Methusalems Mütter
Chancen des demografischen Wandels
Die demografische Entwicklung ist in letzter Zeit zunehmend in die öffentliche Debatte geraten. Dabei herrscht allenthalben Katastrophenstimmung vor: Immer weniger Kinder werden angeblich geboren, die Gesellschaft »vergreist« und bald steht der Pflegenotstand vor der Tür.
Aufs Engste verknüpft ist diese Debatte mit der Frage nach dem Anteil der Frauen an dieser Entwicklung. Sind sie an der Misere Schuld, weil sie nur noch ihrer Karriere frönen und ihre weiblichen Tugenden vergessen haben? Oder ist die Gesellschaft Schuld, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht gewährleistet und den Frauen das Kinderhaben unnötig erschwert? Brauen wir einen neuen Feminismus, damit unsere Gesellschaft Kinder- und Frauenfreundlicher wird? Oder müssen wir uns wieder auf alte weibliche Werte wie Mutterschaft und Fürsorge besinnen?
In diesem Vortrag möchte ich die aktuelle Demografiedebatte kritisch gegen den Strich bürsten und zeigen, dass die demografische Entwicklung für Deutschland zwar in der Tat eine Herausforderung darstellt, dass sie aber unterm Strich mehr Chancen als Gefahren birgt. Und dass es vor allem die Frauen sind, die diese Chancen in der Hand haben und nutzen können.
Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Carolyn Heilbrun hat bereits in den 80er Jahren darauf hingewiesen, dass das Alter gerade auch für Frauen neue Freiheitschancen bereit hält. Sie schrieb: »Für die meisten Frauen bedeutet das Alter, meist mit Hilfe anderer Frauen, die Ankunft jener Freiheit, die die Männer schon immer hatten, die Frauen dagegen nie, und zwar vor allem die Freiheit, nicht länger die Bedürfnisse der anderen erfüllen zu müssen und nicht länger das Frausein repräsentieren zu müssen. Ich habe den Verdacht, dass, wenn wir alt werden, gerade die Privilegierteren von uns, diejenigen, die eine Rente haben und materiell abgesichert sind, Gefahr laufen, bewegungslos auf dem Punkt zu verharren, den wir mit der Rente erreicht haben. Dass wir uns mit der Rente von unseren täglichen Aufgaben verabschieden und zu viel Aufmerksamkeit den verkalkenden Arterien widmen. Ich glaube nicht, dass der Tod die Chance haben sollte, uns zu erwischen, wie wir es uns auf unseren Sofas bequem gemacht haben. Wir müssen vielmehr die Sicherheit und die Vorteile, die wir aufgrund unserer Position erreicht haben, nutzen, um Risiken einzugehen, um Krach zu schlagen, um mutig zu sein, um unbequem zu werden. Die alte Frau muss erst noch entdeckt werden hinter all den Masken, die ihr nach herkömmlicher Meinung das Recht vorenthalten, noch eine Frau genannt zu werden. Vielleicht ist sie dann zum ersten Mal wirklich eine Frau.«
In diesem Sinn möchte ich einen feministischen Blick auf die Potenziale des Alters lenken. Es geht mir nicht darum, Probleme schönzureden. All die Katastrophenszenarien, die derzeit durchgespielt werden, haben ja tatsächlich einen wahren Kern. Aber das Schöne an der Zukunft ist, dass sie offen ist. Sie lässt sich nicht statistisch berechnen, sondern nur aktiv gestalten.
Dabei setze ich zwei Schwerpunkte. Im ersten Teil gehe ich auf die aktuellen Statistiken zur Geburtenrate ein. Wie sind die Prognosen zu interpretieren? Welche kulturellen Ursachen hat die demografische Entwicklung, welche Faktoren sind beeinflussbar und welche nicht? Im zweiten Teil setze ich mich mit kulturellen Altersbildern auseinander. Welche Fragestellungen stehen an, wenn der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigt? Wie müssten sich unsere Leitbilder verändern, um konstruktiv mit dieser Entwicklung umzugehen, sowohl persönlich als auch gesellschaftlich?
Zunächst zum ersten Teil.
Der Verdacht, dass der Feminismus und die Frauenbewegung schlecht sind für die Geburtenrate, ist nämlich nicht neu. Schon im Jahr 1914 beschäftigte sich die Frauenrechtlerin Marie Bernays in einem bemerkenswert aktuellen Artikel mit der Frage: »Besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Frauenbewegung und dem Geburtenrückgang?« Schon sie sah sich allerlei aufgeregten Analysten und Statistikern gegenüber, die das Aussterben der Deutschen prognostizierten, und den Frauen die Schuld daran gaben.
Rein zahlenmäßig gab es für solche Ängste damals weit mehr Anlass als heute: Zwischen 1900 und 1920 sank die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau ganz dramatisch – von fünf auf nur noch zwei. Der Grund war sozusagen eine »Verbürgerlichung« der Gesellschaft bzw. die Tatsache, dass auch Frauen und Menschen aus der Arbeiterschicht sich zunehmend an einem Lebensmodell orientierten, das bis dahin Männern aus dem Bürgertum vorbehalten war: Autonomiestreben, Eigennutz, Individualismus. Dazu gehörte auch, dass Kinder zu haben keine Selbstverständlichkeit mehr war, sondern eine Entscheidung, die für jedes Kind neu getroffen werden musste.
