streit, der innerhalb der Internationale selbst hinsichtlich der Pariser Kommune ausgebrochen war. Keineswegs war die Zustimmung nämlich so einheitlich, wie das in der rückblickenden Mythologisierung häufig angenommen wird. In der Pariser Sektion war das Verhältnis zwischen Internationale und Kommune zunächst umstritten. Während Eugène Varlin und Natalie Lemel die Kommune sofort unterstützten und in ihr ein Modell für eine neue, sozialistische Gesellschaft sahen, waren andere zunächst wegen des stark nationalen und patriotischen Argumentationsmusters skeptisch. Noch spärlicher gestreut waren diejenigen, die das Kommune-Experiment in ‘marxistischem’ Sinne interpretierten – die meisten französischen Internationalen waren entweder proudhonistisch oder anarchistisch-kollektivistisch orientiert. »Es gab überhaupt nur zwei ‘Marxisten’ in der Kommune«, urteilt Jacques Rougerie, »Seraillier, der zudem einige fundamentale Thesen von Marx ‘vulgarisiert’, und Elisabeth Dmitrieff« . Anders als Marx jedoch, der der Kommune eigentlich wegen dieser Dominanz anderer sozialistischer Strömungen und wegen seiner grundsätzlichen Ablehnung gewaltsamer und spontaner Aufstände sehr skeptisch gegenüberstand – er unterstützte sie letztlich nur im Nachhinein wegen ihrer öffentlichen Wirkung und symbolischen Bedeutung – hat Dmitrieff die Kommune tatsächlich als einen Versuch gesehen, die Gesellschaft in marxistisch-sozialistischer Weise zu reorganisieren.
Ihr eigener Aufbau einer weit vernetzten Frauenorganisation sollte dazu ein Beitrag sein. In den Aktionen und Äußerungen von Elisabeth Dmitrieff im Zusammenhang mit der Union des Femmes wird ein Verständnis von sozialer Organisation der Gesellschaft deutlich, das stark an spätere realsozialistische Versuche erinnert: Daß es nicht darum geht, durch Propaganda, durch die Schaffung eines rechten Bewußtseins Veränderungen herbeizuführen, sondern durch die straffe Organisation der Massen, die dann durch die Macht des Faktischen von der Effizienz sozialistischer Gesellschaftsstrukturen überzeugt werden sollen – ‘das Sein bestimmt das Bewußtsein’ – das ist Dmitrieffs Gegenthese zu Bakunin und der Allianz. Es war auch das Argumentationsmuster, nach dem Dmitrieff versuchte, die ausschließlich von Männern besetzte Kommuneregierung zu den eingeforderten Zugeständnissen zu bewegen und die Lebensverhältnisse der Frauen spürbar zu verbessern, denn
»es ist wahrscheinlich, daß das weibliche Element der Pariser Bevölkerung, im Moment revolutionär, aufgrund der Entsagungen wieder in einen passiven und mehr oder weniger reaktionären Zustand zurückkehrt, den es in der Vergangenheit eingenommen hat«. … »Die schändliche Ausbeutung [der Frauen durch die geringen Preise, die auch die Kommune zahlte, A.S.] muß aufhören. Die Frauen müssen um jeden Preis auf unserer Seite sein«.
Dmitrieff will die Diskrepanz zwischen den praktischen, alltäglichen Bedürfnissen von Frauen und dem gerade in der Internationale verbreiteten Revolutionspathos aufheben, indem sie sich jenseits von ideologischen und philosophischen Debatten auf die praktische Organisation einer Gegenstruktur zur bisherigen Gesellschaftsform konzentriert – nur wenn die Frauen konkret erleben, daß sozialistische Gruppen ihnen nutzen, werden sie diese unterstützen, so ihre Argumentation. Anders als Jules Gay in seiner oben zitierten Verteidigung der Genfer Frauensektion hat Dmitrieff aber nicht nur um Verständnis für die Skepsis vieler Frauen gegen revolutionäres Pathos geworben, sondern stellte sich ganz auf deren Seite, verteidigte diese Haltung gegenüber den revolutionären Führern als legitim: Die unter Frauen verbreiteten Zweifel an dem Nutzen revolutionärer Umgestaltung, ihre Skepsis gegenüber Experimenten und Wagnissen verwandelt Dmitrieff in ein Argument bei der Einforderung feministischer Anliegen: Wenn die Revolutionsregierung auf die Bedürfnisse der Frauen nicht eingeht, so ihre Drohung, ist sie selbst schuld, wenn sich die Frauen gegen sie wenden.
