Wir alle sind Päpstin!
Vortrag im Rahmenprogramm der Sommerspiele Melk, 13.7.2012
Wussten Sie, dass die Päpstin Johanna, um die es heute Abend geht, eine Nachfolgerin hatte, Johanna II.? Eine Freundin wies mich darauf hin, als ich davon erzählte, dass ich hier nach Melk fahren würde und einen Vortrag zum Thema Päpstin vorbereite.
Sie schickte mir daraufhin einen Text von Esther Vilar aus dem Jahr 1982: „Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin“. Es ist einer der weniger bekannten Texte von Esther Vilar. Sie ist ja vor allem bekannt geworden nach einem Fernsehduell mit Alice Schwarzer, und wegen ihres Bestseller-Buches „Der dressierte Mann“, in dem sie die – nun ja – These ausarbeitet, dass eigentlich die Männer die Unterdrückten des patriarchalen Geschlechterverhältnisses sind und die Frauen seine Profiteurinnen. Esther Vilar ist eine dezidierte Gegnerin des Feminismus und der Frauenbewegung, und sie ist auch dezidiert antireligiös, zum Beispiel ist sie heute im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.
Aber die Antrittsrede der von ihr erfundenen Päpstin Johanna II. – sie wählt ihren Namen ausdrücklich, um sich in eine Reihe mit der ersten, also unserer Päpstin Johanna zu stellen – fand ich sehr interessant. Denn während Johanna I. im Jahr 855 – so die Legende – sich als Mann verkleidet hat, um in das Amt zu gelangen, tat Johanna II. das genaue Gegenteil. Ihre Rede beginnt sie mit folgenden Worten, ich lese ein Stück vor:
„Das Unfassbare ist geschehen: HABEMUS PAPESSAM. Ja, sehen Sie mich gut an, damit Sie es begreifen: Ich bin eine Frau. Eine Frau auf dem Thron des Papstes. Zum ersten Mal eine Frau. Hier: zwei Brüste – dazu bestimmt, Kinder zu nähren. Und unter diesem Rock: Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter. Alles vorhanden, alles an seinem Platz. So bestätigt in einem medizinischen Gutachten vom 3. Februar des Jahres 2014, und auf meinen Wunsch heute, am Tag meines Amtsantritts, in den Zeitungen veröffentlicht. Warum? Damit nie, nie, nie auch nur der geringste Zweifel aufkommt, dass ich wirklich und wahrhaftig eine Frau bin.
Ja, meine Brüder und Schwestern: auf diesem Stuhl, auf dem seit zweitausend Jahren Männer und immer wieder Männer saßen, auf dem Stuhl seiner Heiligkeit des Papstes, sitzt ab heute eine Frau. Verehrte, über die ganze Welt verstreute Mitglieder dieser Gemeinde, die Sie meine Ansprache jetzt auf Ihren Fernsehgeräten verfolgen: Haben Sie das wirklich verstanden?“
Heute, dreißig Jahre nachdem dieser Text entstanden ist, ist diese Frage noch einmal deutlich drängender geworden. Denn wir haben zwar noch keine Päpstin – und wenn man sich die derzeitige katholische Kirche anschaut, scheint es wohl auch bis 2014 nicht so weit zu kommen. Aber es gibt doch inzwischen eine ganze Reihe anderer hochsymbolischer Positionen, die früher Männern vorbehalten waren, heute aber von Frauen besetzt sind: In Deutschland haben wir eine Bundeskanzlerin, die Außenministerin der Vereinigten Staaten von Amerika ist eine Frau, wir haben Richterinnen, evangelische Bischöfinnen, Universitätspräsidentinnen. Die katholische Kirche steht inzwischen mit ihrem Festhalten an der exklusiven Männlichkeit ihres Führungspersonals allein auf weiter Flur, zumindest in der westlichen Welt. Alle anderen „Papststühle“, wenn man so will, stehen heute auch Frauen offen. Und nicht wenige sind bereits von Frauen besetzt. Haben wir das wirklich verstanden, haben wir verstanden, was das bedeutet?
Manchmal habe ich den Eindruck, viele glauben, dass das eigentlich NICHTS bedeutet – außer dass den Frauen jetzt Gerechtigkeit widerfährt. Für die Stühle, die da besetzt werden, scheint das Ganze nebensächlich zu sein. Ist es nicht egal, ob das ein Mann oder eine Frau macht? Oder zumindest: Sollte es nicht egal sein? Und: Haben denn nicht die Frauen, die bisher an die Macht gekommen sind, bewiesen, dass sich durch sie gar nichts ändert, dass sie alles genauso gut oder schlecht machen wie Männer auch?
