Wie weibliche Freiheit entsteht…
Vorwort zur Neuauflage von: »Libreria delle donne di Milano«: Wie weibliche Freiheit entsteht
Dass für einen Text aus der Frauenbewegung auch noch nach 13 Jahren eine so kontinuierliche Nachfrage besteht, dass er nun zum sechsten Mal aufgelegt wird – über 10.000 Exemplare wurden bereits verkauft – ist eine Ausnahme. Ein Grund dafür ist sicher, dass eine der Hauptthesen, die die Autorinnen in diesem Buch entwickeln, nämlich die Ablehnung einer »Politik der Forderungen«, die Feminismus als einen Kampf um gleiche Rechte, Quoten und Frauenförderpläne versteht, erst in den letzten Jahren so richtig aktuell geworden ist. Anders als noch vor zehn Jahren sind die Grenzen und Fallen der Gleichstellungspolitik inzwischen offensichtlicher geworden. In Zeiten öffentlichen Sparens werden Gelder für Frauenprojekte gekürzt, Frauenbeauftragte verausgaben sich im Gewirr von Paragrafen und Bürokratien. In einer solchen Situation wird deutlich, dass die Frauenbewegung sich hier in eine neue materielle und symbolische Abhängigkeit begeben hat, von »Vater Staat« nämlich. Immer mehr Frauen ahnen, dass die Basis für weibliche Freiheit anderswo zu suchen ist. Hierauf gibt dieses Buch eine Antwort: Es sind die Beziehungen unter Frauen, auf denen weibliche Freiheit gründet.
Ein Buch, das 13 Jahre nach dem ersten Erscheinen wieder aufgelegt wird, ist aber ein anderes Buch, auch wenn sich am Text nichts verändert hat. Das gilt erst recht für »Wie weibliche Freiheit entsteht«, ein Buch das, wie der Untertitel betont, »eine neue politische Praxis« beschreibt. Inzwischen ist die Praxis der »Italienerinnen«, wie die Frauen um den Mailänder Frauenbuchladen und die Philosophinnengruppe DIOTIMA an der Universität von Verona hier zu Lande meist genannt werden, nicht mehr neu. Sie hatte 13 Jahre Zeit, bekämpft zu werden, gelobt zu werden, Anlass für Polemik zu bieten, Nachahmerinnen zu finden, mit anderen Worten: Sich auszubreiten und Früchte zu tragen. Viele neue Texte wurden in den letzten Jahren dazu geschrieben, sowohl in Italien, als auch in Deutschland. Die Thesen, die mit »Wie weibliche Freiheit entsteht« 1988 erstmals dem deutschen Publikum zugänglich gemacht wurden, sind weiter diskutiert und fortgeführt worden, neue Erkenntnisse und neue Fragen kamen hinzu. »Wie weibliche Freiheit entsteht« ist heute fast schon ein historisches Dokument.
Dargestellt wird ein Stück Geschichte der italienischen Frauenbewegung von Mitte der sechziger bis Ende der achtziger Jahre. Es sind Erfahrungsberichte und Analysen von Feministinnen, die ihre Wurzeln in den Selbsterfahrungsgruppen der frühen Siebziger hatten, was eine zeitlang – auch in Deutschland – eine nützliche und befreiende frauenpolitische Praxis war, die jedoch an einem gewissen Punkt an ihre Grenzen kam: Sie tendierte nämlich dazu, die Unterschiede zwischen Frauen zu ignorieren, sie auf eine Opferrolle festzuschreiben und eine Art sozialer Kontrolle zu etablieren, die jede Frau, die sich anders verhielt oder anderer Meinung war, dem Verdacht aussetzte, unsolidarisch zu sein. Dieses Buch schildert das Ringen darum, der Ungleichheit der Frauen nicht nur Raum in der frauenpolitischen Praxis zu geben, sondern sie zum Ausgangspunkt einer neuen Philosophie zu machen. Es ist die Geburt eines weiblichen Denkens, das konsequent auf vorgefertigte Interpretationsschemata verzichtet und stattdessen das »von-sich-selbst-Ausgehen«, die eigene, individuelle Erfahrung, zur Grundlage von Welterkenntnis macht. Und zwar gerade nicht in Form einer psychologisierenden Nabelschau, sondern indem diese weiblichen Erfahrungen zur Diskussion gestellt und dem Urteil anderer Frauen ausgesetzt werden. Das führte folgerichtig zur Notwendigkeit, sich mit dem Phänomen der Macht (das eben auch in Frauengruppen auftritt) auseinandersetzen zu müssen. Hieraus entwickelten die Italienerinnen eine eigene, der Realität angemessene neue Sichtweise der Beziehungen unter Frauen: Die Anerkennung weiblicher Autorität nämlich, die einen Ausweg bietet aus der Zwickmühle, entweder den Kampf um die Macht aufzunehmen, oder jede Überlegenheit und Ungleichheit kategorisch abzulehnen und zu bekämpfen.