Dabei verband Elisabeth Dmitrieff in ihren Berichten an die Kommune diese Praxis durchaus mit konkreten Vorstellungen über die Zukunft der Frauenarbeit, die ebenfalls weniger von Idealvorstellungen über die ‘Gleichmachung der Geschlechter’ als von Pragmatismus geprägt waren: Da alles, was mit Textilherstellung und -verarbeitung zusammenhing, eine Domäne der Frauen war, sollte die Konkurrenz durch religiöse Konvente und Gefängnisarbeit gerade in diesen Bereichen unterbunden werden. Die bis dahin der Eigeninitiative einzelner Arbeiterinnen überlassene Herstellung von Schmuck, Federn und künstlichen Blumen sollte auf ein industrielles Niveau gebracht werden, das modernen Anforderungen gewachsen wäre – außerdem kritisierte Dmitrieff die Versuche, diesen für Frauen so wichtigen Erwerbszweig als Produktion von ‘Luxusgütern’ zu diskreditieren. Die Union des Femmes sollte schließlich die Verantwortung für die Reorganisation der Berufszweige, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, übernehmen.
Dmitrieff sah sich als Vermittlerin zwischen den Interessen einer breiten Mehrheit von Frauen und den revolutionären Führern, nicht jedoch als Anwältin von Fraueninteressen gegenüber einer männerdominierten Internationale generell. Anfang Mai kursierte in Paris ein mit »Eine Gruppe Bürgerinnen« unterschriebener Appell, in dem die Kommune aufgefordert wurde, den Kampf aufzugeben, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden: »Alle Frauen, die mit kleinen Kindern … und die, deren Männer sich aus Überzeugung schlagen, … verlangen von Paris und Versailles aus dem Grund ihres Herzens: Frieden! Frieden!« . Zwei Tage später veröffentlichte die Union des Femmes mit Dmitrieff an der Spitze einen fulminanten Gegenappell, in dem jeder Friedensschluß als Verrat und die Autorinnen des ersten Appells als Verräterinnen bezeichnet werden. Es ist ein verzweifelter Aufruf zum Durchhalten, wenige Tage vor dem Einmarsch der Regierungstruppen, der zeigt, daß Dmitrieffs Verständnis für die aus der Alltagswirklichkeit geborenen Interessen von Frauen dort ein Ende hatte, wo es ihrer Ansicht nach um die Essenz des sozialrevolutionären Anliegens ging:
»Alle vereint und entschlossen, gewachsen und abgeklärt durch die Leiden, die soziale Krisen immer mit sich bringen, tief überzeugt davon, daß die Kommune als Repräsentantin der internationalen und revolutionären Prinzipien des Volkes die Keime der sozialen Revolution in sich trägt, werden die Frauen von Paris Frankreich und der ganzen Welt beweisen – auf den Barrikaden von Paris, wenn die Reaktion die Tore stürmt – daß auch sie im Moment der höchsten Gefahr bereit sein werden, wie ihre Brüder ihr Blut und ihr Leben zu geben für die Verteidigung und den Triumph der Kommune, und das heißt, des Volkes!«
