Antje Schrupp im Netz

Katharina von Bora und Teresa von Avila

(ein fiktives Streitgespräch)

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Teresa von Avila

Katharina von Bora

Europa im 16. Jahrhundert, eine Zeit des religiösen Aufbruchs, das Zeitalter der Reformation. Die mittelalterliche Kirche, in der sich die Priester oft mehr für Macht und Geld interessieren, als für ein gottgefälliges Leben, hat sich überlebt. Das Christentum muß erneuert werden, so glauben viele in diesen Jahrzehnten. Vor allem viele Frauen, meint Inge Mager, Kirchengeschichtlerin und Spezialistin für die Reformationszeit an der Universität Hamburg:

»Also ich gehöre zu denjenigen, die sagen, daß Frauen auch im Mittelalter in der Regel zu größerer religiöser Hingabe und Frömmigkeit fähig waren, weshalb es auch sehr viel mehr Frauenklöster gab als Männerklöster und auch oftmals sehr viel mehr Schenkungen an Frauenklöster gemacht wurden aus der Bevölkerung, weil man meinte, in Frauenklöstern würde intensiver und hingebungsvoller für die Stifter gebetet. Also unterm Strich würd ich sagen, Frauen waren, vielleicht auch sind, zu größerer, auch die ganze Existenz umfassender Frömmigkeit fähig. Und das wirkte sich natürlich auch in der Reformation aus, sei es durch Unterstützung oder sei es durch Opposition, beides mit sehr viel mehr existenzieller Hingabe und manchmal auch Radikalität«.

Für ihre Hingabe und Radikalität in besonderem Maße gewürdigt werden heute vor allem zwei Frauen aus dieser Zeit, Teresa von Avila und Katharina von Bora. Allerdings kämpften sie an ganz unterschiedlichen Fronten: Die eine, Teresa, war eine Mystikerin, die den Karmeliterorden in Spanien reformierte, indem sie ihn durch strengere Regeln wieder näher an seine Ursprünge zurückführen wollte. Die andere dagegen, Katharina, verließ ihr Kloster und heiratete den berühmtesten deutschen Reformator, Martin Luther. Die eine, Teresa, wurde von der Männerkirche in Windeseile heilig gesprochen, die andere, Katharina, war lange in Vergessenheit geraten, bis Feministinnen sie im späten 20. Jahrhundert zu ihrer Gallionsfigur kürten. Zwei Frauen, fast Zeitgenossinnen – Teresa ist 16 Jahre jünger als Katharina – wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Das ist vermutlich der Grund, warum die feministische Theologie sich den beiden bislang immer nur getrennt genähert hat. Doch wie können wir sie beide bejubeln, wenn sie sich doch in fast allem widersprechen? Kann nicht nur eine von ihnen recht haben?

Vielleicht gelingt eine Annäherung zunächst am besten über die Gemeinsamkeiten. Die liegen vor allem im Profanen. Denn ob so oder so, reformieren läßt sich’s nur, wenn man sich dazu die nötigen Mittel verschaffen kann. 1536 schreibt Katharina Luther an den Landesrentmeister Johannes von Taubenstein:

»Ich bin aber unterrichtet, dass der Wirt von Pratau, welcher bis jetzt das Gut innegehabt hat, es jetzt freigegeben haben soll. Wenn es sich so verhält, so ist es meine freundliche Bitte an euch, dass ihr mir zu diesem Gut verhelfen möchtet für dieselbe Pacht, die ein anderer gibt. Ich bitte allein, dass mir das Gut ein Jahr oder zwei für eine angemessene Pacht überlassen werde, damit ich meinen Haushalt und Vieh desto bequemer erhalten möchte, weil man alles allhier aufs teuerste erkaufen muss und mir solcher Ort, der nahe gelegen ist, sehr nützlich sein würde«.