Barbara Sichtermann hat das schon vor zwanzig Jahren etwas sarkastisch kommentiert. „Jetzt, wo wir alles sagen dürfen“, stellte sie fest, „sind die Männer überrascht und erleichtert. Denn was sie zu hören bekommen, unterscheidet sich eigentlich gar nicht vom allseits Gewohnten. Eigentlich kann man sich wundern, warum den Frauen überhaupt ein Jahrtausende altes Redeverbot auferlegt worden war. Denn wenn sie nun das Gleiche wie den Common Sense zu Gehör bringen, wäre die alte Schweigeverordnung ja gar nicht nötig gewesen. Wenn Frauen an den alten Maßstäben gar nicht rütteln, wenn sie gar keine andere Welt anvisieren, hätte man sie doch gefahrlos schon längst reden lassen können.“
Ich glaube, die Geschichte der Päpstin Johanna I., deren Frausein ein so großer Skandal war, fasziniert uns heute genau deshalb: Im Rückblick erscheint es so vollkommen krass, dass das Frausein früher mal so ein Problem gewesen sein soll, ein Stachel im Fleisch des Systems, wenn man so will. Wir haben uns heute daran gewöhnt, dass sich Frauen sehr leicht in das Bestehende integrieren lassen, ohne weiter zu stören.
Nach vier Jahrzehnten Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik haben wir uns so an das Mantra von „Frauen und Männer sind gleich“ gewöhnt, dass wir die tatsächliche Gleichstellung von Frauen innerhalb der Institutionen nur noch für eine Frage der Integration halten und längst nicht mehr für eine Revolution.
So als hätten die Männer damals, als sie Papststühle, Universitäten, Parlamente und dergleichen erfanden, irgendwie nur aus Nachlässigkeit vergessen, sie auch für Frauen zu öffnen. Und jetzt wird das eben im Zuge der Gleichstellung nachgeholt – und ansonsten bleibt alles beim Alten.
Die Geschichte der Päpstin Johanna erinnert uns daran, dass das nicht stimmt. Dass die Frauen damals nicht nur vergessen wurden, sondern aktiv und explizit ausgeschlossen, ja, dass der Ausschluss der Frauen ein wesentlicher Bestandteil des Prinzip dieser Machtinstitutionen war.
Heute befürwortet diese Geschlechterhierarchie niemand mehr. Sicher, die Old-Boys-Networks, die Netzwerke der um ihre Privilegien besorgten Männer, bestehen teilweise noch immer, ebenso die unterschiedliche Sozialisation von Jungen und Mädchen. Aber es sind nicht mehr nur die Feministinnen, die dagegen vorgehen, nein, alle beteuern, dass Frauen gleichgestellt sein müssen. Gleichberechtigung ist offizielle Staatsdoktrin, Gender Mainstreaming und Frauenförderung sind Ziele, die hochoffiziell von der Europäischen Union vorgeschrieben sind, ein Verwaltungsakt, der Top-Down von der Hierarchie implementiert werden soll. Wir müssen heute keine mutigen Heldinnen mehr sein und unser Leben riskieren, um etwas werden zu können.
Allein, es funktioniert irgendwie nicht. Sondern es sieht so aus, als würde es eher schlimmer: Während Frauen aufsteigen, driftet die Schere von Arm und Reich immer weiter auseinander. Die Emanzipation führt also nicht automatisch zu einer besseren Welt. Und auch der Aufstieg der Frauen verläuft zäher als Gedacht. Es kann ja aber auch nicht funktionieren. Denn wenn der Ausschluss der Frauen aus der öffentlichen Sphäre nicht einfach ein Versehen, sondern grundlegend war, dann muss der Einschluss der Frauen bedeuten, dass das ganze System ins Wanken gerät.
Ein besonders augenfälliges Beispiel ist die nicht vorhandene Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Früher war die Erwerbsarbeit darauf gegründet, dass die erwerbstätigen Männer von allen Hausarbeits-, Fürsorge- und Kindererziehungspflichten befreit waren, denn dafür waren die Frauen zuständig, die genau deshalb aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossenen wurden. Gleichstellung kann also schon rein logisch gar nicht bedeuten, dass Frauen heute ebenso wie Männer erwerbstätig sind und ansonsten alles beim Alten bleibt – denn wer soll dann die Arbeit der Hausfrauen machen? Auch die Erwerbsarbeit selbst muss sich grundlegend verändern, ein paar Kinderkrippen zu bauen oder Polinnen dafür ins Land zu holen, reicht da nicht aus.
Was die Frauenbewegung betrifft, so war das Ziel des Kampfes um den Zugang zu den Sphären der Macht und den offiziellen Institutionen nie nur eine bloße Frage der Gerechtigkeit oder des Lobbyismus für Fraueninteressen – nach dem Motto: Wenn die Männer das dürfen, dann wollen wir auch. Fast alle Frauenrechtlerinnen haben gehofft, dass die Beteiligung von Frauen an diesen Positionen dazu führen würde, dass die Welt dadurch anders und insgesamt besser würde. „Wir wollen nicht die Hälfte vom Kuchen, wir wollen einen anderen Kuchen“, war ein Slogan der Frauenbewegung in den 1970ern.
In den seither vergangenen 40 Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die bloße Beteiligung von Frauen nicht viel ändert. Der Anpassungsdruck auf Frauen, die irgendwo „Päpstin“ werden, ist sehr groß, und die Erfahrung zeigt, dass Frauen in bestimmten Ämtern nicht automatisch etwas grundsätzlich anders oder gar besser machen. In dem Bemühen, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sind manche von ihnen oft sogar eher noch „päpstlicher als der Papst“.
