Die Wirtschaft umfassender denken
Thesen zum Grundeinkommen aus feministischer Sicht
An der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen beteiligen sich deutlich mehr Männer als Frauen. Zwar gibt es wichtige Initiativen von Frauen zugunsten dieser Idee – ich selbst habe zusammen mit anderen Feministinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits 2004 einen Text dazu geschrieben und im Internet zur Diskussion gestellt (www.gutesleben.org). Auch die jüngste Aktion in Deutschland, eine Petition an den Deutschen Bundestag, die von weit über 50.000 Menschen unterzeichnet wurde, war von einer Frau, Susanne Wiest, initiiert worden. Trotzdem ist die organisierte Grundeinkommensbewegung deutlich von Männern dominiert. Sie stellen sämtliche großen »Namen« in der Debatte, und bei Grundeinkommens-Kongressen kommen feministische Perspektiven regelmäßig nur am Rande vor. Andererseits gibt es viele Frauen und auch feministische Ökonominnen, die die Idee eines Grundeinkommens skeptisch beurteilen.
Diese »Antiphathie« zwischen den Frauen und der Grundeinkommens-Idee ist eigentlich merkwürdig. Denn die einschlägigen Bedenken, die regelmäßig dagegen vorgebracht werden – zum Beispiel die Befürchtung, ein Grundeinkommen mindere die »Leistungsbereitschaft« der Menschen, weil niemand mehr etwas arbeiten würde – sind aus weiblicher Perspektive noch weniger plausibel als ohnehin schon. Frauen haben schließlich schon immer, mehr als Männer, auch ohne Geld gearbeitet, im Familienhaushalt, im Ehrenamt und so weiter. Und deutlich mehr Frauen als Männer legen auch bei der Erwerbsarbeit weniger Wert auf das Geld, das sie dafür bekommen – das ist einer der Gründe für das »Gender-Gap« in der Einkommensschere. Auch historisch gesehen betrifft die Vorstellung, der Sinn des Lebens erschließe sich in erster Linie über den Beruf, eher männliche als weibliche Biografien. Aus all diesen Gründen müssten Frauen also eigentlich natürliche Verbündete der Grundeinkommensidee sein.
Andererseits habe Frauen sich erst vor kurzem und gegen starke Widerstände den gleichberechtigten Zugang zur Erwerbsarbeit erkämpft. Vielleicht sind sie deshalb etwas zurückhaltender, wenn ihnen vorgeschlagen wird, ihr Auskommen nun erneut von finanziellen Zuwendungen abhängig zu machen – und kämen sie auch von Seiten des Staates und nicht mehr von Vater oder Ehemann. Ein weiterer Punkt mag sein, dass sich mehr Frauen als Männer um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen und befürchten, das Auseinanderdriften verschiedener sozialer Schichten könne sich erst recht beschleunigen, wenn die Erwerbsarbeit ihren sinnstiftenden und ordnenden Charakter verliert.
Das größte Problem ist aber wohl, dass die bislang diskutierten Grundeinkommens-Modelle die Frage völlig außer acht lassen, wie zukünftig Haus- und Fürsorgearbeiten organisiert werden sollen. Konservative Denker wie der deutsche Unternehmer Götz Werner setzen in dieser Hinsicht sogar ganz explizit darauf, dass sich Frauen mit einem Grundeinkommen umso besser der Kindererziehung und häuslichen Pflege widmen können – weil sie dann ja nicht mehr gezwungen sind, außer Haus für Geld zu arbeiten. Im eher linken Lager wird das natürlich nicht so offen gesagt, doch eine Antwort, wer denn sonst diese Arbeiten in Zukunft erledigen soll, bleibt man auch hier schuldig.
Derzeit gibt es für das Problem vier gleichermaßen schlechte Lösungen: Entweder wird die Hausarbeit zusätzlich zur Erwerbsarbeit geleistet, was angesichts sich ausweitender Arbeitszeiten zu Überbelastung führt. Oder sie wird von schlecht bezahlten und mit unsicherem Aufenthaltsstatus belasteten Arbeitsmigrantinnen geleistet. Eine dritte Möglichkeit ist, sie marktförmig zu organisieren und damit der Verbetriebswirtschaftlichung auszuliefern – mit allen negativen Folgen für die Qualität, die das hat. Oder, viertens, diese Arbeit bleibt schlicht und ergreifend liegen – mit den entsprechend negativen Folgen für die Lebensqualität. In der Realität existiert eine Mischung aus allen Varianten, und in jeder davon ist der Anteil der Männer mit weit unter zehn Prozent marginal. Vermutlich ist das der Grund, warum sie das Problem für nicht so wichtig halten.
