Wie weibliche Freiheit entsteht
Gerade wenn Frauen emanzipiert sind, brauchen wir Feminismus
In Deutschland wird wieder über den Feminismus diskutiert. In allen Talkshows und zu besten Sendezeit, wer hätte das gedacht? Auslöser ist allerdings ein eher schlechtes Buch, nämlich das »Eva-Prinzip« der ehemaligen Tagesschau-Moderatorin Eva Herman. Sie plädiert darin »für eine neue Weiblichkeit«. Und sie greift darin den Feminismus an, dem sie vorwirft, die ihrer eigenen Weiblichkeit entfremdet zu haben, und damit Schuld zu sein an den gegenwärtigen Problemen unserer Gesellschaft, der zunehmenden Bindungslosigkeit, den niedrigen Kinderzahlen, dem Stress, dem viele Frauen beim Spagat zwischen Beruf und Familie ausgesetzt sind. Ihr Vorschlag ist: Frauen sollten sich statt für Beruf und Karriere lieber wieder für Kinder und Haushalt entscheiden, denn dies sei ihre natürliche, gottgewollte Bestimmung.
Das Buch ist natürlich gar nicht interessant und die darin entwickelten Thesen ja auch schon uralt. Interessant ist aber, wie darauf reagiert wurde und welche Diskussionen es auslöste. Alle Welt bekennt sich nämlich plötzlich zu Frauenbewegen. Kaum jemand unterstützt ja die Thesen von Eva Herman. Selbst die wohlwollensten Stimmen teilen lediglich Hermans Situationsbeschreibung: Dass die Emanzipation den Frauen nicht nur Positives gebracht habe. Aber ihre Lösungsvorschläge des »Zurück an den Herd« hält niemand wirklich für praktikabel.
Das heißt, die Diskussionen der letzten Wochen haben uns sozusagen eine gute Zustandsbeschreibung der Erfolge der Frauenbewegung beschert. Diese Bilanz sagt: Es ist selbstverständlich und nicht mehr in Frage zu stellen, dass Frauen berufstätig sein können, es ist selbstverständlich und nicht mehr in Frage zu stellen, dass sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung haben, es ist selbstverständlich und nicht mehr in Frage zu stellen, dass sie in der Politik eine gleichberechtigte Rolle spielen sollen. Natürlich ist das alles noch nicht hundertprozentig verwirklicht, aber dass wir das alle im Prinzip wollen, ist Konsens.
Ebenso herrscht Einmütigkeit in Deutschland über die Probleme und Defizite, die noch nicht gelöst sind: Dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht gegeben ist, dass die soziale Unsicherheit das Zusammenleben in Familien, also in Generationen, erschwert, dass es noch strukturelle Faktoren gibt, die die theoretisch gewünschte Teilhabe der Frauen in der Gesellschaft behindern.
Dass die Frauenbewegung eine gute Sache war, so meine Bilanz aus diesen Debatten, ist heute allgemein geteilte Meinung, und das ist natürlich erfreulich. Trotzdem ist mir in diesem Zusammenhang aufgefallen, dass ein ganz entscheidender Punkt dabei nicht oder doch nur selten zur Sprache kommt: die weibliche Freiheit. Mich haben nämlich nicht so sehr die Thesen Hermans nachdenklich gemacht, als vielmehr diejenigen, die sie kritisieren. Eva Hermann sagt, die Frauen sollen die Welt retten, indem sie zurück an Heim und Herd marschieren. Und ihre Gegnerinnen sagen, dass sie das nicht machen sollen, weil nämlich die Wirtschaft sie braucht, weil wir diese wertvolle Ressource toll ausgebildeter Frauen nicht verschwenden dürfen, und so weiter. Das heißt, es wurde letztlich darüber gestritten, wie die Frauen am besten für die Gesellschaft nützlich sein können. So wie ich Feminismus verstehe, müsste es doch aber darum gehen, wie Frauen frei sein können, wie Frauen als handelnde Subjekte, als Individuen sich in diese Gesellschaft einknüpfen.
Aber dazu muss man Frauen erstmal als Individuum sehen, nicht als einheitliche Masse oder soziologische Größe. Aber immer noch ist eben ganz of von »den Frauen« die Rede, die dieses oder jenes wollen oder nicht wollen, erreicht haben oder nicht erreicht haben. Wer soll das aber sein, »die Frauen«?
