Antje Schrupp im Netz

Erkennen, was notwendig ist

in: Ronald Blaschke, Werner Rätz (Hrsg): Teil der Lösung. Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Rodpunktverlag, Zürich 2013

Kürzlich habe ich tagelang das Badezimmer geputzt, habe Schränke ausgeräumt, Wände gescheuert, bis in die letzte Ritze, immer und immer wieder. Dabei bin ich gar nicht besonders pingelig in Bezug auf Sauberkeit. Putzen macht mir auch nicht sonderlich Spaß und bezahlt hat mich auch niemand dafür. Der Grund für meinen Arbeitseifer war etwas viel Zwingenderes: pure Notwendigkeit. Denn bei meiner Rückkehr von einer mehrwöchigen Reise hatte sich mein Bad in ein schimmeliges Feuchtbiotop verwandelt. Der Heißwasserhahn hatte die ganze Zeit vor sich hin getröpfelt, während gleichzeitig Tür und Fenster fest verschlossen waren. Selten war ich zu einer Arbeit so motiviert wie an diesem Tag.

Ein Einwand, der häufig gegen die Idee eines leistungsunabhängigen Grundeinkommens vorgebracht wird, ist die Befürchtung, dann würde die allgemeine Arbeitsleistung so sehr sinken, dass es sich negativ auf den allgemeinen Wohlstand auswirken würde: Es kann eben nur verteilt werden, was vorher auch erwirtschaftet wurde. Tatsächlich ist es wichtig, die Frage zu stellen, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen auf den persönlichen und gesellschaftlichen Wohlstand haben wird. Und es ist sicher zu kurz gedacht, gegen diesen Einwand einfach hoffnungsfroh zu versichern, dass Menschen bestimmt auch ohne den Anreiz des Geldverdienens Sinnvolles für die Allgemeinheit tun werden. Gerade inm Bezug auf die Frage, wer genau denn dann die unbeliebten Arbeiten machen wird, bleibt diese optimistische Sichtweise unbefriedigend. Woher sich die Motivation, etwas zu tun, denn konkret speisen soll, wenn der Zwang zum Geldverdienen wegfällt, muss vielmehr explizit geklärt werden: Wie kann die Motivation, zu arbeiten, also mit der eigenen Tätigkeit etwas zum gesellschaftlichen Wohlstand beizutragen, kulturell anders gedacht und befördert werden als bisher?

In diesem Beitrag möchte ich den Vorschlag machen, dabei den Aspekt der Notwendigkeit in die Diskussion einzuführen. Denn zu erkennen, dass eine Arbeit notwendig ist, motiviert mehr als die Aussicht auf Geld. Und es stellt sicher, dass Arbeiten auch dann verlässlich erledigt werden, wenn einmal niemand da ist, der gerade Lust dazu hat. Gleichzeitig könnte Notwendigkeit auch ein anderer Maßstab für Wohlstand sein als die Höhe des Bruttosozialproduktes. Ein gutes Leben für alle gibt es nämlich nicht dann, wenn möglichst viel Geld zirkuliert, sondern wenn für alles, was notwendig ist, verlässlich und in guter Qualität gesorgt wird.

Dazu muss die Frage nach den Folgen eines Grundeinkommens aber über den Bereich der geldvermittelten Ökonomie hinaus ausgeweitet werden. Um zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, wie sich ein Grundeinkommen auf den Wohlstand einer Gesellschaft und der darin lebenden Einzelpersonen auswirkt, muss die Gesamtheit der Wirtschaft angeschaut werden und nicht nur der Teilbereich der geldbasierten Marktwirtschaft. Denn der Wohlstand eines Landes ist nicht deckungsgleich mit der Höhe des Bruttosozialproduktes, und der Wohlstand einer Person ist nicht direkt mit der Höhe ihres Einkommens oder Vermögens verknüpft. Ein Großteil der Wirtschaft – verstanden im eigentlichen Sinne als »Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen« (Wikipedia) – wird schon immer jenseits des Marktes erbracht, vor allem in Subsistenzökonomie (also Arbeit, die Menschen für sich selbst leisten, zum Beispiel Hausarbeit) oder durch Fürsorgearbeit (Arbeit, die Menschen unentgeltlich, aber verbindlich und verpflichtend für andere erbringen, etwa für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige). Jede dieser Wirtschaftsformen folgt einer unterschiedlichen Logik und unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten, verlangt spezielle Fertigkeiten und Verhandlungsmodalitäten. Und erst ihre Kombination ergibt das, was »Wohlstand« genannt werden kann.

