Antje Schrupp im Netz

Schwangerwerdenkönnen

in: Neue Wege 5/17 – Queer glauben

Die einen Menschen können schwanger werden, die anderen nicht. Das lässt neu über Geschlechterdifferenz nachdenken. Und das hat Konsequenzen, auch für die politische Agenda.

Fangen wir also bei Adam und Eva an. Keine andere Geschichte hat die westliche Vorstellung von Geschlecht so stark beeinflusst wie diese. Adam und Eva, Mann und Frau, Dualität. Der Erste und die Zweite. Der, der im Schweisse seines Angesichts arbeiten muss, und die, die unter Schmerzen gebären wird. Adam und Eva, Tristan und Isolde, Romeo und Julia, Bonnie und Clyde.

Allerdings, geht die Geschichte so? Sind Adam und Eva das Urpaar der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit, der Heterosexualität als Norm? Wie jede Geschichte lässt sich auch diese anders erzählen. Adam, der Mann, ist ja eigentlich nur „adam“, das Menschenwesen. Geschlechtsneutral. Adam ist im Hebräischen kein Name, sondern ein Gattungsbegriff. Adam ist kein Mann, Adam ist Mensch, noch Einer, nicht zwei.

Aber der Mensch, der Einer ist, ist auch allein. Ihm fehlt – nein, nicht wie Luther übersetzte, eine Gehilfin, sondern ein Gegenüber. Deshalb schuf Gott die Andere. Nicht die Frau, sondern die Differenz. Nicht die Zweiheit, sondern die Pluralität. Erst nach dieser Schöpfung nannte Gott die Andere „Frau“ und den Einen, davon abgeleitet, „Mann“. Adam, das einsame, geschlechtsneutrale Wesen, wurde zum Mann erst durch die Schaffung Evas, der „Mutter alles Lebendigen“, wie es in der Genesis heisst.

Die Frage, welchen Sinn es hat, dass die Menschheit nicht geschlechtslos ist, sondern sich in Verschiedene aufspaltet, beschäftigt die Menschen seit jeher. Die Genesis versucht, wie alle Schöpfungsmythen, dafür eine Erklärung zu geben. Aber wie das mit Erklärungen so ist, können auch sie dann wieder so oder so ausgelegt werden.

Was ist ein Mann und was ist eine Frau? Diese Frage schien lange Zeit klar. Frauen sind diejenigen, die schwanger werden können (möglicherweise), Männer sind die, die es ganz sicher nicht können. Es gibt keine menschliche Kultur, die diesen Unterschied nicht kennt, auch wenn es nicht alle dann bei zwei Geschlechtern belassen. Weitere Geschlechter sind etwa die Hijras in Indien oder die Two-Spirits in den indigenen Gemeinschaften Nordamerikas. Aber eine Kultur, die nur ein einziges Geschlecht kennt, die gibt es nicht.

Nicht auf der Erde jedenfalls. Im Science Fiction ist das zuweilen versucht worden, aber ohne grossen Erfolg. Theodore Sturgeon erzählt in Venus plus X von der intersexuellen Spezies der Ledom. Sie haben tatsächlich reproduktive Organe beider Geschlechter. Bezeichnend ist jedoch, dass der Protagonist Charlie, ein Mensch, sie konsequent für Männer hält. Ähnlich ergeht es den Karhiden in Ursula K. LeGuins Winterplanet. Die Karhiden pflanzen sich fort, indem sie sich in während bestimmter reproduktiver Phasen in Männer oder Frauen verwandeln. Ein Individuum kann also im Lauf des Lebens sowohl Samengeber sein als auch schwanger werden. Aber im Alltag erscheinen sie alle als Männer.

Charlotte Perkins Gilman, die in ihrem Roman Herland aus dem Jahr 1915 eine reine Frauengesellschaft schildert, entgeht diesem Problem, indem sie ihrer eingeschlechtlichen Frauen-Welt eine heterosexuelle Vergangenheit gibt: Die Männer sind hier durch eine Naturkatastrophe abhandengekommen, den Frauen gelang aber die Pathogenese, also die eingeschlechtliche Fortpflanzung. Um diese Errungenschaft herum ist die gesamte Kultur erbaut, und deshalb hält man die Bevölkerung in diesem Fall nicht für männlich. Denn einer Kultur, die das Schwangerwerdenkönnen in ihr Zentrum stellt, ist auch die Weiblichkeit sozusagen eingeschrieben.

