Antje Schrupp im Netz

Grundeinkommen für alle –Visionen für neue Modelle vom Leben und Arbeiten

Bezahlte Arbeit geht aus; unbezahlte will keiner machen. Neues Denken zur Zukunft der Gesellschaft ist gefragt.

Wie organisieren wir Leben und Arbeiten in einer Zeit, in der sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze immer weniger werden? In der deshalb soziale Sicherungssysteme unter Druck geraten, immer mehr Menschen arbeitslos sind und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden? Während die Politik sich ein Programm nach dem anderen ausdenkt, um gegen alle Vernunft die Illusion der Erwerbsarbeitsgesellschaft aufrecht zu erhalten – zuerst die Frühverrentung, dann Hartz IV und neuerdings die Kombilöhne – schlagen andere vor, Arbeit und Einkommen voneinander zu entkoppeln: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle wäre das Auskommen gesichert, auch ohne einen festen Arbeitsplatz.

Dieser Vorschlag würde nicht nur das Problem der Massenarbeitslosigkeit lösen. »Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?« fragt eine Schweizer Grundeinkommens-Initiative auf ihrer Internetseite und macht damit klar, dass es nicht darum geht, Faulpelze heranzuziehen, sondern um Visionen einer Welt, in der Arbeit nicht länger als ungeliebte Tretmühle angesehen wird, sondern als eine Möglichkeit, sich sinnvoll zu engagieren.

Geld ohne Gegenleistung

Die Idee, dass alle Menschen, unabhängig davon, was sie arbeiten, Geld zum Leben haben sollten, ist schon alt. In die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt ist sie vor gut einem Jahr, als mit Götz Werner, der Gründer der dm-Drogeriemärkte, erstmals auch ein Unternehmer das Grundeinkommen forderte. Werner hält das Grundeinkommen nicht nur für sozial wünschenswert, sondern auch für eine wirtschaftliche Notwendigkeit: Die Produktivität der Wirtschaft habe sich in den vergangenen Jahrzehnten so gesteigert, dass wir heute mit relativ wenigen Arbeitskräften ungeheure Mengen an Gütern produzieren. Woran es fehlt, sind nicht Arbeitskräfte, sondern Menschen, die Geld haben, um all die Waren auch zu kaufen. Erstmals in der Weltgeschichte, so Werner, könnten wir uns daher heute vom Zwang zur Arbeit befreien.

Es geht bei der Idee des Grundeinkommens nicht in erster Linie um eine wirtschaftliche Frage, sondern um das Menschenbild. Dass ein Grundeinkommen finanzierbar wäre, ist vielfach durchgerechnet. Es fragt sich aber, ob wir das überhaupt wollen: Dass Menschen Geld bekommen, ohne etwas dafür zu tun? Immer wieder zirkulieren in den politischen Debatten ja Vorwürfe gegen so genannte Schmarotzer, die es sich auf Kosten der Allgemeinheit gut gehen lassen, die die Sozialsysteme ausnutzen und dergleichen. Die verbreitete Ansicht lautet daher: Wer Geld vom Staat bekommt, soll auch etwas dafür tun.

Menschen wollen tätig sein

Sind aber die Menschen wirklich so? Würden sie nur auf der faulen Haut liegen, wenn man ihnen Geld zum Leben ohne Gegenleistung ausbezahlen würde? »Die meisten Menschen wollen ein sinnvolles Leben führen«, haben wir, einige feministische Denkerinnen, schon im Frühjahr 2004 in einem Text zum Grundeinkommen geschrieben: »Sie wollen etwas tun, das für andere und für sie selbst Bedeutung hat, sie wollen in ihrer Einzigartigkeit anerkannt und geliebt werden, nicht Not leiden müssen und das Dasein genießen. Im Einzelnen sieht ein sinnvolles Leben für jeden Menschen anders aus, und was als gutes Leben empfunden wird, kann sich im Laufe einer Biografie immer wieder ändern. Fast alle Frauen und Männer aber sind langfristig bereit, ihren unverwechselbaren Beitrag zum guten Zusammenleben aller zu leisten, wenn sie im ‚Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten’ (Hannah Arendt) willkommen und aufgehoben sind.«

Genau betrachtet ist das Problem, auf das die Grundeinkommens-Initiativen versuchen eine Antwort zu geben, ja ein männliches Problem. Während Männer sich traditionell ausschließlich über ihren Beruf definiert haben, leben Frauen schon immer einen Mix aus allem: Bezahlte Arbeit, Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege, soziales und ehrenamtliches Engagement. Für die meisten Frauen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie notwendige Arbeiten auch dann erledigen, wenn sie kein Geld dafür bekommen. Den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt musste die Frauenbewegung ja erst einmal erkämpfen. Und inzwischen zeigt sich, dass Frauen auch im Beruf andere Maßstäbe anlegen, als Männer. Geld ist für sie nicht das einzige Kriterium. Mehr Frauen als Männer legen Wert darauf, dass ihre Arbeit ihnen sinnvoll erscheint, dass die Beziehungen zu ihren Kolleginnen und Kollegen gut sind, dass sie bei der Arbeit kreativ sein und eigene Ideen einbringen können. Dafür sind sie auch zu finanziellen Einbußen bereit.