Wenn etwas wirklich notwendig ist, fangen Menschen an, ohne Wenn und Aber die Ärmel aufzukrempeln, so wie ich angesichts meines verschimmelten Badezimmers. Aber, wie das Beispiel ebenfalls zeigt: Notwendigkeit ist nicht unbedingt schön. Sie übt einen unmittelbaren Zwang aus, nimmt keine Rücksicht darauf, ob wir gerade Lust haben, etwas zu tun. Wenn etwas notwendig ist, müssen wir es tun, ob wir wollen oder nicht.

In der westlichen Philosophie – schon seit der Antike – gilt Notwendigkeit aus diesem Grund als unvereinbar mit Freiheit. Aristoteles etwa setzte Notwendigkeit mit Gewalt gleich und definierte sie als »Gegenteil einer nach Entscheidung und Nachdenken verlaufenden Bewegung« . Ganz ähnlich argumentierte in einem Internetforum ein Kommentator, der meiner Einschätzung widersprach, die geschlechtsspezifische Ungleichverteilung bei der unbezahlten Sorgearbeit sei ungerecht. Er schrieb: »Frauen müssen sich also um Kinder, Alte und Haushalt kümmern. Wer sagt eigentlich, dass sie müssen? Wer zwingt sie dazu? Das Patriarchat, verkörpert durch den Herrn und Gebieter daheim?«

Die Logik hinter dieser Argumentation ist, dass Menschen nur dann etwas tun müssen, wenn sie von einer äußeren Kraft unmittelbar dazu gezwungen werden. Da Frauen heute aber niemand mehr dazu zwingt, Haus- und Fürsorgearbeit zu erledigen, müssen sie diese Arbeiten auch nicht tun – und wenn sie es dennoch tun, tun sie es aus freien Stücken und brauchen sich also über eine ungleiche Beteiligung nicht zu beklagen. Diese Haltung zeigt deutlich, dass das Kriterium der Notwendigkeit in Bezug auf die Begründung des menschlichen Handelns nicht im Blick ist. Denn die Notwendigkeit ist ja ein Drittes. Sie ist weder äußerer Zwang, noch ist sie reine Setzung des eigenen Willens. Das Notwendige zeigt sich keineswegs, wie Aristoteles glaubte, als äußere Gewalt, sondern eher als innerer Zwang. Etwas Notwendiges zu tun, ist die Antwort eines freien Menschen auf die Erfordernisse der Welt. Ja, eine Mutter »muss« sich um ihr Kind kümmern, aber nicht, weil sie jemand dazu zwingt und sie kein freier Mensch wäre.

Doch die westlich-männliche Philosophietradition steht dem Tun des Notwendigen skeptisch gegenüber, denn sie glaubt, etwas Notwendiges zu tun, bedeute, dass hinter der entsprechenden Handlung keine freie Entscheidung mehr stehe. Als frei gilt ihr nur, wer in seinem Alltag vom Tun des Notwendigen befreit ist, zum Beispiel, weil er über andere verfügen kann, die ihm diese Arbeiten abnehmen: Sklavinnen und Sklaven, bezahlte Angestellte, externe Dienstleister. Freies Tätigsein ist, so verstanden, nur ein Tätigsein, dem kein Zwang zugrunde liegt, das sich also nicht aus einem Müssen herleitet (denn dann, so die Vorstellung dahinter, wäre es ja nicht mehr frei), sondern aus einem selbst gewählten Wollen.