Katharina Luther muß nicht nur ihren Mann und die eigenen sechs Kinder, sondern auch eine weitläufige Verwandtschaft und eine wachsende Studentenschar durchfüttern. Weil die Preise für Lebensmittel hoch sind, stellt sie fast alles selbst her: Gemüse, Fleisch, Bier. Auch Teresa von Avila hat Geldsorgen. Denn um neue Klöster zu gründen, braucht es nicht nur Entschlossenheit und Enthusiasmus, sondern vor allem Grund und Boden. In ihrer Autobiografie schreibt sie:

»Wir kamen überein, unser weiteres Vorgehen geheim zu halten. So brachte ich es fertig, dass eine meiner Schwestern, Juana, die nicht in Avila wohnte, das Haus kaufte und zum Schein für sich selbst herrichten ließ, und zwar mit Geldern, die uns der Herr beschaffte und von deren Wegen zu berichten hier zu lang würde. Denn ich achtete sehr darauf, nicht gegen den Gehorsam zu vestoßen, wobei mir aber auch klar war, dass alles verloren wäre, wenn meine Vorgesetzten etwas davon erführen. Bezüglich des Geldes lag die ganze Last allein auf meinen Schultern: Seine Beschaffung, seine Verwaltung und auch sein Einsatz. Manchmal sagte ich betrübt: Mein Herr, warum trägst du mir schier Unmögliches auf? Ich bin doch nur eine Frau!«

Auch das haben Teresa und Katharina gemeinsam. Daß sie eine Frau sind, ist bei beiden entscheidend für ihren Lebensweg, und sie verleugnen es nicht – im Gegenteil, beide tragen ihr Frau-sein sozusagen auf dem Präsentierteller vor sich her: Katharina entwickelt sich zu einer Art Superweib von der Sorte, wie sie auch heute wieder die Frauenromane bevölkert. All das, worunter Frauen typischerweise leiden, ein griesgrämiger Ehemann, ein riesiger Haushalt, eine Schar quängelnder Kinder und der Anspruch, trotzdem auch noch intellektuell mithalten zu können, all das hat Katharina scheinbar mit links bewältigt, und das in einer Zeit ohne Waschmaschine und elektrischen Rührbesen. Und dafür erntet sie heute Bewunderung.

»Ihre Bedeutsamkeit liegt darin, dass sie an der Seite des bedeutenden Mannes des 16. Jhrd. gelebt und gestanden hat, natürlich hat sie innerhalb der Ehe auch allerlei eigenständige, hausfrauliche, mütterliche gastgeberliche Aktivitäten entwickelt, aber ich denke, die gehen in keiner Weise über das hinaus, was andere Frauen in ihrer Situation auch getan haben.«

Katharina Luther ist so wie wir alle, nur eben viel besser. Sie ist gewissermaßen deshalb berühmt, weil sie eigentlich nichts Besonderes ist, sondern genau das, was man im allgemeinen so typisch Frau nennt. Teresas Berühmtheit hingegen hat andere Gründe. Natürlich muß auch sie kochen und putzen, denn auch ein Kloster muß saubergemacht werden, und auch Nonnen brauchen Kleider und müssen essen. Doch diese Tätigkeiten machen bei Teresa von Avila nicht ihre Weiblichkeit aus. Ihr Frausein ist vielmehr Ausgangspunkt für ihre Theologie, für ihre mystischen Erlebnisse. Sehr häufig bringt sie ihr Geschlecht in Zusammenhang mit ihren Visionen und göttlichen Eingebungen:

»Für Frauen wie mich, ungebildet und schwach, scheint es mir allerdings passend zu sein, wenn Gott mich, wie es gegenwärtig geschieht, mit innerer Schau beschenkt, damit ich einige Leiden, die er mir auferlegte, besser ertrage. Aber Gottesdiener, Männer von Format, Verstand und Gelehrsamkeit, die sich beklagen, wenn Gott ihnen keine erbaulichen Gefühle schickt – das zu vernehmen missfällt mir. Sie sollten sich als selbstbeherrschte Menschen nicht grämen und sie müssen erkennen, dass solche Gaben auch nicht nötig sind, wenn seine Majestät sie nicht schenkt.«

Während Katharina von Bora es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, für den wichtigsten Mann der Reformation zu sorgen, schwingt bei Teresa von Avila fast immer, wenn sie über Männer spricht, eine sehr feine, aber durchaus spitze Ironie mit. Dennoch hat ihre merkwürdig demütige Bezugnahme auf das eigene, weibliche Geschlecht der feministischen Theologie lange Kopfzerbrechen bereitet. Mit Katharina von Bora können sich emanzipationswillige Frauen gut identifizieren: Sie ist unterdrückt und dabei trotzdem stark und kämpferisch. Bei Teresa von Avila ist das schwieriger: Was soll das dauernde Gerede von der weiblichen Schwachheit? Wozu all die Gehorsamkeitsgesten gegenüber der Obrigkeit? Kein Wunder, daß die katholische Kirche, also das Patriarchat par excellence, sie zur Heiligen machte! Die Freiburger Kulturwissenschaftlerin und Teresa-Forscherin Andrea Günter hält dies jedoch für einen Kurzschluß:

»Ich denke, daß es tatsächlich ein Grund ist, das zu überprüfen, aber es würde ganz grundsätzlich heißen, daß wir dem Patriarchat überlassen, wie die Frauen einzuschätzen sind, und ich denke, daß wir im Feminismus praktiziert und gelernt haben, daß wir uns die Frauen selber anschauen. Also nicht nur die, die nicht rezipiert wurden und die deshalb sozusagen als unschuldig gelten, sondern daß wir uns auch die anschauen, die im Patriarchat einen gewissen Stellenwert hatten und die als Autorität anwesend sind, zumal ich auch davon ausgehe, daß das Patriarchat nicht so stark ist, wie wir in der Regel glauben, sprich, es gibt vermutlich auch gute Gründe dafür, daß die Frauen, die heiliggesprochen wurden, tatsächlich auch darstellten, was auch das sogenannte Patriarchat nicht umgehen konnte, daß diese Frauen eine Relevanz hatten, die wir durchaus auch schätzen sollten und auch heute neu einschätzen sollten.«

In der Tat erlebt Teresa von Avila derzeit eine Renaissance. Vor allem spirituell engagierte Frauen entdecken Teresas Mystik als Anleitung für ihre eigene religiöse Praxis. Aber auch Philosophinnen widmen sich zunehmend ihrem Werk und ihrem Leben. Sie würdigen Teresa als eine der ersten Denkerinnen, deren Konzept von Weiblichkeit nicht von der Auseinandersetzung mit den Männern geprägt ist, sondern dessen Wurzeln in einer weiblichen Suche nach authentischer Gottes- und Welterkenntis liegen. Und in dieser Perspektive gewinnt auch die Bezugnahme auf ihr Frau-Sein eine andere Bedeutung: Wenn sie die weibliche Schwäche hervorhebt, dann bezieht sich das nicht auf ihr Verhältnis zu den Männern, sondern auf ihr Verhältnis zu Gott. Und im Verhältnis zu Gott ist Demut sicherlich eine angemessene Haltung.

Frausein heißt im 16. Jahrhundert vor allem auch, nicht allzuviele Möglichkeiten zu haben, das eigene Leben zu gestalten, eigentlich nur genau zwei: Frauen können heiraten oder ins Kloster gehen. Teresa von Avila wählt den Weg in das Kloster, Katharina von Bora den Weg aus dem Kloster. Beide empfinden das als Weg in die Freiheit, bei beiden ist die Entscheidung zu diesem Schritt mit persönlichem Mut verbunden, denn am Anfang steht eine Flucht aus dem von der Familie vorgezeichneten Lebensweg. Katharina von Bora stammt aus einer alten, aber verarmten sächsischen Adelsfamilie. Noch als Kind, im Alter von sechs Jahren, wird sie in ein Kloster gesteckt – ihre Mutter ist gestorben, und der Vater will wohl auf diese Weise die Sorge um ihre weitere Zukunft los sein. Auch Teresa de Ahumada, Tochter aus einer angesehenen kastillianischen Handelsfamilie, verliert ihre Mutter noch als Kind, mit 13. Allerdings wird sie nicht ins Kloster geschickt, sondern zu einer Gesellschaftsdame erzogen. Sie hat ein sympathisches Wesen, Geschick für Small-talk, und ihre Schönheit ist ebenso legendär, wie später Katharinas angebliche Häßlichkeit. Doch mit zwanzig Jahren verläßt Teresa in einer nächtlichen Fluchtaktion das väterliche Gut und tritt in das Karmelitinnenkloster Encarnacionin Avila ein. Schon bald legt sie das Gelübde ab, da ist sie zweiundzwanzig. Für sie ist die Flucht ins Kloster eine Befreiung – sie ist nun frei von gesellschaftlichen Verpflichtungen und Konventionen, frei für ihre Hingabe an Gott.