Anstatt jedenfalls theoretische und praktische Lösungen dafür zu suchen oder sich auch überhaupt erst einmal einzugestehen, dass hier ein Problem existiert, ist in den Berechnungen der meisten Grundeinkommens-Befürworter über den zukünftigen Arbeitsbedarf immer nur von der Produktion die Rede: Durch Effizienzsteigerungen und Technisierung, so die Kalkulation, würden so viele traditionelle Arbeitsplätze wegfallen, dass ein Grundeinkommen notwendig ist, um die Teilnahme aller am Konsum zu gewährleisten.
Doch für die notwendigerweise zu erledigenden Haus- und Fürsorgearbeiten trifft diese Diagnose schlicht und einfach nicht zu. In Kindergärten, Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen ist schon lange das Ende möglicher Rationalisierungsprozesse erreicht, und schon die bisherigen gehen vielerorts zu Lasten der Qualität. Das Volumen dieser Arbeiten wird in Zukunft eher größer als kleiner werden: durch die demografische Entwicklung, die mit einer längeren Lebenserwartung auch einen größeren Bedarf an haushaltsnahen Dienstleistungen in den älteren Bevölkerungsgruppen mit sich bringt, und durch den nicht mehr rückgängig zu machenden Trend zu einer größeren Erwerbsbeteiligung der Frauen, die zur Folge hat, dass die weibliche Gratisarbeit von ehedem nun einmal nicht mehr im gleichen Maß wie früher zur Verfügung steht.
Es ist also schlicht nicht wahr, dass uns »die Arbeit« ausgeht – das stimmt nur für den Produktionsbereich. Im Care- und Fürsorgebereich wird die Arbeit mehr werden und nicht durch Produktivitätssteigerungen aufzufangen sein. Das Grundeinkommen hätte hier also nicht die Funktion, die Konsumteilhabe von Arbeitslosen sicher zu stellen, sondern freiere Aushandlungsprozesse über Arbeitsmotivation und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, diese Bereiche also der eng geführten betriebswirtschaftlichen Logik zu entziehen. Die Frage bleibt trotzdem, von wem diese Arbeit in Zukunft gemacht wird und unter welchen Bedingungen. Wenn man stillschweigend darauf setzt, dass die Frauen sich darum schon kümmern werden, muss man sich nicht wundern, wenn die Frauen diese Idee nicht sonderlich attraktiv finden.
Das Grundeinkommen ist aus feministischer Sicht nur sinnvoll, wenn es in eine umfassendere Perspektive von Wirtschaft eingebunden ist. Es kann keinesfalls die allein seligmachende Lösung für die gegenwärtigen sozialen Herausforderungen und wirtschaftlichen Krisen sein. Es muss eingebettet sein in ein umfassendes kulturelles Neudenken, das nicht auf Autonomie setzt, sondern die gegenseitigen Abhängigkeiten und Bedürftigkeiten der Menschen ernst nimmt und Lösungen entwickelt, wie die daraus folgenden Notwendigkeiten auf menschenfreundliche Weise organisiert werden sollen.
Doch von so einer Perspektive sind die meisten Grundeinkommensmodelle weit entfernt. Vielmehr neigen sie dazu, die Fürsorgearbeiten tendenziell wieder aus der eigentlichen »Wirtschaft« auszuschließen. Skeptisch muss es zum Beispiel stimmen, wenn von Befürwortern des Grundeinkommens ständig auf die »Freiheit« oder das »Recht« der Menschen verwiesen wird, von ökonomischen Zwängen losgelöst ihren »eigentlichen« Vorlieben und Initiativen nachzugehen. Was aber, wenn dann niemand Lust dazu hat, die Fenster zu putzen oder kranke Menschen zu pflegen, nahrhaftes Essen zu kochen oder was dergleichen mehr ansteht? Kein Wunder, dass bei Frauen bei solchen Argumenten die Alarmglocken angehen. Sie wissen nämlich, dass jenseits der Erwerbsarbeit keineswegs nur Selbstverwirklichung, Müßiggang und Kreativität auf uns warten, sondern eben auch ein Berg von Arbeit (für die uns niemand bezahlt).