Aus dieser Gegenüberstellung erklärt sich die große Abneigung der westlichen Philosophen gegen alles Körperliche. Denn die Tatsache, dass Menschen körperliche Wesen sind, macht es ihnen ja prinzipiell unmöglich, der Notwendigkeit zu entkommen. Sie müssen essen, schlafen, scheißen. Sie brauchen Kleidung, sie brauchen Essen, sie brauchen die Möglichkeit, aufs Klo zu gehen, und einen Ort, wo sie schlafen können. Das alles ist mit Arbeit verbunden. Die Kleidung hält nicht ewig, Essen muss immer wieder neu beschafft, das Bett gemacht und das Klo geputzt werden. Kein Mensch kann diesen Notwendigkeiten entkommen, egal wie reich, egal wie mächtig er ist. Aufgrund ihrer Körperlichkeit sind Menschen prinzipiell Bedürftige, und zwar alle Menschen ohne Ausnahme.

Und, um es noch schlimmer zu machen: Kein Mensch ist in der Lage, diese für sein eigenes Überleben so dringend notwendigen Arbeiten selbst zu erledigen. Menschen kommen nicht als voll funktionstüchtige Erwachsene in diese Welt, sondern sie werden geboren, das heißt, sie rutschen als winzige, nackte, hilflose Wesen aus dem Körper einer Frau und können vom ersten Moment ihres Lebens an erst einmal gar nichts selber machen. Auch als Erwachsene stehen sie ständig in der Gefahr, krank zu werden oder einen Unfall zu haben. Sie können also jederzeit in die Situation geraten, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse existenziell auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Dies ist eine Tatsache, die untrennbar zum Menschsein dazugehört.

Wenn man also Freiheit als Nichtbetroffensein vom Tun des Notwendigen versteht, bedeutet das, konsequent zu Ende gedacht, dass Menschen unmöglich frei sein können. Freiheit als Unabhängigkeit widerspricht der conditio humana, die eben prinzipielle Abhängigkeit ist, es sei denn, man greift zu einem Trick und löst das Problem durch Verdrängung, Ausgliederung und Unsichtbarmachung, so wie patriarchale Kulturen es getan haben. Sie erklärten nämlich diejenigen Arbeiten, die mit den Notwendigkeiten verbunden waren, die sich unmittelbar aus der körperlichen Bedürftigkeit der Menschen ergeben, zum Aufgabenbereich ganz bestimmter Menschen, zuerst der Sklavinnen und Sklaven, später der Frauen. Feministische Wissenschaftlerinnen haben herausgearbeitet, wie konstitutiv der ungeschriebene »Geschlechtervertrags« , der den Frauen die private Sorgearbeit, den Männern den öffentlichen Markt zugewiesen hat, für das Entstehen des modernen Gesellschaften war. Die Idee einer öffentlichen Sphäre und eines Marktes, wo sich freie und gleiche Männer auf Augenhöhe begegnen, konnte nur entstehen und kann nur existieren auf der Grundlage eines gleichzeitigen Einschlusses und Ausschlusses der Frauen: Sie waren in das System von Markt und Polis eingeschlossen, weil ihre Arbeit für das Funktionieren des Ganzen unverzichtbar war, und gleichzeitig von ihm ausgeschlossen, weil ihre Arbeit nicht mit den Prinzipien von Gleichheit und Freiheit der Märkte und der Politik vereinbar war, weshalb den Frauen auch der Zutritt zu diesen Orten verwehrt werden musste.