Zum Beispiel ist in den Diskussionen immer wieder die Frage erörtert worden, ob Frauen und Männer denn nun von Natur aus – also aufgrund der Biologie, der Hirnströme, der Evolution – unterschiedlich sind, oder ob das alles nur eine Folge der Sozialisation und Erziehung ist. Das kommt mir immer so vor wie ein Pendel, das hin und her schwenkt, und im 10-Jahres-Rhythmus ist dann entweder die eine oder die andere Theorie vorherrschend. Derzeit steht das Pendel wieder auf Seite der Biologisten, in den 80er Jahren stand es auf Seiten der Dekonstruktivistinnen.
Die Wahrheit ist, dass wahrscheinlich beides irgendwie eine Rolle spielt, aber – wenn wir uns klarmachen, dass weibliche Freiheit der Kernpunkt ist – eben keine Entscheidende: Denn sicherlich sind wir sowohl von unserer Natur, von unserem Körper, von unserer Geschichte geprägt, ebenso wie von der Sozialisation und der Erziehung. Aber weil wir freie Frauen sind, bestimmt uns weder das eine noch das andere vollkommen. Sondern es gibt immer einen Anteil des freien Handelns, und dieser Anteil ist es, auf den es ankommt und auf den wir unsere Aufmerksamkeit lenken müssen: Frei handeln wir nicht, indem wir uns von unserem Körper, von unserer Geschichte, von unserer Erziehung distanzieren und loslösen, sondern frei handeln wir, in dem wir davon ausgehend etwas Neues anfangen, etwas, wohin unser eigenes, freies Begehren uns führt. »Von sich selbst ausgehen und sich nicht finden lassen« hat die italienische Philosophin Luisa Muraro einen ihrer Aufsätze betitelt, und ich finde, dieses Motto bringt es ganz wunderbar auf den Punkt: Wir gehen von uns selbst aus, ohne unsere Wurzeln zu verleugnen, aber das ausgehen sagt ja gerade, dass wir dabei nicht bleiben, sondern nach Neuem streben, dass wir anderswo hinkommen, und wo dieses Anderswo liegt, das steht noch nicht fest, das lässt sich nicht prognostizieren und nicht berechnen. Wir lassen uns nicht finden, und zwar deshalb nicht, weil wir selbst niemals ganz genau wissen, wo wir sind und wo es uns hinzieht.
So erfreulich diese neuen Debatten über den Feminismus also gelaufen sind, so muss ich doch feststellen, dass uns Feministinnen offensichtlich ein Punkt noch nicht so gut gelungen ist, zu vermitteln. Nämlich der, dass Frauen frei sind, das heißt, sie sind Individuen, sie verkörpern die ganze Pluralität des Menschseins. Und Ziel kann nicht sein, herauszufinden, was »die Frauen« sind oder sein sollen, was »die Frauen« wollen oder nicht wollen, sondern nach Wegen zu suchen, wie ich und du und sie, also jede einzelne Frau, sich in dieser Welt zuhause fühlen und sinnvoll in ihr tätig sein kann.
Weil ich diesen Punkt der weiblichen Freiheit so wichtig finde und weil er in den gegenwärtigen Debatten über den Feminismus und die Frauen und die Zukunft unserer Gesellschaft so wenig im Bewusstsein ist, möchte ich Sie einladen, der Frage etwas genauer nachzugehen, wie weibliche Freiheit, die Freiheit der Frauen, entsteht.
»Wie weibliche Freiheit entsteht«, der Titel meines Vortrags, ist ein Zitat. Es ist der Buchtitel eines schon 1989 auf deutsch erschienenen Buches, in dem die Frauen des Mailänder Frauenbuchladens genau dieser Frage nachgehen. Der Titel wurde bei der Übersetzung aus dem Italienischen geändert, wohl im Blick auf den deutschen Markt. Im Original lautet er nämlich: »Non credere di avere dei diritti«, also: »Glaubt nicht, dass Ihr Rechte habt«.
Das war natürlich eine unglaublich provokante These, damals, in den Achtzigern, noch mehr als heute. War nicht die Hauptaufgabe der Frauenbewegung, für Frauen gleiche Rechte zu erkämpfen? Gerade in den achtziger Jahren, Sie erinnern sich vielleicht, herrschte diesbezüglich eine Aufbruchstimmung in Deutschland. Die ersten Gleichstellungsbeauftragten wurden eingestellt, Frauen als Politikerinnen machten Schlagzeilen, die ersten Bischöfinnen kamen ins Amt. Fast täglich konnte man in der Zeitung neue Meldungen lesen über erste Frauen, die in alle möglichen Männerdomänen vordrangen, und das Recht auf alles Mögliche erkämpften: Nicht nur das Recht, zu wählen, sondern das Recht, nun auch wirklich alles zu machen und zu werden, von der Vorstandschefin bis zur Bundeswehrsoldatin.
