Eine neue symbolische Ordnung – weibliche Autorität und die Freiheit der Frauen
Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert – mit diesem Satz beginnt die Flugschrift, »Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn«, die im Sommer 1999 erschienen ist, und mit der wir vier Autorinnen versucht haben, einen Verständigungstext zu schreiben, von dem wir uns erhoffen, dass er neue Diskussionen darüber anregen kann, was Feminismus heute bedeutet, welche Aufgaben die Frauenbewegung hat, welche Position wir einnehmen können, wenn wir uns als Frau in der Welt bewegen möchten.
Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert – was heißt das? Das heißt zunächst einmal, festzustellen, wie viel sich in den letzten dreißig Jahren verändert hat. Die Frauen meiner Generation, und noch viel mehr jüngere Frauen, sind in einer ganz anderen Welt groß geworden, als noch meine Mutter. Für mich war es keine Frage mehr, dass ich einen Beruf ergreifen kann, der mir gefällt, dass ich mich entscheiden kann, ob ich heiraten möchte oder nicht, ob ich Kinder haben möchte, oder nicht. Meine Mutter hat vor kurzem einmal ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben, und als ich die gelesen habe, ist mir noch einmal klar geworden, wie viel Mut sie hätte aufbringen müssen, wenn sie nicht den vorgeschriebenen Bahnen hätte folgen wollen, die in ihrer Jugend für den Lebensweg einer Frau vorgesehen waren.
Erika Wisselinck, eine beeindruckende Frau und eine wichtige deutsche Feministin, die kürzlich gestorben ist, die ich aber vor zwei Jahren noch kennen lernen durfte, hat dafür eine eigene Zeitrechnung erfunden: Sie sprach immer von »vor dem Feminismus« und »nach dem Feminismus«. Italienische Philosophinnen sprechen vom »Ende des Patriarchats«, und meinen damit etwas ähnliches. Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert.
Die Frauen meiner Generation sind nicht mehr so sehr mit ihrer Frauenrolle beschäftigt, wie die Frauen eine Generation vorher, die entweder ihre typisch weibliche Laufbahn einschlagen mussten – wie meine Mutter das zum Beispiel gemacht hat – oder aber ihre ganze Energie und Kraft darauf verwenden mussten, sich aus dieser Rolle zu befreien, sie zu verweigern, wie das Feministinnen wie Erika Wisselinck getan haben. Es gibt für uns keine vorgeschriebenen Bahnen mehr. Wir können machen, was wir wollen. Die Frauen haben längst auf den Chefsesseln der Macht Platz genommen, sie sind oberste Richterinnen, Parteivorsitzende, Top-Journalistinnen und mehr.
Aber trotzdem ist irgend etwas nicht in Ordnung. Da ist immer noch das Gefühl, dass die Welt irgendwie schief ist, irgend etwas, das ich nicht verstehe. Irgendwas, das mir sagt, du gehörst nicht richtig dazu, das ist nicht deine Welt. Vielleicht kennt ihr das Gefühl – da sitzt du in einer Vorlesung oder liest ein Buch, oder du bist in Verhandlungen mit einem Kunden, oder du schaust dir das Fernsehprogramm an . und da ist es, das Gefühl, dass das mit mir irgendwie nichts zu tun hat. Ich fühle mich fremd, so als ob ich Zuschauerin in einem Theaterstück bin, bei dem ich nicht selber mitspiele.
Dieses Gefühl der Fremdheit in der Welt ist heute schwerwiegender als früher, weil eine plausible Erklärung dafür fehlt, warum das so ist: Frauen werden rechtlich nicht mehr benachteiligt und auch die krassen Alltagsdiskriminierungen nach dem Motto – hol mir mal ein Bier! – kommen uns vor wie Geschichten aus einer anderen Welt.
Die Diskriminierung ist weg – aber das Gefühl der Fremdheit ist geblieben. Wie kann das sein? Meine Antwort: Es liegt daran, dass Frauen zwar der Ordnung des Patriarchats die Glaubwürdigkeit entzogen haben, dass es aber noch keine Alternative zu geben scheint. Es gibt noch keine neue Ordnung, sondern erst einmal nur Unordnung. Ohne Ordnung kann man sich aber nicht heimisch fühlen. Heimisch fühle ich mich, wenn ich die Spielregeln kenne, wenn ich weiß, wie die Dinge zusammen hängen. Im Patriarchat wußten wir, wie die Spielregeln gehen, aber an einem gewissen Punkt haben wir uns geweigert, danach zu spielen. Und jetzt? Jetzt scheint es gar keine Spielregeln zu geben.
In der Logik des Patriarchats hat eine Frau zwei Möglichkeiten, sich zu entscheiden: Sie kann sich den weiblichen Rollenzuweisungen anpassen, oder sie kann so sein, wie ein Mann. Beides lehnen wir heute ab. Nur – was ist die Alternative? Wie soll ich sein, wenn ich eine Frau bin? Diese Frage ist noch nicht beantwortet. Das ist der Grund, warum Frauen sich nicht heimisch fühlen können in dieser Welt. Und mangels einer Ordnung, die ihnen Orientierung gibt, bleiben viele Frauen weiterhin in der Logik des Patriarchats, indem sie dauernd gegen seine Spielregeln protestieren bzw. ihr Gefühl der Fremdheit darauf zurück führen, dass das Patriarchat eben doch noch nicht zu Ende sei.