»Augenblicklich gab mir der Herr eine so große Freude über die Wahl des Ordensstandes, dass sie mich bis heute nicht verließ. Auch wandelte sich die Trockenheit meiner Seele in innigste Zärtlichkeit. Alles am Ordensleben machte mich glücklich, und es war tatsächlich so, dass, wenn ich gerade zu fegen hatte zu jenen Stunden, die ich sonst auf Kosmetik und Kleidung zu verwenden pflegte, mir der Gedanke, davon nun frei zu sein, eine ganz neue Freude bereitete, über die ich mich wunderte, weil ich nicht begreifen konnte, woher sie kam.«

Katharina ist nur wenig älter, vierundzwanzig, als sie sich in entgegengesetzte Richtung aufmacht: Aufgerüttelt durch reformatorische Schriften, die einige Mitschwestern in die Gemeinschaft eingeschmuggelt hatten, flieht sie, ebenfalls bei Nacht und Nebel, zusammen mit elf weiteren Nonnen aus dem Kloster. Es muß ihr klargewesen sein, dass dies gleichzeitig auch eine Entscheidung für die Ehe war.

»Es gab von der Reformation her eigentlich kein gesellschaftlich akzeptiertes Lebenskonzept für Alleinstehende, und zumal für eine Frau gab es außer der Rückkehr in die eigene Familie, außer der Heirat, eigentlich keine Lebensmöglichkeit, keine Lebensform. Und das war das Problem, und das magviele Nonnen, die sonst vielleicht ihre Konvente verlassen hätten, zum Bleiben genötigt haben. Denn sie waren durch den Klostereintritt von ihren Familie in der Regel ausgesteuert und konnten nicht mehr erwarten, daß sie nun ein zweites Mal von der Familie getragen wurden, denn das eingezahlte Vermögen blieb ja in den Konventen.«

Genauso ist es auch bei Katharina. Doch die Frauen in der Reformation sehen in der Heirat nicht nur eine materielle Notwendigkeit. Sehr viele von ihnen heiraten, wie Katharina, ehemalige Mönche, auch wenn die unter dem Versorgungsaspekt meist eine eher schlechte Partie sind. Einen eigentlich zur Ehelosigkeit verpflichteten Kirchenmann zu heiraten, das verstehen viele Frauen als kirchenpolitische Notwendigkeit. Denn die Abschaffung des Zölibats ist für sie ein zentraler Punkt der Reformation. Immerhin gründet die Idee, Priester müssten ehelos sein, auf der Annahme, daß allein schon die Beziehung zu einer Frau eine Gefahr für die Reinheit des Priesteramts darstellt. Von Katharina Luther selbst sind keine Äußerungen dazu überliefert, wohl aber von vielen anderen Zeitgenossinnen, zum Beispiel von Argula von Grumbach aus Nürnberg, die die Anliegen Luthers in zahlreichen Traktaten verteidigt:

»Die Priester haben den Kitzel des Fleisches ebenso wie wir, auch wenn sie es mit dem Schanddeckel der Kutte befärben. Vor Gott hilft das nicht. Hülfe es, wir alle wollten Kutten tragen. Paulus sagt: »Jeder soll ein Weib haben. Jede Frau soll einen Mann haben«. Ich kann die Einrichtung der Domherren und Priester nicht anders ansehen als Erhaltung von Gespielen und Gespielinnen, wie es unverschämt zu Tage liegt. Der Papst ist dem Rat des Teufels gefolgt, hat ihnen Ehefrauen verboten und gegen Geld Gespielinnen erlaubt. O ihr Fürsten, seht darauf, daß sie nicht also darin verderben«

Einen Priester zu heirateten, das ist aus Sicht der Reformatorinnen also ein gutes Werk, denn es bewahrt die Kirchenmänner vor Lasterhaftigkeit, und damit das Christentum vor Schaden. Vermutlich hat Argula von Grumbach auch dazu beigetragen, daß Katharina von Bora den Luther heiraten konnte – es sind mehrere Briefe von ihr überliefert, in denen sie den Reformator auffordert, sich doch endlich zu verheiraten.