Außerdem wissen wir, dass das Freiheitsstreben der Frauen auch vereinnahmt werden kann, zum Beispiel kann der Wunsch nach qualifizierter Erwerbsarbeit und finanzieller Eigenständigkeit gut von einer neoliberalen ausgerichteten kapitalistischen Wirtschaftsordnung ausgenutzt werden, um alles, auch Pflege- und Fürsorgearbeiten, die dafür gar nicht geeignet sind, einer betriebswirtschaftlichen Logik zu unterwerfen.
Vielleicht ist es auch ein klein wenig der Frust über diese so wenig „revolutionären“ Folgen der weiblichen Gleichberechtigung, die die Faszination der Geschichte von der Päpstin Johanna ausmacht. Die erklärt, warum diese Legende, die ja schon Jahrhunderte alt ist, ausgerechnet in unseren Zeiten wieder populär geworden ist, zu Romanen, Kinofilmen und Theaterstücken verarbeitet wird.
Sie erinnert uns daran, dass das früher einmal anders war. Sie erzählt von Zeiten, in denen die Männer noch wirklich befürchteten, es würde die Grundfesten ihrer Gesellschaftsordnung erschüttern, wenn Frauen Zugang zu ihren Institutionen hätten. Von Zeiten, in denen Frauen, die sich Zugang zu den Orten exklusiv männlicher Machtausübung erkämpften, noch richtige Heldinnen waren – und nicht, wie wir heute manchmal argwöhnen – einfach nur Frauen, die Karriere machen wollen, oder, noch schlimmer, die sich verbiegen, um den neuen Rollenbildern und Ansprüchen an Frauen zu genügen, die nämlich heißen, eine Frau muss tough, emanzipiert, leistungsbereit sein und Karriere und Haushalt perfekt unter einen Hut kriegen.
Entsprechend nimmt der Enthusiasmus der Frauen ab. Ich weiß nicht, wie es hier in Österreich ist, aber in Deutschland erleben wir gerade, dass fast alle der ehemals männlichen, heute gleichberechtigten Institutionen auf immer größeres weibliches Desinteresse stoßen.
Ich erinnere mich noch wie damals, in den 1980er Jahren, am Anfang der Gleichstellungsbewegung, Frauen große Lust darauf hatten, in die Sphären der Macht vorzustoßen. Sie bildeten Netzwerke, suchten Kandidatinnen, bestärkten sich gegenseitig. Das hat Spaß gemacht. Es war toll, die erste Bürgermeisterin, die erste Bischöfin, die erste Ministerpräsidentin zu haben. Aber die Fünfte?
Die Frauen, so scheint es, legen keinen großen Wert darauf, Päpstin zu werden, jetzt, wo das nichts Besonderes mehr ist. Die Grünen in Schleswig Holstein haben vor kurzem ernsthaft darüber diskutiert, ob sie die 50-Prozent Frauenquote in politischen Landeslisten wieder aufgeben sollen – nicht, weil sie etwas gegen Frauen hätten, sondern weil sich nicht genügend Kandidatinnen finden. Eine kürzlich gestartete, groß angelegte Kampagne der baden-württembergischen Frauenverbände für mehr Frauen in der Kommunalpolitik hat nur spärlich Unterstützerinnen gefunden.
Es gibt sozusagen einen weiblichen Fachkräftemangel in Bezug auf den Päpstinnenstuhl. Fragen Sie sich doch einmal selbst, liebe Frauen im Publikum: Wer von Ihnen möchte Päpstin werden? Ernsthaft? Wer von Ihnen strebt eine Laufbahn als Bundeskanzlerin, Aufsichtsrätin, Konzernchefin an?
Johanna I. wollte das. Sie wollte Päpstin werden, und das macht sie heute so spannend. Sie ist keine, die sich breitschlagen lässt, für irgendein Amt zu kandidieren, das sie eigentlich gar nicht haben will, nur damit ihre Partei die erforderlichen Frauenquoten einhält. Sie ist keine, die sich überreden lässt, einen Posten zu übernehmen aus feministischem Pflichtgefühl, damit es nicht wieder ein Mann wird.
Sie hatte eine innere Berufung. Sie hat für ihre Visionen ungeheure Mühen auf sich genommen, sogar ihr Leben riskiert und alle Widerstände überwunden, um an die Spitze der Macht zu gelangen. Warum nur? Woher hat sie diese Motivation, diesen Enthusiasmus genommen?
Was wir heute von ihr lernen können ist nicht, dass Frauen genauso gut sind wie Männer, wenn man sie nur lässt – das ist eine Banalität, das wissen wir längst. Nicht, dass es ihr gelungen ist, Päpstin zu werden, macht diese Geschichte für uns heute interessant. Nicht, dass sie dabei viel Gegenwind hatte und große Hindernisse überwinden musste –jede Frau, die die Welt verändern möchte, muss mit Gegenwind und Hindernissen rechnen, das ist normal.