Ein Beispiel, das ich kürzlich im Spiegel las: Antje Hermenau, Bundestagsabgeordnete der Grünen, war Mitglied einer Delegation von Bundespräsident Johannes Rau nach Indonesien und musste sich, Zitat, »ihre Teilnahme am offiziellen Programm erkämpfen. Statt zum »Herrenessen«, wie zwei mitreisende Parlamentarier von SPD und CDU, wollte das Präsidentenbüro die Dresdner Abgeordnete zum »Damenessen« mit der Ehefrau des Emirs verabreden. Das wiederum ließ sich die streitbare Volksvertreterin nicht gefallen. »Ich erwarte, dass ich gleich behandelt werde«, ließ sie das Präsidentenbüro wissen«. (Aus Spiegel 8/2001, S. 232.)
Dies ist also das Dilemma, vor dem wir stehen, wenn es keine weibliche symbolische Ordnung gibt. Vor der Frage: Gehen wir zum »Damenessen«, oder zum Herrenessen? Arbeiten wir halbtags, widmen viel Zeit unseren Kindern, engagieren uns ehrenamtlich – dann verpassen wir die sogenannten offiziellen Männerangelegenheiten wie Karriere und politischen Einfluss und scheinen uns in die vorgeschriebene Frauenrolle einzupassen. Gehen wir zum Männeressen, dann verpassen wir womöglich ein interessantes Gesprächs mit der Ehefrau des Emirs, was ich persönlich mir viel interessanter vorstelle, als das Männergespräch der Herren Politiker. Wie auch immer: Wenn wir uns in der Männerwelt behaupten wollen, müssen wir häufig unsere eigenen Ideale verraten, sehen die Kinder viel zu selten, müssen ständig um Geld verhandeln, statt einfach zuzupacken, wo Not ist. Und indem wir das tun, tragen wir gleichzeitig auch noch zur symbolischen Abwertung des Weiblichen mit bei – so wie Antje Hermenau, die durch ihren Protest zwangsläufig auch bestätigt hat, dass das Damenessen weniger wert ist als das Herrenessen.
Vor solchen Entscheidungen stehen Frauen heute dauernd. Wie können wir Maßstäbe und Kriterien finden, die uns aus dieser symbolischen Unordnung herausbringen? So dass wir unserem eigenen Begehren folgen und uns nicht in die falschen Alternativen verstricken, die uns angeboten werden, in die Alternative zwischen »So sein wie die Männer« und »alten Weiblichkeitsbildern unterworfen sein?«
Ich fragte mich beim Lesen dieses Artikels: Hat Antje Hermenau sich überhaupt Gedanken gemacht, zu welchem Essen sie selbst eigentlich gehen will? Ich vermute nicht. Denn wahrscheinlich ging es ihr ähnlich, wie mir früher immer: Ich protestierte aus Prinzip, sobald ich irgend einen Frauenkram machen sollte (oder nur diesen Verdacht hatte). Damit sind wir aber nicht frei. Wie können wir uns, wie kann sich eine Frau aber sinnvoll entscheiden? Woher nimmt sie Orientierung und Maßstäbe?
Manchmal gibt es Lichtblicke. So wie letzten Mittwoch, bei den Tagesthemen. Eine Frau, Petra Lidschreiber, sprach da den Kommentar, es ging um den Streit um Trittin und die Frage, ob er wegen seines Skinhead-Vergleichs zurücktreten soll, und sie kommentierte: Das seien alles Flegeleien pubertierender Jungs, von beiden Seiten, und wer stolz ist auf sein Land, der posaunt das nicht lauthals hinaus, sondern packt lieber mit an und sorgt dafür, dass es schön ist, hier zu leben. So wie Frauen das eben tun, Hausfrauen. Und obwohl ich mit ihr nicht unbedingt einer Meinung war (ich finde nämlich Trittins Skinhead-Vergleich keineswegs flegelhaft, sondern berechtigt), so habe ich mich doch plötzlich heimisch gefühlt, mitten in dieser Tagesthemen-Sendung – und Nachrichtensendungen sind normalerweise für mich Orte mit ausgesprochen hohen Fremdheitsgefühlen. Was war passiert? Hier war weibliche Autorität anwesend. Hier war eine symbolische Ordnung anwesend, die die unordentlichen Maßstäbe der herkömmlichen Tagespolitik durchbrach. Das hier waren Maßstäbe, die ich, eine Frau, gut kannte, die mir schließlich meine Mutter von klein auf beizubringen versuchte: Ärmel hochkrempeln, mit anpacken, aufräumen, das Haus – oder das Land – ordentlich herrichten. Damit ihr mich nicht falsch versteht: Ich hasse aufräumen und Ärmel hochkrempeln. Aber das sind Begriffe und Maßstäbe aus einer Welt, die ich kenne, die mir vertraut sind. Ich fühlte mich in diesem Kommentar zu hause, und das hatte nichts mit einer inhaltlichen Übereinstimmung zu tun. Sondern damit, dass hier eine Frau mit Autorität sprach.
Über weibliche Autorität systematisch nachgedacht haben als erste die italienischen Philosophinnen um den Mailänder Frauenbuchladen und an der Universität von Verona, und auf ihre Überlegungen stütze ich mich zu einem großen Teil. Ich möchte euch daher kurz schildern, wie es dazu kam, dass die Italienerinnen anfingen, über Autorität nachdenken. Es geschah nämlich aus einer konkreten Entwicklung in ihrer Gruppe heraus, und man kann das Konzept besser verstehen, wenn man diese konkrete Situation vor Augen hat. Sie ist auch in unserem grünen DIOTIMA-Buch teilweise dokumentiert.
Die Gruppe DIOTIMA entstand 1983 als Diskussionsgruppe von etwa 12 Frauen mit Interesse für weibliche philosophische Forschung. Es war die Zeit, in der die Frauenbewegung Begriffe gefunden hat wie: Frauenfreundschaft, die Zeit des Separatismus, Frauen trafen sich untereinander, bemühten sich, andere Frauen zum Vorbild zu nehmen, übten sich in Solidarität. Sie dachten, wenn wir uns nur unter Frauen bewegen, dann finden wir vielleicht eine solche, weibliche Ordnung.