Allerdings blieb er von der Politik fast 100 Jahre lang unberücksichtigt. Der Grund ist, dass der Geburtenrückgang am Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst nicht zu einer Veralterung der Gesellschaft geführt hat. Gleichzeitig ging nämlich auch die Kindersterblichkeit stark zurück, sodass zunächst sogar der Anteil junger Menschen anstieg. Erst heute gerät das Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit. Allerdings ist dieser Mentalitätswandel in den westlichen Kulturen, der die Familienplanung bis heute prägt, so tiefgehend, dass es praktisch ausgeschlossen ist, diesen Wandel wieder rückgängig zu machen. Worauf es ankommt, ist, gute Lösungen für die Zukunft zu finden.
Dabei ist die Frauenbewegung seit drei Jahrzehnten Weg weisend. Nicht nur, dass Feministinnen ja keineswegs weniger Kinder bekommen als andere Frauen. Dass es heute so etwas wie »Familienpolitik« überhaupt gibt, ist ja in allererster Linie der Frauenbewegung zu verdanken. Das Anliegen von Feministinnen war es ja noch nie, Frauen das Kinderkriegen auszutreiben, sondern im Gegenteil die Position von Müttern zu stärken und die Gesellschaft insgesamt kinderfreundlicher zu machen. Es waren Feministinnen, die schon vor dreißig Jahren eine Diskussion über Generationenpolitik angestoßen haben. Ihr Ausgangspunkt waren die Erfahrungen, die sie in der Studentenbewegung gemacht hatten: dass es nämlich praktisch unmöglich war, politisches Engagement und Mutterschaft miteinander zu vereinbaren, und dass ihre revolutionären Genossen nicht berücksichtigten, dass Menschen nicht einfach so nächtelang diskutieren und Flugblätter entwerfen können, wenn sie Kinder haben, die gefüttert und gewickelt werden wollen.
Die Mütter- und Kinderfrage war die entscheidende Initialzündung der Frauenbewegung gewesen – das wird heute oft vergessen. Feministinnen haben damals die ersten Kinderläden gegründet, neue pädagogische Konzepte entworfen und zusammen mit Erzieherinnen für eine bessere Ausstattung von Kindergärten gekämpft. Das heißt, es war die Frauenbewegung, die dafür gesorgt hat, dass die Schaffung einer »kinderfreundlichen« Gesellschaft zu einem allgemeinen politischen Anliegen geworden ist, und dass zumindest die gröbsten Ungerechtigkeiten in der wirtschaftlichen Benachteiligung von Müttern beseitigt wurden.
Im Vergleich zu dem tiefgreifenden Wandel vor fast 100 Jahren ist die Entwicklung der Kinderzahl pro Frau seit drei Jahrzehnten relativ stabil – bei etwa 1,5 Kindern pro Frau. Zwar ist Mitte der 1970er Jahre die statistische Kinderzahl pro Frau in der Tat noch einmal gesunken, und zwar, nachdem sie in den 60er Jahren noch einmal angestiegen war, von 2,5 auf ungefähr den Stand von heute.
Dass Frauen in Deutschland »immer weniger Kinder« hätten, wie dauernd behauptet wird, ist also schlichtweg falsch. Richtig ist, dass seit einiger Zeit die Geburtenrate sinkt – also die Anzahl der Neugeborenen pro 1000 Bevölkerung. Aber das hat nichts mit weiblicher Gebärunlust zu tun, sondern liegt schlicht daran, dass die Menschen heute älter werden als früher und daher proportional immer weniger Frauen im gebärfähigen Alter sind. Die einzelnen Frauen haben im Durchschnitt immer noch genauso viele Kinder wie vor dreißig Jahren, nämlich ungefähr 1,6. (Die niedrigere statistische Fertilitätsrate von knapp 1,4 ist der Tatsache geschuldet, dass sich das Gebäralter der Frauen kontinuierlich nach hinten verschoben hat.)
Ginge es nach den Frauen, dann wären die Kinderzahlen sogar noch etwas höher. Frauen, so belegen diverse Studien, wollen im Schnitt nämlich ungefähr 1,8 Kinder. Die Gründe dafür, dass Frauen sich nicht alle ihre Kinderwünsche erfüllen, sind ja inzwischen viel diskutiert und bekannt. Fehlende Krippen- und Kindergartenplätze, immer größeren beruflichen Anforderungen, unflexiblen Arbeitsplätzen – und zunehmend auch an den Männern. Fast die Hälfte der Frauen, die ein Kind möchten, findet schlichtweg keinen passenden Erzeuger – die Lust auf Vaterschaft ist in den letzten Jahren besorgniserregend zurückgegangen: 26 Prozent der jungen Männer wollen keine Kinder, gegenüber nur 11 Prozent der Frauen, wobei sich die »Kinderunlust« der Männer seit 1992 mehr als verdoppelt hat, während sie bei den Frauen kaum gestiegen ist.
