Feminismus im Christentum
Vortrag in Neu-Anspach, 26.3.2014, und (in einer älteren Version) im Internationalen Frauentreff Ludwigshafen, 8.6.2011
Das Christentum ist, wie praktisch alle organisierten Religionen, eine patriarchale Religion mit einer Geschichte, in der im Namen der Religion die Überordnung des Mannes über die Frauen gepredigt wurde. Dafür finden sich sowohl in der Bibel Belege – das berühmte Paulus-Wort „Das Weib schweige in der Gemeinde“ – als auch offensichtliche Tatsachen in der Kirchengeschichte, wie zum Beispiel die, dass Frauen in fast allen christlichen Konfessionen keine geistlichen Ämter einnehmen dürfen, also keine Priesterinnen sein können.
Zum Beispiel nicht in der römisch-katholischen Kirche, die mit gut 1 Milliarde Menschen etwa die Hälfte aller Christen und Christinnen sind, auch nicht in den altorientalischen und den orthodoxen Kirchen, die etwa 300 Millionen Gläubige zählen. Etwa 900 Millionen gehören zu einer evangelischen, anglikanischen oder pfingstlerischen Kirche, und in einigen davon gibt es inzwischen die Frauenordination, da diese aber aufgesplittert sind in viele sehr unterschiedliche mehr oder weniger regionale Kirchen, kann man nicht genau sagen, wie viele von ihnen Frauen als Pfarrerinnen kennen.
Doch trotz dieser patriarchalen Wurzeln und teilweise bis heute bestehenden patriarchalen Organisationsstruktur waren Frauen immer sehr aktiv.
Von ihnen möchte ich in meinem Vortrag erzählen, und zwar in drei Teilen:
Frauen in der christlichen Geschichte
Theologische Probleme einer patriarchalen Religion
Der Gott der Frauen
Frauen in der christlichen Geschichte
Schon die Bibel berichtet von zahlreichen Jüngerinnen, die mit Jesus herumzogen, und von Apostelinnen, die nach seinem Tod die neue Lehre vom Reich Gottes predigten.
Über diese Frauen wissen wir noch nicht sehr lange etwas, das meiste ist erst von der feministischen Theologie erforscht worden, die in Amerika und von dort aus auch in Europa und in Deutschland seit den 1980er Jahren entstanden ist. Dabei kam etwa heraus, dass manche Frauen von der Tradition speziell herausgelöscht worden sind durch falsche Übersetzungen. Zum Beispiel ist die Apostelin Junia, von der in der Bibel die Rede ist, lange Zeit fälschlicherweise zu einem Apostel Junias gemacht worden.
Aber nicht nur ein genaues Studium der Quellentexte – von denen ja nicht viele erhalten sind – hat viel mehr Frauen hervorgebracht, als es die männliche Tradition überliefert hatte. Eine wichtige Technik, die die feministische theologische Forschung angewendet hat, war die so genannte „Hermeneutik des Verdachts“, wie es die Theologin Elisabeth Schüssler-Fiorenza nannte, also dass man versucht hat, hinter den Zeilen der überlieferten Texte zu lesen. Ein gutes Beispiel für diese Methode ist gerade der Satz „Die Frau schweige in der Gemeinde“ – denn, so fragten die Forscherinnen: Wenn die Männer damals so eine Regel ausgeben mussten, dann kann man ja wohl andersherum daraus schließen, dass die Frauen in Wirklichkeit nicht geschwiegen haben. Denn sonst hätte man es ihnen ja nicht verbieten müssen.
Eine der wichtigen Figuren der frühen christlichen Bewegung ist zum Beispiel Maria von Magdala gewesen, über die es ein apokryphes Evangelium gibt, das Evangelium der Maria. Apokryph bedeutet, dass dieser Text später nicht in den „Kanon“ aufgenommen wurde, also in die Reihe derjenigen Texte, die zu einem Bestandteil der offiziellen Bibel wurden.
Auch hier ist interessant, was die Kirchengeschichte aus Maria Magdalena gemacht hat: Nämlich eine Prostituierte. Sie ist gleichgesetzt worden mit der Ehebrecherin, die Jesus vor der Steinigung rettete.
Wenn man diese älteren Texte erforscht, dann kann man daraus schließen, dass es in den frühen christlichen Gemeinden bereits eine lebhafte Diskussion über die Rolle der Frauen gegeben hat. Man hat damals über viele Dinge debattiert, und erst im Laufe der Zeit kristallisierte sich das heraus, was dann als Inhalt des „Christentums“ galt. Man stritt sich zum Beispiel über die göttliche Natur Jesu – war er Gott, war er Mensch, und wenn er beides war, war er beides gleichzeitig oder abwechselnd? Solche Fragen.
