Hannah Arendt und der Feminismus
Siehe auch: »Ich will verstehen« – Hannah Arendt
Wenn einmal eine Fee zu mir kommen würde und ich bei ihr einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir wünschen, mich einmal einen Abend lang mit Hannah Arendt über die »Frauenfrage« unterhalten zu dürfen. Denn dieser Umstand, dass Hannah Arendts Texte mich in so vielerlei Hinsicht faszinieren, dass ich von ihnen schon so viel gelernt habe und dass sie mir immer wieder Denkanstöße geben, passt für mich, die ich eine Feministin bin, nicht gut mit der Tatsache zusammen, dass Hannah Arendt keine war.
Mehr noch, aus den wenigen Äußerungen, die es von ihr überhaupt zu dem Thema gibt, lässt sich sogar schließen, dass sie eine Gegnerin der Frauenemanzipation war. Wobei, mit letzterem könnte ich noch leben, finde ich doch auch so manches am Emanzipationsgedanken falsch. Aber Hannah Arendt kritisiert nicht nur bestimmte feministische Inhalte. Es scheint vielmehr so zu sein, als habe die Geschlechterdifferenz für sie überhaupt keine politische Bedeutung. Während für mich ein zentrales Anliegen meines philosophischen und politischen Denkens ist, eine freie Bedeutung des Frauseins, also meiner selbst, zu finden.
Irrt sie sich oder irre ich mich? Oder gibt es eine Perspektive, die über beides hinausführt? Ich habe darauf keine befriedigenden Antworten. Aber ich will versuchen, ein wenig um dieses Thema herum zu kreisen.
Hannah Arendt ist eine von ganz wenigen Frauen, die vor der Frauenbewegung gelebt haben und die doch im männlichen Kanon der politischen Philosophie, ja, der Wissenschaft überhaupt, ihren Platz als eine bedeutende Persönlichkeit gefunden haben. Sie gilt selbst in der männerzentrierten Wissenschaft als ihren männlichen Kollegen völlig ebenbürtig, sie musste nicht erst rückwirkend von der feministischen Geschichtsschreibung »entdeckt« werden, wie so viele andere Frauen, sondern gehört schon immer ganz selbstverständlich dazu.
Ihre Gegnerinnenschaft zur Frauenemanzipation war dabei für diese männliche Anerkennung durchaus von Bedeutung und wird jedenfalls gerne süffisant den Feministinnen vorgehalten. So schreibt zum Beispiel Joachim Fest: »Ich habe sehr oft bei ihr zu Hause gegessen. Ich erinnere mich: Sie hat Spiegeleier gebraten und gesagt: »Das bisschen Haushalt kann doch jeder!« Sie konnte den ganzen Feminismus nicht verstehen, der damals darüber erhebliche Aufregung machte. Sie war ein Mensch im wirklichsten, wahrsten und vollsten Sinne, den dieser Begriff haben kann. Das hat mich immer ungeheuer beeindruckt.«1
War ihre Distanzierung vom Feminismus also der Preis, den sie dafür bezahlt hat, um eine »Mensch im wirklichsten, wahrsten und vollsten Sinne« zu sein? Weil sie eben sich nicht mit diesem Kleinkram namens »Frauenfrage« beschäftigt hat, sondern mit den großen und wichtigen Dingen des Lebens? Viele Verehrer des »Menschen Hannah Arendt« sehen das ganz sicher so.
Ein 2. Punkt: In dieser Schilderung wird auch deutlich, dass Hannah Arendt ihr Frausein nicht verleugnet hat. Sie brät Spiegeleier, übernimmt also ganz selbstverständlich die weibliche Rolle der Hausfrau, wie sie glaubt (obwohl Spiegeleierbraten ja nun auch nicht gerade eine wirkliche Kunst ist. Interessant ist dabei die Auskunft ihrer Freundin Mary McCarthy, die in einem Nachruf in der Zeit schreibt, Arendt habe zwar immer geglaubt, eine gute Köchin zu sein, das habe aber nicht gestimmt).