Auch Teresa von Avila will das Christentum vor Schaden und Lasterhaftigkeit bewahren. Allerdings unternimmt sie dabei nicht den Versuch, die Männer zu beeinflussen oder zu verändern. Sie setzt vielmehr dort an, wo Frauen ohnehin schon ihr religiöses Leben weitgehend selbstverantwortlich führen, im Kloster eben. Die Klöster sind damals keineswegs nur Orte weltabgeschiedener Fömmigkeit, sondern häufig Zentren des gesellschaftlichen Lebens. Das ist im Karmeliterorden, in den Teresa eintritt, nicht anders. Die Regeln sind locker, und sie lassen viel Spielraum für gesellschaftliche Ereignisse, Feste und Kontakte mit der Außenwelt. Für zurückgezogene Frömmigkeit und religiöse Hingabe ist nur wenig Platz. Nach einer schweren Krankheit faßt Teresa im Alter von 45 Jahren daher den Entschluß, ihren Orden zu reformieren. Sie entwirft neue, strengere Regeln für ein Frauenkloster, das sie mit großer Energie und persönlichem Einsatz ins Leben ruft. Anders als die Reformatorinnen geht sie bei diesem Projekt Auseinandersetzungen mit der Kirchenobrigkeit möglichst aus dem Weg. Wenn sie sich dennoch nicht vermeiden lassen, reagiert sie mit einer Mischung aus Gehorsam und Ironie:

»Ich wäre keineswegs nach Beas gegangen, wenn ich gewußt hätte, dass es zur Provinz Andalusien gehörte. Als ich aber die Entschlossenheit meines Vorgesetzten sah, gab ich nach, denn der Herr erweist mir die Gnade, dass mir immer scheint, meine Vorgesetzten hätten Recht.«

Offenbar trifft Teresas Initiative auf ein breites Bedürfnis unter den Nonnen. Viele von ihnen schließen sich ihrer Reformbewegung an, und insgesamt gründet Teresa 16 neue Klöster für die sogenannten »unbeschuhten Karmelitinnen«, wie die Nonnen wegen ihrer einfachen Kleidung genannt werden. Bald kommen auch zwei Männerklöster hinzu, die sich den von Teresa entworfenen Regeln anschließen.

Teresa von Avila und Katharina von Bora gehen im Zeitalter der Reformation also ganz unterschiedliche Lebenswege, aber sie gehen sie doch eindeutig als Frau. Keine von ihnen will so sein wie die Männer. Die Frage ist nur: Wie ist denn überhaupt eine Frau? Wie kann die Reformation der Kirche am besten gelingen? Indem man die Männer unterstützt, die wortgewaltig und standfest der Obrigkeit entgegentreten? Oder indem man solche Streitigkeiten nach Möglichkeit meidet und einfach das tut, was notwendig erscheint? Welches Handeln ist einer Frau angemessen?

Die Frage nach der Begründung des eigenen Handelns hängt im Zeitalter der Reformation eng mit der Frage nach dem Willen Gottes zusammen. Weder Katharina von Bora noch Teresa von Avila wollen ihre Autonomie behaupten oder die Welt nach den Maßstäben ihres eigenen Willens gestalten, sondern sie trachten danach, gottgefällig zu leben. Wie aber kann der Mensch wissen, was Gottes Wille ist? Auch hierauf geben sie unterschiedliche Antworten. Einig sind sie freilich darin, daß Gotteserkenntnis nicht mehr, oder zumindest nicht ausschließlich, von den geweihten Priestern kommt. Beide finden neue Möglichkeiten, sich ohne den Umweg über den offiziellen Klerus zu Gott in Beziehung zu setzen. Sie müssen ihre theologischen Positionen aber nicht nur als rechtgläubig legitimieren, sondern sie müssen sich auch dafür rechtfertigen, daß sie als Frauen überhaupt das Wort ergreifen, wo doch die Lehrtätigkeit nach kirchenoffizieller Lehre den Männern vorbehalten ist.