Und eine dieser Fragen war damals eben schon die Rolle der Frauen, die wohl in den frühen Gemeinden stärker war und dann im 2., 3. Jahrhundert zurückgedrängt wurde. Da gibt es gewisse Parallelen zu revolutionären oder sozialen Bewegungen generell. Es scheint eine Regelmäßigkeit zu geben, wonach Frauen bei solchen Umbrüchen, die alte überlieferte Ordnungen in Frage stellen, sehr aktiv und maßgeblich beteiligt sind, aber in dem Moment, wo daraus verfasste Institutionen und Organisationen werden, treten sie in den Hintergrund, teils weil sie von den Männern herausgedrängt werden, teils aber auch, weil sie diese Art der Institutionalisierung vielleicht nicht so schätzen.
Immer wieder im Lauf der Kirchengeschichte wurde über das Verhältnis der Geschlechter in der Kirche diskutiert. Ich beschränke mich in meiner Darstellung auf die westeuropäische Geschichte, weil ich mich nur hier gut auskenne, aber ich bin sicher, dass auch anderswo das Thema immer wieder hochkam.
Immer wieder gab es Frauen, die die Kirchenhierarchie offen herausforderten, wie zum Beispiel Wilhelmina von Mailand, die im Jahr 1280 eine Vision hatte, wonach sie – während Christus Gott in männlicher Gestalt repräsentiert habe – nun die weibliche Inkarnation Gottes auf Erden sei. Bevor sie 1282 starb, setzte sie ihre Schülerin Mayfreda als Nachfolgerin ein mit dem Auftrag, eine Kirche unter weiblicher Hierarchie zu stiften. Allerdings wurden Wilhelminas Anhängerinnen und Anhänger bei der Inquisition denunziert und Mayfreda im Jahr 1300 als Ketzerin verbrannt.
Generell gab es seit dem 13. Jahrhundert überall in Europa unter Frauen ein stärker werdendes Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Leben jenseits von Ehe und Kloster. Frauen lebten in Paaren oder kleineren Gruppen zusammen und wirtschafteten gemeinsam, aber es gab auch größere organisierte Konvente mit bis zu hundert Mitgliedern. Andere zogen einzeln oder in Gruppen durch die Lande.
Bald entstand dafür der Oberbegriff „Beginen“. Manche Gemeinschaften hatten gar keine festen Regeln, andere arbeiteten genaue Verträge für ihr Zusammenleben aus. Die meisten Beginenkonvente finanzierten sich aus der Arbeit ihrer Mitglieder, sei es im Handwerk, in der Krankenpflege oder im Handel.
Eine der bekanntesten Beginen war die Französin Marguerite Porete (ca. 1260-1310), deren Buch „Der Spiegel der einfachen Seelen“ das erste geistliche Lehrbuch in Volkssprache war (statt in Latein). Darin beschreibt sie, dass „Gott“ nur über die Liebe gefunden werden kann – also nicht über die Kirche, aber auch nicht über die Vernunft oder die Tugend. Alles hänge an den Fähigkeiten der einzelnen Menschen, „zu lieben“, also in einer bestimmten, konkreten Situation das Richtige zu tun. Gesetze und abstrakte Regeln tragen nicht zum Guten in der Welt bei – so gesehen könnte man in Margarete Porete sogar eine frühe Anarchistin sehen.
Der „Spiegel“ ist dabei kein philosophisches Traktat, sondern beschreibt einen praktischen, experimentellen Weg (ganz ähnlich wie später die Literatur der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren). Die Inquisition hat das Buch als ketzerisch eingestuft, und an Pfingsten 1310 wurde Porete in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Trotzdem wurde ihr Buch weiter verbreitet, Übersetzungen in die lateinische, englische und italienische Sprache entstanden bereits im 14. Jahrhundert.
Während die Kirche die Beginen anfangs noch toleriert hatte, wurden sie im 14. und 15. Jahrhundert zunehmend verfolgt, die Gemeinschaften entweder zerschlagen oder gezwungen, sich in kirchlich kontrollierte Klöster umzuwandeln. Trotzdem überlebten einige dieser Gemeinschaften bis ins 19. Jahrhundert.