Es ist doch sehr auffällig, dass ausgerechnet diejenigen, die in ihren Feuilletons über den Werteverfall und das Ende des familiären Zusammenhalts klagen, gleichzeitig in ihrem Wirtschaftsteil den Neoliberalismus prägen, also eine Wirtschaftsweise, die eindeutig familienfeindlich ist. Der Arbeitsmarkt verlangt inzwischen ein Höchstmaß an Flexibilität, die Zahl der Überstunden steigt wieder an, und es wird immer üblicher, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig erreichbar sein müssen, stets bereit, im Interesse des Unternehmens zu reisen oder gar umzuziehen. Das sind ja wohl alles andere als günstige Bedingungen für die Gründung einer Familie, die nun einmal auf eine gewisse Stabilität angewiesen ist.
Auch die alten patriarchalen Verhaltensmuster wirken sich auf vielfältige Weise schädlich auf die Kinderzahlen aus – und zwar international durchaus unterschiedlich. So sind die Geburtenzahlen in jenen Ländern besonders niedrig, in denen es im 20. Jahrhundert nationalsozialistische oder faschistische Regime gegeben hat: Deutschland, Österreich, Spanien, Italien, Griechenland. Offensichtlich wirkt sich das entsprechende Mutterbild der mythologisch aufgeladenen Volksgebärerin, die sich ausschließlich der Kinderaufzucht widmet, noch immer negativ aus. Jedenfalls liegen die Kinderzahlen in Ländern mit einer pragmatischeren Einstellung zur Bevölkerungspolitik und ohne faschistische Vergangenheit – Frankreich, England, USA, Skandinavien – durchgängig höher. Hier gibt es keine ideologisch aufgeheizten Debatten um angebliche »Rabenmütter« oder diffuse Ängste vor den vermeintlich negativen Folgen von »Fremdbetreuung.« Das Problem sind also soziale und kulturelle Strukturen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen.
Dass alle Mütter Frauen sind ist eine Tatsache. Was genau aber Mutterschaft bedeutet, welche Aufgaben eine Mutter hat und wie sie ihre Rolle ausfüllt, das ist Interpretationssache, es ist Kultur, nicht Natur. Und zwar eine Kultur, die Frauen aktiv mitgestalten, indem sie Entscheidungen über ihr Leben treffen. Die Frage, wie eine Gesellschaft Mutterschaft definiert, ist eine politische Frage, das heißt, wir müssen und können darüber verhandeln und uns so oder so entscheiden – jede Frau für sich ebenso wie die Gesellschaft als Ganze.
Ein Hauptproblem an der gegenwärtigen Diskussion sehe ich darin, dass diese Vielfalt weiblicher Ideen und Visionen zum Zusammenleben der Generationen da kaum vorkommt. Was uns da begegnet, ist immer wieder eine steretoype Masse namens »die Frauen«, die statistisch vermessen wird und durch diese oder jene Maßnahme auf Norm getrimmt werden soll. Zum Beispiel scheinen sich viele eine gute, also den eigenen Bestand kontinuierlich reproduzierende Bevölkerung so vorzustellen, dass jede Frau die dafür statistisch notwendigen zwei Kinder auch höchstpersönlich bekommt. Kinderlose Frauen gelten ebenso als bevölkerungspolitische Irrgängerinnen wie Frauen, die mehr als drei Kinder haben.
Der Statistik ist es aber schlichtweg egal, ob ein neu geborenes Kind das erste, zweite, dritte, vierte oder fünfte ist. Für das bevölkerungspolitische Ziel, die Fertilitätsrate zu erhöhen, ist das Ideal der Zwei-Kind-Familie schädlich. In den USA oder in Schweden etwa ist die Quote der lebenslang kinderlosen Frauen fast genauso hoch wie in Deutschland, und dennoch liegt die Fertilitätsrate im bestandserhaltenden Bereich: weil diejenigen Frauen, die Mütter sind, dort nicht eins oder zwei, sondern drei, vier oder fünf Kinder haben.
Es wird immer Frauen geben, die keine Kinder haben möchten. Wer mit Leidenschaft berufliche Ziele verfolgt und entsprechende Schwerpunkte im Lebenslauf setzen möchte, lässt sich mit äußeren Anreizen oder Sanktionen nicht zu einer Elternschaft bewegen. 44 Prozent der kinderlosen Frauen geben an, dass sie ohne Kinder zufrieden sind – woraus sich durchaus schließen lässt, dass diese Frauen auch bei großzügigster Familienförderung an ihrem Lebensstil nichts ändern würden. Maßnahmen, die effektiv sein wollen, müssen sich doch wohl sinnvollerweise auf die 56 Prozent kinderloser Frauen richten, die mit diesem Zustand nicht zufrieden sind.