Die spannende Frage für uns heute ist: Warum um Himmels willen will diese Frau so dringend Päpstin werden? Was für ein Begehren treibt sie dabei an? Woher nimmt sie diese Stärke, für ihre Träume zu kämpfen, woher hat sie diese großen Träume überhaupt, woher das Selbstvertrauen, dass es genau auf sie ankommt in dieser Welt? Und kann uns ihre Geschichte vielleicht als Beispiel dienen, als Ermutigung, unsere eigenen Träume, Wünsche und Stärken zu erkennen und zu verfolgen?
Was wäre mein Ziel, was wäre mein Päpstinnenstuhl, für den ich bereit wäre, mit solchem Mut und solcher Entschlossenheit zu kämpfen?
Die Geschichte der Päpstin Johanna ist keine Geschichte über den Zugang von Frauen zur Macht. Sie ist eine Geschichte über das weibliche Begehren und die unglaubliche Stärke, die es entwickeln kann. Sehr clever hat die Schriftstellerin Donna Cross erkannt, dass das der Stoff für einen Bestseller ist. Die richtige Mischung aus Hoffnung und Tragik, aus Fiktion und Realität. Sie ist heute so aktuell wie eh und je.
Dabei ist es durchaus eine zwiespältige Geschichte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich als junge Theologiestudentin mit Johanna, die es als Mann verkleidet bis auf den Papststuhl schafft, identifiziert habe. Ich habe ihre Geschichte in den 1980er Jahren kennen gelernt. Die Legende von der Päpstin war Thema in einem Kirchengeschichts-Seminar mit Elisabeth Gössmann.
Gössmann war 1954 eine der ersten Frauen, die in katholischer Theologie promoviert hat. Die deutschen, die europäischen Universitäten wollten sie nicht einstellen – sie lehrte dann in Tokio und kam nur hin und wieder für Lehraufträge nach Deutschland. Ich hatte das Glück, bei einer dieser Gelegenheiten bei ihr studieren zu können.
Elisabeth Gössmann hat sich sehr intensiv mit der Legende von der Päpstin Johanna beschäftigt und schon lange vor Donna Cross eine dickes, wissenschaftliches Buch darüber geschrieben. Sie machte uns im Seminar auch auf die Schattenseiten der Geschichte aufmerksam.
Zum Beispiel darauf, dass die Legende, es habe im 9. Jahrhundert einmal eine weibliche Päpstin gegeben, nicht etwa mit frauenemanzipatorischer Absicht gewebt wurde. Besonders gerne wurde diese Legende später in protestantischen, reformierten Kreisen weiter erzählt, weil sie sich gut dazu eignete, die Legitimität der katholischen Kirche in Zweifel zu ziehen: Denn wenn es tatsächlich einmal eine Frau auf dem Stuhl Petri gegeben haben sollte, so die patriarchale Logik, dann wäre die lückenlose Abfolge von Päpsten unterbrochen gewesen. Dann wäre also der je aktuelle katholische Papst in Wirklichkeit gar nicht mehr der direkte Nachfolger von Petrus. Seine Autorität als Oberhaupt der Christenheit wäre dahin.
Ob es im 9. Jahrhundert wirklich einmal eine Frau auf dem Papststuhl gegeben hat oder nicht, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei klären. Aber auch wenn Johanna I. bloß eine Legende sein sollte, so ist die Geschichte trotzdem auch wahr. Denn zweifelsfrei steht fest, dass der hier geschilderte Weg tatsächlich einer ist, den viele Frauen gegangen sind. In einer Kultur, in der die Institutionen der Macht und des öffentlichen Lebens allein Männern vorbehalten waren, musste eine Frau sich ja als Mann verkleiden, wenn sie irgend etwas anderes tun wollte als den eng gefassten Frauenrollen zu genügen. Viele Frauen durch die Jahrhunderte weg haben das immer wieder gemacht.
Frauen haben sich als Männer verkleidet, um Zugang zu Universitäten und Männerklöstern zu haben. Sie haben als Männer verkleidet an Kriegen teilgenommen, männliche Handwerke ausgeübt, sich den Zugang zu Ressourcen und Möglichkeiten verschafft, die eine patriarchale Kultur den Männern vorbehalten hat. Sie haben Bücher unter männlichem Pseudonym veröffentlicht, weil Frauen entweder keine Bücher schreiben durften oder weil Bücher von Frauen nicht rezipiert wurden.
Spuren von dieser Taktik haben sich bis heute erhalten. Wenn Angela Merkel zum Beispiel vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin betont hat, es spiele überhaupt keine Rolle, dass sie eine Frau sei, dann ist das immer noch so etwas Ähnliches: Das Frausein muss versteckt werden, bevor eine Frau öffentlich auftreten, ein allgemeines Amt bekleiden darf.
Immer noch werden Ratgeberbücher geschrieben, mit deren Hilfe Frauen lernen sollen, wie man „wie ein Mann“ auftritt, denn nur so könnte man Karriere machen, heißt es, und in hohe Spitzenpositionen gelangen. Zuviel sichtbare Weiblichkeit schadet, auch heute noch, und wer in einem Aufsichtsrat mitreden will, sollte lieber den gedeckten Business-Blazer tragen als das bunte Rüschenkleid.