Ab dem 14. Jahrhundert gab es in Eropa eine regelrechte „Querelle des femmes“, einen „Streit über die Frauen“, der öffentlich ausgetragen wurde. An dieser Diskussion beteiligten sich auch Frauen sehr aktiv, vor allem Christine de Pizan, die ein Buch schrieb mit dem Titel „Die Stadt der Frauen“, in der sie auch damals schon die Würde der Frauen verteidigte und sich auf positive Beispiele aus der Geschichte und auch auf biblische Frauengestalten bezog.
Aber auch innerhalb der offiziellen Frauenklöster gab es eigenständige weibliche Traditionen. Die spanische Äbtissin Teresa von Avila (1515-1582) zum Beispiel entwarf für die von ihr gegründeten Klöster eigene Regeln, weil sie der Ansicht war, dass die von Männern entworfenen Ordensregeln für Frauen nicht brauchbar wären. Auch gegen sie wurde ein Inquisitionsverfahren eingeleitet, ihre Lehren wurden aber als schließlich als rechtgläubig anerkannt und Teresa 1622 heiliggesprochen, 1970 wurde sie sogar als erste Frau zur Kirchenlehrerin erhoben.
Es ist wichtig, die Qualität von feministischen Ideen nicht durch die Brille der herrschenden Ideologien zu betrachten. So wie die Kirche manche originell denkende Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt und andere zu Heiligen erklärt hat, werden heute manche feministische Ideen vom Neoliberalismus einverleibt und andere als utopistisch lächerlich gemacht.
Als mit der Reformation im 16. Jahrhundert viele Frauenklöster zwangsweise aufgelöst wurden und die dort lebenden Frauen heiraten mussten, um überleben zu können, bedeutete das vielerorts auch eine Zerschlagung eigenständiger weiblicher Traditionen und Lebensweisen.
Erst mit der feministischen Theologie im 20. Jahrhundert wurden viele dieser Traditionen – die in der von Männern verfassten Kirchengeschichtsschreibung nicht vorkamen – wieder entdeckt.
Theologische Probleme der christlichen Religion
Man kann daher bei diesen Auseinandersetzungen nicht wirklich von einer Gegnerschaft zwischen einer „männlichen“ und einer „weiblichen“ Theologie sprechen, es ist vielmehr so, dass sich die Argumentationen irgendwie auf unterschiedlichen Ebenen bewegen. Die feministische Theologie nähert sich daher den Schriften von Frauen unabhängig von ihrer Beurteilung durch die offizielle Kirche.
Sie waren auch durchaus schon „feministisch“, insofern sie ihr Frausein und die Geschlechterdifferenz zum Anlass für ihre theologischen Arbeiten nahmen. Aber es ging und geht ihnen nicht nur um die Stellung von Frauen in der Kirche, um die Forderung nach Gleichberechtigung und Emanzipation. Sondern es ging und geht ihnen vor allem um die Frage, wie wir überhaupt von Gott sprechen und was wir unter Religion verstehen.
Es geht also nicht um die Integration und Gleichstellung von Frauen innerhalb der Kirche, sondern um die Frage, was für eine Kirche wir eigentlich haben möchten. Ein Beispiel, an dem das kontrovers diskutiert wird, ist die Frage nach dem Zugang zu Ämtern. In den katholischen und orthodoxen Kirchen gibt es viele Frauen, die die Frage stellen, ob es überhaupt wünschenswert ist, „Priester“ zu werden, so wie das Amt jetzt definiert ist.
Die italienische Philosophin Luisa Muraro hat einmal gesagt, die größte Sünde der Männer sei es gewesen, sich den Frauen gegenüber an die Stelle Gottes gesetzt zu haben, und die größte Sünde der Frauen, dass sie das zugelassen haben. Das heißt, wir müssen vor allem erst einmal diesen Platz „des Anderen“, also Gottes, wieder frei räumen, und natürlich stellen sich dabei für Frauen und Männer andere Herausforderungen. Solange der Platz des Anderen besetzt ist mit irgend etwas Innerweltlichem, ist es keine postpatriarchale Kirche, keine Kirche, die ich lieben kann.
Diese Frage stellt sich im Christentum noch einmal stärker als in anderen Religionen, weil bei uns der Religionsstifter, Jesus Christus, nicht nur ein Mann ist, wie in anderen Religionen auch, sondern Gott. Die große feministische Theologin Mary Daly, die sich später von der Kirche verabschiedet hat, prägte den Satz: „Wenn Gott ein Mann ist, dann ist das Männliche Gott“. Genau diese Vermischung ist ein großes Problem. In der katholischen Tradition ist die Männlichkeit Jesu einer der Gründe, warum man Frauen den Zugang zum Priesteramt verwehrt.