Hinter der offenbar unausrottbaren Aufteilung von Frauen in sich gegenüberstehende Spezies namens »Mütter« und »Kinderlose« steckt in Wahrheit nicht das Bemühen um Gerechtigkeit, sondern vielmehr, mal unterschwellig, mal offen ausgesprochen, die Vorstellung, erst durch die Mutterschaft werde eine Frau komplett und vollständig. Aber dieser Mythos transportiert nicht nur ein überholtes Frauenbild, er ist heute unter demografischen Gesichtspunkten im wahrsten Sinn des Wortes kontraproduktiv. Denn es ist eben nicht ein rasanter Anstieg der »Kinderlosen« für die prognostizierte Misere »Geburtenmangel« verantwortlich, sondern der Anteil der Frauen, die früher vier oder fünf Kinder hatten, ist geschrumpft. Nicht die Kinderlosen haben sich in erster Linie verändert, sondern die Mütter: Sie bekommen heute nur noch zwei oder noch häufiger sogar nur ein Kind – ganz im Sinne der Propaganda vom weiblichen Wesen. Denn für die imaginierte »Komplettierung« ihres Frauseins durch die Erfahrung der Mutterschaft reicht ein Kind ja völlig aus.
Natürlich ist es eine voll und ganz zu respektierende Entscheidung, wenn eine Frau nur ein Kind haben möchte. Bedenklich ist jedoch eine Kultur, die Familien mit vielen Kindern fast schon für asozial hält, und die Frauen, die in der Mutterschaft nicht nur eine kurze »Phase« und eine »Erfahrung« sehen, die sie nicht missen wollen, sondern die sich eine ganze Reihe von Jahren lang Zeit nehmen, um mehrere Kinder zu haben und groß zu ziehen, für tendenziell »unemanzipiert« hält, weil sie nicht den gleichen beruflichen Ambitionen folgen können wie ihre kinderlosen oder nur ein Kind habenden Geschlechtsgenossinnen. Was in der Tat heute ein großes Risiko ist. Denn »Nur-Hausfrau« zu sein, kann keine Option für ein ganzes Leben mehr darstellen. Selbst mit drei oder vier Kindern ist eine Frau allerhöchstens 20 Jahre beschäftigt – bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren ist das zu wenig an »aktiver« Zeit. Wenn Frauen ihre beruflichen Ambitionen also hinten anstellen, um sich der Erziehung von Kindern zu widmen, dann bedeutet das mehr als in früheren Generationen ein wirklich großes Opfer. Für die Zeit »danach« – und die kommt nun mal unweigerlich – haben sie sich viele Optionen verschlossen.
Es ist deshalb nur »vernünftig« – im Sinne der Marktlogik unserer gegenwärtigen Erwerbsarbeitsgesellschaft – wenn die meisten Frauen versuchen, diese Kinderphase möglichst kurz zu halten und quasi nebenbei abzuwickeln. Man muss eben heutzutage (Stichwort »Eigenverantwortung«) den eigenen Marktwert pflegen. Deshalb nehmen so viele Frauen mit kleinen Kindern in Kauf, dass sie extrem belastet und überarbeitet sind. Jede Frau, die Kinder hat, vollführt einen Balanceakt zwischen den Anforderungen der Kinder und denen des Arbeitsmarktes. Natürlich leiden darunter auch soziale Beziehungen und möglicherweise auch manche Kinder: Was nebenbei erledigt wird, wird eben meistens nicht wirklich gut erledigt. Aber wessen Schuld ist das? Haben die Frauen überhaupt eine andere Chance?
Im Grunde genommen gibt es derzeit in Deutschland überhaupt kein Modell dafür, wie eine Frau mehr als zwei Kinder haben kann, ohne damit ein sehr hohes persönliches Risiko einzugehen. Der Preis, den sie zahlen muss, ist der Verzicht auf viele Möglichkeiten, sich den eigenen Lebensunterhalt selbstständig auf einem angemessenen Niveau erwirtschaften zu können. Und das, wo gleichzeitig sozialstaatliche Sicherungssysteme zurückgefahren werden und immer weniger Männer geneigt (oder auch in der Lage) sind, den »Familienernährer« abzugeben. Mütter von drei, vier oder fünf Kindern stammen deshalb entweder aus sehr wohlhabenden Verhältnissen, sind also aufgrund ihres Vermögens auf Erwerbsarbeit nicht angewiesen oder verdienen genug, um einen Großteil der Haus- und Erziehungsarbeit an bezahlte Kräfte delegieren zu können. Oder es sind Frauen aus den unteren sozialen Schichten, die aus verschiedenen Gründen für sich im Erwerbsarbeitsmarkt sowieso keine Chance sehen. Den anderen bleibt gar nichts anderes übrig, als es bei zwei Kindern zu belassen.
Doch wer an diesem unbefriedigenden Zustand etwas ändern will, darf nicht die Frauen mit moralischen Appellen überschütten, sondern muss sich dafür einsetzen, dass unsere Gesellschaft neue Modelle von Arbeit, Einkommensverteilung, Wertschätzung und gesellschaftlichem Einfluss (sowohl in symbolischer, als auch in finanzieller Hinsicht) findet. Solange für das Problem der strukturellen Unmöglichkeit von Vielkind-Familien keine Lösung gefunden wird, kann die Fertilitätsrate gar nicht signifikant ansteigen.