Feministische Ökonominnen denken schon seit langem darüber nach, wie es möglich sein könnte, die Verknüpfung zwischen Geldkreislauf und nicht marktförmigen Care-Arbeiten, zwischen Einkommen und Lebenssinn so herzustellen, dass Freiheit und Bedürftigkeit nicht mehr als Widersprüche sondern als gleichermaßen wichtige Bedingungen des Menschseins gedacht werden. Sie arbeiten an Modellen, wie es sichergestellt werden kann, dass Menschen, die gesellschaftlich notwendige Arbeit leisten, die sich nicht im Sinne des Marktgesetzes von Angebot und Nachfrage »rechnen«, dennoch genug Geld haben. Und wie diese notwendigen Arbeiten und ihre Kosten auch in den volkswirtschaftlichen Bilanzen sichtbar gemacht werden können.
Ein Ergebnis dieses Nachdenkens ist die Skepsis gegen eine – gerade von den Linken – häufig ausgerufene klare Trennung zwischen »Markt« und »Nicht-Markt«. In dieser Logik wird versucht, bestimmte Bereiche des Lebens ihrer »Ökonomisierung« zu entziehen beziehungsweise sie davor zu retten. Doch gerade diese Trennung hat in der Vergangenheit ja zur Einkerkerung von Frauen in vermeintlich »nicht-öffentliche« Sphären geführt. Wie sinnvoll sind solche Dualismen heute noch, wo sich längst alles vermischt, Freizeit und Arbeit, Autonomie und Abhängigkeit, Männlichkeit und Weiblichkeit, Markt und Ehrenamt?
Die italienische Philosophinnengemeinschaft Diotima hat ihrer Ringvorlesung an der Universität von Verona vor einigen Jahren einen provokanten Titel gegeben, der eine andere Richtung einschlägt: »Soll wirklich alles auf den Markt getragen werden? Ja, dann aber auch wirklich alles!« Dieses Motto weist auf einen Umstand hin, der häufig unbeachtet bleibt: dass es nämlich nicht damit getan ist, »den Markt« zurückzudrängen und Freiräume außerhalb zu schaffen, sondern dass es darum geht, überhaupt erst einmal einen wirklich realistischen Markt zu denken, einen, auf dem dann tatsächlich auch alles verhandelt und einkalkuliert wird, was mit »Wirtschaft« zu tun hat, also mit der Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen nach Nahrung, Kleidung, Obdach und Lebenssinn.
Denn es ist ja falsch zu sagen, der Kapitalismus würde alle Bereiche des Lebens durchdringen. Er konnte sich überhaupt nur deshalb etablieren, weil existenziell wichtige und große Bereiche der Wirtschaft – der so genannte »häusliche« Bereich – gerade nicht kapitalistisch organisiert wurden. Insofern sind die Bilanzen nicht erst im »Turbokapitalismus« gefälscht worden, sondern schon immer: Die Marktwirtschaft nährt sich von Beginn aus der Gratisarbeit (überwiegend) der Frauen. Der ganze Kapitalismus funktioniert überhaupt nur, weil es viele Menschen gibt (deutlich mehr Frauen als Männer), die trotzdem, gegen jede kapitalistische Logik und vollkommen jenseits des Bruttosozialproduktes das tun, was nötig ist, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Sie tun das teilweise aus Zwang oder aufgrund von Sitten, teilweise aber auch freiwillig und mit durchdachtem Plan, oft unter Verzicht auf ihre persönliche Freiheit, und bis heute weitgehende unter Verzicht auf ein der Bedeutung ihrer Arbeit angemessenes Geld-Einkommen.
Es gibt also nicht nur eine Wirtschaft, sondern es gibt eine Vielfalt an Ökonomien und zwar nicht nur global über den Erdball verstreut, sondern auch innerhalb der vermeintlich »kapitalistischen« Gesellschaften. Alle diese Ökonomien haben mit Handeln und Aushandeln, mit Geben und Nehmen zu tun. Ein Grundeinkommen wäre daher nicht als eine Alternative zur »Wirtschaft« zu denken, nicht als etwas, das bestimmte Bereiche der wirtschaftlichen Logik entzieht, sondern im Gegenteil als ein Modell, das sich in diese Vielfalt der Ökonomien einreiht und damit unser Verständnis vom Ökonomischen insgesamt vertieft und erweitert.
