Macht und Politik sind nicht dasselbe!
Vortrag zur Auftaktveranstaltung der 23. Brandenburgischen Frauenwoche in Neuruppin, 2.3.2013, im Frauenzentrum Rüsselsheim am 7.3.2013 und bei einer Veranstaltung des Frauennetzwerkes Mülheim a.d. Ruhr am 9.3.2013.
Guten Morgen und danke für die Einladung! Ja, in der Politik herrscht Frauenmangel. Das haben wir ja heute auch schon gehört – in den Ämtern, in den Parteien. Die Diskussionen darüber werden geführt: Warum sind so wenige Frauen in der Politik? In Baden-Württemberg gab es neulich eine Kampagne „Mehr Frauen in die Kommunalpolitik!“, denn besonders schlecht sieht es in der Kommunalpolitik aus. Auf Bundes- und auf Landesebene haben die meisten Parteien inzwischen Quotenregelungen. Ich nehme an, ohne diese Quotenregelungen würde es da genauso schlecht aussehen. Das sieht man ja auch an der neuen Partei der Piraten, die sehr wenige Frauen in Ämtern haben, weil sie keine Quoten haben. Es ist also kein Problem der Generationen. Der Frauenmangel in der Politik ist nichts, was sich sozusagen von alleine erledigt, wie wir anfangs ja gedacht haben. Früher durften Frauen ja nicht wählen, nicht Politik machen. Dann wurden sie gleichgestellt. Aber bei Gleichstellung stellt sich natürlich auch immer die Frage,wo eigentlich der Maßstab dessen ist, woran man sich orientiert – und das ist eben der männliche Maßstab gewesen. Nun gut, Frauen wurden also gleichgestellt, sie durften dann wählen und gewählt werden, und man dachte doch, im Laufe der Zeit würde sich das irgendwie angleichen. Und der Frauenanteil würde sukzessive steigen, bis er ungefähr bei 50 Prozent liegt. Ich denke, wir sind heute an einem Punkt, wo man sagen muss, dass das nicht so ist. Der Frauenanteil steigt nicht automatisch weiter bis auf 50 Prozent, sondern im Gegenteil, er sinkt momentan wieder, von Wahl zu Wahl, überall da, wo es keine Quoten gibt. Ich habe das einmal die „Wiedervermännlichung der Welt“ genannt. Quotenregelungen mildern diesen Prozess sozusagen ab. Die Quote ist eine Möglichkeit, die Abwesenheit von Frauen auszugleichen. Wenn das Problem analysiert wird, wird viel darüber gesprochen, was denn die Frauen davon abhält, Politik zu machen. Ist es die „Vereinbarkeit“, können sie also wegen der Kinder nicht zu den Politiksitzungen gehen? Oder haben sie nicht genug Mut? Vor allem letzteres war vielleicht in den 1950er Jahren eine Erklärung. Aber wenn ich mir heute anschaue, was sich junge Frauen alles trauen, dann glaube ich nicht, dass ihnen wirklich der Mut fehlt, in die Politik zu gehen. Ich glaube, dass neben allen diesen Hindernissen, wir natürlich anpacken müssen, darüber nachzudenken ist, ob hinter der Abwesenheit der Frauen aus der Politik nicht auch eine bewusste Entscheidung stehen könnte. Meine These ist, dass Frauen diese Art von Politik, wie sie in den Parteien herrscht, weniger gern machen möchten als Männer.
Denn es ist ja nicht so, dass Frauen aus allen politischen Bereichen wegbleiben, dass sie in allen Bereichen fehlen. Wenn man zum Beispiel Bürgerinitiativen anschaut, oder außerparlamentarische Bewegungen, oder Initiativen wie Attac, dann sind da viele Frauen. Es ist nicht so, dass sich Frauen nicht für Politik interessieren. Sie interessieren sich nicht für eine bestimmte Form der Politik, beziehungsweise sie interessieren sich dafür weniger als Männer. Und deswegen kann man aus der Abwesenheit der Frauen aus der Parteipolitik nicht schließen, dass Frauen sich nicht für Politik interessieren würden oder unpolitisch seien. Und das ist der Punkt, an dem italienische Feministinnen einen Vorschlag machen: Sie schlagen vor, um das zu analysieren, zwischen Macht und Politik zu unterscheiden. Denn es ist tatsächlich so, dass wir uns angewöhnt haben, unter Politik Machtpolitik zu verstehen. Also die Frage, wie man in Positionen gelangt, wie man gewählt wird, die institutionelle Ämterpolitik eben. Die Italienerinnen schlagen hingegen vor, zu sagen, dass das nur ein Teilbereich der Politik ist. Politik ist in Wahrheit etwas viel Umfassenderes, nicht nur das Streben nach Machtpositionen. Sondern Politik ist der lebendige Austausch unter Menschen im Hinblick auf die gemeinsame Welt.