Eine von vielen Folgen dieser Verdrängung der Notwendigkeit aus dem westlichen Freiheitskonzept war ein verzerrtes Verständnis von Ökonomie, nach dem der große Anteil menschlicher Pflege- und Fürsorgearbeiten in den meisten Wirtschaftstheorien völlig unbeachtet blieb, was teilweise bis heute so ist. Statt zu untersuchen und zu reflektieren, wodurch Menschen motiviert sind, Arbeiten zu übernehmen, die für das körperliche Überleben bedürftiger Menschenwesen notwendig sind (obwohl es dafür weder Geld noch gesellschaftlichen Status gibt), hat man sich zu esoterischen Spekulationen verstiegen und die Gründe in ominösen Befindlichkeiten wie mütterlichen Instinkten oder weiblichen Tugenden vermutet. Die Frage, warum Frauen für ihre Männer die Wäsche waschen, obwohl die das selbst könnten, warum Erwachsene sich jahrelang um die Bedürfnisse kleiner Kinder kümmern, obwohl diese ihnen gar nichts im Tausch dafür zurückgeben können, warum Schwiegertöchter die alten Schwiegereltern ihres Mannes pflegen, obwohl man sie dazu nicht zwingen kann, wurde nicht gestellt. Es galt irgendwie als selbstverständlich, dass sie das tun. Das war doch schon immer so gewesen, oder nicht? All diese Arbeiten, obwohl sie einen so großen Anteil am Wohlstand jeder Gesellschaft haben, wurden schlicht als nicht erforschenswert betrachtet, denn man erkannte in ihnen nicht einen wichtigen Teilbereich von Kultur oder ökonomischen Verhältnissen, sondern behauptete, das alles sei Teil einer natürlichen Ordnung oder eines göttlichen Schöpferwillens, also den politischen Verhandlungen der Menschen ohnehin entzogen und prinzipiell unveränderlich.

Heute wissen wir, wie illusorisch diese Annahme war. Das Desinteresse an den kulturellen Grundlagen für unbezahlte Arbeit kommt die westlichen Gesellschaften inzwischen teuer zu stehen. Denn natürlich sind es nicht die Gene oder die Natur, die sicherstellen, dass Frauen bis in alle Ewigkeit putzen, pflegen und Essen kochen. Die Frauen haben den Geschlechtervertrag aufgekündigt und beanspruchen einen gleichberechtigten Zugang zur Politik und zum Erwerbsarbeitsmarkt. Deshalb stellt sich dringend die Frage, wer all die Arbeiten erledigen soll, die bisher die Frauen gratis in den Haushalten erledigt haben, wenn es keine Hausfrauen mehr gibt? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht in Sicht, und gleichzeitig ist angesichts des demografischen Wandels bereits absehbar, dass der Bedarf an solchen Arbeiten in Zukunft größer wird.

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Menschen in der Lage sind, das, was notwendig ist, zu erkennen? Philosophinnen wie Simone Weil und Iris Murdoch haben sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass vor allem Aufmerksamkeit und bewusste Anwesenheit in einer Situation erforderlich ist, um die ihr innewohnenden Notwendigkeiten zu erkennen. Das bedeutet: Die Notwendigkeit existiert zwar unabhängig vom subjektiven Willen, doch ohne dessen Einwilligung ist sie unwirksam. Gerade weil das Notwendige sich nicht in Form eines äußeren Zwanges zeigt, sondern in Form einer inneren Erkenntnis, ist es nicht objektiv und allgemeinverbindlich festlegbar. Bekanntermaßen beantworten unterschiedliche Menschen die Frage, wie genau eine Toilette aussehen muss, damit sie notwendigerweise geputzt werden muss, unterschiedlich.

Notwendigkeit ist keine absolute Größe, sondern es gibt, im Unterschied zum Zwang, einen gewissen Interpretationsspielraum. Wenn wir das Erkennen des Notwendigen als Paradigma für eine stabile Ökonomie verstehen wollen, so kann das daher nicht bedeuten, dass von irgendeiner Instanz festgelegt wird, was notwendig ist. Denn das Notwendige entfaltet seine Motivation zum Arbeiten nur dann, wenn diejenige, die diese Arbeit tun wird, diese Notwendigkeit auch subjektiv erkennt und nicht von außen vorgeschrieben bekommt. Das Erkennen einer Notwendigkeit und die Übernahme der Verantwortung, also die Bereitschaft, das, was als notwendig erkannt wurde, auch wirklich zu tun, vollzieht sich als innere Beziehung zwischen der Welt und einer Person.