Was hingegen die Erde betrifft, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Unterteilung der Menschen in solche, die schwanger werden können, und solche, die es nicht können, allen patriarchalen Strukturen zugrunde liegt, auch wenn sich Feministinnen nicht darüber einig sind, wie genau. Hat die monotone Arbeit des Kinderversorgens die Frauen ins Hintertreffen gebracht, weil sie sich deshalb nicht wie Männer in Projekten selbst verwirklichen konnten (Simone de Beauvoir)? Oder haben sich politische und weltanschauliche Ordnungen entwickelt, die im Verlauf von Jahrhunderten den reproduktiven Vorteil der Frauen in einen Nachteil verwandelten (Gerda Lerner)? Oder hat sich das Ganze schon viel früher, im Neolithikum, abgespielt, als Menschenfrauen ihre Körperbehaarung verloren und sich die Babys nicht mehr anklammern konnten, sondern festgehalten werden mussten (Helke Sander)?

Noch viel interessanter als die Frage, wie es zum Patriarchat kam, ist freilich die Frage, wie wir es wieder loswerden. Eine grösser werdende Gruppe von Feminist_innen erhofft sich Linderung von einer prinzipiellen Auflösung des Konzeptes der Zweigeschlechtlichkeit. Nicht nur soziale Geschlechterrollen seien gesellschaftlich hervorgebracht (und also keineswegs „natürlich“), sagen sie in Anschluss an Judith Butler, sondern auch die biologische Zweigeschlechtlichkeit. „Auch Männer können schwanger werden“ lautet zum Beispiel ein aktueller Buchtitel. Und in vielen queerfeministischen Texten ist heute nicht mehr von „schwangeren Frauen“, sondern von „schwangeren Personen“ die Rede.

Allerdings bleibt die reproduktive Differenz auch dann eine Realität, wenn wir statt von „Frauen und Männern“ von „Menschen mit und ohne Uterus“ sprechen. Dass Geschlecht und reproduktive Funktion sich voneinander gelöst haben, ist sowieso keine Erfindung von Feminist*innen. Die Idee stammt vielmehr von Ärzten und Medizinern, die im 19. Jahrhundert nicht mehr nach Augenschein zuweisen wollten, sondern sich um wissenschaftliche Exaktheit bemühten.

Das Problem mit dem Augenschein ist ja, dass man einem Menschen das reproduktive Geschlecht nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ansehen kann. Blut am Unterleib könnte auch von Hämorrhoiden kommen, Körperbehaarung gibt es manchmal auch bei Frauen ebenso wie Brüste bei Männern. Manche Penisse sind so klein, dass man sie für eine Klitoris halten kann. Und andersrum. Geschlechtsmerkmale sind nichts anderes als genau das: Merkmale, Hinweise, und manchmal führen sie eben in die Irre.

Ob ein Mensch schwanger werden kann, stellt sich letzten Endes erst dann zweifelsfrei heraus, wenn unten ein Kind herauskommt. Dieses kulturelle Wissen ist uns in der Legende der Päpstin Johanna überliefert, die sich unter dem Namen Johannes Anglicus bis ins Papstamt hocharbeitete, dann aber während einer Prozession ein Kind gebar. Erst das war der Moment, wo sie nicht mehr leugnen konnte, „ein Weibchen“ zu sein.

Die Geschichte der Päpstin Johanna ist eine Legende, aber sie ist trotzdem kein Einzelfall. Patriarchate, also Gesellschaften, die Menschen mit Gebärmutter als „Frauen“ kategorisieren und ihnen dann alles Mögliche verbieten, bringen geradezu systematisch Frauen hervor, die dieses System unterlaufen, indem sie als Mann auftreten. Das ist eben vergleichsweise leicht und verspricht im Patriarchat viele Vorteile. Die meisten dieser Pseudo-Männer sind natürlich nicht Papst geworden, aber vielleicht Soldat, Lehrer oder Dorfpriester, oder auch einfach nur der Ehemann der Frau, die sie liebten, wie die Spanierin Elisa Sánchez Loriga, die 1901 unter dem Namen Mario Sánchez ihre Geliebte Marcela Gracia Ibeas heiratete. Manche dieser Personen waren möglicherweise trans Männer, die allermeisten aber wohl nicht, sondern sie zogen es aus naheliegenden Gründen vor, ihr Frausein vor der Öffentlichkeit zu leugnen.