Und in dieser Zeit kam aus Italien also die Aufforderung an die Frauenbewegung, diese Errungenschaften, den Zugang zu männlichen Karrieren und Lebensläufen und die gesetzliche Verankerung von Rechten nicht mit weiblicher Freiheit zu verwechseln. Weibliche Freiheit, so die These der Italienerinnen, entsteht nicht aus dem Recht, also nicht aus dem, was die Gesellschaft oder die Politik den Frauen zugesteht, sondern sie gründet auf den Beziehungen unter Frauen. Und zwar nicht auf Beziehungen der Solidarität nach dem Motto »Frauen gemeinsam sind stark«. Sondern auf konkreten Beziehungen zwischen zwei Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit. Dahinter stand die Beobachtung und die Erfahrung, dass wenn Frauen sich in ihren Wünschen, Absichten, Hoffnungen und in ihrem Handeln nicht mehr an den männlich geprägten gesellschaftlichen Normen und Konventionen orientieren, sondern an ihrem eigenen Begehren, am Austausch mit anderen Frauen, die ihnen dabei helfen, dieses Begehren in die Welt zu tragen, sie wirklich frei handeln können in dem Sinne, dass sie nicht nur aus vorgegebenen Alternativen wählen, sondern neue Wege gehen.
Dass die Beziehungen unter Frauen in ihrer Verschiedenheit die Grundlage weiblicher Freiheit sind, war eine Idee, die anfangs in Deutschland sehr skeptisch und kritisch aufgenommen wurde, sich aber nach und nach in den letzten 15 Jahren sehr verbreitet hat. Das Stichwort, unter dem diese Idee in Deutschland zirkuliert, stammt auch aus jenem ersten Buch der Italienerinnen: Affidamento.
Affidamento ist ein italienisches Wort, das sich nur schwer ins Deutsche übersetzen lässt. Das Verb »affidarsi« bedeutet »sich anvertrauen«. Affidamento ist also die spezielle Art und Weise, wie eine Beziehung zwischen Frauen sein muss, damit sie auch wirklich Grundlage weiblicher Freiheit sein kann. Denn natürlich sind nicht alle Beziehungen zwischen Frauen Ausdruck weiblicher Freiheit. Es gibt auch unfreie Beziehungen zwischen Frauen, es gibt auch unter Frauen Macht und Konkurrenz, Unterdrückung und Herrschaft. Es geht also keineswegs nur darum, einfach zu sagen: »Wir müssen Beziehungen unter Frauen stärken«. Sondern es geht darum, zu verstehen, was das freiheitliche Potenzial von Frauenbeziehungen und Frauengruppen ausmacht. Warum also, und wann, sind Beziehungen zwischen Frauen die Grundlage weiblicher Freiheit?
Die These, die hinter dem Wort »affidamento«, sich anvertrauen, steht, lautet: Immer dann, wenn eine Frau sich mit ihrem Begehren der Autorität einer anderen Frau anvertraut. Wenn also das Begehren einer Frau mit Hilfe der Vermittlung einer Anderen, die ein »Mehr« hat und die deshalb mit Autorität spricht, einen Weg in die Welt findet. Denn dann ist eine Frau frei, in der Welt zu handeln.
Dass die Beziehungen zwischen Frauen die Grundlage für weibliche Freiheit sind, war bereits ein Grundgedanke der Frauenbewegung der 70er Jahre. Unerhört war etwa die Praxis der Separation, also dass Frauen sich untereinander – und ohne Männer – über ihre Wünsche, Selbstbilder und Vorstellungen austauschten. Unter dem Stichwort »consciousness raising«, Selbst-bewusstsein entwickeln, fanden sie heraus, dass der Vergleich mit den Männern oder die Abarbeitung an männlichen Bildern nicht förderlich ist.
Damals glaubten viele aber noch, es genüge die Tatsache, dass es Frauen sind (und nicht Männer), mit denen ich zusammen bin. Für diese Idee der Beziehungen unter Frauen sind zahlreiche Bilder und Begriffe entstanden, die bis heute kursieren. »Frauen gemeinsam sind stark«, zum Beispiel. Oder die Rede von Frauensolidarität. Von Fraueninteressen. Oder die Idee von Frauen-Netzwerken und Frauen-Bündnissen.
Diese Sichtweise entpuppte sich aber schon bald als unhaltbar. Es entstand ein Unbehagen an diesem »Wir« der Frauen, denn die Frauen machten bald die Erfahrung, dass es ein solches »Wir« eigentlich gar nicht gibt. Dass die Beziehungen unter Frauen viel mehr von Ungleichheit, als von Gleichheit geprägt sind.