Das Notwendige zu sehen und dann auch entsprechend zu handeln, ist eine kulturelle Kompetenz, es geschieht nicht automatisch. Es ist auch möglich, dass Menschen vor dem Notwendigen die Augen verschließen oder sich auf den Standpunkt stellen, sie wären dafür nicht zuständig (und es könne sie schließlich auch niemand dazu zwingen). Es braucht also ein bestimmtes kulturelles Paradigma, um im Tun des Notwendigen eine Motivation fürs Arbeiten zu finden. Das Achten auf Notwendigkeiten als kulturelle Praxis zu verankern bedeutet, dass Menschen das Kriterium der Notwendigkeit inm Bezug auf die eigenen Handlungen und Entscheidungen ernst nehmen (können). Es ist nahe liegend, dass ein solcher Paradigmenwechsel – Notwendigkeit als wesentliche Arbeitsmotivation zu verstehen und nicht in erster Linie Geld oder eigene Befriedigung – helfen würde, die ungelöste Frage nach der Fürsorgearbeit zu beantworten. Und ein Grundeinkommen würde für die Einzelnen mehr Spielraum schaffen, sodass sie bei der Entscheidung, was sie tun sollen, dem Kriterium der Notwendigkeit Priorität einräumen vor dem Kriterium der Bezahlung. Dafür ist es wichtig, bei Visionen für neue ökonomische Prinzipien – auch für die Einführung eines Grundeinkommens – nicht sloganhaft ein »Ende der Arbeit« zu versprechen, sondern deutlich zu machen, dass auch in Zukunft noch gearbeitet wird und werden muss, nur eben unter anderen Bedingungen, nämlich nicht über den Markt, sondern über die Notwendigkeit vermittelt.

Aber wäre es nicht auch eine Lösung, diese Arbeiten einfach zu professionalisieren, also aus der Sphäre der privaten Gratisarbeit in die Sphäre der bezahlten Erwerbsarbeit zu überführen? Dieser Weg wird derzeit präferiert, vor allem im Bereich der Kleinkinderbetreuung und der Altenpflege, aber auch bei anderen »haushaltsnahen Dienstleistungen« wie dem Putzen von Wohnungen, dem Kochen und Waschen und so weiter. Auch wenn es natürlich bis zu einem gewissen Grad möglich ist, die ehemals unbezahlte Hausarbeit in bezahlte Dienstleistungen umzuwandeln, so ergibt sich doch eine Reihe von Problemen. Zum Beispiel haben viele dieser Arbeiten einen starken Beziehungsaspekt: Es ist nicht in gleicher Weise egal, wer ein Kind betreut oder einen kranken Menschen pflegt, wie es egal ist, wer Brötchen backt oder Autos montiert. Die Qualität von Fürsorgearbeiten ist deshalb nicht so einfach betriebswirtschaftlich zu kalkulieren. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass nur die leibliche Mutter gut für ein Kleinkind sorgen kann oder dass nur die eigene Tochter oder Schwiegertochter einen alten Menschen pflegen kann. Es bedeutet aber sehr wohl, dass nicht jeder x-beliebige Dienstleister solche Arbeiten übernehmen kann. Wie lässt sich dieser Beziehungsaspekt in einer ökonomischen Theorie abbilden?

Ein anderes Problem ist die Frage der Produktivität. Eine betriebswirtschaftliche Logik setzt voraus, dass sich das Anbieten einer Dienstleistung rechnen muss, dass also der Preis, den man für ein Produkt erzielen kann, höher ist als das, was man selbst als Betriebskosten einsetzen muss. Dies lässt sich jedoch im Bereich der Fürsorgearbeit nicht durchhalten. Zwar wird versucht, die Kosten für den Ausbau der Kleinkinderbetreuung der Öffentlichkeit mit genau solcher Rhetorik schmackhaft zu machen, wenn etwa entsprechende Ausgaben als »Investition in die Zukunft« angepriesen werden. Doch schon bei der Versorgung älterer Menschen funktioniert das Argument nicht mehr: Für alte Menschen zu sorgen rechnet sich nämlich schlichtweg nicht, es sei denn, es handelt sich um wohlhabende alte Menschen, die Pflegedienstleistungen angemessen bezahlen können. Eine betriebswirtschaftlich plausible Begründung dafür, warum man für alte Menschen sorgen sollte, die kein Geld haben (und auch nie wieder welches verdienen werden), die also nicht als Kundinnen auftreten können, gibt es nicht. Und trotzdem ist es notwendig.

