Antje Schrupp im Netz

Schwangerwerdenkönnen

in: Schauspielhaus Wien, Magazin Jan/Feb 2021

»You’re the only one who can do that«, sagt Tishs Mutter im Film »Beale Street« zu ihrer hochschwangeren Tochter: Du bist die Einzige, die dieses Kind zur Welt bringen kann! Tishs Freund Alonzo, mit dem zusammen sie das Kind gezeugt hat, aufgrund falscher, rassistischer Anschuldigungen im Gefängnis , und es ist ungewiss, ob er je wieder herauskommt. Tish ist verzweifelt. Sie will aufhören zu kämpfen – aber sie kann nicht. Denn sie ist schwanger.

Wenn man schwanger ist, hat man eine Aufgabe: einen Embryo beziehungsweise Fötus zur Reife bringen und gebären. Aber, und das unterscheidet diese Aufgabe von allen anderen: Man ist die einzige Person auf der ganzen Welt, die sie erfüllen kann. Eine Schwangerschaft ist neben einem Zustand auch eine Tätigkeit, eine Tätigkeit, die sich unter keinen Umständen delegieren lässt. Wir alle verdanken unser Leben genau und exakt einem einzigen anderen Menschen: unserer Mutter.

Unserer Mutter? Viele lehnen es heute ab, die Person, die uns geboren hat, Mutter zu nennen. Trans-Männer zum Beispiel verstehen sich in der Regel als Väter, wenn sie Kinder gebären. Mutter und Vater werden als Geschlechtsbezeichnungen für Elternteile verstanden und nicht als biologische reproduktive Rollen. Auch andere Gebärende weisen die Position der Mutter zurück: Frauen, die als Leihmütter im Auftrag anderer schwanger sind. Oder Feministinnen, die sich von Zuschreibungen traditioneller Mütterlichkeit abgrenzen und lieber eine gleichberechtigte, geschlechtsneutrale Elternschaft leben möchten.

Tatsächlich ist der Begriff Mutter schwierig, weil er mit so viel mehr Bedeutung aufgeladen ist als nur der nüchternen Tatsache, dass jemand ein Kind geboren hat. Mutterschaft bezeichnet eine mit Geschlechtervorstellungen aufgeladene soziale Beziehung und eben nicht einfach nur eine biologische Tatsache.

Es ist bezeichnend, dass wir kein eigenes Wort haben für Personen, die in eine Schwangerschaft einwilligen und einen neuen Menschen zur Welt bringen. Das Schwangersein ist kulturell unentwirrbar mit komplexen Konzepten von Familie, Geschlecht, Mütterlichkeit vermengt – so als sei es für sich genommen gar nicht der Rede wert. Und tatsächlich: Es wird kaum darüber gesprochen, außer vielleicht in Schwangerschaftsblogs von direkt Betroffenen oder in der Werbung, die diesen Menschen Produkte und Dienstleistungen verkaufen soll. Aus dem politischen Diskurs ist die Frage, was es bedeutet, dass Menschen neun Monate lang schwanger sein müssen, damit neue Menschen zur Welt kommen können, ausgeschlossen. Kinder werden »gezeugt und bekommen«, so als läge dazwischen nur ein Flügelschlag und nicht eine lange Zeit, die für die schwangere Person mit körperlichen Veränderungen, Mühen und Einschränkungen und sogar nicht ganz unerheblichen gesundheitlichen Risiken einherginge. Paare bekommen »zusammen ein Kind«, so als wäre die Spermagabe äquivalent zur Schwangerschaft, während in Wirklichkeit doch höchstens das zur Verfügungstellen der Eizelle der Spermagabe entspricht, alles was danach kommt, jedoch nicht: Zwei Menschen zeugen einen Embryo. Aber nur ein Mensch ist anschließend schwanger und gebiert.

Vor allem aber die Tatsache, dass nur die Hälfte der Menschen schwanger werden kann und die andere Hälfte nicht, ist von höchster Politikbedürftigkeit. Das Schwangerwerdenkönnen produziert innerhalb menschlicher Gesellschaften zwei krasse Verhältnisse der Ungleichheit: die Ungleichheit zwischen der Schwangeren und dem im Entstehen begriffenen Wesen in ihrem Bauch, und die Ungleichheit zwischen Menschen, die schwanger werden können, und solchen, die es nicht können. Beides sind keine sozialen Übereinkünfte, sondern biologische Tatsachen.