Und jedes Mal, wenn jemand sagt: Sie tut dies oder jenes, obwohl sie eine Frau ist, dann ist das noch immer eine ferne Erinnerung an jene Zeiten, in denen klar war: Frausein ist ein Handicap auf dem Weg dazu, ein freier Mensch zu werden.
Ich bewundere Frauen, die sich an die Orte der männlichen Macht begeben, für ihren Mut, für ihre Leidenschaft. Denn sie gehen immer auch ein Risiko ein, auch heute noch, sie setzen sich sexistischen Angriffen aus, sie bezahlen einen Preis, auch wenn der bei uns heute nicht mehr so hoch ist wie bei Johanna. Ich applaudiere der Entschlossenheit und Listigkeit dieser Frauen, und ich freue mich, wie sie die Männer und die Machthaber austricksen. Hin und wieder mache ich es genauso wie sie. Um mich durchzusetzen, rede ich wie ein Mann, falle anderen ins Wort, trumpfe auf, trage meinen Doktortitel vor mir her, delegiere lästige Aufgaben nach unten, lasse eine Putzfrau meine Hausarbeit machen, um Zeit für die wichtigen Dinge zu haben.
Aber unterm Strich ist das alles doch eine sehr traurige Angelegenheit. Auch das habe ich von Elisabeth Gössmann gelernt: Dass der feministische Konflikt, mit dem wir es zu tun haben, nicht davon handelt, wie einzelne Frauen an die Spitze der Macht kommen können. Sondern die Frage ist, wie Weiblichkeit in unserer Kultur angesehen wird.
Oder anders gesagt: Weibliche Freiheit, die Freiheit der Frauen, ist nicht erreicht, wenn eine Frau, die sich als Mann verkleidet, Päpstin wird, oder eine Frau, die ihr Frausein für unbedeutend erklärt, Bundeskanzlerin. Sondern dann, wenn das Frausein, wenn Weiblichkeit kein Makel mehr ist, den Frauen, die Erfolg haben wollen, verstecken müssen.
Es scheint sich diesbezüglich aber gerade etwas zu ändern. Auch hier kann ich wieder nur von meinen Erfahrungen in Deutschland sprechen, aber in den letzten Jahren wird deutlich, dass Frauen für viele Menschen Hoffnungsträgerinnen sind. Dass Angela Merkel – eine Frau! – Politik anders macht als viele ihrer männlichen Vorgänger, ist inzwischen regelmäßiges Thema in politischen Kommentaren und Analysen.
Auch die einzige Hoffnungsträgerin der SPD ist eine Frau: Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Bemerkenswert selbstbewusst hat sie im Wahlkampf ihr Frausein herausgestellt, zum Beispiel auf einem Plakat, das sie mit ihrer grünen Koalitionspartnerin zeigte, und auf dem der ironische Slogan stand: Wie gut, wenn Frauen wieder den Haushalt machen! – gemeint war natürlich der Landeshaushalt.
Auch die Partei der Linken setzt derzeit große Hoffnung auf ihre neue Parteivorsitzende Katja Kipping, die – jung und weiblich wie sie ist – die Sache hoffentlich besser macht als die alten Herren, die vor ihr da waren. Und bei der neuen Piratenpartei ist ihre fehlende Attraktivität für Frauen eines der größten Imageprobleme.
Aber nicht nur bei politischen Parteien breitet sich die Idee aus, dass Frauen vielleicht nicht einfach nur gleichberechtigt sind, sondern dass sie tatsächlich einen Unterschied machen könnten. Es gilt auch für andere Institutionen, wie zum Beispiel die Kirche – wie viele Hoffnungen haben auf Margot Kässmann als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland geruht. Oder denken Sie an die Diskussionen im Zusammenhang mit der Finanzkrise: Hätten die Lehman Sisters vielleicht anders gewirtschaftet? Würden mehr Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten die Finanzkrise vielleicht besser bewältigen? Dass inzwischen so viele für eine Frauenquote werben, ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen: Unternehmen mit gemischt besetzten Vorständen erzielen mehr Gewinne, so lautet ein häufig vorgebrachtes Argument.
So schmeichelhaft das für uns Frauen vielleicht sein mag, so ist doch Vorsicht angesagt. Frauen und ihre angeblich weiblichen Tugenden als Retterinnen in der Not zu zeichnen und sich der Hoffnung hinzugeben, sie würden alles ganz anders und viel besser machen als die Männer ist eine Argumentatiosfigur, die im Patriarchat immer mal wieder vorgebracht wurde, vor allem in Krisenzeiten und von Männern, die mit den Machthabern ihrer Zeit unzufrieden waren. Wir sollten uns nicht dieser Illusion hingeben. Von selber wird es die Tugend einer angeblichen Weiblichkeit nicht regeln. Wenn, müssen wir diesen Prozess aktiv gestalten.
