Antje Schrupp im Netz

Nur ein Baustein, nicht die Lösung: das Bedingungslose Grundeinkommen und die Care-Krise

in: KAB, Diözesanverband Köln (Hg.): Zur Freiheit berufen. Christen für ein Grundeinkommen. Bonifatius Verlag, 2019

Die Grundidee eines bedingungslosen Grundeinkommens liegt in der Trennung von Einkommen und Arbeit: Alle Menschen sollen das, was man zum Leben braucht, bedingungslos bekommen, also unabhängig davon, was sie leisten wollen oder können. Und andererseits soll die Arbeit, das eigene Tätigsein, nicht ausschließlich dem Zweck dienen, damit Geld zu verdienen oder den eigenen Lebensunterhalt zu sichern.

In unserer Kultur sind Arbeit und Einkommen allerdings symbolisch so eng miteinander verknüpft, dass viele diesen Vorschlag für utopisch halten. Dabei wird übersehen, dass Arbeit ohne Einkommen und Einkommen ohne Arbeit schon immer etwas Normales, geradezu Alltägliches ist. Wir alle haben als Kinder das Lebensnotwendige bekommen, ohne Gegenleistung. Ohne „bedingungsloses Grundeinkommen“, wenn man so will, kann kein Mensch aufwachsen. Andererseits arbeiten viele Menschen, mehr Frauen als Männer, unbezahlt für andere, vor allem, aber nicht nur in den Familien. Sie erziehen Kinder, kochen, waschen, putzen, kümmern sich um Kranke, Alte. Von den insgesamt 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden laut Statistischem Bundesamt drei Viertel zuhause in den Familien versorgt. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung leisten Frauen 3,19 und Männer 2,03 Stunden täglich unbezahlte Hausarbeit.

In volkswirtschaftliche Überlegungen wird dies alles jedoch praktisch gar nicht einbezogen. Unbezahlte Tätigkeiten gelten weithin noch immer nicht als „Arbeit“. Und tatsächlich ist das ja auch Definitionssache: Wo hört das Hobby auf und fängt die Arbeit an? Wo verläuft die Grenze zwischen Eigenarbeit und Arbeit für andere? Wo mache ich etwas nur zum eigenen Vergnügen und wo als Beitrag für die Gemeinschaft? Ist es überhaupt sinnvoll, eine solche Unterscheidung vorzunehmen?

Die Politikwissenschaftlerin Carol Pateman hat diese Unterscheidung 1988 als „Geschlechtervertrag“ bezeichnet, als unausgesprochene Übereinkunft, die dem Funktionieren der Gesellschaft implizit zugrunde liegt wie der Rousseau’sche Gesellschaftsvertrag. Die den Frauen zugeordnete unsichtbare Arbeit im Privaten, so Patemans These (die seither von zahlreichen feministischen Gesellschaftswissenschaftlerinnen aufgegriffen und weiterentwickelt wurde), liegt demnach der sichtbaren Sphäre des Marktes und der Politik zugrunde und macht diese erst möglich. Legitimiert und begründet wird dies durch Gesellschaftstheorien, die zwischen privater und öffentlicher Sphäre unterscheiden, zwischen Familie und Politik, wobei die Gesetze von Rechtsstaat und Wirtschaft demnach nur für die öffentliche Sphäre gültig sind, wohingegen die „Privatsphäre“ nach ganz anderen Kriterien funktionieren soll: Innerhalb des Privaten, der Familie, so die Idee, handeln die Menschen kollektiv, selbstlos, altruistisch, sorgen bedingungslos und ohne eine Gegenleistung zu erwarten füreinander, während im öffentlichen Bereich Interessen aufeinander stoßen, Konkurrenz und Wettbewerb herrschen und alle beim Tauschen darauf achten, dass sie nicht zu kurz kommen.

Dieser Geschlechtervertrag ist heute allerdings von zwei Seiten aufgekündigt worden: Erstens haben sich die Frauen emanzipiert und den Zugang zur öffentlichen ehemals exklusiven Männer-Sphäre erobert. Sie sind heute als Gleichberechtigte in der Politik und auf dem Markt aktiv. Zweitens hat sich der kapitalistische Markt längst auch in den privaten Bereich hinein ausgebreitet. Im so genannten Care-Sektor lässt sich Geld verdienen, gesellschaftliche Sozialfürsorge kann ein Geschäftsmodell sein. Die säuberliche Trennung der beiden Sphären und damit auch die jeweils geltenden Prinzipien hat allerdings noch nie wirklich gut funktioniert, aber heute ist es ganz offensichtlich geworden, dass sie ausgedient hat: Beide Sphären vermischen sich. Frauenarbeit und Männerarbeit, bezahlte und unbezahlte Arbeit, Schenken und Tauschen, überall Grauzonen.