Heute ist das ja weitgehend Konsens. Man spricht von »Diversity« und hat festgestellt, dass Frauen verschiedene soziale Herkünfte und verschiedene Hautfarben haben, dss sie verschiedenen Religionen, Kulturen und Ethnien angehören, die sich alle nicht auf einen einheitlichen Nenner »Wir Frauen« bringen lassen.
Aber das ist noch nicht genug. Sondern es gibt Frauen, die mehr reden als andere. Frauen, die interessantere Dinge sagen, als andere. Es gibt unterschiedliche Meinungen, Wünsche und Absichten von Frauen, die sich weder aus irgendeinem weiblichen Wesen ableiten lassen, und auch nicht von einer bestimmten Kultur oder Sozialisation, sondern mit dieser einen speziellen Fru. Frauen sind nicht einfach nur unterschiedlich, sie unterscheiden sich auch aktiv und bewusst voneinander. Mit anderen Worten, es gibt unter Frauen nicht nur Vielfalt und Unterschiedlichkeit, sondern auch echte Differenzen, also Konflikte.
Lange wurde diese Differenz unter Frauen als Problem gesehen. Frauen, die sich weigerten, ihre persönlichen Wünsche und Absichten der »Bewegung« unterzuordnen, galten rasch als Verräterinnen oder als Egoistinnen. Ihr kennt vielleicht das Bild vom Krabbenkorb: Sobald eine nach oben klettert, wird sie von den anderen wieder hinunter gezogen. Frauen, die nicht die »richtige« feministische Meinung hatten, wurden verdächtigt, nicht solidarisch zu sein oder nicht das richtige Bewusstsein zu haben. Sehr häufig also bedeuteten Beziehungen unter Frauen keineswegs Freiheit, sondern Unfreiheit.
Vielleicht ist deshalb bald oder auch in der Öffentlichkeit der Kampf um gleiche Rechte mit den Männern bzw. die Anerkennung der Frauen seitens der männlich geprägten Institutionen in den Vordergrund geraten. Wenn es um den Vergleich mit Männern geht, dann lassen sich immerhin gewisse Gemeinsamkeiten unter Frauen ausmachen. Aber das ist keine gute Basis für den Feminismus. Sondern auch unabhängig vom Vergleich mit den Männern müssen wir mit unserer Unterschiedlichkeit umgehen.
Die Herausforderung ist also die Frage: Wie lässt sich Frauenbezogenheit und Freiheit zusammen denken? So dass ich feministisch-solidarisch sein kann, aber deshalb nicht auf bestimmte Inhalte festgelegt werde und vom Krabbenkorb immer wieder herunter gezogen?
Die italienischen Philosophinnen waren die ersten, die sich deutlich vom Ideal der Gleichheit – sowohl der Frauen mit den Männern, als auch der Frauen untereinander – distanziert haben. Sie lehnten seit den 80er Jahren zunächst den Emanzipations-Feminismus ab, der sich zum Ziel die Gleichheit von Frauen mit den Männern gesetzt hat, weibliche Freiheit also in Analogie zur männlichen Freiheit verstand und versuchte, sie mit politischen Programmen wie Quotenregelungen und Frauenförderplänen durchzusetzen. Rechte können weibliche Freiheit nicht garantieren, denn sie werden den Frauen nicht gewährt, weil sie Frauen sind, sondern im ja Gegenteil gerade unabhängig davon – nämlich deshalb, weil sie gleich sind mit den Männern. Wenn Frauen nicht gleich sind mit den Männern, dann haben sie auch keine Rechte – Beispiel Musliminnen, die ein Kopftuch tragen.
Die Liebe der Frauen zur Freiheit, ihr Begehren, frei zu sein, das sich in der Frauenbewegung ausdrückt, beinhaltet aber den Gedanken, dass es nicht darum gehen kann, das Frausein als nebensächlich oder unbedeutend anzusehen. Es geht also darum, zu verstehen, was Freiheit ist, die nicht das Frausein verleugnet oder davon absieht. Die Emanzipation, also die Gleichstellung mit dem Mann, war ja etwas Vorhersehbares. Die Emanzipation ist eigentlich eine Erfindung der Männer, die ja zur Zeiten der Aufklärung den Gedanken in die Welt gebracht haben, dass alle Menschen gleich sind. Zwar haben sie damit erstmal nur die Männer gemeint. Aber wenn die Idee von der Gleichheit aller Menschen erstmal in der Welt ist, gehört ja nicht wirklich viel Phantasie dazu, vorherzusehen, dass früher oder später auch die Frauen diese Gleichheit für sich reklamieren würden.