Dafür gibt es noch mehrere Beispiele, auch aus ihrem Eheleben, etwa dass sie ihrem Mann die Pantoffeln holt. Sie lässt sogar zu, dass ihr Ehemann Heinrich Blücher in einem Brief an sie schreibt: Ich habe Dich so unabhängig und frei, wie ich Dich als Mensch mag, und ich habe Dich so abhängig, wie ich Dich als Weib will.«2
Doch obwohl sie heiratete, eine gute Ehefrau abgab und hausfrauliche Pflichten gewissermaßen »mit links« erledigte (oder zumindest selbst davon überzeugt war), ist Hannah Arendt für mich ein Vorbild, und zwar, weil sie trotzdem ein unabhängiger Geist war, weil sie sich nicht auf die Logik des heterosexuellen »Paares« reduzieren ließ. Wie ungewöhnlich das für die westliche Kulturgeschichte ist zeigt sich darin, dass immer wieder versucht wird, auch Arendt zum Teil eines Paares zu machen. Weil ihre lebenslange Liebesbeziehung und Ehe mit Heinrich Blücher dies aber gar nicht hergab, stürzten sich Biografen und Interpreten auf die kurze Affäre, die sie als junge, gerade 18-jährige Studentin in Marburg mit ihrem Professor Martin Heidegger hatte, mit großem Brimborium wird hier allerlei hinein interpretiert.
Hannah Arendt war aber ein unabhängiger Geist, und ihre anfängliche Skepsis, sich auf eine Liebesbeziehung mit Blücher einzulassen, ist ein Zeichen dafür, dass sie diese Unabhängigkeit bewusst gewählt und reflektiert hat.Damals, im Sommer 1936 – da ist sie dreißig Jahre alt – ist sie kurz davor, die soeben begonnene Liebesffäre zu beenden und schreibt an Blücher: »Hätte ich Dich vor 10 Jahren getroffen – Aber inzwischen bin ich leider gezwungen worden, bis zu einen gewissen Grade aufzuhören, eine Frau zu sein«3Dies ist ein Reflex darauf, dass Ehefrau sein damals eben bedeutete, sich mit dem eigenen Streben und Wollen auf den Mann auszurichten. Etwas, wozu Hannah Arendt nicht bereit war.
Sie heiratete Blücher schließlich aber doch und blieb das ganze Leben mit ihm zusammen. Es war ein eine sehr intensive und enge Bindung, und sie hatte auch noch eine Reihe andere enge und vertraute männliche Freunde, deren Gespräch und Gegenwart sie schätzte und auch brauchte. Aber diese Männer waren nicht, wie es die traditionelle Frauenrolle vor dem Feminismus eigentlich vorsah, der Ort, auf den sich ihr Begehren, ihre Leidenschaften ausrichteten. Oder, wie es einer ihrer Studienfreunde einmal formulierte (und was Ingeborg Gleichauf in ihrer Arendt-Biografie netterweise zitiert): Hannah Arendt hatte zwar ein großes und reiches weibliches Gefühlssensorium, aber die völlige Hingabe an das männliche Du konnte ihr nicht gelingen.«4
Es gelang ihr also,»den Raum des Anderen« freizuhalten – dies eine Formulierung von Lusia Muraro, die darauf hinweist, dass sich das Begehren der Frauen auf die Welt richten muss, nicht auf den Mann, und dass es eine der größten Sünden der Menschheitsgeschichte ist, dass sich die Männer den Frauen gegenüber an diese Stelle gesetzt haben und dass die Frauen dies zuließen. Hannah Arendt ließ es nicht zu. Ihr Streben, Denken und Handeln richtete sich auf die Welt, und sie fand einen Weg, wie sie das tun konnte und dennoch nicht auf eine persönliche und befriedigende Liebesbeziehung verzichten musste.