Eine Zeitlang dachten viele, das Problem ließe sich lösen, indem der ehemals den Frauen zugeordnete Bereich des Privaten und Familiären ganz aufgelöst wird und alle Menschen quasi so handeln wie früher nur die Männer. Große Bereiche dessen, was ehemals unbezahlt von Hausfrauen getan wurde, sind ja auch inzwischen in den Bereich der geldbasierten Ökonomie gewechselt: Wir essen in Restaurants, bringen Blusen zum Bügeln, engagieren Putzfrauen und Altenpflegerinnen, bauen immer mehr Kitas, Altenheime und andere professionelle Care-Einrichtungen. Allerdings zeigt sich, dass „der Markt“ und die alten ökonomischen Modelle oft nicht hilfreich sind, wenn es um Care geht. Man kann eben die Pflege von Kranken oder die Erziehung von Kindern nicht organisieren wie eine Autofabrik. Betriebswirtschaftliche Kennzahlen, die auf Effizienzsteigerung ausgerichtet sind, funktionieren nicht in Bereichen, in denen sich Qualität gerade auch darin zeigt, dass die Beteiligten nicht dauernd auf die Uhr schauen.

Notwendig ist vielmehr ein Paradigmenwechsel. „Care“ kann nicht nur als zusätzlicher Faktor innerhalb der traditionellen Ökonomie betrachtet werden, sondern muss vielmehr ins Zentrum wirtschaftspolitischer Überlegungen rücken und deren althergebrachte ökonomische Theorien herausfordern. Zum Beispiel zeigt sich im Care-Bereich, dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht überall funktioniert, denn sonst würden Erzieherinnen, Krankenschwestern und Altenpfleger, die ja überall händeringend gesucht werden, längst ein Vielfaches verdienen. Der Markt stellt aber nur bereit, wofür Leute bezahlen (können) und was also profitabel ist. Um es auf den unbarmherzigen Punkt zu bringen: Volkswirtschaftlich gesehen lohnt es sich nicht, alte Leute zu verpflegen. Man kann zwar die Betreuung von Kindern noch als „Investitionen in die Zukunft“ betrachten (was ja tatsächlich heutzutage oft so gesagt wird), die Pflege alter Menschen aber nicht: Altenpflege ist, volkswirtschaftlich betrachtet, „hinausgeworfenes“ Geld.

Die Motivation für Care kann nicht mit ökonomischen, sondern nur mit humanistischen Prinzipien begründet werden. Aber weil sich „Care“ eben nicht wirklich „rechnet“, werden derzeit die Versorgungslücken immer größer. Manchmal schaffen es Berichte über schlecht versorgte Pflegebedürftige oder ungeputzte Schultoilette in die Zeitungen, aber die Skandale bleiben noch isoliert. Dabei fordern sie zu einem prinzipiellen Umdenken heraus: Ein häufig gegen das Bedingungslose Grundeinkommen vorgebrachter Einwand ist ja die Befürchtung, dass dann niemand mehr arbeiten würde. In Bezug auf Care ist das aber jetzt schon Realität – vieles, was dringend notwendig wäre, wird faktisch nicht getan, weil es nicht profitabel ist. Der Markt stellt ganz einfach nicht sicher, dass das Notwendige getan wird. Wir brauchen hier also andere Motivationen.

Auch die Qualität von Care-Arbeit lässt sich nur schlecht in betriebswirtschaftlichen Parametern erfassen. Die pflegende Angehörige und der professionelle Altenpfleger erbringen ja konkret oft identische Leistungen, die auch auf ähnliche Weise analysiert und bewertet werden müssten – ob dabei Geld fließt oder nicht ist für die Frage nach der Qualität ihrer Arbeit eher nebensächlich. Auch die politischen Mechanismen, die die alte, sphärengeteilte Ordnung hervorgebracht hat, sind im Care-Bereich oft fehl am Platz. So kann man im Krankenhaus schlecht streiken, weil dort ja dann Menschen, nicht Maschinen unversorgt bleiben.

Aus all diesen Gründen erprobt das 2014 gegründete Netzwerk Care-Revolution politische Organisationsformen, die verschiedene Akteure und Akteurinnen zusammenbringen – Krankenschwestern und Patienten, Menschen mit Assistenzbedarf und Pflegekräfte, Wirtschaftswissenschaftler und politische Aktivistinnen. Denn in den Debatten in Zusammenhang mit der Care-Krise nicht genügt, hier oder da ein einer Stellschraube zu drehen. Zum Beispiel hilft es nichts, bloß mehr Geld ins professionelle Pflegesystem zu pumpen, wenn kapitalistische Pflegekonzerne das gleich nur in Form höherer Gewinne wieder absaugen. Es nützt auch nichts, Pflegekräfte besser zu bezahlen, wenn deren eigentliches Problem ist, dass sie aufgrund des Zeit- und Effizienzdrucks überlastet sind. Es nützt auch nichts, die Rahmenbedingungen für häusliche Pflege zu verbessern, wenn gleichzeitig viele Firmen von ihren Mitarbeitern immer mehr Arbeitsstunden und Flexibilität erwarten. Trotzdem braucht man natürlich mehr Geld, bessere Bezahlung und bessere Rahmenbedingungen für pflegende Angehörige. Aber das können keine isolierte Maßnahmen sein, sondern nur Bausteine eines echten Paradigmenwechsels.

