Arbeitsgruppen zum Thema »Methusalems Mütter«
(Oldenburg, 17.9.2010)
Arbeitsgruppe Generationenbeziehungen
Mein Umgang mit den alten Eltern
Mein Umgang mit den erwachsenen Kindern
Frage: Ist »Liebe« eine hilfreiche Kategorie für diese Beziehungen?
Je nachdem, wie eine Gesellschaft die verschiedenen Generationen definiert und welche Rollen und Aufgaben sie mit dem Altsein verbinden, gestalten sich auch die Pflichten und Rechte der Menschen in der jeweiligen Lebensphase. Dafür gibt es einerseits Gesetze und feste Regeln, aber es gibt natürlich auch ungeschriebenen Erwartungsmuster, die die Beziehungen der Generationen zueinander prägen. Sie sind ständig im Fluss, müssen sich neuen Entwicklungen anpassen und verhandelt werden. Mit der Art und Weise, wie jeder einzelne Mensch konkret diese Beziehungen zu anderen Generationen lebt, beeinflussen wir alle das, was die jeweiligen Lebensphasen kulturell bedeuten. Sie gut gestalten zu können, erfordert Mühe und Aufmerksamkeit dafür, das ist nichts, was wir den Politikern überlassen können.
Konkrete Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Generationen sind aber in unserer Gesellschaft leider ein ziemlich unbeackertes Feld. Wir sind alle sehr geprägt vom Ideal der Gleichheit, wonach es eigentlich nur Erwachsene oder aber demnächst Erwachsene gibt, die alle als gleich gelten, so als seien die Unterschiede der Generationen nur zufällige Nebensächlichkeiten. In Beziehungen ist es oft Tabu, Altersunterschiede zu thematisieren. Es soll keine Rolle spielen, zu welcher Generation jemand gehört, wir wollen alle gleich behandeln – manche ziehen sogar schon die Kinder in dieses Gleichheitsideal ein.
Das ist vermutlich eine Reaktion auf die schlechten Erfahrungen, die die westlichen Gesellschaften in den letzten zwei Jahrhunderten mit ihren starren Generationsvorstellungen gemacht haben: Weder das patriarchale 19. Jahrhundert, wo die Alten über die Jungen herrschten, noch das 20. Jahrhundert, das dem Jugendwahn frönte, sind sonderlich attraktiv.
Das Thema Liebe und Beziehung ist in unserer Kultur vollständig von der Paarbeziehung, von der heterosexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau dominiert – in letzter Zeit sind da auch die homosexuellen Beziehungen zwischen Mann und Mann und zwischen Frau und Frau eingeschlossen, soweit sie sich ebenfalls an diesem Beziehungsmodell orientieren. Die »Beziehungsarbeit« der Frauen, die aus den alten, patriarchalen Rollenmustern in der Familie ausbrachen, hat weitreichende Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt. Und der Weg, über den diese Veränderungen vonstatten gegangen sind, war es, dass Frauen Beziehungen gelöst haben, verändert haben, neue Beziehungen eingegangen sind. Das Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe, in der sexuellen Begegnung, in der gemeinsamen Elternschaft wird heute nicht mehr als naturgegeben verstanden. Es gibt keine festen gesellschaftlichen Rollenmuster mehr, die festlegen, was jeweils in dieser Beziehung zu tun ist, wer für was zuständig ist und wer in welchen Dingen das Sagen hat. Sondern es ist klar geworden, dass die Beteiligten an einer Paarbeziehung darüber miteinander verhandeln, dass sie ihre Beziehung aktiv gestalten, und dass es an ihnen liegt, wie sie miteinander leben.
Ich glaube, wir brauchen eine ähnliche Aufmerksamkeit für die Beziehungsarbeit der Generationen, wir brauchen Beratungsstellen, Romane, Spielfilme, Seifenopern zu dem Thema. Wir brauchen Leute, die das erforschen, ganz besonders aber brauchen wir Menschen, die anfangen, dieses Thema ernst nehmen und damit experimentieren. Leider scheint aber im Bezug auf die Beziehungen der Generationen immer noch die Vorstellung vorzuherrschen, als seien die Rollen und Verpflichtungen festgelegt. Als läge es nicht konkret an den Beteiligten selbst, wie sie ihre Beziehung zueinander gestalten, sondern als gäbe es dafür bestimmte Vorgaben und Richtlinien. Noch zu wenig ist im Bewusstsein, dass auch Beziehungen zwischen den Generationen aktiv gestaltet werden müssen, genau wie die Beziehung eines Paares.
