Antje Schrupp im Netz

Politischer Workshop zum Ende des Patriarchats

»Die Politik ist ein wildes Tier. Ein Tier, auf dem man trotzdem reiten muss, wenn man von ihm nicht in den Boden getrampelt werden will«

Ich glaube, dieser Satz von Meena, der Gründerin der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans – RAWA – gibt recht gut das Verhältnis wieder, das viele Frauen zur Politik haben. Ein wildes Tier, auf dem man reiten muss, will man nicht in den Boden getrampelt werden.

Meena sagte das im Jahr 1978, und zwar zu einem zwölfjährigen Mädchen, Asifa Homayoun, das in ihrer Nachbarschaft lebte und deren Vater und Cousins gerade verhaftet worden waren. Meena war eine charismatische politische Anführerin, die noch heute von den Frauen in Afghanistan sehr verehrt wird. Und weil auch Asifa sie bewunderte und sich auch bei RAWA engagieren wollte und sie fragte, was Politik ist, erklärte Meena es ihr, und zwar, schreibt Asifa, sie erklärte ihr den Unterschied zwischen einer ehrbaren Politik, die den Menschen helfen will, und einer verräterischen Politik, wie die Zerstörer ihres Landes sie betreiben.

Heute ist Asifa Homayoun selbst eine Anführerin von RAWA, und sie hat dafür gesorgt, dass ich von dieser Geschichte erfahren konnte, denn sie hat gemeinsam mit Edit Schlaffer und Cheryl Benard ein Buch gemacht. Darin sind Geschichten von vielen afghanischen Frauen und einigen Männern auf Deutsch dokumentiert, Geschichten über ihre Motivation, Politik zu machen, von ihren Wünschen und Erwartungen, von ihren Einschätzungen.

Ich war heilfroh, als ich das Buch vor einigen Wochen in die Finger bekam – es hat übrigens genau diesen Titel: »Die Politik ist ein wildes Tier« – denn seit dem 11. September werde ich immer, wenn ich vom Ende des Patriarchats spreche, unweigerlich mit dem Einspruch konfrontiert: Und was ist mit Afghanistan? Wie kann man denn angesichts der Situation dort vom Ende des Patriarchats sprechen?

Als Politikwissenschaftlerin ist mir das immer etwas peinlich gewesen, denn ich muss gestehen, ich hatte keine Ahnung von Afghanistan und den Verhältnissen dort, und soviel ich auch Zeitung las – eine Zeit lang machte ich das nach dem 11. September, aber ich hörte bald wieder damit auf – es hat mir nicht geholfen, zu verstehen, was dort geschieht. Nun erst, seitdem ich dieses Buch gelesen habe – und damit Schilderungen von Frauen, die in erster Person von ihrer Politik und den Verhältnissen dort erzählen, glaube ich, ein wenig durchzublicken.

»Die Politik ist ein wildes Tier. Ein Tier, auf dem man trotzdem reiten muss, wenn man von ihm nicht in den Boden getrampelt werden will«

Dieser Satz macht aber auch die Unterschiede deutlich: So ist das niedergetrampelt werden in Afghanistan um einiges wörtlicher zu verstehen, als in Deutschland. Wenn eine Frau in Afghanistan sich nicht politisch engagiert, dann liegt das entweder daran, dass sie noch keiner Frau begegnet ist, die ihr gezeigt hat, welche Möglichkeiten sie hat – keiner Frau von RAWA zum Beispiel – oder es liegt daran, dass sie sich dagegen entscheidet, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Wenn eine Frau in Deutschland sich nicht politisch engagiert, kann es ebenfalls am ersten Grund liegen, aber wohl kaum am zweiten. Wir setzen hier unser Leben nicht aufs Spiel, bestenfalls riskieren wir ein paar Unannehmlichkeiten. Aber bei uns könnte es auch daran liegen, dass wir die Notwendigkeit nicht einsehen: Die Politik mag zwar auch hier zu Lande ein wildes Tier sein, aber der Gefahr, von ihm nieder getrampelt zu werden, kann man doch recht gut entgehen.

Ich möchte in dem politischen Workshop mit euch darüber reden, welche Erfahrungen Ihr macht, wenn ihr versucht, das »wilde Tier« zu reiten – oder warum ihr euch dagegen entschieden habt. Dabei wird auch Meenas Unterscheidung zwischen »ehrbarer Politik« und »zerstörerischer Politik« eine Rolle spielen – eine Unterscheidung, die so ähnlich die Autorinnen des roten Sottosopra (also dem Text über das Ende des Patriarchats) einführen, indem sie etwa von »zwei Politiken« reden und sagen: »Die Politik ist die Politik der Frauen«. Damit meinen sie – und ich glaube, Meena meinte es ähnlich, zumindest legt die Praxis von RAWA das nahe – dass das, was Frauen tun, wenn sie sich engagieren, etwa an der Parteibasis, in einer Bürgerinitiative, in einer Hilfseinrichtung, das ist die erste Politik, die eigentliche Politik, die ehrbare Politik ist. Politik ist nicht in erster Linie das, was in den Zeitungen und in der Tagesschau so genannt wird, die Rituale und Floskeln der »offiziellen« Politik. Ich persönlich habe mir angewöhnt, hier von eigentlicher und so genannter Politik zu sprechen.