DIOTIMA war damals, am Anfang, ähnlich strukturiert: Eine Gruppe nur für Frauen, mit Luisa Muraro als Autorität, sie wurde von den anderen bewundert und geschätzt, denn sie brachte die meisten Impulse ein, sie schrieb die besten Texte usw. Die Theorie war damals, etwas vereinfacht gesagt, dass DIOTIMA auf der Basis funktioniert, dass es viele Frauen mit gemeinsamen Interessen gibt, die sich orientieren an einer Autorität, die ihnen zeigt, wo es lang geht.
Es zeigte sich aber, dass dieses Modell nicht funktionierte. Es funktionierte in der Anfangszeit, solange die Zustimmung zur Autorität Luisa Muraros spontan von allen anerkannt wurde. Die Anerkennung ihrer Autorität war unhinterfragt, und so fühlten sich auch die anderen Frauen autorisiert, zu sprechen und so anderen Frauen wiederum Räume zu eröffnen. In dieser Anfangszeit machte Luisa Muraros Autorität die Gruppe produktiv. Doch nach einigen Jahren änderte sich das. Einige empfanden diese Autorität als Behinderung für ihre eigene Produktivität. Es gab also bald einige Frauen, die zwar die Autorität Muraros für die DIOTIMA-Gruppe anerkannten, aber nicht als bindend für sich selbst. Sie erkannten, verkürzt gesagt, Muraro nicht mehr als ihren Guru an, und da sie dies aber für den Zusammenhalt der Gruppe fundamental betrachteten, distanzierten sie sich. Einige Frauen gingen ihre eigenen Wege und orientierten sich nicht mehr an dem Maßstab, der in der Gruppe galt. Daraus entstand bei den Verbliebenen wiederum Unbehagen: Wie können sie das nur tun, wie können sie zum Beispiel Ergebnisse der Gruppendiskussionen unter eigenem Namen veröffentlichen oder wie können sie Gruppeninternes öffentlich machen usw. Spontan kam man auf die Idee, diese Probleme durch das Aufstellen gemeinsamer Regeln zu lösen, aber es war schnell klar, dass das kein Weg ist: Denn die, die gegangen waren, würden sich an die Regeln nicht halten, und die die blieben, brauchten sie nicht.
Beim Nachdenken darüber, warum sie keine gemeinsamen Regeln wollen, zeichnete sich ein Ausweg ab: Giannina Longobardi beschreibt ihn so: »Ich will keine Vereinbarungen von allen mit allen, weil ich mich nicht allen DIOTIMA-Frauen verpflichtet fühle, sondern nur einigen«. Das heißt, DIOTIMA fand heraus, dass der Ansatzpunkt für weibliche Autorität nicht ein dubioses kollektives »Wir« der Frauen ist, sondern etwas, das auf einer Beziehung zwischen zwei konkreten Frauen beruht. Orientierung finde ich nicht durch ein solidarisches Frauen-Wir, sondern indem ich mich an eine oder einige bestimmte andere Frauen binde.
Luisa Muraro formulierte damals ihre Situation so: »Ich bin hier zwar mehr oder weniger befreundet mit allen Frauen, aber es stimmt nicht, dass ich an alle gebunden bin. Gebunden bin ich nur an Chiara, denn wenn ich hier handeln will, muss ich sie unbedingt berücksichtigen. Seit meine persönliche Autorität in eine Krise geraten ist, macht nur die Offensichtlichkeit dieser Bindung an Chiara mich zu einer vertrauenswürdigen Person für euch. Dadurch bekomme ich nicht meine alte Autorität zurück, aber es entsteht eine neue aus der Tatsache, dass ich gezwungen bin, auf Chiara zu achten, und dass ich dies akzeptiere und offen zeige. Dieses Wissen über mein Angewiesensein auf weibliche Vermittlung schafft symbolische Ordnung im Sinne einer symbolischen Ordnung der Mutter: ohne Regeln aufzustellen, kraft einer vermittelnden Beziehung zwischen meinem Begehren und der Realität«.
Damit ist auch umschrieben, worum es geht: Um die Vermittlung zwischen dem Begehren einer Frau und der Realität, der gegebenen Welt, die sie um sich herum vorfindet. Es geht nicht um mehr Macht und Einfluss für Frauen, nicht um den Kampf gegen das Patriarchat, nicht um Protest gegen Diskriminierung usw. – beziehungsweise um all das mag es auch gehen, und es ist auch wichtig, dass wir uns da engagieren, aber es ist nicht das Wesentliche. Es geht darum, dass wir als Frauen einen Ort in der Welt finden, so dass wir uns heimisch fühlen und die Probleme anpacken können, nach unseren eigenen Vorstellungen. Dass wir nicht hin- und hergerissen sind zwischen unserem Enthusiasmus, unseren Hoffnungen und Wünschen auf der einen Seite, und der Unmöglichkeit, sie umzusetzen, auf der anderen. Dass wir eine finden, die für unsere Wünsche ein offenes Ohr hat, die uns versteht, die uns hilft, sie umzusetzen und Wege dafür aufzeigt, auch wenn sie dabei unseren Idealismus vielleicht mal etwas dämpfen muss. Weibliche Autorität hat eine Aufgabe: Sie vermittelt zwischen unserem Begehren und der Realität.