Entsprechende Diskussionen haben zum Glück längst begonnen, zum Beispiel mit dem Vorschlag eines leistungsunabhängigen Grundeinkommens, mit dem Versuch also, Arbeit und Einkommen zu entkoppeln, oder auch mit Ideen für eine Umgestaltung des Arbeitslebens, damit sich Arbeitsbedingungen nicht nur an den Interessen der Unternehmen orientieren, sondern auch an den Notwendigkeiten der Familienarbeit. Auch hier sind Feministinnen wieder mal Vorreiterinnen, anders übrigens, als die meisten Herren, die sich so gerne als Bevölkerungsexperten zu Wort melden.
Bei all dem müssen wir uns außerdem klar machen, dass es ohnehin so gut wie unmöglich ist, mit Hilfe von Bevölkerungspolitik das Gebärverhalten von Frauen steuern zu wollen – die Entscheidungen, warum Frauen Kinder bekommen oder keine und wenn, wie viele, sind so komplex, hängen von so vielen unterschiedlichen Faktoren ab, dass einzelne Maßnahmen darauf so gut wie keinen Einfluss haben.
Ohnehin ist die Diskussion über die Kinderzahlen angesichts der demografischen Entwicklung nur ein Punkt – und nicht einmal der wichtigste. Und damit komme ich zum zweiten Teil meines Vortrags: Der Frage nach neuen Altersbildern.
Der Hauptgrund dafür, dass der Altersdurchschnitt der Gesellschaft steigt, ist nämlich nicht die Geburtenrate, sondern die Lebenserwartung. Die steigt kontinuierlich an. Derzeit liegt sie bei 78 Jahren, und sie steigt in den westlichen Industrienationen jedes Jahr um zwei bis drei Monate an.
Wobei das eigentlich Neue an der Entwicklung aber nicht ist, dass die Menschen immer älter werden, sondern dass immer mehr Menschen alt werden. Fast 95 Prozent aller Menschen werden heute sechzig Jahre oder älter – das hat es in der ganzen Menschheitsgeschichte noch nie gegeben. Vor hundert Jahren lag die durchschnittliche Lebenserwartung noch bei nicht einmal 50 Jahren. Das heißt aber nicht, dass die Menschen damals »mit 50 gestorben« sind, wie oft gesagt wird. Diejenigen, die damals die 50 überhaupt erreicht haben, wurden dann meistens auch noch 70 oder 80 Jahre alt. Der Unterschied ist, dass damals die wenigsten überhaupt ein solches Alter erreicht haben. Sehr viele Kinder starben schon in den ersten Lebensjahren, viele Frauen starben bei der Geburt, viele Krankheiten erforderten damals Todesopfer, während sei heute heilbar sind. Die Arbeitssicherheit hat sich verbessert, es gibt weniger Unfälle und so weiter.
Das heißt, das so genannte demografische »Problem« hat seine wichtigste Ursache darin, dass sich die medizinischen und hygienischen Bedingungen so sehr verbessert haben, dass das Alter nichts ist, was nur wenige Glückliche erreichen können, sondern praktisch alle. Wollen wir uns ernsthaft darüber beklagen und das als Katastrophe an die Wand malen? Das wäre ja nun wirklich ein Armutszeugnis für unsere Kultur.
Natürlich liegt es auf der Hand, dass diese Entwicklung weit reichende gesellschaftliche Veränderungen nach sich ziehen muss. Schaut man sich zum Beispiel den Begriff »Rentenversicherung« an: Als Ende des 19. Jahrhunderts die Bismarck’sche Rente für männliche Industriearbeiter eingeführt wurde, war das tatsächlich eine Versicherung gegen einen Ausnahmefall – nur wenige Industriearbeiter wurden nämlich überhaupt 70 Jahre alt. Heute können wir aber alle so gut wie sicher sein, dass wir unsere Rente erleben. Aber was soll das für eine »Versicherung« sein, wenn der Versicherungsfall so gut wie sicher auch eintritt?
Das heißt, wenn heute über die so genannten »Probleme« der Veralterung der Gesellschaft diskutiert wird, dann müssen wir uns zunächst einmal vor Augen führen, dass wir hier mit einer sehr positiven Veränderung zu tun haben. Und zwar mit einer, die unausweichlich ist: Egal, wie gut es uns gelingt, in Zukunft es den Frauen zu ermöglichen, so viele Kinder zu bekommen wie sie wollen, und egal wie viel Zuwanderung von jungen Menschen aus anderen Ländern wir auch fördern – darauf, dass die Bevölkerung älter wird, müssen wir uns so oder so einstellen. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, dass wir uns von überkommenen Altersklischees lösen. Denn wenn wir in den »Alten« nur eine Belastung sehen, dann ist das in der Tat fatal.