Der Vorschlag wäre also, es so zu definieren, dass Politik überall da vorhanden ist, wo sich Menschen darüber austauschen, welche Regeln in der Welt gelten sollen. Und zwar dann, wenn sie das nicht nur aus einer egoistischen Perspektive tun oder um ihre eigenen persönlichen Interessen zu vertreten, sondern um die gemeinsame Welt im Sinne aller zu gestalten. Diese Art von Politik findet natürlich nicht nur in Parteien statt, nicht nur in Parlamenten, sondern überall. Sie findet auch auf der Straße statt, in Nachbarschaften, am Küchentisch, eben überall da, wo Menschen zusammenkommen und trotz ihrer UnterschiedlichkeitRegeln finden müssen, wie sie es jetzt handhaben wollen oder woran sie sich orientieren möchten. Diese Politik ist das, was Frauen schätzen. Die Italienerinnen haben mit ihrer Unterscheidung zwischen Politik und Macht auch auf einen Irrtum der westlichen Denktradition hingewiesen, wonach Mensch per se ein politisches Wesen sei. Viele Politiktheorien gehen davon aus, dass Politik selbstverständlich zu einer menschlichen Gesellschaft dazu gehört. Die Italienerinnen sind anderer Meinung. Sie sagen, Politik gehört nicht zur „Ordnung der Notwendigkeit“, denn es sind auch Gesellschaften möglich, wo praktisch keine Politik stattfindet, sondern nur noch Macht herrschst. Der Nationalsozialismus war so eine Zeit. Es gibt ja auch Menschen, die sich nicht für Politik interessieren. Ich zum Beispiel bin ein sehr politisch interessierter Mensch, ich liebe es, darüber zu diskutieren, wie die Welt wohl am besten aussieht und welche Regeln man da bräuchte oder nicht bräuchte. Aber es gibt Freunde und Freundinnen von mir, die interessiert das überhaupt nicht. Die interessiert ihre Gartenarbeit, vielleicht Musik oder Kunst, aber sie sind nicht an dieser Art des politischen Austausches interessiert. Ich glaube, wir sollten uns dem Gedanken öffnen, dass die Politik, manchmal da ist und in anderen Situationen nicht da ist. Und die Frage, die wir uns stellen müssten, wäre dann: Wie finden wir das eigentlich? Sind wir Freundinnen der Politik, lieben wir also das gemeinsame Suchen nach guten Regeln für die ganze Welt? Oder interessiert uns das alles nicht? Oder ziehen wir uns auf die egoistische Interessensvertretung zurück? Und so, wie ich das filtere, merken Sie schon, dass politische Institutionen wie Parteien oder Parlamente keine Garantie dafür sind, dass Politik in dem genannten Sinne dort stattfindet. Im Gegenteil: Es kann auch sein, dass Parteien oder Parlamente zu Orten verkommen, wo Einzelne nur ihre Interessen durchsetzen möchte, und es nur noch um die Frage geht, wer die Macht hat, ums die eigenen Interessen gegen die Interessen der anderen durchzusetzen. Ich glaube, die Politikverdrossenheit, die Skepsis vieler Menschen gegen Parteien und Machtpolitik liegt auch daran, dass zumindest nach außen der Eindruck entsteht, es gehe überhaupt nicht mehr darum, gemeinsame Regeln für das wirklich gute Zusammenleben aller zu finden, sondern dass es so aussieht, als würden in den Parlamenten nur Machtspielchen gespielt, also ginge es dort nur um Proporz und um Interessen. Das stimmt nicht, aber es stimmt in manchen Situationen eben schon.