Die Gruppe DIOTIMA erfand dafür den Begriff des »vincolo duale«, das Band zwischen zwei Frauen, das Autorität stabilisiert. Autorität entsteht aus der Bindung an eine bestimmte andere Frau. Für DIOTIMA hieß das, die Existenz der Gruppe hing nun nicht mehr von einer kollektiven Übereinstimmung ab und mit dieser Erkenntnis allein waren schon viele Probleme gelöst. Gianna Longobardi schreibt: »Die duale Bindung schafft mehr Leichtigkeit, sie macht die beweglicher, erfindungsreicher und verantwortlicher, denn wenn du dich auf eine Frau beziehst, wirst du von der Bürde befreit, die Zustimmung aller anderen erhalten zu müssen.« – »die dualen Beziehungen werden enger in bestimmten Situationen, in einem bestimmten Kontext: Sie haben etwas Teilhaftes, existieren nur eine Zeitlang und sind an ein Vorhaben gebunden. Diese Bindungen müssen an jedem Ort, an dem gehandelt wird, aktiviert werden, da sie dort die Vermittlung und damit den Maßstab schaffen.«
Das heißt auch: Autorität ist nicht nur auf eine bestimmte Person bezogen, sondern auch auf einen bestimmten Kontext, auf einen bestimmten Inhalt. Dies ist übrigens ein wichtiger Unterschied zwischen Macht und Autorität. Autorität »hat« man nicht als Person, sondern sie wird immer wieder ausgehandelt. Deshalb kann man sie auch nicht einfordern oder sich auf sie berufen, sondern man kann nur feststellen, dass Autorität da ist oder nicht. Sie kann sozusagen nicht in Titeln oder sonstigen äußerlichen Zeichen festgefroren werden. Man könnte auch sagen, Autorität ist keine Sache, kein Objekt, sondern eine Beziehungsqualität, also eher ein Adjektiv als ein Hauptwort. Um auf das Beispiel von DIOTIMA zurückzukommen: Luisa Muraro hatte ihre Autorität nicht, weil sie besonders klug und kreativ war, sondern weil Chiara – die ihrerseits wieder von vielen anderen in der Gruppe geschätzt wurde – Luisas Autorität anerkannte. Und diese Abhängigkeit von Chiara mußte Luisa offen zeigen und sich entsprechend verhalten, um ihre Autorität zu behalten. Luisa musste anerkennen, dass nur in ihrer Beziehung zu Chiara ihre Autorität eine Basis hatte – so war Luisa die Autorität für Chiara, und Chiara die Autorität für die anderen und konnte so vermitteln, zwischen Luisas Wunsch, die Frauen von der Richtigkeit ihrer Theorie zu überzeugen, und der Realität, die nämlich so aussah, dass die Frauen Luisas Philosophie etwas überdrüssig geworden waren.
Wichtig ist zu verstehen, dass es hier um etwas ganz Grundsätzliches geht, nicht um eine einfache gegenseitige Anerkennung von Frauen, sondern geradezu um Gehorsam, sich selbst aufgeben, das eigene Schicksal in die Hand einer anderen legen – ihr merkt, ich stottere ein bisschen rum, denn das ist schwierig auszudrücken. Mir kommt es darauf an, zu zeigen, dass weibliche Autorität etwas sehr Existenzielles ist, aber es fehlen mir noch die Worte, dies angemessen auszudrücken.
Gerade in Deutschland, wo wir in den sechziger Jahren eine antiautoritäre Bewegung erlebt haben, ist Autorität kein beliebtes Wort. Denn: Ist das Ideal nicht, dass man tun kann, was man will? Bedeutet Freiheit nicht, dass man sich von niemandem etwas vorschreiben lässt? Ist es nicht Unabhängigkeit, die wir anstreben, Freiheit und Autonomie, die nur begrenzt sind durch die Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie der anderen? Nicht ohne Grund hat in Deutschland der Denkansatz der Italienerinnen nicht als eine Theorie von der Autorität Furore gemacht, sondern wird unter dem Stichwort »Affidamento« gehandelt, obwohl dieser Begriff in den Texten von DIOTIMA keine große Rolle spielt. Offenbar möchte man das Wort Autorität lieber vermeiden, daher nimmt man ein italienisches Wort, das niemand übersetzen kann und das auch nicht so vorbelastet ist, und das außerdem den Vorteil hat, dass man alles Mögliche hineinprojizieren kann.
Das Verb »affidare« heißt auf deutsch »anvertrauen«. Was mache ich, wenn ich jemandem anderen etwas anvertraue? Etwa meine Tochter für den Nachmittag oder meine Blumen, während ich in Urlaub fahre? Ich gebe selbst die Kontrolle über diese Dinge ab, ich übertrage der anderen Person für eine begrenzte Situation die Verantwortung für diese Angelegenheit. Und diese Person ist willens und fähig, diese Verantwortung zu übernehmen. Im Anvertrauen liegt eine große Verbindlichkeit von beiden Seiten.
Autorität hat in der Tat etwas mit Anvertrauen zu tun, mit affidamento also, nur dass es nicht um irgend etwas Drittes geht, sondern um mich selbst. Ich vertraue mich, meine Person, einer anderen an. Affidarsi, sich anvertrauen, heißt nicht, wie im Deutschen, ich erzähle einer anderen mal ein bißchen von meinen Wehwehchen und Problemchen, ich vertraue ihr meine Geheimnisse, Sehnsüchte, Liebeskummer und so weiter an – nein, affidarsi heißt, ich gebe mich in ihre Hände, wenigstens in einem bestimmten Zeitraum, in einem bestimmten Kontext. Ich bin es, die dabei auf dem Spiel steht, wenn es um Autorität geht, und entsprechend groß ist das Vertrauen, und die Verantwortung, die für eine solche Beziehung notwendig sind.