Und das ist also auch passiert. Aber die weibliche Freiheit geht noch viel weiter. Wohin sie führt, das ist nicht vorhersehbar. Denn wir selbst sind es, die die neuen Wege erst noch erfinden müssen. Angetrieben werden wir dabei von dem Begehren, mit Wohlbehagen in dieser Welt leben zu wollen und aktiv in ihr zu handeln.
Dass die weibliche Freiheit in eine Zukunft führt, die noch nicht feststeht und die wir auch nicht vorhersagen können, ist natürlich eine gewisse Unsicherheit, die Angst machen kann. Für mich hat diese Vorstellung aber auch etwas sehr Befreiendes. Denn wenn wir vom Gedanken der weiblichen Freiheit ausgehen, dann können wir ganz gelassen mit der gegenwärtigen Krise der Emanzipation umgehen, wenn ich das mal so nennen will.
Es ist ja nicht nur Eva Herman, die die Errungenschaften der Emanzipation in Frage stellt. Auch die Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke hat letztes Jahr ein viel beachtetes Buch geschrieben mit dem Titel »Die Emanzipationsfalle« und darin die These aufgestellt, die Emanzipation habe die Frauen »erfolgreich, einsam, kinderlos« gemacht. Viele Frauen finden solche Thesen spannend, weil sie sich mit ihren Nöten und Problemen darin wieder finden. Einfach nur das Kinderwickeln sein zu lassen und stattdessen Managerin zu werden, ist ja wirklich keine Lösung. Es ist keine Lösung für die Frauen, die so ein Projekt entweder in Superstress bringt oder dazu, auf ein Privatleben ganz zu verzichten. Und es ist keine Lösung für die Gesellschaft, denn wir brauchen tatsächlich Menschen, die Beziehungsarbeit machen, die sich um Kinder und um Alte kümmern. Lange Zeit hat man gedacht, das ginge einfach, indem wir mehr Kinderkrippen bauen oder gender-mainstreaming-Gesetze erlassen. Heute zeigt sich, dass das nicht so ohne weiteres geht. Das Problem ist viel komplexer. Es geht nämlich nicht nur um ein paar Schönheitsoperationen hier und da, sondern darum, dass wir die grundlegenden Prinzipien der Erwerbsarbeitsgesellschaft in Frage stellen müssen.
Wenn solche Themen wie die Zukunft der Gesellschaft heute diskutiert wird, dann ärgert es mich immer maßlos, wenn die Freiheit der Frauen und das Wohl der Gesellschaft hier einander gegenübergestellt werden, so als wäre das eine Gefahr für das andere: Haben Frauen mit ihrem Freiheitsdrang nicht dafür gesorgt, dass alles den Bach runtergeht? Wenn wir auch hier wieder die Perspektive der weiblichen Freiheit einnehmen, die von sich selbst ausgeht, aber sich nicht finden lässt, dann können wir diese Gegenüberstellungen hinter uns lassen: Denn die Freiheit der Frauen ist nicht egoistisch. An sich selbst denken und an andere denken ist kein Widerspruch, es bedingt sich gegenseitig. Wir haben es hier nicht mit einer Wippe zu tun, die so funktioniert, dass wenn die eine Seite oben steht, die andere zwangsläufig auf den Boden sinkt. Sondern es ist vielmehr so, dass die Freiheit der Frauen genau der Weg ist, der uns zu Lösungen führen kann, die für die gesamte Gesellschaft gut sind.
Und zwar deshalb, weil Frauen, die frei handeln, Neues erfinden. Weil sie zum Beispiel nicht einfach dasselbe machen wie Männer, wenn sie in deren Bereiche vordringen. Weil das Ziel ihres Handelns ja gerade nicht die Gleichstellung ist, sondern ein gutes Leben für alle Menschen auf dieser Welt.
Ich möchte nun noch einmal darauf zurückkommen, wie das funktioniert und warum die Beziehungen unter Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit dafür der Schlüssel ist.
Weibliche Freiheit bedeutet gerade auch die Freiheit, sich aktiv von anderen Frauen zu unterscheiden. Etwas anderes zu tun, als die Mehrheit der Frauen für richtig hält. Wenn Frauen frei sind, dann haben sie keine gemeinsamen Interessen und Meinungen, allein weil sie Frauen sind. Und dennoch mutieren sie dabei nicht zu Neutren, zu geschlechtslosen Wesen. Sie sind Frauen, und das hat eine Bedeutung. Nur dass diese Bedeutung nun eben frei ist – sie ist nicht von ihrer Natur, ihren Genen, ihrem vermeintlich weiblichen Wesen abhängig, das irgendwie festgelegt ist, sondern was es bedeutet, eine Frau zu sein, wird jederzeit neu verhandelt und kann sich deshalb auch verändern.