Das Thema »Frauen setzen sich mit dem Altwerden« auseinander, bedeutet für mich deshalb, Beziehungen zu Menschen anderer Generationen zu führen, zu lösen, zu verändern, neu zu knüpfen. Dies ist die einzige Möglichkeit, das »Problem« der älter werdenden Gesellschaft zu lösen – das ich übrigens für kein Problem halte, problematisch ist lediglich die Unfähigkeit der offiziellen Politik, auf diese Herausforderung Antworten zu finden. Aber genau auf diese Weise wird dieses so genannte »Problem« auch gelöst werden: Die Menschen, die alten und die jungen, werden ihre Beziehungen untereinander neu regen, sie sind auch schon dabei, das zu tun. Und das wird die Gesellschaft ebenso verändern, wie die neuen Beziehungen zwischen Frauen und Männern die Gesellschaft verändert haben.
Arbeitsgruppe Altersplanung (praktischer Austausch)
Wie plane und gestalte ich mein Altwerden?
Aus einem Buch der US-amerikanischen Feministin Charlotte Gilman Perkins, die der Auffassung ist, man könne nicht früh genug damit anfangen, über das Altwerden nachzudenken.
Im Jahr 1914 schrieb sie eine Art »Macchiavelli für Frauen«. Am Beispiel einer fiktiven Benigna Macchiavelli zeigt sie darin, wie Frauen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und in Freiheit gestalten können. Dabei spielt das Altwerden eine wichtige Rolle. Uns zwar lässt sie ihre Benigna Macchiavelli als junge Frau folgendermaßen über ihr Altwerden nachdenken:
Ich werde mein Leben vom Ende her rückwärts planen, das heißt vom Alter: Was will ich um mich und hinter mir haben, wenn ich alt bin? Ich lehnte mich im Schaukelstuhl zurück, blickte hinaus auf die hohen Bäume, auf die weichen, wechselnden Schatten im Grase und grübelte über das Altwerden nach, sehr eingehend und tiefschürfend. Es gab im Städtchen viele alte Leute, über die man nachdenken konnte; ich kannte eine ganze Anzahl, meist Omas und Opas. Gesundheit war die Hauptsache. Immer fit blieben, damit man mit siebzig noch rosig und rüstig und munter ist – bestimmt ein vernünftiger Vorsatz. Und außer Gesundheit braucht jeder alte Mensch Geld. Wenn er keins hat, ist er nur der arme Verwandte und wird nicht für voll genommen. Ich werde mein eigenes Geld haben, beschloss ich, und zwar genügend, ganz gleich, ob ich verheiratet bin oder nicht. Und ein Heim, ein eigenes Zuhause, nicht nur als Wirtschafterin in anderer Leute Haus… Gesundheit, Geld, ein Zuhause – was noch? Freunde. Die sind beinahe das Allerwichtigste. Ich habe erlebt, wie alte Leute darüber jammern, dass sie keine Freunde mehr haben, dass die meisten ihrer alten Freunde nicht mehr da sind. Wenn man das hört, könnte man denken, Freunde bekäme man, wie Geschwister, nur einmal im Leben. Aber das wäre so, als könnte man auf einem Acker nur einmal säen und ernten. Ich habe vor, mir immer wieder neue Freunde zu pflanzen, wie Erbsen und Mais, so dass immer wieder welche nachwachsen. Gesundheit, Geld, Zuhause, Freunde. Eine eigene Familie? Da würde ich keine Pläne machen. Wenn sie kommt, dann kommt sie – ich plane zur Sicherheit mein Leben ohne sie. Es gibt immer einen bestimmten Prozentsatz unverheirateter Frauen – komisch, dass Mädchen das nie einkalkulieren.