Ich möchte euch ein Beispiel erzählen. Voriges Jahr stand eine meiner WG-Mitbewohnerinnen vor einer schwierigen beruflichen Entscheidung, sie überlegte nämlich, zu kündigen und woanders anzufangen. Im Vorfeld dieser Entscheidung fragte sie alle möglichen Menschen um Rat, unter anderem auch mich. Ich setzte mich mit dem Problem auseinander, brachte Kriterien und Maßstäbe an, und gab ihr dann einen Rat. Bald aber stellte ich fest, dass sie diesen Rat gar nicht suchte. Sie sprach nämlich wirklich mit Hinz und Kunz über dieses Problem, zum Beispiel mit Leuten, die zufällig in unsere Wohnung kamen und die sie überhaupt nicht kannte, zu denen sie also gar keine Beziehung hatte. Sie sammelte unterschiedlos Meinungen von allen möglichen Leuten und setzte sich mit keiner wirklich auseinander. Sie war nicht in der Lage oder nicht bereit, eine Autoritätsbeziehung aufzubauen. Sie suchte nur Spiegelung und Bestätigung.
Das kann man natürlich machen und vielleicht ist ein solches Vorgehen manchmal auch sinnvoll, aber es ist dann eben keine Autorität im Spiel. Meine Reaktion darauf ist, dass ich als Ratgeberin auf diese Weise nicht gerne missbraucht werde und mir, wenn ich in eine solche Situation komme, auch keine große Mühe mehr gebe, weil mir die Zeit dafür zu schade ist. Die Gegenseite dieser Geschichte sind natürlich Menschen, die sich weigern, einen Rat zu geben. Man fragt sie, und sie sagen auch ihre Meinung, aber mit der Anmerkung: Das ist nur meine Meinung, was du letztlich machst, musst du selbst entscheiden. Das bedeutet im Klartext: Ich bin nicht willens, Verantwortung für meinen Rat und für unsere Beziehung zu übernehmen, sondern ich will mit den Folgen meines Rates nichts zu tun haben, ich bin nicht bereit, Autorität auszuüben. Wie eine Mutter, die sagen würde, Kind, es ist so warm draußen, zieh lieber nicht die dicke Winterjacke an. Aber es ist natürlich deine Entscheidung, wenn du nachher eine Grippe hast, brauchst du dich bei mir nicht zu beschweren.
Ein anderes Beispiel, wo Autorität gerade nicht vorhanden ist, obwohl so getan wird, als würde man sie suchen, ist der wahre Boom von Büchern über große Frauen in der Geschichte, Frauen in den Naturwissenschaften, Frauen in der Politik, Frauen in der Bibel, die Suche nach weiblichen Gottheiten, all das, die in den letzten Jahrzehnten geschrieben wurden. Meistens sind das Bücher über Frauen, die als erste ihres Geschlecht eine klassische Männerposition erreicht haben. Wichtig war den Autorinnen meist, zu zeigen, dass die Frauen auch damals schon, als das Frauen noch verboten war oder schwer gemacht wurde, dasselbe getan haben, wie Männer. Dass sie stark waren, ehrgeizig, unabhängig, berühmt usw. Das heißt aber: Diese Beschäftigung blieb für unser eigenes Leben meist folgenlos. Was uns freute, war lediglich, dass auch damals schon Frauen Sachen machten, die wir heute machen. Die Suche nach den so genannten großen Frauen in der Geschichte geriet über weite Strecken zur Selbstbestätigung der Frauen heute. Wir nahmen ihre Ideen und Vorstellungen nicht als Herausforderung für uns selbst, sondern lediglich als Spiegel, in dem wir uns sonnen konnten. Es war keine Bereitschaft zum Konflikt vorhanden, und das ist eine wesentliche Voraussetzung für weibliche Autorität.
Wenn ich eine Autoritätsbeziehung aufbauen möchte (und das geht auch mit Frauen in der Geschichte, zu denen man über ihre Schriften in Beziehung treten kann), darf ich mich nicht auf die Suche nach Frauen machen, die dieselbe Meinung haben, wie ich. Nicht auf die Suche nach Frauen, die ich Klasse finde, und der ich an den Lippen hänge. Nicht eine, zu der ich eine Seelenverwandtschaft fühle oder die mich bestätigt und fördert und mir sagt, wie toll ich doch bin und dass ich ruhig Mut haben soll, mich selbst zu verwirklichen. Ich muss eine suchen, über die ich mich ärgere, die mich herausfordert, dazu bringt, meine eigenen Meinungen über den Haufen zu schmeißen, die mich in Frage stellt oder vielleicht auch mich gar nicht weiter beachtet. Die mir, wenn ich mich als Künstlerin verwirklichen will, aber nur mittelmäßige Tontöpfe zustande kriege, sagt, dass ich auf dem Holzweg bin. Die mir, wenn ich mich beschwere, dass ihre Bücher so kompliziert zu lesen sind, sagt, weibliche Philosophie eigne sich eben nicht als Gutenachtlektüre. Die mir knallhart sagt, wenn ich nicht auf sie höre, dann kann sie mir auch nicht helfen. Die eine Meinung hat, oder, ganz einfach gesagt, die sich von mir unterscheidet.
Oder, wie Andrea Günter in ihrem neuen Buch schreibt: »Ob es volle weibliche Autorität gibt, wird erst in Konfliktsituationen offenkundig. Autorität gibt es dann, wenn wir mit einer Person hadern und wir dennoch nicht darum herumkommen, sie für das anzuerkennen, was sie tut oder für uns ist und zu sein vermag. Es gibt Autorität dann, wenn wir dem, was eine Person tun will, nicht zustimmen, und dennoch anerkennen, dass sie genau dies tut bzw. unser Verständnis der freien weiblichen Existenz in Frage stellt und somit für uns den menschlichen Horizont weiblicher Freiheit eingrenzt bzw. neu umreißt.«
Damit hat Andrea auch angesprochen, worum es bei weiblicher Autorität geht – um weibliche Freiheit nämlich. Eine Frau hat für mich Autorität, wenn sie mir eine Vermittlung bietet zwischen mir und der Welt, die über das hinaus geht, was ich sowieso schon wusste oder aus eigenem Vermögen schon gemacht habe. Autorität bestätigt mich nicht, sondern fordert mich heraus. Sie eröffnet mir neue Räume und Horizonte, zu denen ich alleine nicht vorstoßen kann. Autorität lässt uns die Welt gestalten und führt dazu, dass eine weibliche symbolische Ordnung entsteht, die uns einen Orientierungsrahmen gibt. Weibliche Autorität lässt mich über mich selbst hinauswachsen, öffnet mir ein Schlupfloch, das mich über die Grenzen der Welt, so wie ich sie bisher kannte, hinausführt.