Das heißt aber auch: Frauen sind nicht automatisch qua Geschlecht miteinander verbunden und stehen zueinander in Beziehung; sie müssen diese Beziehungen untereinander aktiv eingehen. Und zwar nicht Beziehungen allgemein, sondern konkret, die jeweilige Frau, die eine Beziehung hat zu einer konkreten anderen Frau.
Die Freiheit einer Frau orientiert sich an der Differenz zwischen dem Begehren der einen und dem Mehr, dem Anderssein, der anderen Frau, zu der ich eine persönliche Beziehung habe. Und dieser Frau gebe ich Autorität, wenn ich mich mit meinem Wünschen und Wollen an sie wende. Weibliche Autorität ist also dann da, wenn es eine Antwort auf ein Begehren einer Frau gibt, wenn eine Vermittlung gelingt zwischen diesem Begehren und der Welt, so wie sie vorgefunden wird. Das kann ein Rat sein, ein Beispiel, konkrete Hilfe. Es lässt sich nicht verallgemeinern. Autorität lässt sich nicht herstellen, einklagen, einfordern. Sie ist da oder sie ist nicht da. Ob zum Beispiel das, was ich hier heute sage, für euch Autorität hat oder nicht, ob es bei der einen oder anderen ein Begehren anspricht, eine Antwort bietet auf irgend etwas, das habe ich nicht in der Hand.
Autorität kann auch in Gruppen da sein, »zirkulieren«. In Gespräche können Worte von Autorität fallen, die aber immer nur von derjenigen als solche wahrgenommen werden, die ein entsprechendes Begehren hat. Autorität ist immer von der Situation, vom Kontext abhängig, sie muss immer wieder neu in einer Beziehung begründet werden, sie kann sich nicht in Rangabzeichen oder Titeln festschreiben.
Das ist auch der große Unterschied zwischen Autorität und Macht. Macht ist abhängig von der Mehrheit. Sie gerinnt in Positionen und Status, sie muss nicht ständig neu ausgehandelt werden. Macht kann man einklagen, sich auf sie berufen. Autorität hingegen braucht keine Mehrheiten. Sie braucht nur die Beziehung zwischen zwei Frauen. Deshalb macht Autorität auch von der Macht unabhängig – ich kann zum Beispiel einer Frau Autorität zusprechen, die von der Mehrheit überhaupt nicht anerkannt ist, die aber Antworten auf mein Begehren hat, die mir hilft, mit meinen Wünschen und Absichten in der Welt zu handeln. Und so kann Autorität die Macht aushebeln – weil sie neue Maßstäbe und Urteile ermöglicht.
Auf diese Weise können aus den Beziehungen unter Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit neue Ideen und Wege entstehen. Wenn ich für mein Begehren eine Autorität gibt, dann muss ich die Realität nicht leugnen, ich muss nicht mehr mit dem Kopf gegen die Wand rennen, sondern ich bin handlungsfähig, auch in schwierigen Umständen. Und wenn ich handeln kann, dann bin ich frei. Und andersrum ist aber auch jede Autorität abhängig von dem Begehren auf der anderen Seite: Eine Frau kann noch so klug und weise sein, wenn ihr gegenüber nicht eine Frau ist, deren Begehren sie mit ihrer Klugheit und Weisheit einen Weg in die Welt zeigen kann, dann hat sie keine Autorität.
Meine Freiheit, die Freiheit einer Frau, hängt also nicht von Rechten oder Möglichkeiten ab, die mir gegeben werden, sondern davon, ob ich einen Weg finde, meinem Begehren zu folgen. Freiheit ist, dem eigenen Begehren auf der Spur zu bleiben.
Dass Freiheit etwas ist, das aus einer Beziehung, aus einer Abhängigkeit also in gewisser Weise entsteht, ist zunächst einmal ein ungewöhnlicher Gedanke. Denn üblicherweise hat ja die westliche Philosophie nicht Beziehungen zur Grundlage von Freiheit gemacht hat, sondern Autonomie, also »Selbst-Gesetzgebung«, die Loslösung des Subjekts von den Beschränkungen durch Beziehungen. Die anderen und die eigene Bezogenheit wurde nicht als Grundlage von Freiheit gesehen, sondern als deren Grenze: Meine Freiheit, so wurde gesagt, endet da, wo sie die Freiheit der anderen einschränkt.