Das heißt, in kirchlicher Tradition wurde die Tatsache, dass Jesus ein Mann war – was ja erstmal ein Zufall ist, da Menschen nie „geschlechtsneutral“ existieren, sondern immer nur in der Variante Frau, Mann, oder eventuell noch anderer Geschlechter – nicht als Zufall gesehen, sondern als Prinzip, aus dem sich höhere Ansprüche der Männer auf die offizielle „Religionsverwaltung“ ableiteten.
Das Problem beginnt aber schon bei der Auslegung der Schöpfungsgeschichte, die – nach jüdischer Interpretation – die Schaffung der Geschlechterdifferenz schildert: Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild, und er schuf sie als Mann und Frau. Oder, in der zweiten Variante der Schöpfungsgeschichte: Er schuf zunächst Adam, also ein geschlechtsneutrales „Menschenwesen“ (das hebräische Wort Adam bedeutet „Mensch“ und ist keineswegs ein männlicher Eigenname), und dann schuf sie noch einen zweiten Menschen, nämlich Eva und damit die Geschlechterdifferenz und die Tatsache, dass Pluralität zum Wesen des Menschen gehört. Und zwar erschuf Gott Eva keineswegs als „Gehilfin“, wie viele christliche Bibelübersetzungen behaupten, sondern als „Gegenüber“. Denn: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“.
Doch diese Vermengung von „Gott“ und „Mann“ und von „Mann“ und „Mensch“ prägte die gesamte Kirchengeschichte. Erschwerend kommen problematische Bezeichnungen für Gott als „Herr“ und als „Vater“ hinzu, die im Laufe der Zeit eine andere und verfälschende Bedeutung angenommen haben, sodass sie heute eigentlich nicht mehr zu gebrauchen sind.
Die Bezeichnung von Gott als „Herr“ bedeutete früher, in feudalen Zeiten, dass Gott über allem steht, dass wir ihr untergeordnet sind, so wie die Untertanen ihren Herren. Das hatte auch einen widerständigen Aspekt: Nicht die „Herren“ in der Welt sind es, an denen wir uns orientieren, denn unser eigentlicher „Herr“ ist Gott. Dieses Bild ergab einen Sinn zu Zeiten, als die allermeisten Menschen, Männer wie Frauen, Untertanen und Untertaninnen waren – und eben keineswegs Herren. Mit der Demokratie sind aber alle Männer zu Herren geworden – und alle Frauen nicht. Wenn „Herr Gott“ genauso klingt wie „Herr Schmidt“ – dann ist etwas faul.
Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung von Gott als „Vater“. Dies sollte ursprünglich bedeuten, dass die Beziehung zwischen Menschen und Gott eine liebevolle, vertrauensvolle, intime ist. Aber im Zuge der patriarchalen Vormachtstellung von Vätern über Frauen und Kinder verändert sich diese Bedeutung. Das beschreibt Ina Praetorius in ihrer Auslegung des Glaubensbekenntnisses am Beispiel eines bekannten christlichen Tischgebetes: „Vater segne diese Speise, uns zur Kraft und dir zum Preise“ – welche Konfusion richtet das an, wenn es von der Mutter oder Kindern am Tisch gesprochen wird, an dem auch ein richtiger „Vater“ sitzt? Wie will man da Gott und den Mann noch auseinanderhalten?
Der Gott der Frauen
Tatsächlich haben Frauen neue spirituelle Räume innerhalb der Kirche eröffnet. Sie haben neue Liturgien, neue Formen, neue Arten der Raumgestaltung erfunden. Aber welches ist die Implikation davon? Haben sie wirklich die Kirche, die religiösen Institutionen verändert?
Mein Eindruck ist, dass die Bemühungen der feministischen Spiritualität vor allem darauf ausgerichtet sind, den religiös interessierten Frauen einen Ort innerhalb der Kirche zu schaffen. Die starren traditionellen kirchlichen Formen so weit zu verändern, dass Frauen sich darin wohl fühlen. Das ist nicht wenig.
Aber darin kann es sich nicht erschöpfen. Die Impulse, die von spirituellen Frauen in die politische Arena und in die Öffentlichkeit ausstrahlen, sind kaum zu vernehmen. Diese Kluft zwischen einer postpatriarchalen kirchlichen Realität und dem, was „draußen“ davon ankommt, wurde ganz deutlich bei den Debatten um die Bibel in gerechter Sprache. Was wir in unseren „Nischen“ längst für selbstverständlich gehalten hatten wie die Rede von den Jüngerinnen und Jüngern, erschien denen „draußen“ wie ein Skandal. Sie hatten offenbar nichts von all dem mitgekriegt, was wir jahrzehntelang in der Kirche gemacht haben.