Dieses Kunststück, Beziehungen mit Männern zu haben und dennoch das eigene Begehren auf die Welt ausgerichtet zu halten, macht Hannah Arendt für mich zu einem großartigen Vorbild, dessen »feministischer« Wert, wenn man so will, um vieles höher einzuschätzen ist, als wenn sie sich geweigert hätte, ihrem Mann Spiegeleier zu braten – womit ich nicht sagen will, dass solche häuslichen Verhandlungen unbedeutend seien, aber auf das Häusliche und das Private komme ich später noch einmal zurück.
Welchen Weg nun findet Hannah Arendt, um diesem weiblichen Dilemma zu entgehen? Man könnte natürlich hier äußerliche Faktoren anführen: Nach ihrer gemeinsamen Emigration in die USA war zunächst sie es, die für den Lebensunterhalt sorgte, die sich schnell in die neue Gesellschaft integrierte, während Blücher sich im Ausland anfangs schwer zurecht fand. Aber es gibt viele Frauen, die Geld verdienen und die dennoch in der Logik des heterosexuellen Paares stecken bleiben.
Ich glaube, dass es Hannah Arendt gelungen ist, diesen Widerspruch denkerisch zu lösen.Und dieser Weg ist für mich als Feministin sehr bedeutsam, denn er besteht darin, das Wesen des Menschen nicht in der Natur und in der äußeren Bedingtheit zu verankern, sondern im Handeln der Person. In der Vita activa schreibt sie: »Im Gegensatz zur Bedingtheit des Menschen, über die wir, wenn auch noch so unzureichende Aussagen machen können, scheint das Problem des Wesens des Menschen unlösbar. … Die Formen menschlicher Erkenntnis sind anwendbar auf alles, was »natürliche« Eigenschaften hat, und somit auch auf uns selbst, insofern die Menschen Exemplare der höchst entwickelten Gattung organischen Lebens sind; aber diese gleichen Erkenntnisformen versagen, sobald wir nicht mehr fragen: Was sind wir, sondern: Wer sind wir. Die Bedingungen menschlicher Existenz – das Leben selbst und die Erde, Natalität und Mortalität, Weltlichkeit und Pluralität – können niemals »den Menschen« erklären oder Antwort auf die Frage geben, was und wer wir sind, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil keine von ihnen absolut bedingt.«5
Diese Erkenntnis, dass das Menschsein – und damit auch das Frausein – kein »Wesen« hat, nichts nur »Natürliches« ist, sondern dass sich die Frage, was eine Frau ist, daran knüpft, wer sie ist, beschreibt in gewisser Weise die Quintessenz des Feminismus, so wie ich ihn verstehe, die Entdeckung nämlich, dass Frauen frei sind, nicht festgelegt und fremdbestimmt durch ihr Geschlecht.
Die Frage: Wer bin ich – nicht was bin ich – bietet mir, der Feministin, zum Beispiel die Grundlage dafür, denkerisch aus dem ewigen Streit darum auszubrechen, ob das Frausein nun auf die weibliche Sozialisation oder aber auf die weiblichen Gene oder die Evolution zurückzuführen ist, also die alte Gegenüberstellung von Dekonstruktivismus und Biologismus. Beides, unsere Natur und unsere Sozialisation, gehört zur Bedingtheit des Menschen und damit der Frau. Aber worauf es ankommt ist, was wir als politisch Handelnde aus dieser Bedingtheit machen.
Hannah Arendt hat nie verleugnet, dass sie eine Frau ist. Noch in ihrer letzten Rede, nimmt sie Bezug auf die drei Bedingtheiten, von der sie ausging: Sie ist Jüdin, sie ist Deutsche, sie ist Frau. Oder wie sie es im Gaus-Interview formulierte: »Zu einer Gruppe zu gehören, ist erst einmal eine natürliche Angelegenheit. Sie gehören immer u irgendeiner Gruppe durch Geburt.« Aber für sie war klar, dass diese Ausgangspunkte sie nicht inhaltlich festlegen.