Care-Arbeit ist freiwillig

Eigentlich müssten die Frauen also natürliche Verbündete der Grundeinkommensidee sein. Tatsächlich stehen sie dem Ganzen oft skeptisch gegenüber. Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die Befürworter eines Grundeinkommens den ganzen Bereich der Haus- und Familienarbeit, der Kranken- und Altenpflege – also der »Care«-Arbeit – nicht berücksichtigen. Produkte und Waren können zwar in der Tat heute mit einem Minimum an Arbeitskräften hergestellt werden. Care-Arbeit braucht aber nach wie vor viele Menschen und viel Zeit, mit steigender Tendenz. Es hat lange gedauert, bis diese von Frauen meist gratis erledigten Arbeiten als gesellschaftlich relevant wahrgenommen und zumindest ansatzweise in wirtschaftliche Überlegungen einbezogen wurden. Steht es nicht zu befürchten, dass ein Grundeinkommen nur dazu führen würde, dass Frauen weiterhin die Care-Arbeit erledigen, aber sich, weil sie ja ein Grundeinkommen beziehen, nicht mehr darüber beschweren dürfen?

Möglicherweise wäre aber ein Grundeinkommen ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn mit der Art und Weise, wie Care-Arbeiten heute Marktgesetzen unterworfen werden, können wir nicht zufrieden sein. Pflege und Erziehung, Bildung und Fürsorge lassen sich nicht im Minutentakt und unter dem Aspekt wirtschaftlicher Rentabilität erledigen. Es tut sich gegenwärtig eine riesige Schere auf zwischen dem Produktivitätssektor, in dem enorme Gewinne eingefahren werden und dem so genannten »Dienstleistungssektor«, in dem Löhne und Qualität gleichzeitig sinken.

Von der Notwendigkeit zur Arbeit können wir uns nicht befreien, auch nicht in Zeiten, in denen Produkte mit immer weniger Arbeitskräften hergestellt werden. Denn Kinder, Kranke, Alte – also letztlich wir alle – brauchen Hilfe und Unterstützung von anderen. Doch das alte Motto der Erwerbsarbeit, das lautete: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« wird uns dabei nicht weiter helfen. Wenn man Menschen die Sozialhilfe streicht und mit Kombilöhnen zur Arbeit zwingt, dann können sie zwar vielleicht Unkraut jäten und Straßen kehren. Aber für Care-Arbeit ist so ein Arbeitszwang gänzlich untauglich. Hier kommt es auf Vertrauen, Engagement, Beziehungspflege und Zuwendung an. Auf Freiwilligkeit, mit anderen Worten.

Kinder sind nicht nur Sache der Eltern

Orientierung könnte die Tatsache geben, dass es zu den wesentlichen Grundlagen menschlicher Gesellschaften gehört, dass sie in Generationen zusammenleben. In unserem Grundeinkommenstext haben wir dies an den Anfang unserer Überlegungen gestellt und geschrieben: »Damit das Leben der Neugeborenen gelingen kann, versprechen wir ihnen Nahrung, Obdach, menschliche Nähe, körperliche und geistige Entfaltungsmöglichkeiten, ein Leben in Würde. Solche Versprechen einzulösen und die dazu nötigen Ressourcen bereit zu stellen, ist nicht nur Sache der Eltern, sondern der ganzen Gesellschaft. Es ist die primäre Aufgabe der Politik. Denn Politik bedeutet, mit dem Lebensraum Erde und allem Lebendigen sorgsam umzugehen und das Zusammenleben der Menschen so zu organisieren, dass alle in größtmöglicher Sicherheit, Eigenständigkeit und Zugehörigkeit leben und gleichzeitig ihre unverwechselbaren Beiträge zum guten Zusammenleben leisten können.« Nur wer sich sicher und willkommen fühlt auf dieser Welt und in unserer Gesellschaft, wird auch selbst bereit sein, einen eigenen Beitrag zu leisten. Dieser kulturelle Aspekt ist es, der beim Thema Grundeinkommen in den Mittelpunkt gestellt werden muss.

Zum Weiterlesen: www.gutesleben.org.

Geld für alle! Feministische Gedanken zur Wirtschaft (Vortrag in Gießen, 2005)

Feministische Gedanken zum Grundeinkommen(Vortrag bei Attac Bonn, 2006)

Grundeinkommen zwischen Selbstverwirklichung und traditioneller Hausarbeit (Buchbeitrag)

Die Wirtschaft umfassender denken

In: efi (evangelische frauen information für bayern), Nr. 1-2007.