In der Öffentlichkeit dominieren nach wie vor Männer die Debatten über Religion und Kirche, wenn man sich zum Beispiel die interreligiösen Dialogforen und so weiter anschaut. Margot Käßmann hat das Muster zwar durchbrochen, aber ihr Intermezzo war nur kurz. Ich halte es für einen großen Fehler, dass die Kirche sie gehen ließ. So ein Chance kriegt sie nicht so schnell wieder (die Kirche, nicht Käßmann).
Denn Frauen wie sie stehen ja nun nicht gerade Schlange. Das evangelische Kirchenparlament in Frankfurt, das letztes Jahr neu konstituiert hat, besteht wieder zu 76 Prozent aus Männern. Und ich denke auch nicht, dass sich das in naher Zukunft ändert. Es gibt ein wachsendes Unbehagen von Frauen gegen kirchliche Ämter. Überall wird darüber geklagt, dass Frauen nicht bereit sind, für Ämter und Gremien zu kandidieren, ich habe gehört, in der Nordkirche soll es sogar ein spezielles Programm dafür geben.
Ich denke, das liegt auch daran, dass diese Kirchenstrukturen von ihrer Kultur her nur wenig, jedenfalls nicht ausreichend verändert haben. Bärbel Wartenberg-Potter, eine der ersten deutschen Bischöfinnen, sagte in Vortrag kurz nach ihrer Pensionierung, dass sie über weite Strecken die Bischöfin nur gespielt habe. Vielleicht haben wir uns ja zu sehr darauf verlassen, dass die Anwesenheit von Frauen dort automatisch eine Veränderung bewirken würde.
Dies wäre ein Punkt, an dem ich grundsätzliche Anfragen an die christliche Frauenbewegung habe. In gewisser Weise leiden wir noch immer unter der Aufspaltung der feministisch-theologischen Bewegung aus den 80er Jahren in eine „innerkirchlich loyale“ Fraktion und in eine, die sich von der Kirche entfernt hat, Stichwort etwa Mary Daly oder Christa Mulack. Etwas grob vereinfacht könnte man sagen, dass die „Auszüglerinnen“ die Institution Kirche seither in Bausch und Bogen als patriarchal verdammen, während diejenigen, die „drin geblieben“ sind, tendenziell eine – aus meiner Sicht – zu große Loyalität mit der Institution Kirche haben. Oder sich mit zu wenig an Erreichtem zufrieden geben.
Das meine ich jetzt nicht als Appell für das Rausgehen als solches, sondern für das Offenhalten dieser Option in den Debatten. Sowohl, was meine eigene Karriere in der Kirche betrifft – wann ist der Punkt erreicht, dass ich von ihren weltlichen Ressourcen so abhängig bin, dass ich schon aus Eigeninteresse den Erhalt der Institution wünschen muss? Als auch, was die Argumentationslinien betrifft: Noch immer finde ich mich manchmal in Diskussionen wieder, bei denen es so aussieht, als würde „die Kirche“ mir „als Frau“ irgendwie einen Gefallen damit tun, dass sie Frauen weniger diskriminiert als etwa die Katholiken. Dass Kirchenvertreter sich etwa damit brüsten, dass „bei uns“ Frauen ordiniert werden dürfen und dass sie uns erlaubt haben, eine Bibel in gerechter Sprache herauszubringen. In Wahrheit ist es natürlich anders herum: Dass wenigstens das möglich ist, ist der einzige Grund, warum ich überhaupt noch in dieser Kirche bin. Viele andere, kluge und, wie ich sagen würde, auch gottesfürchtige Frauen haben die Kirche längst verlassen. Und dass es immer schwieriger wird, Frauen zu finden, die sich in kirchlichen Ämtern engagieren möchten, sollte nicht den Frauen zu denken geben – sondern der Kirche.
Die Differenz zwischen der traditionellen Männerkirche und der postpatriarchalen Kirche der Frauen ist offenbar sehr viel tief greifender als nur die Frage der institutionellen Einbindung von Frauen. Sie lässt sich deshalb auch nicht durch eine formale Integration – rechtliche Gleichstellung – erreichen. Wir müssen vielmehr ans Eingemachte.