Dass es Hannah Arendt auf die Frage ankam, wer wir sind – nicht was wir sind – erklärt auch, warum sie sich zeitlebens jeder Interessenspolitik verweigert hat, die ja per Definition auf das »was« fokussiert. Warum sie nicht bereit war, im Reich der Politik Unterscheidungen nach Rasse, Geschlecht, Klasse und dergleichen als relevant zuzulassen. Sie war nicht nur keine Feministin, sie lehnte auch zum Beispiel die Einführung von »Black Studies« an den Universitäten ab. Auch mit keinem anderen »ismus« hat sie sich jemals identifiziert oder auch nur sympathisiert, außer, eine kurze Zeitlang, mit dem Zionismus. Aber eine »istin« zu sein, egal welche, war mit ihrer Vorstellung des freien Denkens schlichtweg unvereinbar. Weil jeder »ismus« ihrer Ansicht nach ein in sich kohärentes inhaltliches Denkgebäude umfasst, also seine Anhänger und Anhängerinnen auf bestimmte Positionen festlegt, was mit der Freiheit des Denkens, Handelns und Sprechens sich nun mal nicht verträgt.
Ich kann das übrigens sehr gut nachvollziehen, denn aus genau diesem Grund habe ich selbst mich auch eine ganze Zeitlang nicht als Feministin bezeichnet. Heute tue ich es wieder, und zwar weil ich zu der Auffassung gekommen bin, dass der Inhalt des Feminismus gerade darin besteht, keine festgelegten Inhalte zu haben, sondern eine Politik des Sprechens in erster Person zu bezeichnen – etwas, wozu der Feminismus, oder zumindest Teile von ihm, gerade auch in Anlehnung an das Denken von Hannah Arendt gekommen ist.
Hannah Arendt hat sich also immer geweigert, »als Frau« zu sprechen, und zwar zu Recht. Denn das würde ja bedeuten, dass mein Frausein etwas quasi nebensächliches ist, das ich manchmal hervorholen kann (wenn ich »als Frau« spreche), manchmal aber auch verstecken kann (wenn ich »als Mensch« spreche). Hannah Arendt hat sich auch dagegen verwahrt, als eine »außergewöhnliche« Frau bezeichnet zu werden, und zwar zu recht – das hört sich nämlich immer in bisschen so an, wie gar keine Frau.
Die Tatsachen, die beobachteten Fakten und das eigene, durch Nachdenken gefundene Urteil waren ihr immer wichtiger, als die Solidarität mit »Ihresgleichen«. So scheute sie sich nicht, auch das Verhalten von Juden im Nationalsozialismus zu kritisieren, etwa dass sie in Form von »Judenräten« an der Deportationsabwicklung mitgeholfen haben. Nach ihrem kontroversen Eichmann-Buch hat man ihr Unsolidarität mit dem Judentum vorgeworfen, ähnlich wie manche Feministinnen auch denjenigen, die das Verhalten von Frauen kritisieren, Unsolidarität vorzuwerfen. Aber so wie sie das in ihrem Fall im Bezug auf Juden von sich weist, weise ich es auch im Bezug auf den Feminismus von mir (und ähnlich lautende Beschuldigen habe ich tatsächlich auch schon gehört). Hier geht es eben, wie Arendt sagen würde, um den Preis der Freiheit. Die »Weltlosigkeit«, die ihrer Ansicht nach das jüdische Volk auszeichnet bzw. bis zur Gründung des Staates Israel ausgezeichnet hat, galt vor der Emanzipation auch für die Frauen.