An dieser Stelle kommt das Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Es ist eine Möglichkeit, jene gesellschaftliche Energie freizusetzen, die wir für Innovationen im Care-Sektor dringend brauchen. Patentlösungen gibt es ja keine. Die Alternative ist nicht, dass Care entweder im rein professionellen Bereich stattfindet – also in staatlichen oder privatwirtschaftlichen Einrichtungen mit gut bezahlten und gewerkschaftliche organisierten professionellen Kräften – oder privat und in den Familien. Sondern es wird darauf ankommen, beides gut miteinander zu kombinieren und dazu noch zahlreiche Zwischenformen zu finden. Nachbarschaftsnetze, Tauschringe, Vereine, gemeinschaftliche Wohnformen, Genossenschaften und freie Projekte aller Art können dort einspringen und Aspekte erfüllen, die weder die klassische Familie noch die betriebswirtschaftlich organisierte Erwerbsarbeit leisten können. Dafür brauchen wir Freiräume und engagierte Menschen, die etwas ausprobieren möchten.

Das Grundeinkommen würde Menschen von der Notwendigkeit befreien, erst einmal qua Erwerbsarbeit Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen zu müssen, bevor sie über andere Tätigkeiten überhaupt auch nur nachdenken können. Das Bedingungslose Grundeinkommen hat deshalb das Potenzial, genau die Freiheitsräume zu schaffen, die wir brauchen, um neue Ideen zu entwickeln und Erfahrungen zu sammeln. Zum Beispiel darüber, wie wir solche Dienstleistungen organisieren können, die sozial notwendig, aber nicht kapitalistisch verwertbar sind und daher vom Markt nicht bereitgestellt werden. Ein Grundeinkommen ist eine Chance, um an Lösungen für die Care-Krise zu arbeiten, aber – und das ist wichtig – es ist nicht die Lösung selbst. Denn auch mit einem Grundeinkommen würden sich, bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen, vermutlich nicht genügend Menschen bereitfinden, sodass die Care-Krise gelöst wäre. Und das ist gut so.

Manche feministische Ökonominnen befürchten nämlich, dass mit einem Grundeinkommen wieder die Erwartung an Frauen steigen könnte, dass sie sich um sorgebedürftige Menschen in ihrer Familie kümmern. Angesichts der noch längst nicht überwundenen „Zwei-Sphären-Geschlechterideologie“ ist diese Gefahr in der Tat vorhanden, zumal Frauen dann eben nicht mehr unbedingt eigenes Geld verdienen müssten. Und tatsächlich gibt es viele – vor allem männliche – Befürworter eines Grundeinkommens, die das Ausmaß des Bedarfs im Care-Sektor tatsächlich unterschätzen. Aber ein solches Grundeinkommen wäre nicht emanzipatorisch. Das Grundeinkommen darf keinesfalls als Lösung für die Krise der sozialen Reproduktion betrachtet werden.

Wie das Netzwerk Care-Revolution betont, geht es vielmehr darum, freiheitliche Verhältnisse zu schaffen: Menschen, Menschen, die für andere sorgen möchten, sollen die Möglichkeit dazu haben, aber gleichzeitig darf niemand genötigt werden, für andere zu sorgen, wenn sie oder er das nicht will. Das Bedingungslose Grundeinkommen würde Einzelnen zwar die Möglichkeit verschaffen, sich statt bezahlter Beschäftigung für unbezahlte Care-Arbeit zu entscheiden – emanzipativ ist es aber nur, wenn gleichzeitig qualitativ gute, professionelle Care-Arbeit verfügbar ist, sodass sich niemand vor die Wahl gestellt sieht, entweder selbst Care-Arbeit zu leisten oder aber Angehörige unversorgt zu wissen.

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das Grundeinkommen ist keine Lösung für die Care-Krise. Aber es könnte ein Baustein sein bei dem Versuch, eine Gesellschaft zu verwirklichen, in der gutes Leben für alle möglich ist. Eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Gewissheit haben können, dass für ihre existenziellen Bedürfnisse unter allen Umständen verlässlich gesorgt wird – sowohl in materieller Hinsicht als auch im Sinne von menschlicher Fürsorge und Zuwendung.