Meine These ist: Wenn Frauen von Gott reden, dann ist das etwas grundlegend anderes als das, was in religiösen Institutionen verwaltet wird. Und diesen Konflikt müssten wir eigentlich bearbeiten und thematisieren, wenn wir in der Kirche als Institution nicht nur „Nischen“ haben, die wir lieben können. Diese Nischen können nämlich auch ein Trick sein. Sie verhindern, dass es zum Bruch kommt, ohne dass sich die Kirche insgesamt wirklich auf die Anliegen der Frauen eingehen muss.
Was aber wäre ein „Gott der Frauen“? Luisa Muraro hat so ein Buch betitelt, in dem sie das Wissen und die Erfahrungen der spätmittelalterlichen Mystikerinnen untersuchte. Sie schreibt: „Meinem derzeitigen Verständnis nach – das heißt dem einer Frau, die ihrerseits nicht an Gott glaubt und jene Texte nicht als Zeugnis eines Glaubens liest, sondern eher als Dokumente eines Wissens, das sie sehr nahe betrifft – war Gott für jene Frauen hier und da, er war sehr weit entfernt und sehr nah, er war der andere und die Beziehung zum Anderen.“ (96)
Ist Gott vielleicht gar nicht „der große Zampano“, zu dem ihn die männliche kodifizierte Theologie gemacht hat, der Allmächtige, der Schöpfer des Universums? Eine Sichtweise, aus der unmittelbar die Theodizeefrage erwächst, also die Frage, warum ein so allmächtiger Typ das Leid in der Welt zulassen kann, und die die männliche Theologie meines Erachtens trotz aller Spitzfindigkeiten nicht zufriedenstellend beantworten kann?
Dass die Mystikerinnen mit dem Wort „Gott“ vielleicht etwas ganz anderes meinen, sei ihr erstmals bei der Lektüre von Margareta Poretes „Spiegel der einfachen Seelen“ aufgefallen, schreibt Muraro: „Ich begann Worte eines Gesprächs zu hören, nicht nur eines neuen, sondern eines unerhörten Gesprächs zwischen zweien, die wir kurz eine Frau und Gott nennen. Eine Frau, das war gewiss, ob Gott, weiß ich nicht, aber gewiss war die Frau nicht allein. Es gab einen anderen oder eine andere, deren/dessen Stimme nicht bis zu mir gelangte, die ich aber vernahm, weil sie eine Unterbrechung in den Worten der Frau hervorrief, oder besser gesagt, einen Hohlraum, der die Lektüre verwandelte.“
Was Muraro daran fasziniert, ist die andere Art und Weise, wie Mensch und Gott, Innen und Außen, Subjekt und Objekt, Körper und Seele hier miteinander in Beziehung sind. Nicht als Gegensätze, wie es die westliche Philosophie gelehrt hat. Die männliche Theologie hat sich ja viel mit dem erkenntnistheoretischen Problem beschäftigt, dass Gott nicht greifbar, nicht erkennbar für die Menschen ist.
„Zwischen der Frau und Gott galt diese Ordnung nicht“, schreibt Muraro, „Zwischen beiden fand eine ununterbrochene Bewegung statt, von einem zum anderen, mal verschwand die Frau (und war woanders), dann waren da zwei, bald war sie allein … Doch gab es keine Konfusion … Es gab so etwas wie die Eröffnung eines großen Spiels, eine Art Verhandlung über das, was wirklich und wahr ist, woran freimütig auch die Wünsche teilnehmen, ohne Zensur und Grenzen, ohne dass alles im Wahn unterging. Im fließend gewordenen Realen, lehrt uns Margareta, ertrinkt man nicht.“ (14f).
Nicht um Glauben und Religion geht es also in der Beziehung zwischen der Frau und Gott, sondern um eine Orientierung in der gegebenen Realität, die sich nicht mit der Verfolgung der eigenen Interessen begnügt oder damit, was nach der Logik dieser Welt und ihrer Systeme machbar und realistisch erscheint. Die Beziehung zu Gott, zum Anderen, ist nicht als systematische Abhandlung zu fassen, sondern sie ist experimentell, ein Spiel, bei dem alles unsicher ist.
Dieser „Gott der Frauen“, diese von Frauen erfundene, ersehnte und erhoffte Spiritualität (die natürlich nicht exklusiv nur für Frauen ist, sondern ein Vorschlag für alle), stellt sich dem Problem, dass die Probleme dieser Welt unlösbar sind. Dieses Gefühl der Unlösbarkeit von Problemen stellt sich heute wieder mit großer Wucht, Stichwort Klimawandel, Ölpest, Afghanistan, Palästina-Israel, Finanzkrise und so weiter.