Dass dabei große Hoffnungen auch auf Frauen gesetzt werden, die finde ich ja sehr evident. Während es früher so war, dass Frauen geradezu darum bitten mussten, auch in die Politik zu dürfen, so ist es jetzt genau andersherum: Die olitik sucht händeringend nach Frauen. Und zwar nicht nur aus gleichstellungspolitischer Motivation heraus, sondern weil damit die Hoffnung verbunden ist, Frauen könnten die eingefahrenen Gleise der Politik verändern. Denken Sie nur zum Beispiel an den Erfolg von Angela Merkel, der ja nicht damit erklärt werden kann, dass die CDU, also ihre Partei, so ein hohes Ansehen hat,. Es ist also ein klarer Erfolg einer Person und ich behaupte, der hat etwas damit zu tun, dass sie eine Frau ist und dass sie auch einen anderen Stil von Politik verkörpert, im Vergleich etwa zum Stil ihres Vorgängers Gerhard Schröder. Oder denken Sie daran, wie viele Hoffnungen auf Katja Kipping als neuer Parteivorsitzende der Linken ruhen. Auch dort sagten viele, als sie anfing, es sei Zeit, dass die „alten Männer“ da von der Parteispitze weg kommen. Oder denken Sie daran, wie die Aussichten der SPD im Bundestagswahlkampf aussehen würden, wenn Hannelore Kraft Kanzlerkandidatin wäre. Es ist inzwischen sogar schon soweit, dass diese Hoffnungen der Parteien, Frauen könnten ihr schlechtes Ansehen wieder heben, tatsächlich als politischer Slogan dient. Bei den letzten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, die ja dann von zwei Frauen gewonnen wurden, nämlich Hannelore Kraft von der SPD und Sylvia Löhrmann von den Grünen, hatten die beiden Plakate geklebt, auf denen sie beide abgebildet waren und daneben stand der Slogan: „Wie schön, dass Frauen wieder den Haushalt machen!“ Das Frausein ist also heute nicht mehr ein Handikap, wie noch als Angela Merkel als Bundeskanzlerin, weshalb sie versucht hat, ihr Frausein weitgehend in den Hintergrund zu drücken und immer betonte, ihr Frausein spiele doch keine Rolle. Das hat sich umgedreht. Inzwischen ist Frausein ein Plus, das man herauskehren kann, und das die eigenen Chancen, gewählt zu werden, erhöht. Weil es ja auch nicht so viele Konkurrentinnen gibt, weil viele Frauen kein Interesse haben zu kandidieren..
Also was bedeutet es, „Frauenstimmen zu gewinnen“, wie das Thema des heutigen Abends heißt? Ich denke, dass wir inzwischen in einer Position sind, wo wir als Frauen diesen Schwung, diese Hoffnung, die in uns gesetzt werden, dahingehend ausnutzen können, zu überlegen, wie es denn anders sein müsste in der Parteipolitik, damit wir da gerne mitmachen wollen. Wir Fragen uns also nicht mehr, was wir an uns selber ändern müssen – mutiger werden, selbstbewusster usw. – um dort Fuß zu fassen. Sondern wir können die Frage umdrehen und fragen: Wie müssten sich denn die Parteien ändern, damit wir da gerne mitarbeiten wollen? Und ich glaube, wir sind gerade an einem historischen Moment in der Geschichte, wo diese Umkehrung stattfindet. „Frauenstimmen gewinnen“ heißt also nicht: Wie bringen wir Frauen dazu, uns zu wählen, so wie wir jetzt sind? Sondern: Was können wir gewinnen, indem wir Frauenstimmen hören? Indem wir hören, was Frauen uns sagen, was wir anders machen sollen?
