Nasr Hamid Abu Zaid (mit Hilal Sezgin): Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam. Herder, Freiburg, Basel, Wien 2008, 222 Seiten, 19,95 Euro
Auch der Koran, obwohl Offenbarung des Göttlichen, kann, ja muss sogar mit historisch-kritischem Blick gelesen werden, meint Nasr Hamid Abu Zaid. Der ägyptische Theologe, der heute in den Niederlanden lebt und an der Universität Utrecht Humanistik und Islam lernt, ist einer der prominentesten islamischen Reformer von heute. In diesem Buch, das auf der Basis von Interviews mit der deutschen Journalistin Hilal Sezgin entstanden ist, erklärt er in gut verständlicher Sprache die Hintergründe der Entstehung der islamischen Religion, des Koran und seiner Auslegung durch die Jahrhunderte. Das Buch richtet sich sowohl an Muslime in Westeuropa, die – vielleicht auch aufgrund der aufgeregten und streckenweise islamfeindlichen Debatten, die seit einigen Jahren geführt werden – Genaueres über die Ursprünge und Prinzipien ihrer Religion wissen wollen, als auch an Nicht-Muslime, die sich fragen, was es denn mit den vielen Horrorbotschaften über »den Islam« eigentlich auf sich hat.
Abu Zaids ernsthafte, sowohl fromme als auch rationale Herangehensweise an die Religion ist eine kluge Replik auf die Fundamentalisten beider Seiten. Zu Recht macht er darauf aufmerksam, dass Verteidigung und Angriff keine guten Grundhaltungen für eine ernsthafte Debatte sind. Die Muslime und Musliminnen fordert er auf, sich nicht so sehr auf die pure Rechtfertigung ihres Glaubens zu versteifen, sondern erst einmal wirklich verstehen zu wollen, wie das damals mit Mohammed war, wie der Koran interpretiert werden kann und wie man in der Heiligen Schrift einen Sinn finden kann, der über die bloße Instrumentalisierung des Korans zugunsten eigener Gewissheiten hinausgeht. Höchst interessant ist etwa, wenn er herausarbeitet, dass viele Koranaussagen – etwa über die Sklaverei – selbst bei fundamentalistischen Hardlinern heute längst nicht mehr wörtlich genommen werden: außer den Stellen über die soziale Unterordnung der Frauen. Diese wurden im Lauf der Jahrhunderte im Gegenteil sogar immer rigider und strenger ausgelegt – welche grausamen Blüten diese männliche Überheblichkeit und, man muss es deutlich sagen: gotteslästerliche Haltung heute manchmal treibt, ist hinreichend bekannt. Auf der anderen Seite ist das Buch aber auch eine Herausforderung für jene Kultkurkämpfer und -kämpferinnen, die den Islam für grundlegend antidemokratisch und unkompatibel mit westlicher Kultur halten. Denn es zeigt, dass es mit dem Islam ist wie mit allen Religionen: Sie gewinnen ihre konkrete Form immer nur in ihrer jeweiligen Zeit, in ihrem gesellschaftlichen Kontext, durch diejenigen Menschen, die ihnen jeweils angehören – und auch durch die Diskurse, mit denen sie jeweils konfrontiert sind. In diesem Sinne ist der anti-islamische Habitus, der sich zurzeit in breiten Teilen westlicher Gesellschaften breitmacht, keineswegs ein Gegenmittel, sondern vielmehr einer der Treibstoffe für den islamischen Fundamentalismus.
Für alle, die sich mit dem Thema Islam, insbesondere dem Koran und seiner Entstehung, schon näher wissenschaftlich beschäftigt haben, bietet das Buch nichts grundlegend Neues. Aber für alle anderen, die das Thema überhaupt irgendwie interessant finden, ist es uneingeschränkt zu empfehlen.