Dorothee Markert: Fülle und Freiheit in der »Welt der Gabe«, Christel-Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2006
Geben und Tauschen ist nicht dasselbe
Den Wunsch, anderen etwas zu geben, zu schenken, hält Dorothee Markert für ein menschliches Grundbedürfnis. Diese »Welt der Gabe«, die Kultur des Schenkens und der Dankbarkeit, so Markert, funktioniere nach anderen Logiken und Regeln als die Welt des Tausches, die Kultur des Marktes. Wie nicht schwer zu sehen ist, ist letztere heutzutage eindeutig die dominante mit der Gefahr, dass sie auch die vorherrschende Bedeutungsmacht in solchen Zusammenhängen bekommt, die eigentlich eher vom Geben und Schenken geprägt sind.
Anhand folgender Merkmale unterscheidet Markert die »Welt der Gabe« von der des Tauschens:
Die Gabe schafft, im Gegensatz zum Tausch, ein Ungleichgewicht. Es geht hier gerade nicht darum, am Ende »quitt« zu sein, sondern darum, dass eine kontinuierliche soziale Bewegung entsteht, die immer neue, wenn auch andere Ungleichheiten erzeugt.
Geben ist Grenzüberschreitend – weil Schenken oft spontan ist, nicht berechnend. Das ist nicht nur positiv: Es kann überbordende Großzügigkeit ebenso bedeuten, wie übergriffige Nähe.
Geben orientiert sich nicht am Nutzen – sondern ist tendenziell verschwenderisch. Mit dem Schenken will man nichts erreichen, es ist kein Mittel zum Zweck.
Die Gabe rechnet nicht – was in gewisser Weise schon aus Punkt 1 folgt. Ein Geschenk hat keinen festen, bezifferbaren Wert, gerade die Schwammigkeit bringt ja die soziale Bewegung zustande.
Gaben sind gratis und bedingungslos. Das bedeutet, ich kann Geschenke nicht einklagen – die Entscheidung, etwas zu schenken, ist immer freiwillig.
Geschenke stärken Bindungen und damit die Freiheit. Dies ist eine notwendige Ergänzung zu Punkt 5: Denn natürlich schwebt die Welt der Gabe nicht im freien Raum. Die von ihr geschaffenen Beziehungen sind aber solche, die Freiheit ermöglichen und nicht einschränken – im Sinne einer »Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit«.
Hieraus wird deutlich, dass vieles von dem, was wir heute als »Schenken« bezeichnen, sich eher auf der Ebene des Tausches bewegt: Da werden fein säuberlich Aufzeichnungen gemacht über den Wert der Geschenke, um ja bei nächster Gelegenheit nicht zu viel oder zu wenig zurück zu schenken. Da werden an Gaben allzu häufig doch Erwartungen geknüpft, und man ist beleidigt, wenn nichts »zurückkommt«. Und ebenso wird vieles, was unter »Markt« läuft, implizit mit Gabenserwartungen verknüpft: Wenn etwa Unternehmen von ihren Mitarbeitern immer mehr Engagement und Einsatz verlangen, dieses aber nicht festschreiben wollen, sondern als »freiwillig« titulieren.
Nach Markert liegt solche Konfusion daran, dass die Logik des Tausches anstelle der Logik der Gabe tritt oder umgekehrt, bzw. dass beides miteinander vermischt wird. Das führt bekanntlich zu vielerlei Enttäuschungen, Frustrationen, Missverständnissen. Eindringlich plädiert Markert daher für eine Trennung beider Welten und dafür, sich bewusst zu machen, worum es denn in einem bestimmten Fall geht: um eine Gabe oder um einen Tausch? Wenn ich zum Beispiel für meinen Liebsten die Hemden bügele: Ist das ein Geschenk? Dann kann ich dafür nichts zurück verlangen, und kann es auch nicht beim nächsten Streit in die Waagschale werfen. Oder ist es ein Tausch? Dann kann ich durchaus darüber verhandeln, dass er dann aber morgen kochen muss. Im Falle der Gabe muss jedoch klar sein: Ich tue das freiwillig – was im Umkehrschluss bedeutet, dass ich es jederzeit auch lassen kann. Und in der Tat: Wenn Geschenke auf Dauer nicht angenommen und nicht gewürdigt werden, nimmt der Wunsch, zu schenken, früher oder später ab. Im Falle des Tausches kann ich jedoch keine Dankbarkeit erwarten, denn schließlich bin ich nur dem nachgekommen, wozu ich mich verpflichtet habe und bezahlt wurde.
Es geht Markert dabei überhaupt nicht um moralische Wertungen nach dem Motto: Geben ist besser als Tauschen. Im Gegenteil. Auch die Welt des Marktes hat ihren Sinn. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern es muss Raum dafür sein, wählen zu können, auf welcher Ebene ich mich bewegen will. Mit zahlreichen Beispielen ist das Büchlein höchst aufschlussreich und hilfreich dabei, solche Prozesse zu durchschauen und vielleicht nicht mehr so oft Geschenke mit heimlichen Tauscherwartungen zu entwerten oder andererseits Tauschbeziehungen durch vorgebliches Gabengetue zu verbrämen und konfliktreichen Verhandlungen damit aus dem Weg zu gehen. Markerts These ist: Wenn die Welt der Gabe und das Marktgeschehen als eigenständige kulturelle Techniken existieren, können sie sich gegenseitig bereichern und damit insgesamt ein mehr an Freiheit und Fülle entstehen lassen.
Schwierig daran ist jedoch, dass sich die beiden Welten, die der Gabe und die des Tausches, zwar logisch-analytisch durchaus trennen lassen, in der Realität jedoch faktisch meist vermischt sind. So kommt selten ein Geschäft völlig ohne eine »Gabenebene« aus – wenn etwa zusätzlich zum Honorar auch ein Strauss Blumen überreicht wird oder ich für einen Auftrag mehr Zeit aufwende, als vom Honorar eigentlich abgedeckt wäre. Und auch das Geben und Schenken enthält eine Verhandlungsebene, zumindest die mit mir selber darüber, ob ich – zum Beispiel bei fehlender Wertschätzung und Dankbarkeit für meine Gaben – in Zukunft noch weiter schenken will.
Insofern fordern Markerts Thesen dazu auf, mit ihnen zu experimentieren und sie zu Rate zu ziehen, um die Realität und das, was ich und andere tun, unter einen neuen Perspektive zu betrachten und zu verstehen. Zu Recht kritisiert sie die seit einiger Zeit sich ausbreitende Tendenz, alles, was geschieht, unter dem Aspekt des Tauschens und des Marktes zu verstehen (bis hin zum »Management« einer Familie) und bringt die »Welt der Gabe« überhaupt erst mal wieder ins Bewusstsein. Ob dabei aber die vorgeschlagene strikte Unterscheidung beider Bereiche wirklich sinnvoll ist, ist die Frage. Ein wenig erinnert die Gegenüberstellung schließlich doch an die alten patriarchalen Dichotomien, die sich an vielen anderen Punkten bereits als falsche Alternativen herausgestellt haben. Kann es nicht dazu kommen, dass aus den gegenwärtig noch getrennten Welten der Gabe und des Tauschens eine freiere »Welt des Austauschens« hervorgeht?