Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik
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Tagung „Weiberwirtschaft" in Gelnhausen (aus:
Evangelischer Pressedienst, Mai 1998)
Gelnhausen (epd). Eine neue Wirtschaftsethik und eine Umwertung von ökonomischen Begriffen und Perspektiven haben Wissenschaftlerinnen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz bei einer Tagung zum Thema „Weiberwirtschaft" vom 21. bis 24. Mai in Gelnhausen gefordert. Frauen stünden „nicht am Rande der Wirtschaft, sondern im Zentrum der gesellschaftlich notwendigen Produktions- und Tauschbeziehungen", sagte die Freiburger Theologin Andrea Günter. Daß die öffentliche Debatte über wirtschaftspolitische Perspektiven zunehmend „von Chaos, Stagnation und Resignation" geprägt sei, mache die Notwendigkeit völlig neuer Denkansätze deutlich. Diese könnten aus dem Bezug auf die Erfahrungen und Bedürfnisse von Frauen gewonnen werden. Dabei warnte Günter jedoch auch vor einem „weiblichen Größenwahn". Frauen könnten keine andere andere oder gar bessere Wirtschaftspolitik als Männer machen. Statt auf einfache Lösungen zu hoffen, gehe es darum, „gesellschaftliche Strukturen zu erfinden, in der Vielfältigkeit und persönliche Entscheidungen genügend Raum haben". Die eigentliche Ursache der gegenwärtigen Krise liege darin, so Günter, daß die Politik ihren Gestaltungsfreiraum aufgrund ihrer Abhängigkeit von wirtschaftlichen Strukturen weitgehend verloren habe. Als „Selbstentmachtung der Nationalstaaten" wurde auf der Tagung zum Beispiel das geplante „Multilaterale Abkommen über Investitionen" (MAI) diskutiert, in dem sich die 29 reichsten Industrieländer der Welt auf lange Sicht verpflichten, keine von dem Vertragswerk abweichenden Maßnahmen in der Umwelt- und Sozialpolitik zu ergreifen, die dem Interesse multinationaler Konzerne zuwiderlaufen. Als Möglichkeit, aus der konkreten Arbeit von Frauen Ansätze für neue wirtschaftspolitische Impulse zu gewinnen, schlug die Hamburger Philosophin Lisa Conradi eine genauere Analyse der „Care-Praxis" vor. Damit seien alle Tätigkeiten gemeint, die unmittelbar lebenserhaltende Funktion haben, aber häufig nicht in Geld umrechenbar seien, wie zum Beispiel Hausarbeit, aber auch pflegerische und kulturelle Arbeit. Diese überwiegend von Frauen ausgeübten Tätigkeiten bildeten die Grundlage jedes Wirtschaftssystems und müßten daher integraler Bestandteil einer wirtschaftspolitischen Analyse werden, ohne dabei jedoch die „geschlechtshierarchische Arbeitsteilung" zwischen Männern und Frauen festzuschreiben. Als weitere Möglichkeiten, Tauschbeziehungen jenseits des Geldmarktes zu etablieren, wurden Theorien zur Subsistenzwirtschaft, sowie die kritischen Potentiale unabhängiger und selbstverwalteter Projekte diskutiert. Wichtig sei es vor allem, Armut und Reichtum nicht nur über die Höhe des Geldeinkommens zu definieren, sondern mit Begriffen wie Glück oder Bedürfnisbefriedigung zu verbinden. Die Theaterwissenschaftlerin Katharina Pewny, Mitbetreiberin des autonomen Bildungszentrums „Frauenhetz" in Wien, betonte jedoch, daß angesichts knapper öffentlicher Gelder „die selbstgewählte Freiheit, außerhalb von Institutionen zu bleiben, zum Zwang wird, der sich unter dem Banner der Freiheit verkauft". Die Studienleiterin der Evangelischen Akademie Iserlohn, Sabine Plonz, warnte davor, daß die Kritik an der Überbewertung des Geldeinkommens leicht die Nähe einer Legitimation ungerechter Eigentumsverhältnisse geraten könne. Als ein Beispiel dafür stellte die niederländische Arbeitspastorin Irmgard Bresch (Rotterdam) das sogenannte „Poldermodell" vor, das in Deutschland und Frankreich derzeit als beispielhaftes „Wirtschaftswunder" diskutiert werde. Die Übereinkunft zwischen niederländischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden über niedrige Lohnabschlüsse und flexible Arbeitsbedingungen habe aber faktisch zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse der unteren Bevölkerungsschichten geführt. Vor einer „ideologischen Indienstnahme der Kirche angesichts ungerechter Strukturen" warnte die Theologin Ulrike Wagener (Münster). In Hinblick auf die Handlungsunfähigkeit der politischen Institutionen sei „die Versuchung für die Kirche groß, als Garantin für soziale Werte aufzutreten". |