Was weiter? Was für ein Typ einer alten Frau will ich werden? Vor allem wollte ich eine Frau von einer gewissen Bedeutung werden. Ein Plus, kein Minus. Nicht ständig nach irgend etwas jammern, mich nicht an andere Menschen hängen und über ihr Verhalten weder erfreut noch gekränkt oder enttäuscht sein. Eine Art »weise Frau« wollte ich werden – klug und praktisch. Eine Frau, zu der die Leute kommen, wenn sie Hilfe brauchen, und nicht enttäuscht werden. »Ach, da fragen wir einfach Benigna Machiavelli, die weiß schon, was da zu machen ist« – so ungefähr müssten die Leute von mir sprechen. Ich kannte natürlich manche liebenswürdige alte Damen, sogar sehr nette, aber die wussten nur Rezepte und Strickmuster und hatten ganz spezielle Ansichten über Säuglingspflege, doch vom wirklichen Leben hatten sie wenig Ahnung. Ich dagegen nahm mir vor, den Kreis meiner Erfahrungen so weit wie möglich zu ziehen und ihn immer mehr zu erweitern.
Dieser Abschnitt gefällt mir aus zweierlei Gründen gut. Erstens: Er ist ein Appell, realistisch zu sein. Da ist eine Frau, die ohne Schönfärberei, aber auch ohne Resignation oder Fatalismus darüber nachdenkt, wie sie einmal Altwerden will. Sie redet sich nicht ein, dass sie jung bleiben kann, und sie verlässt sich nicht darauf, dass später einmal andere, die eigenen Kinder oder der Staat oder sonst wer, schon für sie sorgen. Sie stellt sich der Realität und überlegt, wie sie sich zu ihr verhalten will.
Der zweite Grund, warum ich diesen Text wegweisend für unser Thema finde ist, dass darin auch genau die Stelle benannt wird, an der sich entscheidet, ob wir es im Alter gut oder schlecht haben: Es entscheidet sich nämlich an den Beziehungen, die wir haben, und auf die wiederum haben wir selbst einen großen Einfluss.
Arbeitsgruppe Sozialpolitik
Wie wirkt sich ein anderes Menschenbild aus? Wie ließe es sich auf sozialpolitische Themen übertragen?
Beispiele: Grundeinkommen, Rentenversicherung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie…
- Wenn ein Kind zur Welt kommt, wird es im allgemeinen von seinen Angehörigen willkommen geheißen. Das bedeutet: Es wird begrüßt als Mitmensch, der oder die auf die Erfüllung bestimmter Grundbedürfnisse angewiesen ist und bleiben wird. Und es wird empfangen als Neuling: Sie oder er wird alles zum allerersten Mal erleben und das Zusammenleben der anderen, die schon vorher da waren, bereichern und erneuern. Damit das Leben der Neugeborenen gelingen kann, versprechen wir ihnen Nahrung, Obdach, menschliche Nähe, körperliche und geistige Entfaltungsmöglichkeiten, ein Leben in Würde. Solche Versprechen einzulösen und die dazu nötigen Ressourcen bereit zu stellen, ist nicht nur Sache der Eltern, sondern der ganzen Gesellschaft.
2.Die meisten Menschen wollen ein sinnvolles Leben führen: Sie wollen etwas tun, das für andere und für sie selbst Bedeutung hat, sie wollen in ihrer Einzigartigkeit anerkannt und geliebt werden, nicht Not leiden müssen und das Dasein genießen. Im einzelnen sieht ein sinnvolles Leben für jeden Menschen anders aus, und was als gutes Leben empfunden wird, kann sich im Laufe einer Biografie immer wieder ändern. Fast alle Frauen und Männer aber sind langfristig bereit, ihren unverwechselbaren Beitrag zum guten Zusammenleben aller zu leisten, wenn sie im »Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten« (Hannah Arendt) willkommen und aufgehoben sind.
