Kirchen und Schuld – zum 8. Mai
Die Kapitulation Deutschlands und das Ende des Nationalsozialismus bedeuteten auch für die Kirchen einen erheblichen Einschnitt. Die große Mehrheit der Christen hatte sich mit den Nazis arrangiert, nur eine Minderheit war, wie die Bekennende Kirche, wenigstens teilweise in Opposition gegangen. Wirklichen Widerstand hatten nur einzelne Theologen geleistet, sie waren, wie Karl Barth, emigriert oder, wie Dietrich Bonhoeffer, im Konzentrationslager ermordet worden. Für einen von ihnen war die Befreiung im Mai 1945 auch eine persönliche Befreiung: Martin Niemöller, der als Mitbegründer der Bekennenden Kirche auf persönlichen Befehl Hitlers seit März 1938 in Einzelhaft gewesen war und der später Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau wurde.
Dem Einfluss von Martin Niemöller ist es maßgeblich zu verdanken, dass die Kirche in Deutschland sich vergleichsweise rasch auch der Frage der eigenen Verantwortung gestellt hat, sagt die Pröpstin für Rhein-Main, Helga Trösken:
O-Ton 1: Niemöller hat ja immer, sein ganzes Leben lang im Grunde darauf hingewiesen und insistiert, dass Schuld der einzelnen und Schuld auch der Kirchen öffentlich auszusprechen ist und dass dafür auch um Vergebung gebeten werden kann, er selber hat das machen können, weil er persönlich ja Widerstand geleistet hat, im KZ gewesen ist, acht Jahre lang und hat deswegen auch sehr klar sagen können, wo die Kirchen versagt haben.
Doch mit dieser Sichtweise stand Niemöller unmittelbar nach dem Krieg ziemlich allein da. Etwa ein Drittel der evangelischen Pfarrer galten im Sinne der Entnazifizierungs-Maßnahmen der Amerikaner als »belastet«.
O-Ton 2: Es gab hier ne bekennende Kirche, die relativ aktiv war, es gab aber hier auch ne ganz starke Zustimmung zu den deutschen Christen, auch einen Bischof, der deutscher Christ war, es gab vielleicht in Hessen ne kleine Mehrheit der Angepassten, der Gleichgültigen, der so genannten Mittelgruppe.
Erst im Oktober 1945 formulierte der neu gegründete Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, auch auf Drängen Niemöllers, das so genannte »Stuttgarter Schuldbekenntnis«. Darin heißt es: »Wir wissen uns mit unserem Volk nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden, sondern auch in einer Solidarität der Schuld. Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.« Dieser aus heutiger Sicht fast schon verharmlosend wirkende Text löste damals weithin Empörung aus. Angesichts von zerbombten Städten, Hunger und Unsicherheit sah sich die Mehrheit der Deutschen – und auch der Christen – nicht als Schuldige, sondern als Opfer. Für die evangelische Kirche war das Schuldbekenntnis jedoch sehr wichtig, betont Trösken.
O-Ton 3: Direkt und unmittelbar nach dem Krieg hat das Schuldbekenntnis die Bedeutung gehabt, dass die Evangelische Kirche in Deutschland in die Ökumene, also in die Gemeinschaft der internationalen Kirchen wieder aufgenommen wurde, und das ist ne nicht zu unterschätzende Bedeutung, das heißt, Deutschland, die deutschen evangelischen Kirchen wurden gleichberechtigt neben allen anderen wieder anerkannt und aufgenommen, und das hat auch zur Folge gehabt, dass unsere Kirchen theologisch und materiell große Unterstützung erfahren haben.
Von einer christlichen Schuld gegenüber den Juden war damals noch gar keine Rede; bis weit in die achtziger Jahre hinein dauerte es, bis die Kirchen sich auch diesem Thema stellten:
O-Ton 4: Das ungeklärte Verhältnis zwischen Juden und Christen, ist ja aus ner langen Geschichte zu erklären, und so ne lange Geschichte christlicher Judenfeindschaft, christlicher Antisemitismus und Antijudaismus, das kann man nicht ganz so schnell aufarbeiten. Ich bedaure sehr, dass es so lange gedauert hat.
Erst 1991 hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau offiziell eingestanden, dass auch die die christliche Theologie zu einer Wegbereiterin des Antisemitismus und des Judenmordes geworden war. Seither werden evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer in Hessen bei ihrer Ordination darauf verpflichtet, »die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen« zu bezeugen.
hr1 und hr-Info, Sonntag, 8. Mai 2005