Mit dieser Art von Ungleichheit kann unsere Philosophie, die fast ausschließlich von Menschen entwickelt wurde, die nicht schwanger werden können, jedoch nichts anfangen. Schwangerwerdenkönnen steht dort für Körperlichkeit, für Angewiesensein auf andere. Es führt vor Augen, dass die menschliche Autonomie Grenzen hat – und konterkariert jenes Modell der Freiheit als Unabhängigkeit, das von so vielen Philosophen als Utopie ausgemalt worden ist, während sie Menschen, die schwanger werden können, systematisch aus Politik und Philosophie ausgeschlossen haben.

Aber auch der Feminismus war vor Idee, Freiheit bedeute, sich vom Schwangerwerden zu befreien, nicht gefeit. Jahrtausendelang waren Frauen aufgrund ihrer Fähigkeit zum Schwangerwerdenkönnen unterdrückt, reglementiert, benachteiligt worden, deshalb ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass Reproduktionstechnologien zu feministischen Utopien wurden. Von Shulamith Firestone bis Donna Haraway haben Philosophinnen über Möglichkeiten nachgedacht, die reproduktiven Begrenztheiten des Körpers zu erweitern. Wäre der ganze Gender-Murks nicht abgeschafft , wenn sich die Körperlichkeit des Geburtsvorgangs abschaffen ließe? Wenn dieser greifbare biologische Unterschied, der Menschen einteilt in solche, die schwanger werden können, und solche, die es nicht können, abgeschafft wäre? »Die Reproduktion der Art allein durch ein Geschlecht zugunsten beider Geschlechter würde durch künstliche Fortpflanzung ersetzt werden (oder zumindest eine freie Entscheidung für oder gegen diese Möglichkeit erlauben): Kinder würden gleichermaßen für beide Geschlechter geboren werden, oder unabhängig von beiden, wie immer man es sehen möchte. … Die Tyrannei der biologischen Familie wäre zerschlagen«, so die Vision von Firestone aus ihrem 1970 erschienenen Manifest »Frauenbefreiung und sexuelle Revolution«.

In der Science-Fiction ist die Ektogenese, also die Reifung von Embryonen und Föten außerhalb eines menschlichen Körpers, vielfältig ausgemalt worden. In diesen Geschichten verbinden sich feministische und technologische Utopien, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, mit der Frage, ob Leben körperlos reproduzierbar sei. Allerdings: Die Präsentation des Embryos ohne Schwangere ist gleichzeitig auch das zentrale Motiv von Abtreibungsgegner*innen. Bilder von Embryonen ohne Gebärmutter suggerieren, dass es sich bei einem Embryo um ein eigenständiges Wesen handele, das die Gebärmutter der Schwangeren nur als passive Umgebung nutzt. Die Schwangere ist so unwichtig, dass man sie nicht zeigen muss; ein gesichtsloser schwarzer Schatten reicht. Diese Vorstellung hat Tradition: Schon 1511 zeichnete Leonardo da Vinci einen Fötus, der in einer aufgeklappten Gebärmutter hockt – auch bei ihm ist von einer Schwangeren weit und breit nichts zu sehen.

Embryonen existieren aber nicht außerhalb einer Gebärmutter. Die spektakulären Fotografien, mit denen der schwedische Fotograf Lennart Nilsson in den 1960er Jahren Furore machte und die inzwischen zu Ikonografien der Anti-Abtreibungs-Propaganda geworden sind, zeigen allesamt tote oder sterbende Embryonen. Seinen Bildband »Ein Kind entsteht« hat die Medizinhistorikerin Barbara Duden deshalb auch als »Hochglanzleichenschau« bezeichnet. Alle Versuche, menschliche Schwangerschaften aus dem lebenden Körper in eine künstliche Umgebung zu versetzen, sind bisher gescheitert – den ansonsten rasanten Fortschritten der Reproduktionstechnologien zum Trotz. Bis heute können Embryonen und Föten nicht außerhalb des Körpers einer Schwangeren existieren, niemals vor der 22. Schwangerschaftswoche, und kaum vor der 24. Es gibt zwar kleine Erfolge, den Zeitpunkt weiter nach vorne zu verschieben, ab dem ein Fötus in einem Brutkasten lebensfähig ist – aber fünf bis sechs Monate lang braucht es immer noch einen schwangeren Körper, wenn neue Menschen zur Welt kommen sollen.