4.In unserer Gesellschaft gilt immer noch die Doktrin, dass Geld bekommt, wer etwas leistet. In der Realität hat dieses Prinzip streng genommen nie gegolten, und es gilt in der Gegenwart weniger denn je: Am meisten Geld verdient man heute zum Beispiel mit Börsenspekulationen, mit flacher Unterhaltung oder Rüstungsproduktion. Gleichzeitig bekommen diejenigen, die neue Generationen heran ziehen, Alte und Kranke pflegen und andere für die Gesellschaft unverzichtbare Arbeit leisten, nach wie vor keinen oder einen zu geringen Lohn für ihre Leistung. Wenn Geld auch in Zukunft das offizielle Regelungsinstrument im Zusammenleben sein soll, und dazu sehen wir momentan keine Alternative, dann muss der Mythos der marktgesteuerten Lohngerechtigkeit entkräftet und grundsätzlich neu über die Frage nachgedacht werden, wie die Verteilung des Geldes dem sinnvollen Zusammenleben dienen kann. So werden sich mit der Zeit auch die starren Trennlinien zwischen Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Ehrenamt auflösen, die uns heute fast naturgegeben anmuten, obwohl sie nichts anderes darstellen als eine bestimmte historisch gewachsene Art und Weise, menschliche Tätigkeiten in Kategorien einzuteilen und (latent geschlechtsgebunden) zu bewerten.
5.Wir sehen zwei Notwendigkeiten: Zum einen sollen Menschen, die für das Zusammenleben ersichtlich notwendige Leistungen erbringen, ein eigenständiges Einkommen erhalten, das gutes Leben ermöglicht. Zum anderen soll jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, selbst wenn sie nicht fähig oder willens sind, etwas zu leisten, das für andere als sinnvoll erkennbar ist, in Würde leben können. Zumindest in (post)modernen Dienstleistungsgesellschaften ist es möglich, beide Forderungen zu erfüllen.
9.Die Menschheit kann nicht überleben ohne Haus- und Familienarbeit. Während die notwendigen täglichen Basisleistungen – Nahrungszubereitung, Wohnungs- und Kleiderpflege, Rekreation etc. – , soweit sie gesunde Erwachsene betreffen, im Prinzip als freie gegenseitige Gaben organisiert werden können, wären Kleinkinder und viele Betagte und Behinderte in ihrem Überleben gefährdet, wenn nicht andere Personen für sie sorgen würden. Haus- und Familienarbeit ist die notwendige Basis des Wirtschaftens, denn sie sichert das Heranwachsen neuer Generationen, die tägliche Wiederherstellung der Erwerbsarbeitskraft und das würdige Leben derer, die nicht (mehr) erwerbstätig sein können. Während die Haus- und Familienarbeit, die Erwachsene im direkten Austausch füreinander leisten, frei ausgehandelt werden kann, muss diejenige Haus- und Familienarbeit, die für Menschen geleistet wird, die sie nicht selbst erbringen können, so honoriert werden, dass sie der Person, die sie erbringt, ein eigenständiges Leben in Würde ermöglicht.
14.Ehrenamt und Freiwilligenarbeit bergen wichtige Potentiale an Innovation und kreativer Entwicklung, denn sie können neue Ideen in die Welt bringen, ohne von der Notwendigkeit, sich im Sinne der Existenzsicherung »rentieren« zu müssen, eingeschränkt zu werden. Haus- und Familienarbeit, Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit sollen einander nicht ihre je verschiedenen Maßstäbe aufzwingen, sondern jeweils in ihrer Art zum sinnvollen und würdigen Zusammenleben aller beitragen. (Auszug aus: www.gutesleben.org)
Arbeitsgruppe Altersbilder
Was bedeutet alt werden?
Welche Vorstellungen vom Alter haben wir?Was wollen wir verändern?
Was ist überhaupt ein alter Mensch? In der Soziologie werden verschiedene Modelle des Alters unterschieden: Da ist das kalendarische Alter, also die Anzahl der Lebensjahre – dies bestimmt zum Beispiel, wann wir den Führerschein machen dürfen oder in Rente gehen können. Dann das biologische Alter – es bestimmt, ob wir noch Kinder kriegen können, welche unserer Körperteile noch funktionieren und so weiter. Dann ist da das psychische Alter – es stellt die subjektive Seite dar: wie alt fühle ich mich, wie schätze ich selbst mich ein. Und schließlich das soziale Alter – das sich auf die sozialen Rollen bezieht: Gehöre ich schon zum »Alten Eisen« oder spiele ich noch eine aktive Rolle in meinem Umfeld?