Dies führt unmittelbar zu einem anderen Punkt, nämlich der Frage der sozialen Ungerechtigkeit. Der Systemwechsel weg vom Familienernährermodell (ein Vollzeiterwerbstätiger und eine Hausfrau pro Familie) hin zum Individualverdienstmodell (zwei Vollzeiterwerbstätige pro Familie) führt nämlich bei gleich bleibenden sonstigen Koordinaten dazu, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Denn Ehen werden in der Regel innerhalb sozialer Gruppen geschlossen: Der Arzt heiratet die Rechtsanwältin, die Verkäuferin heiratet den Lagerarbeiter. Die Möglichkeit, bei steigender Erwerbsarbeitszeit pro Paar – statt 40 Stunden sollen jetzt 80 Stunden das normale Maß sein – entsprechend mehr häusliche Dienstleistungen einzukaufen, ist nicht bei allen gegeben; manche verdienen einfach nicht genug. Das führt aber zu einer beträchtlichen Mehrbelastung für Familien, die diese Arbeiten nach wie vor selbst erledigen müssen, denn das muss nun zusätzlich zur Erwerbsarbeit geschehen.

Trotz aller Veränderungen werden immer noch viele Putz- und Pflegearbeiten innerhalb von Familien gratis geleistet. Was aber wird in zehn, zwanzig, dreißig Jahren sein, wenn die Generation der heute 50- bis 70-jährigen Frauen wegfällt? Diese Frauengeneration war noch nicht gleichermaßen mit Erwerbsarbeit ausgelastet wie die Jüngeren. Sie gleicht derzeit viele der vorhandenen Engpässe aus, nicht nur in der häuslichen Pflege, sondern auch in der Kinderbetreuung ihrer Enkelinnen und Enkel. Eine zweite Säule sind die Migrantinnen aus ärmeren Ländern, die den Wegfall von Fürsorgeressourcen durch mehr Erwerbsarbeitsstunden der einheimischen Bevölkerung kompensieren. Das rechnet sich aber nur aufgrund des wirtschaftlichen Gefälles zwischen Deutschland und ihren Herkunftsländern – noch. Was wird sein, wenn der Zustrom von Migrantinnen aus Osteuropa versiegt, weil ihre Herkunftsländer sich wirtschaftlich angenähert haben? Was wird sein, wenn in zwanzig, dreißig Jahren alte Menschen in Deutschland deutlich weniger Geld zur Verfügung haben werden als heute, weil sie ihre berufliche Laufbahn nicht zu Wirtschaftswunderzeiten absolviert haben? Es ist offensichtlich, dass der zukünftige Wohlstand unserer Gesellschaft ganz maßgeblich davon abhängen wird, wie wir diese Fragen beantworten.

Es spricht einiges dafür, dass die Skepsis mancher Kritiker und Kritikerinnen gegenüber der Idee eines Grundeinkommens direkt mit solchen Überlegungen zusammenhängt. Denn wenn Menschen gezwungen sind, jede angebotene Arbeit anzunehmen, weil ihnen sonst droht, dass sie nicht genug Geld zum Überleben haben, kann man sie sozusagen auch zwingen, für sehr geringe Entlohnung zu putzen, zu pflegen und überhaupt all jene Arbeiten zu tun, für die sich sonst niemand findet. Und in der Tat: Versteht man ein Grundeinkommen als isolierte sozialpolitische Maßnahme und betrachtet seine Folgen allein unter marktökonomischen Gesichtspunkten, könnte es durchaus zu einem entsprechenden Engpass bei der Ressource Sorgearbeitskräfte zu Billigstlöhnen kommen.