Aber die Gelegenheit ist zweifellos günstig für Frauen, die Politik lieben und etwas bewegen wollen. Dass wir Frauen aufgrund der patriarchalen Vergangenheit unserer Kultur teilweise außerhalb der alten Logiken und der alten Verfilzungen stehen, verschafft uns heute, wo diese Logiken und Verfilzungen in der Krise sind, einen Vorteil – ob sich das in der Realität bewährt, muss sich noch zeigen, wir müssen es zeigen. Aber wir können durchaus diesen Vorteil nutzen, die Gelegenheit ergreifen.
Doch wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die „Besserung“, die möglicherweise von den Frauen kommt, nicht so abläuft, dass die Dinge sich automatisch zum Besseren wenden, wenn Frauen Macht bekommen. Frauen, die etwas bewirken möchten, brauchen dafür ein Handwerkszeug. Ihre Unabhängigkeit von den maroden Systemen der Vergangenheit ist nicht naturgegeben, sondern historisch gewachsen. Wir reden hier nicht von biologischen Unterschieden, sondern von kulturellen, und daher muss der Unterschied, den Frauen eventuell machen können, auch kulturell reflektiert werden.
Damit komme ich wieder zurück zur zweiten Päpstin, der von Esther Vilar erfundenen amerikanischen Päpstin Johanna II, die 2014 ihr Amt antritt und will, dass „nie, nie, nie auch nur der geringste Zweifel aufkommt“, dass sie wirklich und wahrhaftig eine Frau ist.
Für Johanna II. ist das so wichtig, zu betonen, weil sie nicht einfach das Papsttum der Männer fortführen will, sondern sie will die Kirche gründlich verändern. Und zwar anders als wir das von einer „gleichgestellten“ Frau erwarten würden. Wie gesagt, Esther Vilar, die Autorin, die sie erfunden hat, war eine ausdrückliche Gegnerin der Frauenbewegung und auch der Religion. Aber dennoch kann ihr Entwurf uns auf eine richtige Spur bringen.
Ihre amerikanische Päpstin will ihre Kirche nämlich nach einer Phase der Liberalisierung, an deren Ende die Öffnung des Papsttums für Frauen stand, zurückführen zu einer autokratischen, hierarchischen, rückschrittlichen Institution. Sie hat nämlich beobachtet, dass die Autorität der Kirche durch den immer liberaleren Kurs nachhaltig beschädigt wurde. Die reformorientierten Päpste vor ihr haben nicht mehr eine klare Position vertreten, sondern den Menschen das gegeben, was sie in Meinungsumfragen zuvor herausgefunden hatten – aber die Leute sind trotzdem in Scharen aus der Kirche ausgetreten.
Deshalb, weil das der einzige Weg ist, um die Kirche zu retten, schafft Päpstin Johanna II. all diese fortschrittlichen Neuerungen wieder ab, führt den Prunk und Pomp des Papsttums wieder ein, die päpstliche Unfehlbarkeit, die kirchliche Moral.
Aber, und das ist wichtig: Nicht etwa, weil sie an Gott glaubt. Nicht , weil sie glaubt, dass autokratische Kirchensysteme biblisch begründet wären und Gottes Willen darstellen würden – so wie es bei ihren männlichen Vorgängern der Fall war (und ja auch bei den heutigen realen Päpsten ist). Sondern weil sie beobachtet hat, dass ohne diese Regeln die Kirche zugrunde gehen wird. Um die Kirche zu retten, beschließt sie, die Frau, sich zu opfern, also selbst diejenige zu sein, die diese Regeln vorgibt – an die sie selber gar nicht glaubt – und dafür das Amt des Papstes auszunutzen.
Und genau deshalb ist es so wichtig, dass Johanna II. eine Frau ist: Als Frau steht sie außerhalb und über den Gesetzen und den Glaubenssystemen der Männer. Nur deshalb kann sie so überzeugend lügen. Ein Mann, der selbst in das System verstrickt ist, hätte die Kirche nicht retten können, denn die Kirche hat in Wirklichkeit aus sich selbst heraus gar keine Substanz. Sie muss von außen, von einer Frau, beglaubigt werden. Die Päpstin von Esther Vilar ist eine Dystopie, eine Schreckensvision.
Gäbe es eine Alternative? Ich meine Ja.
Der Fehler von Johanna II. ist, zu glauben, es sei ihre Aufgabe, die Kirche zu retten. Denn: Wieso muss die Kirche gerettet werden? Und auch noch ausgerechnet von den Frauen?
Oder, wahlweise: Die Demokratie, das Finanzsystem, die Ehe, die Universität? Wieso sollen Frauen in Aufsichtsräte gehen, damit die Unternehmen wieder wettbewerbsfähig werden? Wieso sollen Frauen an die Spitze politischer Parteien gehen, um diese wieder attraktiv zu machen?
Viele Frauen, die heute in Spitzenpositionen kommen, oder überhaupt in Positionen, die mit institutioneller Macht verbunden sind, sehen sich aber in der Tat mit solchen Ansprüchen konfrontiert: Entweder sollen sie sich anpassen und die Spielregeln der Männer akzeptieren, oder sie sollen ihre weibliche Differenz nutzen, um diese Institutionen zu retten, um ihr Überleben zu sichern, sie sollen wieder Schwung in die eingefahrenen Bahnen bringen. Ich will gar nicht ausschließen, dass das vielleicht möglich wäre. Aber ich finde, wir sollten diesen Anspruch klar zurückweisen.