Hinter all diesen Einteilungen und Definitionen des Alters steht die Ansicht eines geradlinigen Verlaufs von hier nach da. Die Jahre nehmen zu, der Körper funktioniert immer schlechter, ich fühle mich immer älter, ich habe in der Gesellschaft immer weniger zu sagen.
Mein Alter ist für mich nicht verfügbar. Es ist unmöglich, »Jung« zu bleiben. Denn es sind die Neugeborenen, die uns alt machen – weil sie nämlich neu auf der Welt sind, während wir hier nicht mehr neu sind. Wir haben schon eine Geschichte hinter uns, wir sind schon geprägt von vielen Erlebnissen, wir können daran rückwirkend auch nichts mehr ändern. Alt werden macht sich nicht am Nachlassen der Kräfte fest, am nicht-mehr-Funktionieren des Körpers (das alles kann nämlich genauso jungen Menschen geschehen), sondern an der Tatsache, dass Altes nicht mehr Neu ist. Oder anders gesagt: Es sind die Jungen, die uns »alt« machen.
Wichtig ist dabei Folgendes: Zwar steht die Tatsache des Altwerdens fest. Es ist ein Unterschied, ob sich jemand noch an den Zweiten Weltkrieg erinnern kann oder an die DDR. Es ist ein Unterschied, ob ich mich zum ersten Mal verliebe oder zum zehnten Mal.
Was aber nicht feststeht ist, was das bedeutet: Darf eine Fünfzigjährige noch im Bikini am Strand liegen? Oder 80-jährige sich bunte Strähnen ins Haar flechten? Dürfen alte Leute HipHop hören? Natürlich! Wir sind in jedem Alter frei zu tun, was wir für richtig halten. Das Alter ist keine vorgegebene Rolle, in die man sich gegen den eigenen Willen fügen muss. Zwar gibt es zu jeder Zeit Rollenbilder, die gesellschaftlich für alte und junge Menschen vorgegeben werden, und diese Rollenbilder beeinflussen das, was die Einzelnen tun. Aber diese Rollenbilder sind ja kulturell ausgehandelt, sie hängen nicht automatisch von der Anzahl der Lebensjahre ab. Sie können sich ändern, und sie ändern sich ja auch jederzeit. Mit dem, was wir tun, tragen wir selbst laufend dazu bei, dass sie sich verändern und wie sie sich verändern. Und – der Frauenbewegung sei Dank – haben sich vor allem die Rollenbilder von älteren Frauen in den letzten dreißig Jahren ganz stark verändert.
Aber: Wenn zum Beispiel alte Menschen heute ganz andere Dinge tun, als alte Menschen vor fünfzig Jahren, wenn sie zum Beispiel bis ins hohe Alter Sport treiben, um fit zu bleiben, wenn sie nicht mehr bereit sind, in gleichem Umfang wie früher kostenlose Babysitter für ihre Enkel abzugeben, wenn sie Jeans tragen und keinen Dutt, wenn sie Hormone nehmen, die die Faltenbildung hinauszögern, wenn sie sich mit 70 noch mal neu verlieben oder ihr ganzes Leben umkrempeln – dann heißt das nicht etwa, dass sie jung bleiben. Es heißt bloß, dass sie eine neue Art und Weise erfinden, alt zu sein. Sie verändern das Altsein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie alt sind.
Was in einer Gesellschaft jeweils für »alt« gilt, welche Bedeutung das Altsein hat, welche Rollenvorbilder es gibt, das ist nicht von der Natur oder vom lieben Gott oder sonst einer Instanz festgelegt. Sondern es wird von den Menschen aktiv gestaltet, die jeweils in einer Gesellschaft leben. Es verändert sich dauernd.
Arbeitsgruppe Demografie
Was kann die Statistik aussagen – und was nicht?
Wie können wir uns in den Diskurs über Geburtenraten und Bevölkerungspolitik einmischen?