Aber Arendt hat sich nicht nur nicht als Feministin bezeichnet, das Frausein war generell nichts, womit sie sich inhaltlich und denkerisch auseinander gesetzt hat, und das ist durchaus verblüffend. Immerhin war eine ihrer engsten Freundinnen, die Schriftstellerin Mary McCarthy, sich in ihren Roman häufig dezidiert mit der Rolle von Frauen und mit »feministischen« Themen, wie etwa Ehe, Geschlechterverhältnis, Sexualität, Religion usw. kritisch auseinander gesetzt hat. Ihr Leben lang unterhielt Arendt enge freundschaftliche und politische Beziehungen mit Frauen, die leider in den Biografien immer etwas zu kurz kommen. Nicht nur zu Mary Mc Carthy, mit der ein lebhafter Briefwechsel bestand, sondern auch zu Hilde Fränke, die zeitweise eine sehr enge Freundin und Gesprächspartnerin war.6Eine wichtige lebenslange Freundin war auch Anne Mendelssohn, von der sich Hannah Arendt anregen ließ, ihre Habilitation über Rahel Varnhagen zu schreiben.
Arendts Varnhagen-Biografie, die in den späten dreißiger Jahren fertig gestellt wurde, lässt vor allem Varnhagen selbst zu Wort kommen in zahlreichen Zitaten. Die Umstände, die das Leben einer Frau an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert beeinträchtigen, bleiben zwar nicht unerwähnt, wichtiger jedoch ist Hannah Arendt Varnhagens Verhältnis zum Jüdischsein – aus nahe liegendem Anlass. An ihrem Beispiel entwickelt sie die Gegenüberstellung von Parvenu und Paria, die Gegenüberstellung von Anpassung und Ausgestoßen sein.
Es gehört nicht viel dazu, dieses Dilemma nicht nur im Hinblick auf Juden in Deutschland zu interpretieren, sondern auch im Hinblick auf Frauen in einer männlich dominierten Welt. Indem es eine Frau ist, die es im Werk Hannah Arendts repräsentiert, legt sich diese Parallele sogar nahe, auch wenn Hannah Arendt sie meines Wissens niemals explizit gezogen hat. Vielleicht, weil ich der Gedanke an eine weibliche Genealogie eben schlicht nicht kam, sie hat ja auch – wie in dem Gaus-Interview deutlich wird, als sie ihm nicht widerspricht, als er sagt, Philosophieren sei eine männliche Tätigkeit – offenbar nicht realisiert oder auch schlicht nicht gewusst, dass es eben durchaus Philosophinnen gegeben hat, dass das Philosophieren eben auch faktisch nicht eine männliche Tätigkeit war.
Sie hat sich zwar geweigert »als Frau« zu sprechen, sehr wohl hingegen hat sie »als Jüdin« gesprochen. Interessant ist dafür die Begründung: Und zwar war sie der Meinung: »Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen, nicht als Deutscher oder als Bürger der Welt oder der Menschenrechte oder so«7, weshalb sie auch für die Aufstellung einer jüdischen Armee gegen Hitler war, denn Judenausrotter kann man ihrer Ansicht nach »nicht als Engländer oder Franzose bekämpfen.«
Sind aber nicht auch die Frauen »als Frauen« angegriffen worden? Und wäre das nicht eine Begründung des Feminismus im Sinne von Hannah Arendt? Nicht wegen dem »Wesen« des Frauseins, sondern wegen dem Weltbezug? In ihrer Unterscheidung von »Parias« und »Parvenus« kann ich durchaus auch die Situation von Frauen in einer männlichen Kultur entdecken: Sie können entweder Parias sein, also Ausgestoßene, die ihre eigenen Kulturen und Rituale pflegen, aber eben darum auch nicht im Zentrum der Gesellschaft stehen. Oder sie können »Parvenus« sein, sich an die Regeln der Männerwelt anpassen und auf diese Weise aufsteigen und eine gewisse Akzeptanz finden.
