Antje Schrupp im Netz

Neid: die Spur zum eigenen Begehren

Über den Neid wurde schon viel geschrieben und geredet. Nur wenige Themen haben Psychologen und Frauenmagazine, Sozialwissenschaftler und Politiker gleichermaßen mit schöner Regelmäßigkeit beschäftigt. Und zu recht: Wer kennt es nicht, dieses nagende, unangenehme Gefühl, bei anderen etwas zu sehen, das man selbst auch gerne hätte?

Unsere Kulturgeschichte spricht über solche Regungen ein klares Urteil: Neid ist etwas Schlechtes. Eine Todsünde sogar, behauptet die klassische Kirchenlehre. Und schon erhebt sich der moralische Zeigefinger: Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut. Doch gleichzeitig verschaffen sich auch ganz andere Botschaften Gehör: »Geiz ist geil« verkündet die Werbung, der Neid auf das Schnäppchen der anderen soll uns zum Konsum verleiten. Neid als Motor der Volkswirtschaft? Natürlich: Eine schöne, braungebrannte Frau im Badeanzug springt fröhlich in ihren Swimmingpool. Daneben ist zu lesen: »Ihre Nachbarn: neidgelb. Ihr neuer Pool: azurblau. Ihre Finanzierung: wüstenrot«. Erst der Neid der anderen, so scheint es, macht den eigenen Reichtum so richtig schön.

Tatsächlich hat sich auch eine zweite Tradition herausgebildet, die im Neid keine Sünde mehr sieht, im Gegenteil: »Die Privilegierten müssen einsehen, dass es ein Menschenrecht auf Neid gibt«, brachte es vor einiger Zeit die linke Publikation »Kursbuch« auf den Punkt. Neid und Missgunst wären somit positiv zu bewerten, denn sie weisen auf Ungerechtigkeiten hin, die abgeschafft gehören.

Beide Richtungen, die konservative und die sozialrevolutionäre, sind aber nur zwei Seiten derselben – falschen – Medaille. Denn sie gehen davon aus, dass den Menschen die Dinge, die sie haben dürfen, auch irgendwie zustehen müssten. Dass sie ein Recht auf bestimmte Dinge haben und auf andere Dinge nicht, wobei es eine übergeordnete, moralische Kategorie gibt (Gott oder die Gesellschaft), die entscheidet, wer Recht hat, der Neider oder der Beneidete.

Mit der Wirklichkeit hat das aber nur wenig zu tun. Mal ehrlich: weshalb sind wir denn neidisch? In den seltensten Fällen sind es doch offensichtliche Ungerechtigkeiten, etwa die schnellere Beförderung einer Kollegin, die Erbschaft der Nachbarn, das bessere Hotelzimmer der anderen. Tatsache ist: Der Neid ist vor allem eine ganz persönliche Angelegenheit. Er sagt viel mehr über mich selbst aus als über die anderen. Und genau darin liegt auch seine wirklich große Chance: Wie wäre es, den Neid mal nicht als Anlass zum Ärger über die böse Welt zu nehmen, sondern in ihm eine Chance der Selbsterkenntnis zu sehen? Hinter jedem Neid steht nämlich ein Begehren. Und etwas zu begehren, das macht uns lebendig und treibt uns an. So gesehen könnte dieses unangenehme Gefühl ein Auslöser sein, über die eigenen Unzufriedenheiten nachzudenken und Veränderungen in die Wege zu leiten.

Natürlich muss man dazu erst einmal zugeben, neidisch zu sein. Gerade weil er so negativ besetzt ist, ist die Versuchung groß, den Neid zu verleugnen. So wie jene Kolleginnen, die an dem schicken und teuren Mantel, den ich mir diesen Winter leistete, kleinkariert herummäkelten: So ein heller Stoff, der wird doch schnell dreckig, du wirst dich bald daran satt sehen, und so fort. Hinter dem Neid nicht die Missgunst, sondern das Begehren zu entdecken, kann hilfreich sein – nicht nur für die, die neidisch sind, sondern auch für die, die beneidet werden.

Der zweite Schritt besteht darin, herauszufinden, um was es eigentlich geht. Bei materiellen Dingen hat schon der alte Grieche Sokrates einen guten Rat gewusst: »Freunde beseitigen den Neid, indem sie ihre Güter dem Freunde anbieten oder indem sie die seinen als die ihren ansehen.« Ja, das wäre doch mal eine Überlegung wert: Könnte ich, statt mich vom Neid zerfressen zu lassen, den Nachbarn nicht fragen, ob ich mal in seinem Pool schwimmen darf? Nicht, weil ich ein Anrecht darauf hätte, sondern einfach so? Wer weiß, am Ende wird es ein schöner Nachmittag oder sogar der Beginn einer Freundschaft.

Viel häufiger ist man aber neidisch auf Dinge, die man nicht teilen kann: Liebe, Schönheit, Zufriedenheit. Dass jemand anderes glücklich ist, eine gute Liebesbeziehung oder beruflichen Erfolg hat, zeigt mir, dass das möglich ist. Aber ich finde es gleichzeitig so schwierig, dass mich der Mut verlässt. Vor allem viele Frauen meinen schnell, dass es an ihnen selbst liegt, dass sie unfähiger sind als andere. Oder einfach zu viel Pech hatten im Leben. An diesem Punkt setzen dann die Frauenzeitschriften ein, die empfehlen, die Konkurrenz der anderen zum eigenen Vorteil zu nutzen, meist mit Hilfe des ein oder anderen Ratgebers oder Kurses. Leider ist das in der Realität oft nicht so einfach. Denn die Einschätzung, dass die Möglichkeiten verpasst, eine Chance vertan wurde, kann ja durchaus richtig sein. Dann kommt es darauf an, dieser Trauer Raum zu geben, statt sich etwas vorzumachen. Nur dann werde ich mich mit der Zeit von diesem unerfüllbaren Wunsch lösen können – und wieder offen sein für anderes.

Aber viel häufiger sind die Sachen, auf die wir neidisch sind, gar nicht unerreichbar. Sie sind nur zu »teuer«, der Preis, den wir dafür bezahlen müssten, ist uns zu hoch. Zwar möchte ich gerne auch so schlank sein wie meine Kollegin, aber ich bin nicht bereit, auf Schokolade zu verzichten und mehr Sport zu treiben. Ich bin zwar neidisch auf die Klavierkünste meiner Nachbarin, aber selber würde ich die Disziplin nicht aufbringen, jeden Tag stundenlang zu üben. Sich einzugestehen, dass man einen Preis nicht zahlen will, obwohl man es ehrlicherweise könnte (wenn auch mit Mühen), das ist keine Schande, sondern eine wertvolle Erkenntnis. Denn sie gibt Auskunft über das eigene Begehren: Es ist wohl nicht groß genug. Vielleicht liegt meine Sehnsucht nämlich ganz woanders. Und ich habe nur noch nicht herausgefunden, wo. Was der andere hat ist nicht unbedingt das, was mir fehlt. Dieser Spur nachzugehen ist der Aufbruch zu etwas Größerem: Mein Neid zeigt mir, dass da ein Begehren in mir schlummert, das es verdient, entdeckt zu werden.


aus: »Blick in die Kirche«, März 2004

Wiederabdruck in »Die Mitarbeiterin. Zeitschrift für Frauenseelsorge und Frauenbildung«, August 2005.

Mehr über den Neid lesen? Hier gibt’s das Ganze ausführlicher