Doch dieser Engpass wird auf jeden Fall kommen, auch ohne Grundeinkommen, nur vielleicht etwas später. Hingegen könnte ein Grundeinkommen, wenn man es als integrierten Baustein eines umfassenderen sozialpolitischen Paradigmenwechsels versteht, ein wichtiger Anstoß sein, sich gesellschaftlich und kulturell diesem Problem zu stellen. Erstens schafft ein Grundeinkommen nämlich ein Bewusstsein dafür, dass zur Ökonomie nicht nur gehört, Dinge zu tauschen, sondern auch, Dinge ohne Gegenleistung zu bekommen. Es bringt also einen kleinen Teil der impliziten Gratisökonomie, die schon immer Grundlage des allgemeinen und individuellen Wohlstands ist, herüber in den expliziten Bereich der Geldströme. Zweitens stellt ein Grundeinkommen die einzelnen Menschen in der Tat vor die Frage, was und warum sie arbeiten sollen. Es schafft andere Überlegungen jenseits der Anweisung eines Chefs oder der Rentabilität des Marktes. Erwerbsarbeit und Profitabilität werden weiterhin wichtige Bestandteile des ökonomischen Gesamtkomplexes bleiben. Aber andere Fragen und Argumente kommen hinzu, weil die Frage des Geldverdienens nicht mehr die einzige ist, die sich im Zusammenhang mit Arbeit stellt – und zwar nicht nur für die Individuen, sondern auch für volkswirtschaftliche Überlegungen.

Wenn die Notwendigkeit des Arbeitens nicht mehr im Zwang, Geld verdienen zu müssen, liegt, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen Notwendigkeiten in den Blick kommen, die sich im Hinblick auf gesellschaftlichen Wohlstand tatsächlich stellen. Die Erwerbsarbeitslogik hat die Frage, was notwendig ist, nicht nur aus den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten entfernt, sondern auch aus dem persönlichen Alltagsrepertoire vieler Menschen, vor allem derer, die in ihrem persönlichen Umfeld nicht direkt mit Sorgebedürftigkeit konfrontiert sind. Übrig geblieben sind nur die Unterordnung unter äußeren Zwang auf der einen Seite (der Befehl vom Chef) oder subjektives Spaßhaben auf der anderen (Selbstverwirklichung). Ein Grundeinkommen macht es möglich, stattdessen die Frage der Notwendigkeit wieder ins Zentrum kultureller und ökonomischer Debatten und Auseinandersetzungen zu stellen, also das eigene Tätigsein bewusst daran auszurichten, was getan werden muss, ohne dieses Müssen nach objektiven Maßstäben für alle verbindlich zu machen. Unser aller zukünftiger Wohlstand wird ganz maßgeblich davon abhängen, ob dieser Paradigmenwechsel gelingt.

Literatur:

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Helma Lutz, Vom Weltmarkt in den Privathaushalt: Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung, Budrich, Leverkusen 2007.

Dorothee Markert, Fülle und Freiheit in der „»Welt der Gabe“«, Christel-Göttert-Verlag, Rüsselsheim 2006.

Carole Pateman, The Sexual Contract, Stanford University Press, 1988.

Maria S. Rerrich, Die ganze Welt zu hHause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten, Hamburger Edition, Hamburg 2006.

Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Fischer, Frankfurt am Main, 2011.

Diana Sartori, „»Irdische Zeichen“«, in: Diotima, Macht und Politik sind nicht dasselbe, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012.

Antje Schrupp, Methusalems Mütter. Chancen des demografischen Wandels, Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2007.

Antje Schrupp, „»Über das Müssen“«, , 2008. Iin: Beziehungsweise Weiterdenken. Forum für Philosophie und Politik, 13.8.2008, http://www.bzw-weiterdenken.de/2008/08/uber-das-mussen/

Antje Schrupp, »Wer macht die unbeliebten Arbeiten?«, 2010. (Blogpost), http://antjeschrupp.com/2010/09/02/wer-macht-die-unbeliebten-arbeiten-zum-blinden-fleck-des-grundeinkommens/.

Antje Schrupp, »Freiheit in Bezogenheit«, 2012. (Blogpost), http://antjeschrupp.com/2012/02/27/freiheit-in-bezogenheit-eine-auseinandersetzung-mit-joachim-gauck-und-co/