Das ist im übrigen die eigentliche Bedeutung von »Differenzfeminismus«. Nicht um die Differenz zwischen Männern und Frauen geht es hier, sondern um die Differenz unter Frauen. Die Verschiedenheit der Frauen ist der Hebel, den wir nutzen können, um eine weibliche symbolische Ordnung zu schaffen, die uns herausführt aus der Notwendigkeit, uns an der männlichen, patriarchalen Ordnung zu orientieren, die uns neue Handlungsmöglichkeiten schafft und damit unsere Freiheit ermöglicht. Unsere Freiheit liegt nicht in der Unabhängigkeit von den Männern, sondern in der freiwilligen Abhängigkeit von einer anderen Frau, von weiblicher Autorität, wobei wir bereit sein müssen, uns dem Konflikt mit ihr zu stellen.
Das heißt nicht, dass ich der Meinung oder den Forderungen einer Frau, der ich Autorität zuspreche, kritiklos zustimmen soll. Es bedeutet aber, dass ich ihr eine Bedeutung zuspreche. Diana Sartori hat einmal vorgeschlagen, dem kategorischen Imperativ von Kant – handle stets so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit eine allgemeingültige Maxime sein könnte – einen mütterlichen Imperativ entgegenzusetzen: Handle stets so, wie du handeln würdest, wenn ich (deine Mutter) dabei wäre. Das heißt, das Wichtige an weiblicher Autorität ist, dass man die Werte und Meinungen der anderen Frau berücksichtigt und mit in die eigenen Überlegungen einbezieht, nicht, dass man sich danach richtet. Deshalb steht weibliche Autorität auch meiner Freiheit nicht entgegen, sondern sie ermöglicht sie geradezu.
Ein Beispiel aus meiner Erfahrung: Für mich ist im Bezug auf philosophisches Denken Luisa Muraro eine Autorität, oder auch Andrea Günter und ein paar andere. Das heißt nicht, dass ich mit ihren Thesen an jedem Punkt einverstanden bin, bei manchen Fragen bin ich sogar dezidiert anderer Auffassung. Wenn ich nun aber einen Aufsatz schreibe, dann schreibe ich ihn – um mit Diana Sartori zu sprechen – so, als würden ihn Luisa und Andrea lesen. Diese Frage habe ich im Hinterkopf. Und wenn ich ihnen darin widerspreche, dann nach reiflicher Überlegung und einer Auseinandersetzung mit ihren Einwänden. Diese freiwillig eingegangene Autoritätsbeziehung, was mein philosophisches Denken angeht, macht mich gleichzeitig frei: Ich überlege mir nämlich nicht mehr, wie ich mich bei meinen Thesen gegen Einwände von Marx oder Hegel oder den wissenschaftlichen Kapazitäten verteidigen könnte. Sie haben für mich diese Autorität eingebüßt, sie sind mir kein Maßstab mehr, aber ich konnte mich davon nur befreien, indem ich einen anderen Maßstab, eine andere Abhängigkeit sozusagen, dagegen eintauschte. Diese freiwillige Abhängigkeit erlaubt es mir auch, hier vor euch zu sprechen – auch auf den Beifall des Publikums bin ich nicht mehr angewiesen. Weibliche Autorität macht mich frei von den Zwängen der Mehrheitsmeinung um mich herum. Ich allein könnte das nicht, und wäre ich auch noch so klug, stark und unabhängig.
Die Autorität einer Frau anzuerkennen ist übrigens auch etwas anderes als Wertschätzung. Wertschätzung kann ich auch gegenüber einer Frau haben, deren Autorität ich nicht anerkenne. Zum Beispiel bringe ich den älteren Frauen Wertschätzung entgegen, die in den siebziger Jahren den Feminismus vorangetrieben haben, aber sie haben für mich keine Autorität. Ich erkenne zum Beispiel die Leistung von Alice Schwarzer, ihren Willen zur Freiheit, und die Erfolge die sie und andere Frauen ihrer Generation errungen haben, an, aber sie hat für mich keine Autorität, weil sie mir keine Vermittlung bietet, zwischen meinem Begehren und der Realität. Da, wo Autorität vorhanden ist, ist dieses Wort viel zu schwach. Das wäre so ähnlich, wie wenn ich jemanden Wert schätze, der mir gerade das Leben rettet.