Über diesen Unterschied möchte ich mit euch reden. Dabei spielt ein zweiter Punkt eine Rolle: Nach dem Ende des Patriarchats kann ich nicht mehr für die Frauen sprechen, im Namen der Frauen sprechen – denn das »Wir« der Frauen, ein irgendwie gemeinsames Interesse, gibt es nicht. Also habe ich nur zwei Möglichkeiten: Ich kann als Neutrum sprechen, also als Individuum, das nur zufällig weiblich ist, was aber keine Rolle spielt (viele tun das, ich glaube, dass Angela Merkel unter anderem deshalb gescheitert ist), aber das macht die weibliche Differenz unsichtbar. Oder ich kann als Frau sprechen. Als Frau sprechen, aber nicht für die Frauen – Was bedeutet das konkret?

Von sich selbst ausgehen – eine Formulierung der Italienerinnen, die Politik nicht vom Leben, er Kultur, der Liebe, dem Alltag trennen, nicht fragen: was hindert mich? Sondern fragen: was will ich, was kann ich tun – Wie geht das? Wie mache ich das, wenn ich in einer Partei, einer Konferenz, einer Institution, einer Kirche, einer Bürgerinitiative aktiv bin?

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der »ehrbaren« und der »zerstörerischen«, oder zwischen wirklicher und so genannter Politik, wie ich sage, ist meiner Meinung nach, dass wirkliche Politik authentisches Handeln in erster Person ist, während die so genannte Politik instrumentell vorgeht, also vorher festgelegte Ziele erreichen will und dafür Strategien hat und Dinge durchsetzen will. Das kann man schön sehen, wenn man hin und wieder mit linken, meist männlichen Aktivisten zu tun hat. Sie schmieden Pläne, entwerfen Strategien, wägen Erfolgschancen hab. Das eigene Begehren in das Zentrum des politischen Engagements zu stellen, erscheint ihnen geradezu schäbig.

Hilfreich ist mir dabei die Unterscheidung zwischen Handeln und Herstellen, die Hannah Arendt in ihrem Buch Vita Aktiva eingeführt hat, und die ich euch im Workshop kurz vorstellen würde.

Denn dieser Punkt, die Unterscheidung zwischen einem instrumentellen Herangehen an Politik und einem Politikverständnis, das darunter Handeln in 1. Person versteht, ist sehr wichtig, wenn wir uns überlegen, was erfolgreiche Politik ist. Das würde ich mit euch gerne an konkreten Beispielen aus euren Erfahrungen diskutieren – ein hier im Rhein-Main-Gebiet aktueller Fall ist zum Beispiel der geplante Flughafenausbau: Diejenigen, die sich derzeit dagegen engagieren, haben mit dem Problem zu tun, dass das ziemlich aussichtslos ist. Was ist erfolgreiche Politik, wenn ich eine Meinung habe, die derzeit wenig Aussicht darauf hat, sich durchzusetzen? Soll ich es dann ganz sein lassen? Oder Bomben werfen?

Zu diesem Punkt habe ich viel aus den Texten von Luisa Muraro gelernt, in denen sie sich mit dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Realismus und Subjektivismus beschäftigt, oder, wie ich es einmal genannt habe, zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten. Das ist in der herkömmlichen Vorstellung von Politik immer scharf getrennt: Professionell ist man, wenn man sich an dem Machbaren orientiert, realistisch ist, also Kompromisse eingeht, Abstriche an den eigenen Wünschen macht, pragmatisch ist. Die anderen dagegen sind die Fundamentalisten, die mit dem Kopf durch die Wand wollen. Und sehr oft sind wir hin- und her gerissen – mir geht es zumindest so – zwischen unseren Wünschen, dem eigenen Begehren, dem intuitiven Wissen, was gut und richtig ist, und der niederschmetternden Tatsache, dass niemand das hören will, dass wir gegen Hindernisse rennen, keine Aussicht auf Erfolg zu haben scheinen.

Was aber, wenn im weiblichen Denken das Wünschenswerte und das Machbare kein Widerspruch ist, wie im instrumentellen Denken, sondern das Wünschen – das eigene Begehren – geradezu der Motor wäre, der Grund, die Voraussetzung dafür, dass das, was bisher ganz unmöglich war, möglich wird? Allerdings nicht instrumentell verstanden, mit Garantie sozusagen, sondern als Spiel, auf das ich mich einlasse, das mich auch selbst verändern wird, und dessen Ausgang, wie bei jedem guten Spiel, offen ist?

Das ist ein schwieriger philosophischer Gedanke, aber es lohnt sich, darüber einmal genauer nachzudenken. Was bedeutet es, unser eigenes Begehren, das Begehren einer Frau, als die eigentliche Grundlage von politischem Handeln zu verstehen? Zu begreifen, dass sich die Welt nicht dann verändert, wenn eine Regierung ein Gesetz erlässt oder ein Krieg geführt wird oder Wahlen so oder so ausfallen. Sondern dass sich die Welt dadurch verändert, dass ich, eine Frau etwas begehre und mit diesem Begehren gehört werde von einer, die das versteht und auf mein Begehren antwortet? Weil es mein Begehren ist, das weibliche Autorität in dieser Welt wirksam macht? So wie es bei Asifa war, deren Begehren es war, dass die Dinge in Afghanistan sich ändern mögen, und die glücklicherweise auf Meena traf, die ihr zeigte, wie und wo sie aktiv werden kann, Die ihr mit ihrem eigenen Beispiel zeigte, dass es nicht nur eine zerstörerische Politik gibt, sondern auch eine ehrbare.


(Tagung zum Ende des Patriarchats, 14.–16. Juni 2002 in Arnoldshain)