Sie haben vermutlich die Diskussionen rund um den „Aufschrei“ mitbekommen, die Diskussionen über Alltagssexismus? Und von dem Porträt, das die Journalistin Laura Himmelreich über Rainer Brüderle geschrieben hat, und in dem sie auch beschrieb, wie er mit ihr als junger Frau umging? Darüber gab es eine große Diskussion: Darf man sowas schreiben? Gehört es in einen politischen Artikel hinein, wie ein Politiker mit jungen Frauen umgeht? Bisher wurden solche Dinge nicht in politischen Porträts erwähnt, das galt als Privatsache oder als unerheblich. Aber ich muss ehrlich sagen: Miich interessiert das schon! Wenn ich ein Politikerporträt lese, will ich sowas erfahren, und im Nachhinein finde ich es eigentlich skandalös, dass uns, der Öffentlichkeit, diese Art des Verhaltens von Rainer Brüderle bis dahin in der Berichterstattung vorenthalten wurde, denn das scheint ja kein einmaliger „Ausrutscher“ gwesen zu sein. Das ist für mich tatsächlich etwas, das ich wissen will, wenn ich mir überlege, ob ich einen Politiker wähle. Es kann ja sein, dass viele Männer diese Information unwichtig finden, aber wie sich jetzt herausgestellt hat, finden viele Frauen diese Information wichtig. Das ist also zum Beispiel so ein Punkt, wo wir neu darüber verhandeln müssen, was ist in der Politik wichtig und was nicht, was „uns“ interessiert und was nicht. Darüber, welche Informationen standardgemäß in ein Politikerporträt gehören und welche nicht. Und das Verhalten Frauen gegenüber ist ab sofort eine, die reingehört und das finde ich gut so!
Also: Wie nutzen wir die Hoffnung, die auf uns als Frauen gesetzt wird in Bezug auf die Politik? Bisher, und die Frauenbewegung hat eine lange Geschichte in ihrem Verhältnis zur Politik, hat die Frauenbewegung immer so ein bisschen geschwankt zwischen Assimilation und Abgrenzung. Es gab die eine Seite, die Gleichstellungspolitik gemacht hat, Frauen fördern wollte, Netzwerke bildete, um Frauen dazu zu bringen, für bestimmte Ämter zu kandidieren. Auf der anderen Seite gab es immer eine autonome Richtung der Frauenbewegung, die sehr skeptisch war gegenüber organisierter Machtpolitik, Parteien und Institutionen, und die sagte: Wir halten uns da lieber raus, da müssen wir unsere Ideale verraten, wenn wir uns in die Mühlen der Institutionalisierung hineinbegeben. Wir hatten also auf der einen Seite die Abgrenzung vom System, und auf der anderen Seite die Assimilation an das System. Das ist natürlich eine unbefriedigende Alternative. Deshalb der Vorschlag der Italienerinnen, zu sagen: Wir brechen aus dieser falschen Alternative aus, wir gehen hinein in das System aber ohne uns zu assimilieren. Wir suchen nach Wegen, wie wir innerhalb der bestehenden Institutionen einflussreich sein können, ohne uns anzupassen. Unddass die Politik momentan so große Hoffnungen auf die Frauen setzt, bedeutet, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, um so etwas zu initiieren. Sie wollen uns ja alle haben, also haben wir die Chance, dort hin zu gehen und zu versuchen, Sachen zu verändern.