Ganz unbestreitbar ist die Geschichte dieses neuen Denkens eine Erfolgsgeschichte. Begriffe wie »Affidamento«, »Von-sich-selbst-Ausgehen«, »symbolische Ordnung« oder »weibliche Autorität« kursieren inzwischen ganz selbstverständlich auf frauenpolitischen Bildungsveranstaltungen. Weitere kamen hinzu, die ebenfalls ihre Wurzeln in Italien haben, vor allem die Freude über das »Ende des Patriarchats«, von dem die Mailänderinnen 1995 in ihrem roten »Sottosopra« schreiben, das schon kurz darauf in deutscher Übersetzung vorlag. Deutsche Philosophinnen wie Andrea Günter haben den Denkansatz der Italienerinnen aufgegriffen, weitergedacht und durch Vorträge und Veröffentlichungen bekannt gemacht. Auch der Fortgang der Diskussion in Italien wurde inzwischen durch Übersetzungen von Texten der Philosophinnengruppe DIOTIMA und Artikeln aus »Via Dogana«, der Zeitung des Mailänder Frauenbuchladens, für die deutsche Diskussion verfügbar gemacht. Andere Initiativen wie etwa die 1999 erschienene Flugschrift »Liebe zur Freiheit, Hunger nach Sinn«, die in frauenbewegten Zusammenhängen als Verständigungstext zu den Themen Wirtschaft, Politik und Ethik dient, verdanken formal wie inhaltlich viel den Anregungen aus Italien.
Dass der Versuch, das Denken der Italienerinnen der deutschen Frauenbewegung zugänglich zu machen, eine Erfolgsgeschichte werden würde, war zunächst keineswegs sicher, ja nicht einmal wahrscheinlich. In Deutschland waren die Diskussionen um die in »Wie weibliche Freiheit entsteht« vorgestellten Thesen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre vor allem von Polemiken begleitet. Dass eine Theorie, die voraussagt, die Freiheit der Frauen lasse sich nicht über Gesetzesänderungen und bürokratische Vorgänge verwirklichen (der italienische Originaltitel lautet übersetzt: »Glaube nicht, Rechte zu haben«) in Deutschland schwer zu vermitteln war, ist eigentlich wenig verwunderlich. Schließlich hat hier die politische Tradition in viel stärkerem Maß als in Italien auf den Gerechtigkeit schaffenden Rechtsstaat gesetzt. Doch es fand sich noch ein anderes Reizthema in dem Text: Von »sexueller Differenz« zu sprechen und diesem Faktum auch noch etwas Positives abzugewinnen, stand Ende der achtziger Jahre bei vielen Feministinnen unter striktem Biologismus-Verdacht. Plausibler erschienen Theorien, die zu zeigen versuchten, dass die Geschlechtsidentität ausschließlich kulturell konstruiert sei, und zwar mit dem Ziel, dies zu »dekonstruieren«, die Frauen also geradezu von ihrer Weiblichkeit zu »befreien«. Der Versuch, der weiblichen Differenz einen Sinn von Freiheit zu geben, einer Freiheit, die ihren Grund und ihre Stärke in der Beziehung zu anderen Frauen hat und nicht in der Abgrenzung oder Angleichung an Männer, das war damals ein so ungewohnter Gedanke, dass Missverständnisse wohl unvermeidlich waren. Und so geriet das Denken der Mailänderinnen zunächst in den Sog des unfruchtbaren Streits zwischen »Gleichheitsfeministinnen« und »Differenzfeministinnen«. In den letzten Jahren hat sich dieser Streit jedoch entschärft. Es ist deutlich geworden, dass das Nachdenken über sexuelle Differenz keineswegs bedeutet, Frauen auf überkommene Rollenklischees oder angeblich natürliche Eigenschaften festzunageln, sondern dass dahinter die Aufforderung steht, das Faktum, eine Frau zu sein, zu akzeptieren und durch die Beziehung zu anderen Frauen mit Leben und Bedeutung zu füllen. Ein Angebot, das für Frauen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, Berufen, Interessenslagen und politischen Gruppen attraktiv ist.