Eine andere Zeugin dieses Gottesbildes ist Simone Weil. Sie war ja ursprünglich kein religiöser Mensch, ihre Eltern waren Intellektuelle jüdischer Herkunft, sie selbst war anarchistische Sozialistin. Doch sie stellte fest, dass eine rein innerweltliche, humanistische Position nicht ausreicht, um in der Welt tätig zu sein. Sie lebte in einer Extremsituation, konfrontiert mit dem Nationalsozialismus, und kam an einen Punkt, wo sie in aller Klarheit sah, dass Hitler an die Macht kommen würde und dass das politische Engagement der Linken nicht ausreichen würde, um das zu verhindern. Diese Hoffnungslosigkeit hat sie zu der Auffassung gebracht, dass es Gott geben muss.
Weil behielt ja Recht mit ihrer Einsicht, dass Hitlers Machtergreifung unausweichlich war. Was bedeutet da ihre Schlussfolgerung, dass es Gott geben muss? Ganz sicher nicht, dass es ihn tatsächlich gibt, also nicht im Sinne eines Gottesbeweises. Sondern die Notwendigkeit Gottes ergibt sich aus meinem Begehren, aus meiner Bedürftigkeit, aus meiner „Bettelei“, wie es Margarete Porete formuliert. Gott existiert, weil ich ohne Gott nicht leben kann. Und das ist nicht psychologisch gemeint, sondern philosophisch, politisch, real.
Auch Etty Hillesum, eine niederländische Jüdin, die sehr bewusst sah, wohin der Holocaust führte. Sie schrieb in ihr Tagebuch:
„Es sind schlimme Zeiten, mein Gott. Heute nacht geschah es zum erstenmal, dass ich mit brennenden Augen schlaflos im Dunkeln lag und viele Bilder menschlichen Leidens an mir vorbeizogen. Ich verspreche dir etwas, Gott, nur eine Kleinigkeit: ich will meine Sorgen um die Zukunft nicht als beschwerende Gewichte an den jeweiligen Tag hängen, aber dazu braucht man eine gewisse Übung. Jeder Tag ist für sich selbst genug. Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben. Ich fordere keine Rechenschaft von dir, du wirst uns später zur Rechenschaft ziehen. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen.“
Nicht Gott hilft uns, sondern wir helfen Gott? In einem freien Austausch zwischen uns Menschen und Gott, der Anderen? In Art eines, um noch mal Muraros Auslegung von Porete zu zitieren, „großen Spiels, eine Art Verhandlung über das, was wirklich und wahr ist, woran freimütig auch die Wünsche teilnehmen, ohne Zensur und Grenzen, ohne dass alles im Wahn unterging. Im fließend gewordenen Realen, lehrt uns Margareta, ertrinkt man nicht.“ (14f).
Theologie, Religion, Kirche hätte also nicht die Aufgabe, noch mehr oder anderen Inhalt und Positionen zur jeweiligen zeitgenössischen Debatte beizutragen, die dann als „religiöse“ oder „christliche“ Werte der säkularen Politik und ihrer Ethik und Moral hinzuzufügen wären. Sondern die Orientierung hin auf Gott beschreibt eine gänzlich andere Haltung der Welt gegenüber, die Haltung, Mehr zu begehren, sich von Gott überraschen zu lassen, ohne Sicherheit, ohne dass es planbar oder erklärbar wäre.
Es ist eine Haltung, die sich nicht mit dem zufrieden geben will, was diese Welt an Maßstäben und Richtschnüren bereithält. Menschen mit dieser Haltung verstehen unter „Politik“ nicht, bestimmte Ideologien oder Positionen oder Interessen zu „vertreten“ und „durchzusetzen“. Aber ebenso wenig geht es ihnen um eine bloße Moderation zwischen verschiedenen Parteien oder Ansichten. Sondern sie ersehnen mehr, etwas Tieferes, Höheres, Anderes. Es geht dabei nicht darum, ob es dieses Tiefere, Höhere, Andere (das man Gott nennen kann oder auch nicht) gibt, sondern darum, ob es ersehnt wird.
Wenn wir diese Lücke erst einmal entdeckt haben, so zumindest die Erfahrung und Lehre der Mystikerinnen (und auch meine eigene Erfahrung), wenn wir uns dazu in eine Beziehung setzen, dann gibt es tatsächlich eine Antwort. Eine, die nicht von mir selbst kommt, die keine Projektion ist. Etwa, wenn ich in einer Situation erkenne, was hier und jetzt notwendig ist. Es ist ein Gespräch mit Gott, das Eingeständnis, dass ich das Andere brauche, mein Wunsch danach, und es ist diese Haltung, um die es geht. Ob für diese Erfahrung, für diese Haltung, das Wort „Gott“ benutzt wird, ist unwichtig.