Insofern ist die weibliche Entdeckung der Freiheit in Bezogenheit eine Endeckung, die das ganze westliche Weltbild umkrempelt, sie ist nicht nur auf die Frauen beschränkt, sondern sie ist ein Angebot auch für Männer. »Sich in Beziehung setzen« heißt zum Beispiel auch ein Buch, das Ina Prätorius herausgegeben hat, in dem Autorinnen aus verschiedenen Fachgebieten, von der Politologie bis zur Ökonomie, von der Theologie bis zur Biologie zeigen, wie eine solche »Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« die Denkmuster dieser Fächer verändert.
Die Anderen/das Andere/die Differenz ist also nicht die Grenze meiner Freiheit, sondern ihre Basis. Nur weil es Andere/das Andere gibt, kann ich mich verändern, muss ich nicht bleiben, was und wie ich bin, kann diese Differenz zwischen dem, was ich bin und dem, was ich sein will, überwinden.
Dies schließt übrigens den Streit mit ein. Das Andere der anderen, das, was sie von mir unterscheidet, ist nicht nur einfach Diversity, also die Unterschiedlichkeit von Hautfarben, Kulturen, Religionen. Unterschiede also, für die wir nichts können, sondern zu denen wir gesellschaftlich geprägt sind. Sondern es sind die Unterschiede, die wir selbst machen, die andere Meinung, die ich nicht teile, die neue Idee, von der ich noch nichts gehört habe, und die mir suspekt vorkommt, das komische Outfit, von dem ich nicht weiß, was ich davon halten soll.
Weibliche Autorität, hat Andrea Günter es einmal auf den Punkt gebracht, ist gerade dann da, wenn ich mit einer Frau nicht einverstanden bin und dem, was sie tut und sagt aber dennoch Bedeutung beimesse. Diese Konflikte, diesen Streit, diese Differenzen müssen wir aushalten, wir müssen sie konstruktiv gestalten, und wir können uns dabei nicht an der männlichen Kultur orientieren, die ja bekanntlich sehr destruktive Weisen hat, mit Differenzen umzugehen – entweder es gibt Krieg und der Stärkere setzt sich durch, oder es wird ein Gericht oder der liebe Gott oder sonst irgend eine höhere Instanz angerufen, die entscheidet, wer recht hat. Aber weder der Krieg, noch das Gericht, noch Gott sind unsere Instanz, sondern die Beziehungen, die wir miteinander haben, trotz und wegen unserer Differenzen.
Hannah Arendt hat einmal gesagt, es steht einer Frau nicht, wenn sie Befehle erteilt. Das fanden viele Feministinnen sehr unemanzipiert von ihr. Aber aus der Perspektive weiblicher Freiheit ist das nicht ein Zurückdrängen der Frauen auf traditionelle Weiblichkeit. Sondern es ist ein Urteil weiblicher Autorität, zum Beispiel für mich, die ich ein großes Unbehagen spüre angesichts all der befehlenden und funktionierenden Karrierefrauen, die wir inzwischen haben. Nein, es steht einer Frau nicht, wenn sie Befehle erteilt, und es steht ihr auch nicht, wenn sie Gefangene foltert. Nicht, weil das gegen die weibliche Natur verstößt. Das tut es ja ganz offensichtlich nicht, wie wir inzwischen wissen. Frauen können natürlich ganz genauso gut befehlen, wie Männer. Aber ich bin mit dem Verhalten dieser Frauen nicht einverstanden.
Weibliche Autorität kann nur da sein, wo eine Frau einer anderen Frau widerspricht. Nicht da, wo wir uns nur gegenseitig bestätigen. Und genau so können wir heute also Konflikte und Differenzen unter Frauen austragen: Indem wir nicht länger über angebliche Natürlichkeiten diskutieren, sondern darüber, was wir wollen und was wir gut finden. Das ist kein Relativismus, es ist nicht alles, was eine Frau sagt gut. Aber der Maßstab, anhand dessen wir das beurteilen, liegt nicht außerhalb von uns. Sondern wir selbst müssen ihn setzen.