Die Historikerin Marian Leighton hat sicher recht, wenn sie schreibt, in »Hinsicht auf ihre zentralisierte Struktur und ihre enge Anhängerschaft zum Marxismus ist die ‘Frauenunion’ Elisabeth Dmitrieffs eher eine Ausnahme als ein typisches Beispiel der zahlreichen Frauenorganisationen« in der Pariser Kommune. »Die Rednerinnen in den Klubs, die Krankenschwestern, die Marketenderinnen und die Soldatinnen … waren zum größten Teil nicht an die Union angeschlossen« betont auch Edith Thomas. Nicht nur gab es die oben bereits erwähnten Initiativen, die sich der Union nicht anschlossen. Was wichtiger ist: Gerade die bedeutendsten Sozialistinnen und Feministinnen in der Stadt weigerten sich, der Union beizutreten: Sophie Poirier, Béatrix Excoffon, Anna Jaclard, Paule Minck, Marguerite Tinayre – und vor allem Louise Michel und André Léo. Sie alle hatten bereits, das wird im folgenden Kapitel noch ausführlich gezeigt, durch öffentliche Vorträge, die Organisation von Demonstrationen, Zeitungsartikel und Flugblätter einen gewissen Bekanntheitsgrad in Paris erlangt. Ihr »Widerstandskomitee von Montmartre« kann als Gegeninitiative zur Union des Femmes interpretiert werden. Eine von diesen Frauen, wahrscheinlich Marguerite Tinayre, schreibt später in einem Brief an eine Freundin:
»Du erinnerst dich vielleicht, daß ich auf einer Frauenversammlung gesprochen habe, wo ich mit André Léo war … und wir im Namen der Familie gegen all die Verrücktheiten von Mme Dmitrieff protestiert haben.«
Die Differenzen sind also deutlich, aber was waren die dahinterstehenden Motive? Es ist auffällig, daß diese Frage bislang nie gestellt wurde. Viele gehen stattdessen einfach von persönlichen Animositäten aus – auch dies ist eine Folge fehlender Differenzierung verschiedener feministischer Strategien. Für Dmitrieff war die Kommune eine überraschend ausgebrochene revolutionäre Situation, ausgelöst durch den Verlauf des deutsch-französischen Krieges, eine historische Gelegenheit, die es beim Schopf zu ergreifen galt. Für die etablierten Pariser Revolutionärinnen dagegen hatte das Geschehen eine lange Vorgeschichte, war von öffentlichen Debatten, publizistischer Tätigkeit und Propagandaarbeit vorbereitet worden. Aus ihrer Sicht mußte das Auftreten der Union des Femmes anmaßend wirken – zumal Dmitrieff ihren Alleinvertretungsanspruch auch ihnen gegenüber zum Ausdruck brachte: Am 22. April appellierten Anna Jaclard, André Léo und Sophie Poirier in der Zeitung »Cri du Peuple« im Namen des Widerstandskomitees an die Frauen von Montmartre, Ambulanzen zu bilden. Am nächsten Tag erschien ein Protestschreiben der Union des Femmes in derselben Zeitung, in dem man Befremden über dieses »Komitee, das außerhalb unserer Union steht« , äußerte. Ein Konfliktpunkt ist daher sicherlich die zentralisierte Struktur der Union gewesen. Straffe Direktiven aufzubauen, um so die ‘Effektivität’ des Engagements von Frauen zu gewährleisten, ist wohl eine wesentliche Motivation gewesen, aus der heraus Dmitrieff ihre eigene Organisation gründete, statt einfach in dem bereits bestehenden Comitée des Femmes mitzuarbeiten. Die etablierten Wortführerinnen der Pariser feministisch-revolutionären ‘Szene’ können kaum bereit gewesen sein, sich diesen Direktiven der Union zu unterwerfen, mußten sie als »monolithisch, stark zentralisiert und autoritär« empfinden.