Vielleicht meint ihr, das hört sich jetzt etwas pathetisch an, aber es geht wirklich um etwas ganz Existenzielles. Es geht darum, ob ich als Frau, so wie ich bin, mit meinem Begehren einen Platz in der Welt finde. Mir das zu ermöglichen, ist fast dasselbe, wie Leben retten. Es ist nur weniger dramatisch, weil es weibliche Autorität nicht in einem entscheidenden, dramatischen Moment gefragt ist, sondern immerzu, und weil sie ja auch meistens da ist. Wir müssen sie nur wahrnehmen. Sie ist es, die Sinn stiftet. Mein ganzes Leben hat sich geändert, seit ich mich bewusst weiblicher Autorität anvertraue, obwohl sich äußerlich eigentlich gar nichts verändert hat: Ich mache dieselben Dinge wie vorher, wenigstens weitgehend, ich habe mit denselben Frauen und Männern zu tun. Die Veränderung hat auf der Sinnebene stattgefunden, es hat sich mir einen Sinnhorizont eröffnet, ohne den ich mir die Welt heute gar nicht mehr vorstellen kann. Aber dieser Sinnhorizont war auch vorher schon da, nur weil ich ihn nicht kannte, ihn mir nicht bewusst gemacht hatte, konnte ich die Freiheit, die damit für mich verbunden ist, nicht genießen und nutzen.
Das Problem ist nämlich, dass wir weibliche Autorität häufig nicht erkennen, weil in der männlichen Philosophiegeschichte, die vorläufig auch unsere ist, nichts davon vorkam. Weil unsere Kultur eher dazu tendierte, die mütterliche Autorität abzuwerten, sie verantwortlich zu machen für alle Probleme, die Menschen auf dieser Welt haben, von der Psychoanalyse angefangen. Ich weiß nicht, ob eine von euch den Film »The Wall« von Pink Floyd kennt. Da ist dieser kultivierte Mutterhass auf die Spitze getrieben.
Ich kenne weibliche Autorität nicht erst, seitdem ich die Italienerinnen gelesen habe, sondern sie war schon immer da. Weibliche Autorität ist nichts, was wir erst heute neu erfinden müssen, machen müssen, einfordern müssen, sondern sie war das erste, was wir vorfanden, als wir das Licht der Welt erblicken. Unsere Mutter, die Hebamme, die Krankenschwester, die– vermutlich – als allererstes unser Geschlecht verkündete: »Es ist ein Mädchen« (heute liegt dieser Moment etwas früher, aber als ich zur Welt kam, war das schon so). Unsere Mutter, die, wie unfähig, schwach, hausbacken, bösartig sie auch gewesen sein mag, uns das Leben schenkte. Die dafür gesorgt hat, dass wir nicht verhungert und erfroren sind. Die uns gesagt hat, was wir anfassen dürfen und was nicht. Die uns gesagt hat, wie warm wir uns bei welchem Wetter anziehen dürfen. Die uns sprechen beigebracht hat. Die uns gezeigt hat, wie man Zähne putzt. Mit der wir von klein auf im Konflikt lagen darüber, was es heißt, eine Frau zu sein. Einfach weil sie anders war, als wir, und doch eine unseres Geschlechts. Wir alle sind nur hier, weil mütterliche, weibliche Autorität von Anbeginn zwischen uns und der Welt vermittelt hat. Das gilt auch für die, deren leibliche Mutter vielleicht dies alles nicht gemacht hat, sondern eine andere oder sogar auch ein anderer an ihrer statt. An ihrer statt, das heißt eben auch: wie eine Mutter.
Übrigens: Die Geschichte zwischen mir und meiner Mutter zu rekapitulieren ist eine gute Übung, zu verstehen, was Autorität ist, und was Macht. Und zu verstehen, warum Autorität etwas mit Beziehung zu tun hat und ihre Anerkennung immer freiwillig ist. Ich kann mich genau an Situationen erinnern, wo meine Mutter schlichtweg ihre Macht ausgespielt hat, die sie aufgrund ihrer Position über mich hatte. Hausarrest erteilen, Ohrfeigen, Strafarbeiten, Fernsehverbot. Die üblichen Mitteln elterlicher Machtausübung. Und das hat dazu geführt, dass ich immer bockiger wurde und garantiert nicht auf das gehört habe, was mir meine Mutter beibringen wollte. Auch die Autoritätsbeziehung zwischen Tochter und Mutter beruht auf freiwilliger Anerkennung. Wenn diese nicht da ist, muss die Mutter zu Machtmitteln greifen, und die meisten tun das auch. Diese Machtposition meiner Mutter mir gegenüber war zwar real, sie war aber nicht alles, und sie war vor allem nicht das Wesentliche unserer Beziehung. Meistens hatte sie ihre Macht nämlich nicht nötig, weil ich ihre Autorität im Prinzip anerkannte. Die Machtbeziehung ist nicht der Normalfall in der Beziehung zwischen Tochter und Mutter. Daraus schließe ich übrigens: Sie ist auch nicht der Normalfall zwischen Menschen überhaupt, und von hier ausgehend könnte ein langer Exkurs über Politik und ihre theoretischen Grundlagen folgen…
Von klein auf kannte ich also Frauen, die für mich Autorität hatten: Meine Mutter, einige Lehrerinnen, ältere Freundinnen. Auch Männer waren natürlich Autoritäten für mich, auch sie vermittelten zwischen meinem Begehren und der Realität, aber mit einem wichtigen Unterschied: Sie taten das nur, wenn ich ihnen nicht als Frau, sondern gewissermaßen als Neutrum gegenüber trat. Sie vermittelten zwischen meinem Begehren als »Antje Schrupp« und der Realität, nicht zwischen meinem Begehren als »Antje Schrupp, die eine Frau ist«, und der Realität. Das ist ein entscheidender Unterschied. Nur weibliche Autorität ermöglicht es, dass ich als Frau meine persönliche Differenz in die Welt einbringe.