Die Reformatorinnen gehen dabei den Weg über die Bibel: Die von Frauen erhaltenen Reformationsschriften sind noch stärker als die der Männer mit Bibelzitaten gespickt. Auch von Katharina weiß man, daß sie die Bibel studiert hat, bekanntlich hat ihr Luther 50 Gulden versprochen, wenn sie sie einmal ganz durchliest. Über die Schrift einen direkten Zugang zum Wort Gottes zu haben, das ist für Frauen besonders wichtig, denn sie sind jadurch ihr Geschlecht vom Klerus als offizieller Vermittlungsinstanz ausgeschlossen. Argula von Grumbach schreibt:

»Kein Mensch hat je die Macht, das Wort Gottes zu verbieten und darüber zu verfügen. Allein das Wort Gottes soll und muß alle Dinge regieren. Der Jünger ist nicht über den Meister, es sei Luther oder Melanchthon oder wer es sein wolle. Und wenn es möglich wäre, daß uns der Teufel aus der Hölle das heilige Evangelium verkündete, blieb und wäre es doch das Wort Gottes.«

Wenn selbst der Teufel Gottes Wort verkünden kann, dann doch wohl auch die Frauen – es ist nicht schwer, diese Schlußfolgerung hier herauszulesen. Doch der Rückbezug auf die Bibel ist nur eine Möglichkeit, den Willen Gottes zu erfahren, ohne dabei auf die Vermittlung durch den Klerus angewiesen zu sein. Teresa von Avila entdeckt eine andere Form der Gotteserkenntnis, und auch hier wählt sie wieder den direkten Weg. Sie geht nicht den Umweg über die Bibel, sondern findet eine religiöse Praxis, in der sie Gott unmittelbar erlebt.

»Ich glaube, man nennt es mystische Theologie. Es ist, als würde dabei die Seele über sich hinausgetragen: Der Wille liebt, das Gedächtnis scheint fast nicht mehr vorhanden, der Verstand stellt das Denken ein, so scheint es mir, aber er ist noch da. Doch ist er nicht tätig, sondern steht staunend vor dem Überfluß dessen, was ihm zu verstehen gegeben wird.«

Angesichts der Fülle dessen, was Gott ihr in ihren Visionen offenbart, erübrigt sich für Teresa der Rückgriff auf die Bibel, der ja doch immer durch die engen Grenzen des menschlichen Verstandes getrübt ist. Zumal die Bibel in dem, was sie über das weibliche Sprechen sagt, keineswegs eindeutig ist, und auch von den Gegnern eingesetzt werden kann.

»Nun schien mir aber, Gottes Wille sei das, was der heilige Paulus über die Zurückgezogenheit der Frauen sagte – man hatte es mir gerade kürzlich zitiert, und auch früher hatte ich es schon vernommen. Da sprach Gott zu mir: »Sag ihnen, sie sollen nicht eine einzelne Schriftstelle verabsolutieren, sie müssen vielmehr auch andere betrachten und sich fragen, ob sie mir etwa die Hände binden können«.

In allen kirchenpolitischen Lagern der Zeit, auch bei den Reformierten, haben Frauen, die theologisch das Wort ergreifen, mit solchen Einwänden zu rechnen, wie Teresa sie hier widerlegt. Es sind aber vor allem die Reformatorinnen, die das Recht, theologisch zu sprechen, für sich einfordern. Zum Beispiel Katharina Zell in Straßburg, die sich selbst als Apostelin und Kirchenmutter bezeichnet. Oder auch Katharina Luthers Wittenberger Freundin Elisabeth Cruciger, die wunderschöne Kirchenlieder mit reformatorischem Inhalt komponiert und getextet hat, zum Beispiel das Gesangbuchlied »Herr Christ, der einig Gotts Sohn«.

Wie Katharina Luther ist Elisabeth Cruciger, geborene Meseritz, eine aus dem Kloster ausgetretene ehemalige Nonne, und auch sie hat einen Wittenberger Theologieprofessor geheiratet, den Schlossprediger Caspar Cruciger. Eines morgens erzählt sie ihrem Mann von einem Traum: Sie habe sich selbst gesehen, wie sie in der Kirche von Wittenberg auf der Kanzel steht und predigt. Nun klar, sagt Caspar, damit sind deine Lieder gemeint, die wir alle singen. Eine Frau, die predigt, das können sich auch die meisten Reformatoren damals nicht vorstellen.