Die beiden ‘Frauenfraktionen’ standen mit ihren Differenzen dabei mitten in einem allgemeinen internen Diskurs in der Kommune, der sich zwischen ‘Jakobinern’ und ‘Kommunalisten’ abspielte, also zwischen einem zentralistisch-autoritären und einem libertären Flügel, wobei ersterer die Mehrheit darstellte. Arthur Arnould, selbst Mitglied der Kommuneregierung, schildert diese als geprägt von zwei Fraktionen, einer Minderheit, »für die die Kommune den Triumph des Prinzips der Autonomie frei föderierter Gruppen und der so direkt wie möglich ausgeübten Regierung des Volkes durch das Volk repräsentierte« – hierzu zählt er neben sich selbst u.a. Malon, Seraillier und Varlin – und einer Mehrheit, für die die Kommune »die Diktatur im Namen des Volkes repräsentierte, eine enorme Machtkonzentration in den Händen weniger« . Die autoritär-zentralistische Haltung dieser Fraktion erklärt er damit, daß »sie sich, mit gutem Grund besorgt um die Notwendigkeiten des täglichen Kampfes, weniger damit beschäftigten, eine Basis für die Zukunft zu legen … um den Sieg von Paris zu sichern« . Es scheint, daß die unterschiedlichen Einschätzungen der Frauen teilweise zu diesen Differenzen parallel verlaufen. Kein Grund ist für Elisabeth Dmitrieff wichtig genug, um sich in der extremen Verteidigungssituation gegen das Zentralkomitee der Kommune zu stellen. Sowohl die feministischen Interessen der Frauen, als auch die antifeministischen Impulse der Männer müssen da zurückstehen. André Léo dagegen ist eine der schärfsten Kritikerinnen dieser jakobinischen Mehrheit, was im nächsten Kapitel dieser Arbeit Thema ist. Elisabeth Dmitrieff ließ sich offensichtlich von der radikaler, konsequenter und kompromißloser scheinenden Haltung der Jakobiner – die ihre Position ja mit der Gefährdung der Kommune durch den ‘äußeren Feind’, die Preußen und die Versailler, rechtfertigte – mitreißen und sah in Appellen zu Toleranz, Pluralität und Meinungsfreiheit ein Zeichen von Schwäche und gefährlicher Nachgiebigkeit. Diese unterschiedlichen Positionen, die Dmitrieff und die anderen Feministinnen in dieser allgemeinen politischen Kontroverse vertraten, schlugen sich unmittelbar auch in ihrem Verständnis von Feminismus nieder.
So war der Ansatz der Frauen vom Widerstandskomitee Montmartre weiter gefaßt, als das rein pragmatische Vorgehen der Union: Das Komitee entwickelte zwar ähnliche Aktivitäten wie die Union des Femmes – es betrieb kooperative Werkstätten, organisierte Ambulanzen, koordinierte Hilfe für die Familien von Mitgliedern der Nationalgarde – legte aber tendenziell größeren Wert auf inhaltliche Diskussionen und ‘Propagandaarbeit’, zum Beispiel wurden gezielt Rednerinnen für verschiedene Klubs ausgewählt. Es fällt auch auf, daß sich die Union überhaupt nicht für ein Thema interessierte, das ansonsten sehr wichtig war: Die Neuordnung des Bildungs- und Erziehungswesens. André Léo, Anna Jaclard und Noémie Reclus gehörten zu den acht Mitgliedern der Erziehungskommission der Kommune, die unter anderem mit der Verbesserung von Mädchenschulen beauftragt war und die gleiche Entlohnung von Lehrerinnen und Lehrern beschloß. Auch Paule Minck, Marguerite Tinayre und Louise Michel engagierten sich in der Frage der Neuordnung des Bildungswesens – aber keine von den Frauen aus der Union.