Wenn Arendt in Bezug auf Varnhagen von deren Trugschluss schreibt, »einem kollektiven »Schicksal« ließe sich individuell »entfliehen« und es sei möglich, der Situation, in der eine sich befindet, zu entgehen, in dem sie schlicht geleugnet wird«8, stellt sich natürlich die Frage, ob sie nicht selbst im Bezug auf ihr Frausein genau diesem Trugschluss aufgesessen ist? Wobei ihr privilegiertes Elternhaus, dessen intellektueller Hintergrund und die Tatsache, dass Arendt eben nicht in einer Atmosphäre bieder-bürgerlicher Spießigkeit (samt dazugehörigem Frauenbild) aufgewachsen ist, natürlich eine Rolle spielen mag.
Oder gibt es auch noch eine andere Erklärung? Ich glaube, ein entscheidender Faktor liegt darin, dass Arendt in ihrem Frausein – auch aus den erwähnten Gründen – kein Unglück sah. Immer wieder bezieht sie sich im Gegenteil positiv auf ihr Frausein und zwar, je älter sie wird umso mehr.
Das Frausein war für Arendt kein Unglück, sondern irgendwie auch eine andere Kategorie, nämlich etwas viel selbstverständlicheres, möglicherweise auch nicht gesellschaftlich konstruiertes. So zog Arendt ihr Frausein explizit als Vergleich heran, um zu erklären, warum es ihr nicht möglich war, ihr Jüdischsein zu verleugnen: »Tatsache ist, dass ich nicht nur niemals so getan habe, als sei ich etwas anderes, als ich bin, ich habe niemals auch nur die Versuchung dazu verspürt. Es wäre mir vorgekommen, wie zu sagen, das ich ein Mann sei und nicht eine Frau, also verrückt.«9Offensichtlich ging Arendt davon aus, dass sich das Frausein – anders als das Jüdischsein – nicht verstecken oder verleugnen lässt, und vielleicht ist auch wirklich die Geschichte der Emanzipation notwendig gewesen, damit wir uns darüber klar werden, dass Weiblichkeit ebenso sozial konstruiert (und damit »versteckbar«) ist, wie Jüdischsein.
Ein wichtiger Unterschied ist aber der, dass »Frauen« nicht einfach nur eine unterdrückte, aber sonst mehr oder weniger gleiche Bevölkerungsgruppe darstellen, sondern in patriarchalen System das Andere repräsentieren. Die modernen Industriegesellschaften basierten auf der dualen Zweiteilung der Welt, die die Zweiteilung in männlich und weiblich inklusive entsprechender Arbeitsverteilung beinhaltet. Die Gleichstellung der Frauen bedeutet daher – anders als die Gleichstellung der Juden – eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, auch der Welten, in denen Männer leben, oder aber es entsteht Chaos, weil die ehedem von ihnen repräsentierten Bereich wegfallen, wie wir es derzeit bei der Pflege, der Erziehung, dem sozialen, privaten Raum beobachten.
Mit all diese Problemen hat sich Hannah Arendt nicht beschäftigt, und das erstaunt mich in der Tat. Dass sie keine Feministin im Sinne von Frauenrechtlerin war, dafür sehe ich viele gute Gründe. Aber warum sie glaubte, die Geschlechterdifferenz sei so völlig bedeutungslos, ist mir schleierhaft. Eine offensichtliche Erklärung ist natürlich, dass sich durch den Holocaust einfach anderes in den Vordergrund geschoben hat. Es ist natürlich wirklich nicht zu vergleichen, was in diesen Jahren den Juden durch den Antisemitismus widerfahren ist, und was den Frauen durch den Sexismus widerfahren ist. Beides spielt auf sehr unterschiedlichen Ebenen, und der Unterschied liegt nicht nur im Ausmaß der Gewalt, sondern auch in den Möglichkeiten, sich als Person dagegen zur Wehr zu setzen.