Dazu ist es aber wichtig zu wissen, wie die Macht eigentlich funktioniert oder was Macht bedeutet. Politik, das habe ich ja vorhin schon definiert, ist überall da, wo Menschen in ihrer Verschiedenheit im Hinblick auf die Welt über gemeinsame Regeln verhandeln. Also, überall, wo diese Verhandlungen wirklich stattfinden, da ist Politik. Macht hingegen bedeutet, dass Regeln in feste Formen und Institutionen gegossen werden, das heißt, wer Macht hat, kann über andere entscheiden oder bestimmen, ohne sich mit deren Begehren auseinanderzusetzen. Wenn ich eine Machtposition habe, dann gibt mir die Institution oder mein Amt die Möglichkeit, bestimmte Entscheidungen zu treffen und im Notfall auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Das ist nicht nur schlecht, das ist manchmal auch einfach praktisch, es können ja nicht immer alle über jede kleine Entscheidung mitreden. Doch im Großen und Ganzen haben es Frauen oft nicht so mit dem Entscheidungen treffen über andere, ohne dass die Betroffenen mitreden können. VDas ist wohl einer der Gründe, warum Frauen immerskeptisch gegenüber dieser Macht gewesen sind, oder sich andererseits überangepasst haben, so als müssten sie als Frau erst beweisen, dass sie das auch können. Mal hart durchgreifen, zum Beispiel. Ich denke, das ist eine interessante Aufforderung an uns Frauen, selbst noch einmal den eigenen Umgang mit Macht zu reflektieren. Die Hoffnung ist: Wenn es uns gelingt, unseren Umgang mit der Macht zu reflektieren und gute Möglichkeiten zu finden, in Machtpositionen dennoch unsere eigenen Wünsche zu verfolgen, dann wird es uns auch gelingen, mehr Frauen dafür zu gewinnen, sich tatsächlich an diesen Ort zu begeben. Und das ist wichtig, damit diese Wiedervermännlichung der Welt gestoppt wird. Denn es ist ja nicht so, dass man sagen könnte: Ist doch egal, wenn die Männer sich mehr für Politik interessieren, sollen sie es doch machen, und wir machen stattdessen etwas anderes. Das ist keine gute Lösung, denn in diesen Machtpositionen werden ja auch wirkliche Entscheidungen getroffen, die große Auswirkungen auf sehr viele Menschen haben. Da kann man nicht einfach freiwillig drauf verzichten und sagen: Dafür bin ich nicht für zuständig, weil mir die Rahmenbedingungen nicht passen.
Sondern die Frage ist: Was mache ich angesichts der gegebenen Verhältnisse? Die Idee der Italienerinnen ist nun, dass es möglich ist, in diese Machtverhältnisse reinzugehen, auf sie einzuwirken, ohne dass man sich von der dahinter stehenden Dynamik auffressen lassen muss. Außerdem weisen sie darauf hin – und das finde ich auch sehr wertvoll – , dass es ohnehin nicht möglich ist, sich von der Macht fernzuhalten. Jede von uns hat Macht! Es ist nicht so, dass hier die netten kuschligen Frauenecken sind und da drüben die böse Parteipolitik mit der bösen Macht. Sondern die Macht durchflechtet unser ganzes Leben. Wenn ich Lehrerin bin, habe ich Macht über die Schülerinnen und Schüler. Wenn ich Redakteurin bin, habe ich Macht über die freien Autorinnen und Autoren. Fast jede von uns hat eine Position, in der sie aufgrund dieser Position Entscheidungen treffen kann, die andere betreffen. Deshalb ist es ein bisschen herausgemogelt, wenn Frauen versuchen, sich von der Macht fernzuhalten, weil das gar nicht geht. Oft führt das dann dazu, dass die Macht verschleiert wird, zum Beispiel wird so getan, als hätte man die Macht gar nicht. Nach dem Motto: Ich So, ich bin zwar die Chefin, aber wir sind doch eigentlich alle ein Team. Das stimmt aber nicht. Wenn die eine die Chefin ist, ist sie die Chefin und dann muss sozusagen die Gruppe überlegen, wie sie damit umgehen will, dass eine Entscheidungen treffen kann, die die anderen nicht treffen können. Ein bewusster Umgang mit Macht ist besser, als Machtstrukturen zu ignorieren. Aber um mit der Macht gut umgehen zu können, braucht man ein gewosses Handwerkszeug. Und genau das versucht das Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“: auf einer philosophischen Ebene ein bisschen Handwerkszeug zu geben. Einiges davon stelle ich Ihnen hier vor.