Ein weiterer Unterschied war die Zurückhaltung der Union bei der von anderen Frauen vorgebrachten Kritik an antifeministischen Tendenzen bei Ärzten und Offizieren der Nationalgarde. So wollten manche Armeeführer nach Berichten über die Vergewaltigung von Marketenderinnen durch Versailler Soldaten Frauen den Zugang zu den Schlachtfeldern verbieten und männliche Ärzte weigerten sich, Aufgaben an die freiwilligen Helferinnen in den Ambulanzen abzugeben. Auch diese Diskussionen mit den Verantwortlichen der Kommuneregierung wurden ausschließlich von Frauen aus dem Montmartre-Komitee geführt. Sie und besonders André Léo konnten selbst im Ausnahmezustand der vom Feind belagerten Kommune Antifeministen als Wortführer der Bewegung nicht akzeptieren und bestanden deshalb neben der Organisation von Frauen für die Kommune gleichzeitig auch auf Initiativen der Kommune hinsichtlich einer ‘Gleichmachung’ der Geschlechter, etwa im Bildungs- und Erziehungsbereich oder bei der Zulassung zu Ambulanzen. Dmitrieff dagegen ist wohl eher davon ausgegangen, solche Themen müßten angesichts der drängenderen Probleme der Verteidigung der Stadt hinten anstehen. Ihre Verbissenheit und ‘Linientreue’, die sie auch von anderen Frauen einforderte, führte sogar zuweilen zu einem weitergehenden Verdacht:
»Mir ist damals schon die Idee gekommen, daß diese schöne Dmitrieff ein Agent Provocateur der russischen Polizei war (ich will sagen, der politischen). Jetzt, wo ich die Sache aus einer gewissen Distanz heraus betrachte, ist mir dieser Gedanke zur Gewißheit geworden« .
Es gibt zwar keine Hinweise darauf, daß Dmitrieff ein Spitzel gewesen wäre, aber sie war doch von missionarischem Eifer geprägt, selbstgerecht und überheblich. In einem Brief an den Generalrat schreibt sie: »Das schlimme ist, daß ich krank bin, und es gibt niemanden, die mich ersetzen kann« – es ist leicht vorstellbar, daß eine solche Haltung die älteren und erfahreneren Pariser Feministinnen abgestoßen haben muß. Vielleicht spielte auch, wie Sylvie Braibant annimmt, die Mentalität eine Rolle, weil für die Französinnen »die Commune von Paris auch ein Fest war«, während »Lisa … für jeden Spaß unempfänglich ist« .
Es ist heute nicht mehr nachvollziehbar, wieweit diese Differenzen auch hinsichtlich der Einstellung dieser Frauen zur Internationale bedeutsam waren, die zu repräsentieren Elisabeth Dmitrieff beansprucht hat. Natalie Lemel war als führendes Mitglied der Internationale auf ihrer Seite in der Union, André Léo, Marguerite Tinayre und Victorine Brochon waren ebenfalls Mitglieder der IAA, aber nicht in der Union, ebensowenig wie Anna Jaclard, die aber sowohl durch ihren Mann, wie auch durch ihre Kontakte zur russischen Sektion in Genf engen Kontakt zur Internationale hatte. Paule Minck stand der Internationale skeptisch gegenüber, von Sophie Poirier und Louise Michel ist die Haltung nicht bekannt. In jedem Fall sind diese Differenzen aber kaum zum Tragen gekommen, weil sie durch die in der Pariser Kommune gegebene Ausnahmesituation und in der Kürze der Zeit – es handelt sich schließlich um einen Zeitraum von nicht mal zwei Monaten – kaum zum Tragen kommen konnten. Im Durcheinander der vielen parallel verlaufenden Aktivitäten konnten beide Positionen bestehen und zu ihrem Recht kommen. Spätestens nach dem Einmarsch der Versailler Truppen in die Stadt kämpften beide ‘Fraktionen’ gemeinsam auf den Barrikaden.
Antje Schrupp: Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin – Frauen in der Ersten Internationale,
Ulrike-Helmer-Verlag, Königstein 1999.
Frauen in der Ersten Internationale – Feminismus und Antifeminismus in der Arbeiterbewegung -