Diese Art der „Vermännlichung“ geschieht im Übrigen nicht unbedingt heimlich. In Albanien ist es eine akzeptierte soziale Praxis, dass manche Mädchen, vor allem aus Familien, die keine Söhne haben, männlich sozialisiert werden. Und obwohl allgemein bekannt ist, dass sie mit Uterus geboren wurden, werden sie als Männer anerkannt und respektiert, solange sie überzeugend als solche „performen“. Natürlich ist eine Kultur, in der Frauen sich als Männer ausgeben müssen, um sexistischer Diskriminierung zu entgehen, kein Beispiel für geschlechterpolitische Freiheit oder Vielfalt, sondern im Gegenteil Beispiel einer extremen Stereotypisierung von Geschlechtsrollen. Und egal, ob die Vermännlichung heimlich oder offen geschieht, eines dürfen Frauen, die als Männer leben, auf gar keinen Fall: Schwanger werden. Nichts zerstört die Darstellung von Männlichkeit so radikal wie eine Schwangerschaft. Das ist auch der Grund, warum trans Weiblichkeit, also die Existenz von Frauen mit Penis, Hoden und Prostata, das traditionelle System der Zweigeschlechtlichkeit nicht im Kern herausfordert, trans Männlichkeit, also die Existenz von Männern mit Gebärmutter, aber schon. So ist zum Beispiel „passing“ für trans Frauen durchaus möglich, also sie können auf einer Weise in Erscheinung treten, dass sie von der Umwelt als Frau wahrgenommen werden, für schwangere trans Männer aber nicht: Niemand hält eine schwangere Person für einen Mann, egal wie „männlich“ er performt.

Diese latente Uneindeutigkeit der Zweigeschlechtlichkeit, diese inhärente Intersexualität, die darin begründet ist, dass wir normalerweise nicht in den Körper eines Menschen hineinschauen können, hat die moderne Wissenschaft nicht akzeptieren wollen. Zu Hilfe kamen ihr die Entdeckung von Chromosomen und Hormonen und allerlei anderer vermeintlich eindeutiger Merkmale, die die Geschlechtszuweisung nicht mehr auf vage äusserliche Hinweise gründete, sondern auf die in der Wissenschaft so beliebten „harten Fakten“.

Der „typisch männliche“ Mensch hat demnach (laut einer Metastudie über Geschlechtsvarianzen aus dem Jahr 2000) „XY Chromosomen, Hoden, die sich innerhalb des Hodensacks befinden und Sperma produzieren, das über den Samenleiter zur Harnröhre transportiert und ausserhalb des Körpers ejakuliert werden kann. Die Penislänge bei der Geburt ist 2,5 bis 4,5 Zentimeter lang …“ (es folgen noch einige weitere Spezifikationen). Der „typisch weibliche“ Mensch hingegen „hat zwei X-Chromosomen, funktionierende Eierstöcke, die eine weibliche Pubertät sicherstellen, Eileiter, die zu einer Gebärmutter führen, einen Gebärmutterhals und eine Vagina, innere und äussere Schamlippen und eine Klitoris, die bei der Geburt zwischen 0,2 und 0,85 Zentimeter gross ist“.

Da wissen wir also Bescheid. Allerdings tritt nun ein neues Problem auf: Ungefähr 1,7 Prozent aller Menschen passen in keine der beiden Kategorien. Das sind ja nicht so viele, dachten sich die Wissenschaftler anfangs und zückten das Skalpell. Bis heute werden intersexuelle Babys, die nicht ins Raster passen, häufig ohne medizinische Indikation an ihren Genitalien operiert, also an die Norm angepasst. Selbstverständlich wissen die Ärzte ganz genau, dass einem Baby, dem sie den für zu kurz gehaltenen Penis amputieren, um es dann „als Mädchen“ aufwachsen zu lassen, deshalb noch lange keine Gebärmutter wächst. Aber darauf scheint es eben nicht anzukommen.