Wichtig ist, zu wissen: Macht korrumpiert nicht automatisch. Das ist ja auch so etwas, was in der Szene der Politikverdrossenen oft gesagt wird: Macht korrumpiert. Alle, die ein Amt haben, sind irgendwo korrumpiert. Aber stimmt das überhaupt? Korrumpiert denn Macht wirklich? Oder besser: korrumpiert sie automatisch, korrumpiert sie alle? Und auf welche Weise kann man das vielleicht verhindern? Kann ich verhindern, dass ich zum Beispiel korrumpiert werde, nur, weil ich ein Amt angestrebt habe? Die Italiener sagen: Nein, Macht korrumpiert nicht automatisch , aber es ist andersherum auch nicht möglich, Macht für einen guten Zweck zu instrumentalisieren. Das ist ja etwas, worauf Linken und Feministinnen gesetzt haben: Ein Amt, eine Machtposition anzustreben und dann, und wenn man in dieser Machtposition ist, sie auszunutzen, um die „richtige“ poltische Meinung durchzusetzen. Die Italienerinnen sagen hingegen: Das geht nicht. Denn in dem Moment nutzt man, auch wenn es für einen guten Zweck ist, die Macht aus, um die Unterlegenen gegen ihren Willen zu etwas zu zwingen, und damit ist die eigentliche Politik ausgehebelt. Man könnte natürlich nun fragen: Wozu brauche ich denn dann überhaupt die Macht, wenn ich sie nicht instrumentell einsetzen kann? Man kann aber tatsächlich vieles machen, wenn man in einer Machtposition ist. Ich kann sie zum Beispiel nutzen, um Räume zu öffnen, wo politische Verhandlungen stattfinden. Wenn ich zum Beispiel Bürgermeisterin in einer kleinen Stadt bin, wo diskutiert wird, ob die Stadt dort ein Begegnungszentrum für Schwule und Lesben bauen soll, und ein Großteil der Bevölkerung ist dagegen, ich bin aber dafür. Dann könnte ich einrseist sagen: Ich bin hier Bürgermeisterin, ein Kulturzentrum für Schwule und Lesben ist so eine tolle Sache, ich bin da moralisch auf der richtigen Seite, deshalb beschließe ich jetzt, dass das gebaut wird. Damit hätte ich meine Macht instrumentell eingesetzt, für einen guten Zweck zwar, aber instrumentell. Die andere Möglichkeit wäre zu sagen, ich bin Bürgermeisterin, ich finde dieses Anliegen gut und ich schaffe jetzt Räume, wo wir über dieses Thema diskutieren können. Ich könnte zum Beispiel runde Tische einrichten, wo alle Beteiligten darüber reden können. Ich könnte einen Raum, wo diejenigen, die etwas dagegen haben, sich auch äußern können, um zu verstehen, was ihr Problem ist. Ich könnte meine Ressourcen dafür einzusetzen, dass über dieses Thema eine wirkliche politische Auseinandersetzung in meiner Stadt stattfindet. Und natürlich kann ich das alles nur schaffen, wenn ich in einer Positionen bin, wo ich über Macht und Einfluss verfüge. Als einfache Bürgerin kann ich zwar auch etwas tun, aber ich kann als Einzelne nicht ein Thema auf die Agenda einer Stadt setzen. Das hat ja auch etwas mit Geld zu tun, oder anderen Ressourcen, Kontakte, Infrastruktur und so weiter. Die Ressourcen meiner Machtposition kann ich dafür einsetzen, den Raum des Politischen zu öffnen. Allerdings gehe ich damit natürlich das Risiko ein, nicht wiedergewählt zu werden, wenn ich mich außerhalb des Mainstreams bewege. Im Prinzip ist das so wie eine Wette: Ich gehe in ein Amt und wette, dass ich da etwas bewegen kann, um Politik wieder stattfinden zu lassen. Vielleicht gewinne ich diese Wette, und durch meine Initiative passiert tatsächlich eine Öffnung der Politik. Vielleicht verliere ich aber auch und versinke in den Machtspielchen, werde kaltgestellt, vielleicht sogar von meiner eigenen Parte, oder werde nicht wieder aufgestellt.
Die Distanz der Frauen zur Macht, von der ja soviel die Rede ist, sollten wir also umwandeln – nicht in eine Distanz zur Macht als solcher, sondern in eine Distanz zu den Mitteln der Macht. Wir halten uns nicht von den Orten der Macht fern, sondern wir gehen dort hin, aber wir benutzen nicht die Mittel der Macht.