Vielleicht fiel ihr aber auch nur nichts ein, womit sie der Geschlechterdifferenz eine Bedeutung geben konnte ohne in die Fallen der Repräsentanz und eines unfreiheitlichen weiblichen »Wir« zu geraten.
Der Hauptpunkt dabei scheint mir jedoch wiederum weniger in den äußeren Umständen zu liegen, als in Arendts politischem Denken selbst. Denn dieses ist von einer scharfen logischen Trennung zwischen der privaten und der politischen Sphäre gekennzeichnet. Und die Frage der »Lebensnotwendigkeiten«, der sozialen Umstände, der Sorge für das Alltägliche gehören für sie nicht in den Bereich des Politischen, sondern in das Private. Eingeschlossen eben alles, was mit den Unterschieden der Geschlechter zu tun hat.
Wie begründet sie das? Ihre Argumentation in dieser Angelegenheit ist sehr originell. Keineswegs reproduziert sie die herkömmliche, gar die bürgerliche Trennung in öffentliche (den Männern vorbehaltene) und private, den Frauen zugeschriebene Sphären. Sie kritisiert im Gegenteil dezidiert die bürgerliche Gesellschaft des 18./19. Jahrhunderts – also diejenige, die die strikte Geschlechtertrennung eingeführt hat – ebenso wie die späteren Feministinnen, nur mit völlig anderen Argumenten.
Was Arendt interessiert ist nicht so sehr der Unterschied zwischen »öffentlich« und »privat«, sondern der zwischen Politik und Gesellschaft, und ihre Absicht ist es, das Politische gegenüber dem Gesellschaftlichen zu verteidigen. Unter Rückbezug auf die griechische Antike beschreibt sie deren Ideal der »Polis« als einen Raum, der nach völlig anderen Kriterien funktionierte, als die heutige Politik. Und zwar ist nach Arendt der Unterschied der, dass es heute als Aufgabe der Politik angesehen wird, die Gesellschaft zu organisieren – also all das, was in den Bereich des Lebensnotwendigen fällt, das Produzieren von Lebensmitteln, die Organisation von Bildung und Erziehung, Wirtschaft im weitesten Sinne eben. Diese Ökonomie – also der Haushalt – galt jedoch in der Antike gerade nicht als Gegenstand der Politik, sondern spielte sich völlig im privaten Bereich ab, war eine Aufgabe von Frauen, Ausländern sowie Sklavinnen und Sklaven. In diesem Bereich des Gesellschaftlichen herrschten Zwang und Gewalt, Ungleichheit, Befehle und Hierarchien.
Ganz anders im Bereich der Politik: Hier war das Prinzip, dass Gleiche zusammenkamen, um einander mit Argumenten zu überzeugen, nachzudenken, miteinander zu sprechen. Diese Art der Politik, glaubt Arendt, können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Der Mensch gilt heute nicht mehr, wie bei den Griechen, vor allem als »politisches« Wesen, sondern als »soziales« Wesen. Das heißt, das spezifisch Menschliche wird nur noch darin gesehen, dass Menschen aufeinander angewiesen sind, wenn sie arbeitsteilig ihre Lebensnotwendigkeiten organisieren, und Politik wird als der Ort verstanden, wo das geregelt wird.
Demgegenüber besteht Arendt darauf, dass der Mensch ein politisches Wesen ist, also eines, das gerade nicht in der Masse aufgeht, das anderen Menschen nicht in einem Hierarchieverhältnis begegnet, sondern als Gleicher und Unterschiedener, als denkende, also sprechende und handelnde Wesen, die sich in ihrer Einzigartigkeit in die Welt einschalten und einbringen. In der Politik geht es nach Arendt gerade nicht darum, spezifische Interessen miteinander in einen Ausgleich zu bringen – so wie in der Lobby- oder Parteipolitik. Sondern darum, gemeinsam die Welt zu gestalten, wobei das Kriterium das Denken, das Überzeugen und Argumentieren ist und alle, die daran beteiligt sind, sich sozusagen frei von ihren persönlichen Interessen und Lebensnotwendigen auf das allgemeine Wohl konzentrieren. Diese Qualität des gemeinsamen Denkens und Sprechens, des gemeinsamen Weltgestaltens in der griechischen Polis möchte Arendt retten – auch wenn sie natürlich weiß und das an verschiedenen Stellen auch ausdrücklich sagt, dass der Preis, nämlich die Versklavung der nicht Freien und die Unterdrückung von Frauen, viel zu hoch war.