Nein, es ist nicht unser Job, die in die Krise geratenen männlichen Institutionen wieder aufzupäppeln. Wenn wir für die Welt Verantwortung übernehmen, dann nach unseren eigenen Maßstäben, die erst noch zu finden sind. Wir machen, was wir wollen, was wir für notwendig erachten, wir haben uns dabei an keinerlei Zielvorgaben zu orientieren.
Konkret: Sich in Bildungsfragen zu engagieren bedeutet nicht, die Universitäten zu retten, sondern es bedeutet, die Frage nach Bildung ganz neu zu stellen – und dann wird sich zeigen, ob die Universitäten darin noch einen Platz haben. Sich für Religion und Spiritualität zu engagieren bedeutet nicht, dass dadurch die Kirchen gerettet werden – möglicherweise zeigt sich auch, dass sich ihre Strukturen überholt haben und überflüssig sind. Sich politisch zu engagieren hat nicht unbedingt etwas mit Parteipolitik zu tun. Und sich für ein gutes Leben aller Menschen einzusetzen führt nicht unbedingt zum Erhalt unseres derzeitigen Wirtschaftssystems, sondern vielleicht auch zu seinem Ende.
Bei unserem Vorhaben, die Welt nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten, ohne uns dabei an einem männlichen Maßstab des schon Gegebenen zu orientieren, können wir gut an die erste Päpstin Johanna anknüpfen. Die nämlich auch nicht Päpstin wurde, weil sie die Kirche retten wollte, sondern weil sie von Gott gerufen war. Ihren Gott, ihre spirituelle Orientierung hatte sie – jedenfalls in der Erzählung von Donna Cross – nicht aus kirchlichen Dogmatiken kennen gelernt, sondern in der Beziehung zu ihrer Mutter. Es war ein Gott, der ihr nicht als großer Zampano gegenübertrat, sondern zu dem ihr eigenes Begehren sie hinführte. Darin kann sie uns heute ein Vorbild sein.
Die italienische Philosophin Luisa Muraro hat einmal geschrieben: Die größte Sünde der Männer sei es gewesen, sich den Frauen gegenüber an die Stelle Gottes gesetzt zu haben, und die größte Sünde der Frauen, dass sie das zugelassen haben. Und dass es deshalb das Wichtigste wäre, dass wir diesen Platz »des Anderen«, wieder frei räumen. Denn wir können uns nicht an Gott, am guten Leben, an den Notwendigkeiten der Welt und unserem eigenen Begehren orientieren, wenn die Stelle für dieses „Andere“, dieser Ort, der Gott gebührt, nicht leer ist, sondern schon besetzt. Solange also das Männliche oder das von Männern Geschaffene unser Maßstab ist. Es geht nicht darum, genauso zu werden wie die Männer, und es geht auch nicht darum, sich über die Männer zu stellen, um jene maroden Institutionen zu retten, die sie erfunden haben, die heute aber nicht mehr funktionieren und im Sterben liegen.
Wenn Frauen Verantwortung für die Welt übernehmen, dann indem sie eigene Maßstäbe anlegen, im Dialog mit jenem „Anderen“, das man Gott nennen kann oder auch nicht. „Symbolische Unabhängigkeit“ nennt das die Philosophinnengruppe Diotima von der Universität Verona. In ihrem neuen Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“, das ich gerade zusammen mit Dorothee Markert ins Deutsche übersetzt habe, zitiert eine von ihnen die Theologin Heloise aus dem 12. Jahrhundert. Sie hat damals neue Regeln für Frauenorden geschrieben, und zwar mit der Begründung: „Was nur für Männer geschrieben wurde, daran können sich auch nur Männer halten.“
Die Regeln der Männer sind nicht geeignet für Klöster, in denen Frauen leben, war Heloise überzeugt. Ich glaube, dass dieser Satz auch heute noch stimmt. Die Regeln der Männer für Parteien sind nicht geeignet für eine Politik, an der Frauen sich ebenfalls beteiligen. Die Regeln der Männer für Wissenschaft sind nicht geeignet für das Forschen von Frauen. Und die Gesetze des Marktes, so wie männliche Ökonomen sie beschrieben haben, gelten nicht für ein Wirtschaftsleben, das von Frauen geprägt ist.
Aber wir müssen diese Regeln und Gesetze der Männer auch nicht bekämpfen, sondern realistische sehen, dass sie ihre Funktion haben. Auch das klassische Revoluzzertum ist männlich, ein ewiger Kampf zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Linken und Rechten, zwischen Gläubigen und Atheisten. Das ist nicht unsere Baustelle.
Es genügt, dass wir uns sozusagen an all dem vorbei auf etwas anderes hin orientieren, auf die Welt, auf Gott, darauf, wohin unser eigenes Begehren uns geleitet. Wenn Frauen auf diese Weise symbolische Unabhängigkeit gewinnen, können sie souverän und selbstbewusst handeln, und zwar nicht nur in ihren eigenen Wänden oder in ihren feministischen Nischen, sondern auch an den Orten männlicher Macht, auch auf dem Papststuhl, in Aufsichtsräten, in Parlamenten.