Zum Glück hat diese Debatte auch längst begonnen. So wird inzwischen schon viel über die Notwendigkeit nach lebenslangem Lernen, nach neuen Altersbildern, nach Aktivität und Engagement von Älteren diskutiert. Die Wirtschaft entdeckt ältere Menschen als kaufkräftige Konsumentinnen und Konsumenten, sogar in der Werbung sieht man inzwischen manchmal ein älteres Gesicht. Neue Projekte entstehen von Wohngemeinschaften, Netzwerken, Ehrenamtsakademien.
Doch leider geschieht das meist aus einer männlichen Perspektive. So wird zum Beispiel gefordert, dass sich die Lebensläufe ändern müssten, dass es nicht mehr stetig auf der Karriereleiter hinauf gehen kann, dass ältere Mitarbeiter auch einmal Verantwortung abgeben und kürzer treten sollen, dass wir flexibler werden und immer weiter dazu lernen und uns auch in höherem Alter noch mal umorientieren müssten. Aber ist das für Frauen denn wirklich etwas Neues? Frauen hatten doch schon immer gebrochene Arbeitsbiografien, viele Frauen haben längst im Alter von um die Fünfzig, wenn die Kinder aus dem Haus waren, noch einmal mit einer neuen Arbeit oder einer neuen Ausbildung begonnen. Frauen hatten ja nie mehrheitlich diese Karrieren, in denen es stetig aber sicher bergauf ging. Und muss man den Scharen älterer Frauen, die die Volkshochschulen oder Universitäten des dritten Lebensalters besuchen, wirklich erst erklären, dass lebenslanges Lernen notwendig ist? Das machen sie doch schon längst.
Frauen machen sich auch theoretisch schon lange über da Alter Gedanken. Schon Ende der 1960er Jahre hat die bekannte Feministin Simone de Beauvoir ein sehr detailliertes Buch über die Kultur des Alters geschrieben. Damals war die Situation der Alten noch sehr prekär, und sehr schonungslos und ehrlich hat sich Simone de Beauvoir auch dem eigenen Alternsprozess gestellt.
1993 hat die US-amerikanische Feministin Betty Friedan eine ebenfalls sehr dicke Studie über das Alter vorgelegt, in der viele der Themen, die neuerdings so aufgeregt in den Feuilletons diskutiert werden, bereits angesprochen sind. Leider wird auf dieses Wissen und diese Ideen der Frauenbewegung praktisch nie Bezug genommen – so ist Friedans Studie nur noch antiquarisch zu bekommen. Aber die Lektüre lohnt sich. Unter vielem anderen macht sie sich Gedanken darüber, warum die Lebenserwartung von Frauen und Männern sich so sehr auseinander entwickelt hat. Inzwischen leben Frauen ja im Durchschnitt rund sieben Jahre länger als Männer, und zwar vor allem in den Industrieländern, in den Ländern mit emanzipiertem Frauenbild. Erklären lässt sich das heute nicht mehr einfach mit dem risikoreicheren Leben von Männern. Auch die Arbeitsplätze von Männern sind inzwischen recht sicher, auch Männer leben nicht mehr so ungesund wie früher. Und trotzdem driftet die Lebenserwartung der Geschlechter noch weiter auseinander. Friedan glaubt, das liege daran, dass Frauen besser auf die neuen Zeiten eingestellt sind, dass das Ende der Erwerbsarbeit, das Ende der patriarchalen Denkmuster, Frauen nicht so schwer fällt wie Männern.
Ich glaube in der Tat, dass hier Frauen Protagonistinnen, Vorreiterinnen einer gesellschaftlichen Veränderung sind, dass sie vieles schon ausprobieren und leben, was die Männer in der heutigen Demografiedebatte gerade erst als neues Feld für sich entdecken. Leider gilt die alte Frau in unserer Kultur nicht viel. Ich nenne das das Miss-Marple-Prinzip. Miss Marple weiß gut Bescheid, aber sie wird leicht übersehen, niemand hört auf das, was sie sagt. Das ist aber schlecht für unsere Gesellschaft, wir brauchen das Wissen und das Engagement der Miss Marples.
Was ich mir von der älter werdenden Gesellschaft erhoffe, das ist überhaupt ein realistischeres Menschenbild. Derzeit wird doch immer noch so getan, als seien alte Menschen irgendwie ein Sonderfall, der Probleme verursacht: Sie sind langsam, brauchen Hilfe oder sogar Pflege, kosten Geld, leisten nichts. Doch wer sagt eigentlich, dass ein »normaler« Mensch nur ist, wer rundum funktionstüchtig ist, sich selbst versorgen kann und auf niemandes Unterstützung angewiesen ist? Sind wir nicht alle einmal als schreiende und völlig unselbstständige Babies auf die Welt gekommen? Ist das Normale nicht, dass Menschen aufeinander angewiesen sind? Die Illusion des patriarchalen Menschenbildes, wonach der erwachsene Mann die Norm ist und um den Rest sich die Frauen kümmern, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten, und das ist auch gut so.