Wenn wir Wirtschaft in diesem weiteren Sinn verstehen, wird klar, dass Frauen nicht in die Wirtschaft »integriert« werden müssen, sondern schon immer in deren Zentrum stehen, dass sie wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen haben, die bei der gegenwärtigen Neuorientierung unbedingt gehört und befragt werden müssen. Damit endlich offen gelegt wird, was in der Realität alles auf diesem Markt getauscht wird: Anerkennung, Sinnstiftung, Freude und Geld. Das sind keine Gegensätze, sondern bedingt sich gegenseitig. Das Gesetz von Geld und Recht fängt nicht da an, wo die persönlichen Beziehungen aufhören, und andererseits sind die persönlichen Beziehungen nicht über Geld und Recht erhaben.
Es ist also zum Beispiel falsch, ein Grundeinkommen als »bedingungslos« anzusehen. Vielmehr stünde auch ein Grundeinkommen, also ein Geldbetrag, den alle unabhängig von ihrer Erwerbsarbeit bekommen, in einem Geflecht von Geben und Nehmen, wäre angewiesen auf dieses menschliche Beziehungsnetz des umfassenden Wirtschaftens. Besser ist es, von einem leistungsunabhängigen Grundeinkommen zu sprechen: Niemand muss etwas leisten dafür. Aber Bedingungen gibt es eben durchaus, die erfüllt sein müssen, wenn es ein Grundeinkommen geben soll. Es ist kein Instrument, das den Menschen ein »unabhängiges« Leben ermöglicht, sondern im Gegenteil gerade die monetäre Sichtbarmachung der Tatsache, dass wir alle immerzu von anderen Menschen abhängig sind.
Dies ist im Übrigen ein wichtiger Punkt, bei dem sich die meisten feministischen Denkerinnen einig sind, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie für oder gegen ein Grundeinkommen sind. Auch die Gegnerinnen des Grundeinkommens – etwa Subsistenztheoretikerinnen wie Veronika Bennholdt-Thomsen, die befürchten, ein Grundeinkommen würde die Menschen vom Geld nur noch abhängiger machen, oder eher »linken« Denkerinnen wie Frigga Haug oder Gisela Notz, die sich für einen existenzsichernden Zugang zur Erwerbsarbeit vornehmlich auf dem Weg der Arbeitszeitverkürzung stark machen – versuchen, Wirtschaft in einem umfassenderen Sinn neu zu denken und nicht Gewinnmaximierungs-Mechanismen, sondern die Sorge für die konkreten menschlichen Lebensbedürfnisse ins Zentrum zu stellen. Sie kommen nur zu anderen konkreten Schlussfolgerungen.
Diese kontroverse Diskussion unter Frauen (und Männern, die sich von der Idee des »autonomen« und nicht auf Hilfe angewiesenen Menschen verabschiedet haben) zu führen, ist um Meilen fruchtbarer als viele Debatten innerhalb der Grundeinkommensbewegung, die meistens bloß um die genaue Höhe der monatlichen Auszahlung, dieses oder jene detaillierte Finanzierungsmodell oder gar um die ideologischen Hintergründe der verschiedenen Positionen kreisen – etwa die nicht totzukriegende Frage, ob aufrechte Linke mit einem Kapitalisten wie Götz Werner überhaupt gemeinsame Sache machen dürfen.
So, wie es derzeit häufig diskutiert wird, ist das Grundeinkommen nur eines von vielen wirtschaftspolitischen Programmen und Systemen, über die sich männliche Wortführer in ihrem altbekannten Schlagabtauschs-Gestus streiten. Vor dem Hintergrund feministischer ökonomischer Vorarbeiten kann es aber höchstens ein Baustein sein in einem viel umfassenderen Projekt. Als isolierte politische Forderung ist es möglicherweise sogar eher schädlich als nützlich. Wird es jedoch als Vorschlag gesehen, an den sich die Vision einer anderen Welt, eines anderen Menschenbildes knüpft, an deren Ausgestaltung Frauen maßgeblich beteiligt sind, dann kann es inspirieren und dann auch eine sinnvolle konkrete Maßnahme sein.
In: Neue Wege, Mai 2009