Dieser Erfolg verdankt sich in erster Linie der Stärke dieser Philosophie, die, wenn man bereit ist, sich mit den Texten wirklich auseinander zu setzen, sich gegen platte Interpretationen sperrt. Hier werden Gedanken in die Welt gesetzt, die eine Antwort auf die Erfahrungen und Herausforderungen geben, mit denen Frauen konfrontiert sind, das heißt, sie können sich in dem Text wiederfinden. Der Erfolg verdankt sich aber auch den zahlreichen Frauen, die in Frauenzentren oder Bildungseinrichtungen arbeiten und dort seit Jahren kontinuierlich Räume und Gelegenheiten eröffnen, damit diese Gedanken auch Raum greifen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. So ist inzwischen ein Netzwerk von Frauen entstanden, die sich die von den Mailänderinnen in diesem Buch vorgeschlagene »neue politische Praxis« zu eigen gemacht haben, an den Thesen weiterarbeiten und sie an den Orten, an denen sie jeweils tätig sind, ausüben und sichtbar machen. Zu diesem informellen Netzwerk gehören Frauen, die inhaltlich an ganz unterschiedlichen Orten stehen: Kirchen, autonome Frauenzentren, politische Gruppen, Hausfrauenverbände. So hat es sich auch in der Praxis bestätigt, dass die Zukunft einer frauenbewegten Politik gerade nicht darin liegt, ein gemeinsames »Wir« der Frauen zu schaffen, das sich – ähnlich wie eine politische Partei – auf bestimmte gemeinsame Inhalte verständigt. Es geht vielmehr darum, sich in den Rahmen einer neuen »symbolischen Ordnung« zu stellen, die gerade den Konflikt, die Auseinandersetzung, ja auch den Streit ermöglicht. Darüber, was es bedeutet, eine Frau zu sein, vor allem aber, wie wir in dieser Welt handeln wollen und sollen.
Dafür gibt es keine einfachen Rezepte. Die Texte der Italienerinnen lassen sich nicht einfach konsumieren, sondern sie führen dazu, dass Frauen ihre eigene Praxis, ihr Leben und ihr Handeln, hinterfragen müssen. Das macht sie gleichzeitig so schwierig, aber auch sehr lebensnah – und damit attraktiv für alle, die von Philosophie erwarten, dass sie nicht nur ein theoretisches Konstrukt ist, sondern eine Antwort auf Fragen gibt, die Menschen tatsächlich haben und auf Erfahrungen, die im realen Leben gemacht werden. Die Philosophie der sexuellen Differenz hat ihre Wurzeln in der politischen Praxis der Frauenbewegung – ihre Entstehungsgeschichte erzählt dieses Buch. Wer sich darauf einlässt, wird merken, dass es möglich und notwendig ist, einen neuen Blick auf die Realität zu wagen, ohne sich dabei auf bereits vorhandene Theorien oder gar Ideologien zu stützen, einfach indem frau vom eigenen Begehren ausgeht und für die eigenen Erfahrungen in der Beziehung mit anderen Frauen nach angemessenen Worten sucht. So entsteht eine neue, eine weibliche symbolische Ordnung, die nicht ohne Wirkung auf die Welt bleibt. Denn, wie es die Philosophin Chiara Zamboni formuliert: »Die Welt selbst verändert sich, wenn ich meine Beziehung zu ihr verändere«.
Ich danke Traudel Sattler für ihre Anregungen, die in diesen Text mit eingeflossen sind.
In:Libreria delle donne di Milano: Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis.Orlanda Frauenverlag, Berlin 2001.