Im Italienischen gibt es die schöne Unterscheidung zwischen „Relazione“ und „Rapporto“, beides heißt im Deutschen „Beziehung“. Relazione ist die wirkliche Beziehung, die ich zu einem anderen Menschen habe, also das, was wir miteinander zu tun haben. Rapporto ist das Verhältnis, in dem ich zum anderen stehe, auf eine Hierarchie- und Machtebene. Also Untergebene oder Angestellte, Bürgermeister und Wahlvolk. Das machtstrukturelle Verhältnis und das persönliche Verhältnis sind ja zweierlei. Die Idee wäre, dass ich auch an Orten, wo ich in einer Machtstruktur bin, wo ich also mit den Menschen, die ich treffe, in einem „Rapporto“ stehe, ihnen über- oder untergeordnet bin, oder in meiner Partei oder in der gegnerischen Partei, oder was auch immer diese Strukturen an Beziehungsverhältnissen festlegen, dass ich trotzdem die andere Person jederzeit nicht nur in diesem Verhältnis sehen muss, sondern sie auch als Gegenüber, als Mensch in der tatsächlichen Beziehung, der „Relazione“ sehen kann, die ich als Person zu ihr als Person habe. Die Italienerinnen haben ein schönes Bild für diese Art, sich in Machtstrukturen zu bewegen, ohne zu den Mitteln der Macht zu greifen. Sie vergleichen es mit einem Brettspiel, auf dem gleichzeitig Schach und Dame gespielt wird. Wir spielen zwei Spiele gleichzeitig, das Schachspiel, wo es um Macht und Funktionen geht, wer was ist, und das Damespiel, wo es um unsere Beziehungen geht. Und ich kann mich bei jedem Zug entscheiden, ob ich jetzt Dame oder Schach spielen will. Ich kann auch bei jedem Zug des Gegenübers entscheiden, ob ich ihn in der Logik des Dame- oder des Schachspiels interpretieren will. Und das ist sozusagen der Trick, um in Machtstrukturen tatsächlich die Liebe zur Politik bewahren zu können, und sich nicht auffressen zu lassen von den Macht-Mechanismen, die dort ablaufen. Wenn ich dort hingehe, weiß ich, dass dort die meisten Leute Schach spielen, aber ich spiele trotzdem Dame. Das ist natürlich nicht so einfach, denn wenn wir nicht aufpassen, zieht uns die Schwerkraft hin auf das Weniger der Macht. Wenn wir die Dinge laufen lassen und uns nicht darüber bewusst sind, ist es leicht, in diese Machtstrukturen hineinzukommen. Und deswegen bedarf es einer bewussten Anstrengung, um den Raum für die Politik offen zu halten, um sich sozusagen diesem Sog der Macht zu entziehen. Auf diese Weise können wir auch Frauen in Machtpositionen begleiten.
Müssen wir jetzt alle für diese Ämter kandidieren? Nein! Es ist doch so, dass manche gerne in Gremien arbeiten und andere nicht. Manche sprechen gern öffentlich und andere nicht, manche arbeiten sich gerne durch Akten und andere nicht, und so weiter. Es gibt keine besseren und keine schlechteren Orte, um Politik zu machen, und das Engagement in einer Bürgerinitiative oder Elternarbeit ist ganz genauso wichtig, wie das im Landtag oder im Bundestag. Die Frage ist: An welchem Ort möchte ich Politik machen, und vor allen Dingen, wie mache ich an dem Ort, an dem ich bin, Politik? Wir müssen gar nicht erst an andere Orte gehen, sondern wir können lernen, dort wo wir sind, Politik zu machen. Damit verabschieden wir uns auch von diesem Streit zwischen Frauen, die verschiedene Laufbahnen wählen, denn wir können uns gegenseitig da unterstützen, wo wir jeweils sind. Und in diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, diejenigen Frauen zu unterstützen, die mit dem Wunsch, Politik zu machen, ein politisches Amt übernehmen. Ich selbst bin zum Beispiel ganz ungeeignet für politische Ämter, aber ich applaudiere jeder Frau, die so etwas macht, weil ich mich darüber freue, und ich versuche auch, sie zu unterstützen. Eine der wichtigsten Arten, Frauen in Positionen zu unterstützen, ist, ihnen ein kritisches wohlwollendes Gegenüber zu sein. Sie also tatsächlich als Menschen wahrzunehmen und nicht in dieser „Rapporthaltung“ ihnen gegenüber zu gehen. Womit wir aufhören sollten, ist, von Frauen in Positionen zu erwarten, dass sie uns repräsentieren und unsere Meinung durchsetzen. Frauen gehen in politische Funktionen, damit sie dort ihre Meinung vertreten. Es ist nicht so, dass eine Frau, nur deshalb, weil sie ein Amt hat, im Namen aller Frauen sprechen muss. Frauen haben unterschiedliche Wünsche und Ansichten. Das Wichtigste ist, dass jede Frau dort, wo sie ist, tatsächlich für ihre Überzeugung eintritt und sich nicht anpasst an Parteiräson oder das Diktum „Das war ja schon immer so.“