Interessanterweise scheint das tatsächliche Interesse an der Ektogenese sowieso nicht besonders groß zu sein. Die meisten Menschen leiden heute offenbar eher daran, dass sie nicht schwanger werden können als daran, dass sie es können. Die Biologin Aarathi Prasad widmete in ihrem 2012 erschienenen Buch »Like a Virgin« der Utopie einer externen Gebärmutter noch recht großen Raum. Tatsächlich ist die Entwicklung seither aber in eine andere Richtung gegangen: Technologie wird heute nicht genutzt, um alle Menschen vom Schwangerwerden zu befreien, sondern im Gegenteil dafür, es allen Menschen zugänglich zu machen. Nicht Inkubatoren wurden entwickelt, sondern Gebärmuttertransplantationen. Auch an robotergestützten Uterus-Transplantationen wird heute geforscht, ebenso an einer künstlichen Herstellung des Organs.

Im Dezember 2018 kam erstmals ein Baby zur Welt, das in einer transplantierten Gebärmutter ausgetragen wurde, die man einer Verstorbenen entnommen hatte; bis dahin waren Gebärmütter nur erfolgreich transplantiert worden, wenn sie von lebenden Spenderinnen kamen. Dieser Durchbruch könnte die Verfügbarkeit von Gebärmuttern deutlich steigern, denn wenn das Verfahren post mortem möglich ist, könnte man es analog zu anderen Organspenden handhaben. Man braucht keine Frau mehr, die ihre Gebärmutter zu Lebzeiten hergibt. Derzeit werden Gebärmuttertransplantationen zwar nur für Cis-Frauen angeboten, aber als Möglichkeit für Trans-Frauen sind sie immerhin bereits in der Diskussion. Das wiederum bedeutet, dass sie theoretisch auch für Cis-Männer infrage kommen.

Werden also in Zukunft alle Menschen gebären können? Wird es fürs Kinderhaben irgendwann egal sein, ob man mit oder ohne Uterus zur Welt gekommen ist? Verschwindet die reproduktive Differenz oder wird sie zumindest so unwichtig, wie es mit der Erfindung von Brillen und Kontaktlinsen die Sehschärfe geworden ist? Auszuschließen ist das nicht, wenn man sich anschaut, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin bisher abgelaufen sind: Erst 1978 kam das erste in vitro gezeugte Baby zur Welt; es ist also gerade mal ein halbes Jahrhundert her, dass Zeugung und Schwangerschaft technologischen Eingriffen zugänglich gemacht worden sind. Heute sind Gebärmuttertransplantationen zwar noch extrem selten. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sie in fünfzig Jahren Standardprozedur geworden sind.

Die »Gleichmachung« der Geschlechter in Bezug auf das Schwangerwerdenkönnen, das sich Feministinnen wie Shulamith Firestone ausgemalt haben, ist also in Gange. Nach momentanem Stand wird sie aber wohl nicht so verlaufen, dass alle mit dem Schwangerwerden aufhören, sondern so, dass alle damit anfangen. Umso wichtiger, dass wir das Schwangerwerdenkönnen als philosophisches, als politisches Thema endlich ernst nehmen. So wie es die Psychoanalytikerin Antoinette Fouque, Mitbegründerin des MLF (Mouvement de libération des femmes), der französischen Frauenbewegung der 1970er, bereits vor Jahrzehnten gefordert hat: Ihrer Ansicht nach braucht es eine »Gynökonomie«, eine theoretische Auseinandersetzung mit dem schwangeren Körper, um den Uterus (und Menschen, die einen haben) aus der jahrtausendealten Kontrolle patriarchaler Kultur zu befreien: »Es geht darum, die Schwangerschaft in ihrer ökonomischen und sozialen, aber auch in ihren ethischen und universalisierenden Dimensionen zu berücksichtigen.«

»Feminism is the radical notion that women are people«, lautet ein alter feministischer Spruch. Und der stimmt auch hier: Dass Frauen schwanger werden können, bedeutet nichts anderes, als dass Menschen schwanger werden können. Nur eben nicht alle.