»Die Deutschen sterben aus!«, »Die Republik vergreist«, die »demografische Zeitbombe« tickt. Seit einiger Zeit macht sich in Deutschland Hysterie breit. »Wo früher Kinder tobten, werden Alzheimer-Patienten in Rollstühlen sitzen«, maulte der Stern im vergangenen Sommer. Die Schuldigen. Anlass für die Aufregung ist eine Prognose der Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050, die das Statistische Bundesamt im Sommer 2003 veröffentlicht hat. Die Ergebnisse sind in der Tat bedenkenswert. Die Fertilitätsrate – also die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau – liegt bei niedrigen 1,4. Das bedeutet, dass ohne Zuwanderung von außen jede nachfolgende Generation um ein Viertel kleiner ist als die vorherige. Die Zahl der jährlich geborenen Kinder wird also abnehmen – von knapp 800.000 auf unter 600.000. Die Bevölkerung Deutschlands wird schrumpfen. Vor allem aber wird sich die Bevölkerungsstruktur drastisch verändern: Es wird viel weniger junge und viel mehr ältere Menschen geben.
Die Fertilitätsraten sind in keinem Industrieland mehr bestandserhaltend – und zwar schon seit drei Jahrzehnten. Sie schwanken zwischen 1 (Griechenland) und 2 (USA) Kindern pro Frau. Häufig wird als Grund der so genannte »Pillenknick« Anfang der 1970er Jahre genannt, als die Fertilitätsrate in nur fünf Jahren von 2,5 auf ungefähr den Stand von heute fiel. Der größte Einbruch der Fertilitätsrate war aber am Anfang des 20. Jahrhunderts: Damals sank die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in kurzer Zeit von fünf auf unter zwei Kinder. Der Soziologe Meinhard Miegel glaubt, dass »die Kinderarmut Ausdruck des Wesenskerns dieser Gesellschaft ist. Sie eröffnet breitesten Schichten Möglichkeiten, denen gegenüber die Option, Kinder großzuziehen, häufig wenig verlockend erscheint.« Mit diesen »breiten Schichten« sind die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie die bürgerlichen Frauen gemeint. Männer aus dem Bürgertum hatten nämlich schon lange vorher die Wahl, ob sie eine Familie gründen oder nicht. Genau betrachtet besteht der Mentalitätswandel also in dem Umstand, dass der Lebensstil des bürgerlichen Mannes (individuelle Erwerbsbiografie als Lebenszentrum, Streben nach Selbstverwirklichung und Autonomie) zur allgemeinen Norm und zum Ideal für alle wurde – und bis heute ist.
Dass damit zwangsläufig die Geburtenzahlen zurück gingen, war lange Zeit gar kein Problem, weil es durch eine niedrigere Kindersterblichkeit sowie die Zuwanderung junger Menschen nach Deutschland ausgeglichen werden konnte. Noch bis Ende der 1980er Jahre kursierte zudem das drohende Szenario einer Überbevölkerung. Deshalb wurde diese tief greifende Veränderung fast hundert Jahre lang ignoriert. Heute stellt sich aber nicht nur im Bezug auf die Kindererziehung, sondern auch im Hinblick auf alle anderen Tätigkeiten, die ehemals in die »weibliche« Sphäre der Hausfrau fielen, immer dringender die Frage, wer diese Arbeiten eigentlich übernehmen soll, wenn die weibliche Gratisarbeit nicht mehr in ausreichendem Maße geleistet wird.
Zahlreiche Studien haben belegt, dass sich die Frauen in Deutschland deutlich mehr Kinder wünschen, als sie tatsächlich bekommen – nur 11 Prozent wollen kinderlos bleiben, aber über 30 Prozent bleiben es. Hinzu kommen zahlreiche Mütter, die weniger Kinder haben, als sie eigentlich möchten. Es gibt also offensichtlich eine Reihe von Faktoren, die die Fertilitätsrate niedriger halten, als sie aufgrund des Kinderwunsches der weiblichen Bevölkerung eigentlich sein müsste. Umgekehrt heißt das: Die Ansatzpunkte für Bevölkerungspolitik liegen auf der Hand.