Müssen wir jetzt also die Demokratie retten? Müssen wir die Parteien retten vor dem Untergang? Ich glaube nicht. Die Hoffnung ist da, das habe ich ja am Anfang gesagt, dass diese Politikverdrossenheit dadurch abgemildert wird, dass Frauen sozusagen frischen Wind reinbringen. Dazu habe ich überhaupt keine Lust, ich bin nicht die Beauftragte zur Rettung der Parteiendemokratie, und es ist nicht unsere Aufgabe, die Institutionen zu retten. Vielleicht können wir sie ja auch beim Absterben begleiten… die Zukunft ist offen! Wenn sich die Politik ändert, wird am Ende etwas Anderes herauskommen. Es wird nicht die Parteiendemokratie sein, wie wir sie sozusagen von den Männern geerbt haben. Wie wir das Politische in Zukunft organisieren, das müssen wir erst noch herausfinden. Wichtig ist aber, dass wir die Strukturen, die sich historisch herausgebildet haben, auch nicht bekämpfen müssen. Es geht uns nicht darum, Parteien zu retten, sondern es geht uns darum, die Politik zu retten. Und um die Politik zu retten, ist uns sozusagen jeder Weg recht. Und wenn die Parteien in der Lage sind, wieder zu Orten zu werden, wo wirklich Politik stattfindet und nicht nur Macht ausgeübt wird – dann Applaus! Wenn sie dazu aber nicht in der Lage sind, dann werden wir uns andere Formen ausdenken müssen. Wichtig ist, dass wir die Politik retten!
Die Italienerinnen sagen, wir brauchen eine größere weibliche Souveränität, eine symbolische Unabhängigkeit von diesen historischen Institutionen der Demokratie, die wir geerbt haben. Es sind ja Männerinstitutionen, sie sind erfunden worden von Männern unter dem expliziten Ausschluss der Frauen, und das bedeutet, dass wir sind ihnen erst mal zu nichts verpflichtet sind. Es ist ja nett, dass wir jetzt mitmachen dürfen, aber wir müssen uns selbst überlegen, ob wir da überhaupt mitmachen wollen und unter welchen Bedingungen. Und dazu braucht man eine gewisse Souveränität. Ich bin nicht verpflichtet, einer historisch-männlichen Form gegenüber loyal zu sein, aber ich kann mit ihr in einen interessierten, offenen und auch wohlwollenden Austausch gehen.
Ich stammele da auch noch ein bisschen rum, weil ich glaube, dass wir tatsächlich an einem Wendepunkt sind, und ich möchte hier keine abgeschlossene These vertreten, sondern ich möchte den Raum öffnen, damit wir in Zukunft über dieses Themenfeld nachdenken und Erfahrungen austauschen. Aber eine konkrete Idee habe ich schon, nämlich die, dass wir uns bei allem, was mit Institutionen zu tun hat, von dem Begriff der Gleichstellung verabschieden sollten. Ich würde ihn nicht mehr verwenden. Es geht nämlich gerade nicht darum, Frauen gleichzustellen, sondern vielleicht können wir stattdessen den Begriff der „Differenzvermittlung“ einführen. Wir brauchen Leute und Fähigkeiten und Begriffe, wie wir in eine Institution, die sich für das Normale und das Nonplusultra hält, hinein vermitteln können, dass es auch noch andere Sichtweisen gibt, dass man Dinge auch ändern kann, und dass vielleicht nicht alles so bleiben muss, wie es schon immer war. Differenzvermittlung statt Gleichstellung! Das könnte ein Label für feministisches Engagement innerhalb der Institutionen in den nächsten zehn Jahren sein – das wäre mein Vorschlag. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.