Stellen Sie sich einmal vor, wir würden unsere Welt so einrichten, dass alte Menschen gut in ihr leben könnten: Alle Schilder wären so groß und kontrastreich beschrieben, dass man sie gut lesen kann, die Ampelphasen wären lang genug, dass auch langsam gehende Menschen über die Straße kommen, überall gäbe es Rampen und Aufzüge, an der Supermarkt könnte man wählen zwischen Schlangen für Eilige und Schlangen für solche, die Zeit haben. Würde das nicht auch jungen Menschen zugute kommen? Würden nicht auch sie sich über verständliche Bedienungsanleitungen freuen? Wären nicht auch sie dankbar für den Aufzug, wenn sie mit Kinderwagen unterwegs sind oder Getränkekisten schleppen müssen? Eine Welt, die für Alte lebenswert ist, ist für alle lebenswerter.
Die Wirtschaft ist da schon weiter. Sie entwickelt nicht nur längst entsprechende Produkte, weil sie die Alten als Konsumentinnen und Konsumenten entdeckt hat, sie verzichtet auch darauf, ihre so entwickelten Produkte als »für Alte« anzupreisen. Sie hat nämlich verstanden, dass es Produkte für alle sind. So haben sich die japanischen Autos, die als erste hohe Sitze zum bequemen Ein- und Aussteigen hatten, und die ursprünglich für Seniorinnen und Senioren entwickelt worden waren, inzwischen auch als Verkaufsschlager bei jungen Leuten herausgestellt. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir uns von den Alten mehr positive als negative Impulse für die gesamte Gesellschaft erwarten dürfen, und dass es gut ist, wenn es mehr Alte werde. Allerdings gehört dazu auch, dass wir uns von überkommenen Altersklischees entfernen. Denn die zukünftigen Alten werden nicht so sein, wie die heutigen Alten, ebenso wie die heutigen Alten ja auch schon nicht mehr so sind, wie die Alten der Generation vor ihnen.
Dies ist übrigens ein grundsätzliches Problem der Altersforschung: Wenn ich Alte mit Jungen vergleiche und dabei Unterschiede feststelle – zum Beispiel dass die Jungen mehr am Computer sitzen oder die Alten mehr Volksmusik hören – dann kann ich damit nämlich noch nicht wissen, ob diese Unterschiede am Alter selbst liegen oder ob sie nicht an unterschiedlichen Lebenserfahrungen liegen. Bei der Volksmusik oder beim Computer werden Sie mir da sicher zustimmen: Dass es hier Unterschiede zwischen Alten und Jungen gibt, liegt sicher nicht am Alter, sondern an den Zeitläufen. Die heute Jungen, werden im Alter nicht aufhören, mit dem Computer zu arbeiten oder plötzlich anfangen, Volksmusik zu hören.
Bei anderen Dingen hingegen finden wir diese Schlussfolgerungen durchaus, obwohl sie da nicht weniger unlogisch sind. Zum Beispiel, wenn oft gesagt wird, alte Menschen seien tendenziell konservativer als Junge. Mich überzeugt das nicht. Ich glaube, dass diese Beobachtung (wenn sie denn heute überhaupt noch stimmen sollte) nichts mit dem Alter zu tun hat, sondern mit dem Erbe einer patriarchalen Gesellschaftsform. Patriarchat bedeutet ja, dass der Vater das Sagen hat – Patriarchat heißt wörtlich übersetzt: Vaterherrschaft. Das heißt, die jüngeren Männer müssen sich den alten Männern unterordnen, solange bis diese zu alt werden, dann treten die jüngeren Männer an ihre Stelle, entmachten den Vater und übernehmen dessen Position – so war unsere Gesellschaft bis vor wenigen Jahrzehnten strukturiert. Kein Wunder, das unter solchen Verhältnissen alte Männer konservativ sind und junge Männer revolutionär – schließlich haben bei einer Veränderung die Alten alles zu verlieren und die Jungen alles zu gewinnen.
Dieser Konflikt hat aber nichts mit dem Alter zu tun, ist nicht notwendig in den Generationen angelegt, sondern hängt direkt mit den patriarchalen Strukturen zusammen. Eigentlich, so finde ich nämlich, könnten ältere Menschen durchaus flexibler und innovativer sein. Sie haben schließlich im Laufe ihrer langen Lebenserfahrung schon so manche Veränderung miterlebt. Sie wissen , dass die Dinge sich verändern können. Junge Menschen können sich das nur theoretisch vorstellen, für sie ist die Welt doch eigentlich viel fest gefügter.