Es geht um Relativität, also Beziehungsdenken, nicht um Relativismus, hat Luisa Muraro einmal gesagt. (zum vollständigen Text) Das heißt, wenn ich einen Streit mit einer anderen austrage, dann ist nicht interessant, ob ich beweisen kann, das ich recht habe (das wäre nur vor Gericht so), sondern darum, ob es mir gelingt, ihr meinen eigenen Standpunkt zu vermitteln. Kein Schiedsrichter kann mir das abnehmen. Ich muss Vermittlungen suchen. »In der Praxis heißt das«, schreibt Luisa Muraro, »Übersetzungen zu suchen zwischen dem, was ich in erster Person lebe, weiß, fühle in etwas, dass der/die andere verstehen kann, weil es dem, was er oder sie weiß, fühlt, lebt ähnlich ist oder darauf eine Antwort bietet, indem ich zugehört habe, als er/sie versucht hat, mir die Bedeutung seiner/ihrer Erfahrungen zu erklären.« Das heißt, überzeugen kann ich nur, wenn ich mich öffne dem, was die andere zu sagen hat. Und diese Öffnung bedeutet immer auch das Risiko, dass am Ende ich selber diejenige bin, die ihre Meinung geändert hat – und wenn das so wäre, dann wäre ich ja ein Stück weiter gekommen. Ohne die Bereitschaft, sich selbst und die eigene Position aufs Spiel zu setzen, wie einen Wetteinsatz, gibt es keine echte Vermittlung und keine echte Beziehung.
Und das Ganze ist nicht nur eine private Praxis von Frauen untereinander, sondern hat eine politische Dimension. Denn Frauen können und dürfen heute alles. Sie können Bundeskanzlerin sein wie Angela Merkel, sie können Gefangene foltern und erniedrigen, wie die amerikanische Soldatin Lynndie England, sie können dumme Bücher schreiben wie Eva Herman, sie können jede Menge Kinder kriegen oder eben auch gar keins, sie können 60 Stunden arbeiten, weil sie Topmanagerin sein wollen, oder sie können sich mit Teilzeit begnügen, um Zeit für ihre Familie oder auch für soziales Engagement zu haben, sie können weiterhin die Hausarbeit für alle machen oder sich dauernd mit ihrem Mann darüber streiten oder auch das Haus vergammeln lassen. Und egal was sie machen, es ist auf jeden Fall weiblich. Es ist das freie Handeln freier Frauen. Aber genau deshalb, weil das so ist, weil Frauen heute emanzipiert sind und Zugang zu allen gesellschaftlichen Positionen haben, weil die Tatsache, dass sie Frauen sind, sie auf nichts mehr festlegt, genau deshalb brauchen wir heute Feminismus dringender als je.
Wir brauchen nämlich Orte, wo wir uns über diese unterschiedlichen Lebensmodelle austauschen, darüber streiten, was richtig ist, und was wir uns für die Zukunft wünschen, für unsere eigene Zukunft ebenso wie für die Zukunft der ganzen Gesellschaft. Nicht mit dem Ziel, dass »die Frauen« am Ende alle dasselbe machen. Sondern in dem Bewusstsein, dass nur diese Differenzen, diese Unterschiede, diese Ungleichheit es uns ermöglicht, Affidamento-Beziehungen zu haben, in denen weibliche Autorität anwesend ist und das Begehren der Frauen einen Weg in die Welt findet. Aus den jetzt bestehenden Unterschieden ergeben sich auf diese Weise Annäherungen – die eine überzeugt die andere – aber auch gleichzeitig wieder neue Differenzen – die ein kommt auf eine neue Idee, die den anderen nicht unmittelbar gefällt. Das Ziel der Beziehungen und des Austauschs und der Konflikte zwischen Menschen in ihrer Pluralität ist es also nicht, die eine richtige, perfekte, gute Welt zu finden. Sondern es entstehen immer neue Unterschiede und Differenzen, ein ständiger Fluss der Gedanken, der Kontroversen, der Übereinstimmungen. Motor für all das ist das Begehren, das uns antreibt und motiviert, zu experimentieren und das uns dann begegnet, wenn wir in einer anderen Frau ein Mehr sehen, das uns herausfordert, das uns anregt, eingefahrene Gewissheiten zu überdenken, an der wir uns reiben und an der wir wachsen können.
Nur auf diese Weise wird es uns gelingen, Neues zu erfinden, Ideen und Lösungen, wie wir unsere Gesellschaft gestalten können. Und gute Ideen hat diese Welt zur Zeit ja dringend nötig.
- Vortrag am 6.10.2006 in Michelstadt/Odw. zur Ausstellung »Küssen und Kämpfen« - und am 10.11.2006 im FrauenLesbenzentrum Kassel - und am 24.4.2007 im Kirchenkreis Unna - veröffentlicht in: Krampfader, FrauenLesbenzeitschrift, Nr. 1/2007