Religiöse Praxis bedeutet letztlich, die „Bettelei“ danach, dass es mehr gibt, die offen ist für das Andere, das wir „Gott“ nennen können, als politische Praxis zu erkennen. Nicht Gott ist es, die zu uns spricht, sondern wir, indem wir Gott (oder wie immer man dieses Andere nennen wollen) begehren, rufen Gott in die Existenz. Es ist daher überflüssig, Gottesbeweise zu führen – oder Gotteswiderlegungen – womit sich die männliche Theologie so ausführlich beschäftigt hat.
Es geht letztlich um ein Paradox: Dass Menschen eine Beziehung zu Gott, zur Transzendenz, zum Anderen, zum Wahren, zum wahrhaft Guten haben können, obwohl es eigentlich keine Verbindung gibt bzw. obwohl die Herstellung dieser Verbindung für Menschen nicht instrumentell verfügbar ist. Gottesfürchtig sind Menschen, die in Bezug auf ihr In-der-Welt-Sein Fragen haben, wirkliche Fragen, keine rhetorischen. Eine der wichtigsten Erfahrungen der Mystik lautet, dass es Antworten auf diese Fragen geben kann, die unabhängig sind von der eigenen intellektuellen Eloquenz. Man muss nicht konfirmierter Christ sein oder ein Mindestmaß an religiösem Grundwissen haben oder gar studierter Bibelwissenschaftler sein, um Gottes Willen zu erkennen. Wenn man all das ist, heißt das nur, dass man es in bestimmten Vokabeln wiederum ausdrückt.
Nicht das Nachdenken über Gott bringt uns ihr näher, sondern das Offensein für sie, das Betteln um sie. Ebenso wie wir geistesgegenwärtig in einer Situation nicht handeln können, indem wir abstrakte ethische Regeln anwenden, sondern erkennen, was in dieser Situation notwendig ist. Andrea Günter formuliert es so: „Mystik handelt von der Möglichkeit, etwas zu erkennen, ohne dass wir den Grund, die Ursache, die Substanz davon kennen müssen. Wir erkennen etwas, indem wir bei diesem sind.“
Simone Weil hat darauf hingewiesen, dass das nur in der Muttersprache geht. Man kann von und mit Gott nicht in philosophisch-wissenschaftlichem Jargon sprechen, denn Gott ist kein Abstraktum, nichts Verallgemeinerbares, sondern eine Erfahrung, die in einer bestimmten konkreten Situation gemacht wird oder auch nicht. Für Simone Weil ist die Muttersprache der Ort, wo das Konkrete und die Transzendenz zusammenkommen. Denn die Muttersprache ist genau kein geschlossenes System mit feststehenden Definitionen und Regeln, sondern grundsätzlich offen für das Andere, das Neue. Sie ist der Ort, an dem Erfahrungsaustausch, Verhandlungen, Vermittlung der Differenz stattfinden kann. Die einfache, schöne Sprache, über die sich nicht einfach verfügen lässt, die sich dem System entzieht, ist gewissermaßen wie ein Spiel, das durchlässig ist für die Kontingenz Gottes. Diese „Theologie in der Muttersprache“ bringt Erkenntnisse hervor, aber keine, die sich „sichern“ lassen oder die „allgemeingültig“ wären.
Es gibt natürlich viele Wege, die Aufmerksamkeit für Gott, für den „Gott der Frauen“ zu wecken, der das Andere ist und die Liebe zum Anderen. Die Politik der Frauen, die Theologie der Muttersprache, ist gleichzeitig komplizierter und einfacher als die üblichen Kämpfe um die Macht, um Einfluss, um Revolution. Sie besteht darin, eine andere politische Praxis zu haben. Eine Praxis, die die konkreten Kämpfe und Projekte nicht gering schätzt, aber sich nicht der Illusion hingibt, auf irgendetwas definitive Antworten und absolute Wahrheiten haben zu können. Frauen (und auch Männer, denn es handelt sich hier nicht um eine Wahrheit, die nur für Frauen gilt, sondern um eine Wahrheit, die von Frauen entdeckt und formuliert wurde) – also Menschen, die das Gespräch mit Gott suchen, sind, schreibt Muraro „mit der Gewissheit in der Welt, dass in ihr auch das Unmögliche Raum hat oder ihn finden kann. … Es gibt in dieser Welt ein Reales, das nicht gänzlich von dieser Welt ist.“ (81)