Anders als viele Frauen in der Reformationsbewegung hat Teresa von Avila keinerlei Ambitionen in dieser Hinsicht. Das Predigen und Dozieren überläßt sie den Männern, auch wenn sie im theologischen Disput durchaus versiert ist. »Du lieber Gott!« soll ihr Beichtvater einmal gesagt haben, »eher würde ich mich mit allen Gottesgelehrten der Schöpfung als mit dieser Frau in Disputationen einlassen wollen«. Aber das muß er auch gar nicht. Denn Teresa schreibt ausschließlich für ihre Mitschwestern. Andrea Günter:

»Ihr Anliegen ist, über ihre Erfahrungen zu sprechen, was ihre spirituelle Praxis betrifft, und dies für Frauen zu tun, weil Frauen ein besonderes Bedürfnis haben, sie als Lehrerin zu haben. Sie wird konkret von ihren Mitschwestern aufgefordert, für sie zu schreiben und sie zu lehren, was Seelentätigkeit heißt und sie sagt, dass sie sich anschaut, was mit und unter Frauen geschieht in ihrer spirituellen Existenz, und von daher ausgehend überlegt, wie sie sinnvollerweise den Frauen ihre Erfahrungen vermitteln kann.«

Nur für die Nonnen in ihren Klöstern also bringt Teresa ihre Visionen und ihre Erlebnisse zu Papier. Dabei betont sie immer wieder, daß der Verdienst um die Schönheit und Klarheit ihrer Worte ganz bei Gott liegt.

»Wenn aber der Geist des Herrn mir hilft, dann geht es leicht und gelingt viel besser. Es ist, als arbeite man nach einer Vorlage, der die Arbeit nur folgt. Fehlt einem aber dieser Geist, so verhält sich die Sprache bei dem, was man sagen will, so ungefügig, als sei es Arabisch, auch wenn man schon viele Jahre Gebetserfahrung hat. Darum scheint es mir ein großer Vorteil, wenn man im kontemplativen Zustand schreibt, denn dann sehe ich klar, dass nicht ich es bin, die es sagt, dass weder mein Verstand es so fügte noch ich verstehe, wie es mir möglich war, mich so auszudrücken. Das geschieht mir oft.«

Schon zu Lebzeiten wird Teresas Autobiografie verlegt, und bald darauf auch ihre theologischen Bücher über die Tätigkeit der Seele und ihre Geschichte der Klostergründungen. Angesichts ihres literarischen Erfolgs auch bei Männern, auf den sie doch gar keinen Wert gelegt hat, ist es fast schon eine bittere Ironie, daß die Reformatorinnen mit ihrem emanzipatorischen Anliegen auf ganzer Linie an der Ignoranz ihrer Mitstreiter gescheitert sind. So findet Martin Luther Elisabeth Crucigers Kirchenlieder zwar schön und nimmt sie auch in sein Gesangbuch auf – den Namen der Autorin hält er jedoch für verzichtbar. Auch auf das theologische Gespür seiner Frau gibt Luther einiges – das ist in verschiedener Hinsicht bezeugt – doch ihre Briefe schmeisst er alle weg, sie hebt seine natürlich auf. Genauso gehen Katharinas Beiträge zu den berühmten Tischgesprächen im Hause Luther verloren: Die Studenten notieren zwar eifrig jede Äußerung des großen Reformators, und sei sie auch noch so banal, wie die über das Furzen und Rülpsen, doch was Katharina sagt, das schreiben sie nicht auf. Und dennoch: So bedauerlich dieses Verschweigen ist, hat es doch nicht verhindern können, daß Katharina von Bora heute für evangelische Frauen ebenso wichtig ist, wie Teresa von Avila es für Katholikinnen vielleicht schon immer war.

Woran erkennt man die Größe einer Frau? Was kann die feministische Suche nach »großen Frauen in der Geschichte« von den so ungleichen Zeitgenossinnen Katharina von Bora und Teresa von Avila lernen? Sicher nicht den einen, wahren Weg zum weiblichen Glück. Eher schon, daß es diesen einen Weg nicht gibt. Aber man kann von ihnen noch mehr lernen, wenn auch vielleicht mehr von Teresa als von Katharina: Daß es nämlich auch in einer Welt, in der die Männer die Macht für sich beanspruchen, möglich ist, etwas zu verändern – auch, oder vielleicht sogar gerade als Frau.

Diese Sendung lief im Hörfunk, (hr2) am 13. Februar 2000, Wdhl. am 20.12.2002.