Womit wir wieder am Anfang meines Vortrags wären: Nur eine weibliche symbolische Ordnung, die auf Autorität gründet, kann bewirken, dass ich, eine Frau, mich in dieser Welt nicht fremd, sondern heimisch fühle. Dass ich dies als meine Welt empfinde, in der ich mich frei bewege und die ich gestalte. Weibliche Autorität bringt uns aus dem oben angesprochenen Dilemma heraus, entweder eine inhaltliche Rollenzuweisung anzunehmen und dann eine Frau sein zu können, oder sozusagen ein sexuelles Neutrum darzustellen, ein Pseudo-Mann zu sein. Weibliche Autorität konfrontiert uns mit unserem Geschlecht: Ich bin eine Frau, sie ist eine Frau – und deshalb hat sie es nicht nötig, inhaltlich festzuschreiben, was das denn sein soll, eine Frau. »Ich bin eine Frau«. Das genügt. Aber es ist unabdingbar.
Ich möchte noch ein paar Worte über das Menschenbild sagen, das eine weibliche symbolische Ordnung, eine symbolische Ordnung der Mutter, voraussetzt. Denn weibliche Autorität ist etwas, das nicht nur die Frauen brauchen, sondern es ist ein Geschenk der Frauen an die Welt. Sie bietet eine Lösung für Probleme, die die patriarchale Ordnung und erst recht die nachpatriarchale Unordnung geschaffen oder zumindest ungelöst gelassen haben.
Die westliche Denktradition der Männer (und faktisch waren es ja nun einmal Männer, diese ganzen Philosophen, die ich an der Uni studieren musste), gehen ja von einem Menschenbild aus, wonach er von Natur aus frei und autonom ist, und die ideale Welt ist demnach eine, wo all diese Einzelnen sich aus eigenem Antrieb und ohne Zwang organisieren, wobei sie sozusagen von Null ausgehen. Aber si ist der Mensch nicht. Das Bild, das die mütterliche Autorität dem des autonomen Männermenschen entgegensetzt, ist das des neugeborenen Kindes, das wir alle einmal waren: Wir alle werden von einer Frau zur Welt gebracht, das heißt, wir plumpsen nicht von irgendwoher als Einzelne hier auf diese Erde, stellen plötzlich fest, dass es auch noch andere Leute gibt und müssen uns dann mühsam Regeln erfinden, zum Beispiel Gesetze und Verträge, damit wir uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. In Wirklichkeit kommen wir anders zur Welt: Wir brauchen – und haben – von Anfang an eine Vermittlung zwischen uns und der Welt, zwischen uns und den anderen Menschen.
In der männlichen Denktradition werden die Begriffe Gewalt, Macht und Autorität häufig gleichgesetzt. In der Tat haben sie etwas Gemeinsames: Alles drei sind Umstände, die bewirken, dass Menschen Dinge tun, die sie aus eigenem Antrieb und nach ihrem eigenen Willen erst einmal nicht tun würden. Aber Gewalt, Macht und Autorität bewirken dies auf unterschiedliche Weise. Darauf hat vor allem Hannah Arendt hingewiesen: Wird Gewalt ausgeübt, so besteht ein Zwang, etwa durch ein Terrorregime, sie wird von wenigen, zum Beispiel mit Waffen, gegen die Mehrheit durchgesetzt, oder von den Stärkeren durch körperliche Überlegenheit gegen Schwächere. Wer durch Gewalt gezwungen wird, etwas tun, handelt gegen den eigenen Willen und ist sich dessen auch bewußt.
Im Unterschied zur Gewalt braucht Macht die Zustimmung der Mehrheit, Hannah Arendt verweist hier etwa auf den Nationalsozialismus, der nur funktionierte, weil er von breiten Bevölkerungsteilen getragen wurde, aber auch in Demokratien herrscht Macht, weil Minderheiten hier den Gesetzen der Mehrheit unterworfen werden. Auch in kleineren Gruppen wie Initiativen oder Vereinen gibt es Macht – Gruppendruck und soziale Ausgrenzung etwa sind Phänomene der Macht, weil sie auf die Zustimmung der Mehrheit bauen. Wer durch Macht gezwungen wird, etwas zu tun, handelt nicht unbedingt gegen seinen Willen – zum Beispiel gibt es gute Gründe, sich einer demokratischen Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen, auch wenn man persönlich anderer Meinung ist. Es ist gewissermaßen so, dass Machtverhältnisse dafür sorgen, dass die eigenen, individuellen Interessen und Vorlieben gegenüber den Interessen und Vorlieben der Allgemeinheit hintangestellt werde, wobei dies mit oder ohne meine Einwilligung geschehen kann.
Autorität hingegen ist ein Verhältnis zwischen bestimmten, konkreten Menschen, von denen eine der anderen Kenntnisse oder Fähigkeiten voraus hat und deshalb von dieser als Autorität anerkannt wird. Autorität ist also – anders als Macht – nicht abhängig von der Meinung einer Mehrheit, ich kann zum Beispiel jemandem Autorität zusprechen, die von allen anderen für blöde gehalten wird. Anders als Macht ist Autorität immer freiwillig – ich kann dieser Person jederzeit die Autorität entziehen. Ohne meine Einwilligung ist kann niemand mir gegenüber Autorität haben.
Deshalb gilt: Autorität ist eine starke, vielleicht die einzige Möglichkeit, dem Missbrauch von Macht entgegenzutreten. Denn Autorität – nicht Autonomie oder Unabhängigkeit – macht mich frei, von den Zwängen der Mehrheit. Sie vermittelt zwischen meinem, individuellen, persönlichen Begehren und der Welt, so wie sie ist. Die freiwillige Bindung an weibliche Autorität ist der Ausgangspunkt unserer Freiheit. Und irgendwie haben Frauen das auch immer schon gewusst. Die Liebe der Frauen zur Freiheit hat die Welt verändert – es war nicht der Lauf der Dinge, die Logik des Marktes, die Idee der Gleichheit. Nein, es waren die Frauen selbst, die schon immer daran gearbeitet haben, eine weibliche symbolische Ordnung zu schaffen.
Vortrag am 24.März 2001 in der Volkshochschule Wetzlar