Es war also zuerst die Naturwissenschaft, die „Geschlecht“ nicht mehr als wahrscheinliche Prognose über eine vermutete reproduktive Organausstattung verstanden hat („Eine Frau ist ein Mensch, von dem wir glauben, dass er schwanger werden kann.“), sondern als kulturelle Übereinkunft, die auch rein kosmetisch-operativen Ursprungs sein kann. Mit diesem Paradigmenwechsel schuf sie die Voraussetzung dafür, dass die Darstellung von Geschlecht zum Eigentlichen werden konnte, zu einem kulturellen Zeichen ohne Substanz, zu einem „Konstrukt ohne biologisches Fundament“, wie es Queertheoretiker_innen dann logisch zu Ende gedacht haben.

Allerdings ist die reproduktive Differenz – die einen können schwanger werden, die anderen nicht – immer noch da. Und es fragt sich, wie wir politisch über sie verhandeln können, wenn die ursprünglich dafür vorgesehenen Bezeichnungen „Frau“ und „Mann“ ihre Plausibilität verloren haben. Die Politikbedürftigkeit des Schwangerwerdenkönnens drängt sich jedenfalls an allen Ecken und Enden auf – nicht weil das Thema neu wäre, sondern weil immer mehr Frauen nicht mehr bereit sind, gesellschaftliche und soziale Nachteile in Kauf zu nehmen, nur weil sie eine Gebärmutter haben und diese auch hin und wieder benutzen wollen.

Noch immer bedeuten Schwangerschaften aber erhebliche Karrierenachteile, Einkommensverluste sowie Konflikte in Paarbeziehungen. Schwangerwerden ist im Kapitalismus eigentlich nicht vorgesehen. Das stellt sich jetzt, nach dem Ende der traditionellen „Ernährerfamilie“ heraus. Aber auch reproduktive Rechte sind umkämpft wie lange nicht, wie die aktuellen Debatten über Abtreibungsmöglichkeiten, die Proteste von Hebammen gegen prekäre Arbeitsbedingungen, Berichte über Gewalt in der Geburtshilfe oder auch die Frage des Zugangs zu Reproduktionstechnologien jenseits klassischer, heteronormierter Familienstrukturen zeigen.

Während solche Themen früher als spezielle Frauen- und Feminismusthemen galten, markieren sie heute die Linien, anhand derer sich rechtskonservativ-autoritäre und liberal-freiheitliche linke Bewegungen unterscheiden. Fortschritte in der Reproduktionsmedizin haben ausserdem die Fähigkeit, schwanger zu werden, zu einer vermarktbaren Dienstleistung gemacht. Die Ausbeutung von „Gebärmüttern“ wirft Milliardenumsätze ab, und Menschen, die schwanger werden können, sind dabei die „Produktionsmittel“, während Menschen, die nicht schwanger werden können oder wollen, aber Geld haben – darunter auch viele Frauen – die Nachfrage generieren.

Schliesslich hat auch die Auflösung der klassischen Familienformen die reproduktive Differenz wieder auf die politische Agenda gespült. Welche Rechte und Pflichten haben Personen, die schwanger werden können, gegenüber der Gesellschaft? Was müssen die Leute unter sich ausmachen, und was wird gesetzlich geregelt? Je mehr die klassischen familiären Institutionen sich in einem postpatriarchalen Durcheinander auflösen, umso wichtiger ist es, freiheitliche neue Strukturen herauszubilden.

Klar ist jedenfalls, dass „der Mensch“, um den es dabei geht, nicht als „einer“ gedacht werden an. Adam für sich allein existiert genauso wenig wie ein Embryo ausserhalb des Körpers einer Schwangeren. In Bezug auf die reproduktiven Körperfunktionen gibt es nun einmal zwei Sorten von Menschen: diejenigen, die es können, und diejenigen, die es nicht können. Diese Unterscheidung ist nicht deckungsgleich mit der Unterscheidung in Frauen und Männer. Aber sie ist real, und sie erfordert unser politisches Handeln. Wir müssen die Frage, wie wir mit dieser biologisch vorgegebenen Ungleichheit unter uns Menschen umgehen wollen, auf die politische Agenda holen.

Weiterlesen: Antje Schrupp: Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik. Ulrike Helmer Verlag 2019, 17 Euro