Ein letzter Punkt: Worum es bei der Gestaltung einer älter werdenden Gesellschaft letztlich geht, ist eine neue Aufmerksamkeit für die Beziehungen angesichts von realen Unterschieden. In unserer Kultur werden Beziehungen überwiegend als heterosexuelle Paarbeziehungen gedacht – wir haben eine große Fülle an Literatur, Filmen, Theoriearbeiten und mehr, die sich um die Frage der Gestaltung der Beziehung zwischen Mann und Frau drehen. Feministinnen haben diese Verengung unseres Beziehungsdenkens auf das Mann-Frau-Schema schon lange kritisiert. Wäre es nicht gut, wenn wir eine ähnliche kulturelle Aufmerksamkeit auf die Frage richten, wie Beziehungen zwischen den Generationen gut gestaltet werden können. Hier ist viel Erfindungsgeist gefragt. Wir brauchen viel mehr »Beziehungsfilme« und »Beziehungsbücher«, die sich mit dem Verhältnis von Generationen in allen Altersstufen beschäftigen. Filme, in denen Geschichten erzählt werden darüber, wie diese Beziehungen gestaltet werden, welche Konflikte es dabei gibt und wie sie vielleicht gelöst werden können.
Geschichten zu erzählen hilft nämlich auch, von demmoralischen Impetus wegzukommen, der sich derzeit wie ein bleierner Schleier über diese Themen legt: Die Jungen müssen sich um die Alten kümmern, ihnen zuhören, mit ihnen Zeit verbringen, ganz egal ob sie etwas davon haben, ob sie das wollen oder nicht. Das ist natürlich für beide Seiten eine unbefriedigende Situation. Viel dazu beigetragen hat auch das jüdisch-christliche Gebot: »Du sollst Vater und Mutter ehren«. Du sollst. Ob du willst, oder nicht.
Diese moralische Auffassung der Generationenbeziehung hat schädliche Auswirkungen. Denn sie führt dazu, dass Beziehungen lustlos geführt werden, aus Pflichtbewusstsein, weil man glaubt, nicht anders zu können. Für die Gestaltung der konkreten Beziehung bringt man dann kaum noch Energie auf. Die Älteren pochen auf ihr moralisches Recht, weil sie glauben, sie haben einen Anspruch darauf, dass sich die Kinder um sie kümmern. Die Kinder haben ein schlechtes Gewissen und machen zähneknirschend das Nötigste. Aber die dahinter liegenden Konflikte werden nicht ausgetragen, die Differenz zwischen Jung und Alt nicht als bereichernd und interessant empfunden, sondern als Zumutung.
Ich würde das vierte Gebot anders interpretieren: »Du sollst Vater und Mutter ehren« das bedeutet für mich: Du sollst zu deiner Herkunft stehen, du sollst dir klar machen, dass du in ein Generationengefüge eingebunden bist, dass du eine Vorgeschichte hast, dass du nicht vom Himmel gefallen, sondern von einer Frau »zur Welt gebracht« wurdest und dass du dieser Herkunft etwas verdankst, was sich nicht verleugnen lässt.
Wie in jeder anderen Beziehung auch, gestalten sich auch die Beziehungen zwischen den Generationen erst in einem konkreten Fall. Jede Beziehung, in denen moralische Ansprüche oder aber Rollenvorstellungen die Oberhand gewinnen, sodass für konkrete Verhandlungen kein Platz mehr ist, ist beengend. Dies haben wir in der Frauenbewegung im Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter breit diskutiert und neue Wege eröffnet. Ich glaube, dass hier vieles vorgedacht ist, von dem sich nun für die Generationendebatte lernen ließe.
Die Jüngeren erwarten von den Älteren Verständnis, Hilfe und Rat, die Älteren von den Jüngeren Dankbarkeit und Beistand, wenn die Kräfte nachlassen. Diese Ansprüche sind auch völlig legitim. Aber was daraus konkret folgt, das steht nicht von vornherein fest, sondern es muss miteinander besprochen, ausgehandelt werden. Dabei geht es nicht um ein buntes Trallala, sondern unter Umständen um richtige Konflikte. Die dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden, wie das allzu oft geschieht, sondern sie müssen zugelassen, zur Sprache gebracht und kulturell bearbeitet werden.
Dies waren nur einige Beispiele, was es bedeutet, die älter werdende Gesellschaft ausgehend von der weiblichen Liebe zur Freiheit zu verstehen und zu gestalten. Ich bin mir sicher, dass Ihnen selbst noch viele andere Beispiele aus Ihrer Erfahrung einfallen.
Mit dieser positiven Vision will ich Probleme nicht schön reden. Sozialsystem, Geldverteilung usw. das alles sind schwierige Themen, die heute nicht zur Sprache kamen. Aber ich glaube, dass halbherzige Herumschrauben an Details, die wir derzeit erleben, bringt nicht viel. Ich glaube, es ist ein mental-kultureller Wandel notwendig, der von der Freiheit der Frauen und dem Potenzial des Alterns ausgehend sich den Herausforderungen und auch Problemen stellt und Lösungen sucht. Dabei können wir von eigenen Erfahrungen ausgehen und wir sollten das Thema nicht an »Experten« delegieren. Denn was ich über das Frausein gesagt habe – dass es ein Gegenstand politischer und kultureller Verhandlungen ist und nichts, was »von Natur aus« so und so sein muss – das stimmt ganz genauso für das Alter. Ich freue mich, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.
Vortrag am 22.3.2007 in Dachau
und am 22.5.2007 in Köln
Mehr zum Thema auch in meinem neuen Buch: Methusalems Mütter. Chancen des demografischen Wandels