Es geht beim Feminismus nicht um das Verhältnis von Frauen und Männern, sondern um das Verhältnis der Frauen zur Welt. So wie es bei der Geschichte der Päpstin Johanna nicht um das Verhältnis von Frauen zur Männerkirche geht, sondern um das Verhältnis dieser Frau zu Gott.
Wir können Päpstin werden, ohne Angst davor haben zu müssen, dass wir dann angepasst, korrumpiert und „päpstlicher als der Papst“ werden. Wir müssen nicht in die Falle der amerikanischen Päpstin tappen. Wenn wir in der Lage sind, zwischen Macht und Politik zu unterscheiden, wenn wir symbolische Unabhängigkeit vom Maßstab des schon Vorhandenen gewinnen, dann können wir uns überall, sogar auf dem Papststuhl, dafür einsetzen, Räume für neue Verhandlungen zu öffnen und gemeinsam mit den anderen uns für ein gutes Leben aller einsetzen.
Das zu wissen ist wichtig, glaube ich, damit wieder mehr Enthusiasmus und Freude bei Frauen an den „Papststühlen“ dieser Welt entsteht.
Ich weiß nicht, ob sie in den letzten Tagen etwas von den Diskussionen über einen Essay von Anne-Marie Slaughter mitbekommen haben, einer hohen Politikberaterin im Stab von Hillary Clinton, die ihr Amt aufgegeben hat, um Zeit für ihre Söhne zu haben. In ihrem Essay schreibt sie, dass Frauen eben immer noch nicht alles haben können, dass sie zwischen Familie und Karriere wählen müssen, und sie wurde dafür gerade auch von Feministinnen kritisiert. Sie hat aber Recht, und wir dürfen nicht länger so tun, als würde es uns großen Spaß machen, die von einer männlichen Kultur vorgegebenen Karriereleitern und Papststühle zu besteigen. Aber wir können auch nicht einfach hinnehmen, dass viele Frauen sich aus Frust oder Resignation zurückziehen und das Feld wieder den Männern überlassen.
Nein: Ich behaupte, dass wir alles haben können, wenn wir die bestehenden Spielregeln und Ansprüche zurückweisen. Wenn wir darauf bestehen, dass die Welt so sein soll, wie wir sie haben wollen. Natürlich bedeutet das Konflikte, natürlich sind wir dabei mit Hindernissen konfrontiert, aber wir können es immerhin versuchen. Und wenn wir dann vielleicht einen Job nicht bekommen, weil wir keine 60 Stunden in der Woche zur Verfügung stehen, wenn wir in ein Amt nicht gewählt werden, weil wir nicht strategisch denken und taktieren – dann ist das eben so. Dann ist das keine persönliche Niederlage, sondern ein politischer Weg, den wir ausprobiert haben, weil uns etwas am Herzen lag und wir dafür ein Risiko eingegangen sind. So wie Johanna I. Und immer wieder wird es auch Gelegenheiten geben, bei denen uns etwas gelingt.
Wenn wir ehrlich sind, ist es ja auch sowieso gar nicht möglich, sich
Wir alle sind Päpstin, das heißt für mich: Dass wir jede an dem Ort, wo wir sind, ob mit mehr oder weniger formaler Macht ausgestattet, uns für das einsetzen, was wichtig ist – was uns wichtig ist, was Gott wichtig ist, was für die Welt wichtig ist. Dass wir dort, wo wir sind – oder wohin wir uns begeben, indem wir ein offizielles Amt anstreben – darum bemüht sind, den Platz für das Andere freizuhalten – für jenen Maßstab eines guten Lebens für alle. Wir müssen uns nicht anpassen, wir müssen keinen Ansprüchen gerecht werden. Es gilt, neue Wege auszutesten, damit zu experimentieren, sich darüber ohne Tabus auszutauschen.
Noch eine kleine Bemerkung zum Schluss:
Als ich den Titel des heutigen Vortrags: „Wir alle sind Päpstin!“ über Twitter bekannt gab, schrieb ein Mann mir zurück: „Stimmt, ich wäre eine gute Päpstin.“ Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht, denn ich kenne diesen Mann nicht, aber das Prinzip ist auf jeden Fall richtig.
Denn alles, was ich gesagt habe, ist zwar aus dem politischen Denken und den politischen Erfahrungen von Frauen entstanden, aber es ist nicht auf Frauen beschränkt. Ich bin froh, dass es auch viele Männer gibt, die mit den herrschenden Zuständen unzufrieden sind, die keine Lust mehr haben auf Machtspielchen, die sehen, dass die alten Systeme und Gewissheiten einer exklusiv männlichen Philosophie und Politik nicht mehr funktionieren. Die Position einer symbolischen Unabhängigkeit von den alten Regeln der Macht und der Hierarchien ist eine, die selbstverständlich auch Männer einnehmen können.
Insofern: Ja, wir sind wirklich alle Päpstin – oder könnten es zumindest werden.