Allerdings bleibt auch bei Arendt die Frage unbeantwortet, wie es gelingen kann, dem Prinzip des Politischen, also des Diskurses unter Gleichen, der nicht von Sachzwängen und Interessen geleitet ist, sondern die gemeinsame Weltgestaltung betrifft, wieder Geltung zu verschaffen ohne dass wie bei den alten Griechen die Sorge für das Lebensnotwendige wieder Sklaven und Frauen aufgebürdet wird oder sonst anderen.
Vielleicht könnte folgender Gedanke einen Ausweg zeigen: Zu recht trifft Hannah Arendt eine Unterscheidung zwischen Politischem und Sozialem. Aber sie vermischt dabei die Art und Weise, in der Politik betrieben wird, und die Inhalte, über die politisch verhandelt wird. Die Frauenbewegung hat Dinge, die eigentlich in den Bereich des Sozialen fallen – Geschlechterverhältnisse, Aufteilung der Hausarbeit usw. – zum politischen Gegenstand erklärt. Hannah Arendt hat recht, dass diese Auseinandersetzungen nicht in der Art und Weise von Interessenskämpfen und Lobbyarbeit zu führen sind. Aber das muss auch nicht so sein. Sondern wir können eben politisch darüber verhandeln, im vollen Sinne dessen, was Hannah Arendt darunter versteht. Mehr noch, das müssen wir sogar, denn wir leben eben nicht mehr im alten Athen, wo diese häuslich-sozialen Angelegenheiten der Sphäre des Politischen entzogen sind. Die Wirtschaft bedient sich ja schon lange politischer Instrumente, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Es ist illusorisch, so zu tun, als wäre eine Rückkehr zu vor-kapitalistischen Zeiten möglich, in denen sich die Politik aus der Sphäre der Ökonomie herausgehalten hat. Die Herausforderung liegt nun darin, trotzdem Wege und Mittel zu finden, das Wesen der Politik zu erhalten, auch wenn die Inhalte politischer Auseinandersetzungen eben heute zwangläufig sozialer Natur sind.
Im Denken von Arendt selbst sind dazu ja bereits Ansatzpunkte gegeben: Das ist vor allem das Denken der Gebürtigkeit.Aus der Tatsache der Gebürtigkeit heraus begründet Arendt die Einmaligkeit des Menschen, also die Voraussetzung dafür, dass der Mensch ein wer ist und nicht ein was . Aus dieser Bezogenheit, die sich konkret ja eben nicht in der so genannten Sphäre der Politik abspielt, sondern in ihrem Gegenteil, in der Familie, dem Bereich also der Sorge für das Lebensnotwendige, aus genau dieser sozialen Bezogenheit heraus erwächst der Bereich des Politischen. Ist das nicht eher eine Verbindung als eine Trennung?
Gebürtigkeit begründet für Arendt die Tatsache, dass Menschen politische Wesen sind. Politik resultiert aus der Tatsache, dass Menschen in Form von Generationen miteinander leben, handeln und sprechen: ihre Verschiedenheit und Einzigartigkeit äußern; sagen, was ist; zu Urteilen kommen; und dass aus ihrer Verschiedenheit etwas Neues entsteht. Durch Sprechen die Beziehungen von Verschiedenen zu gestalten und die menschliche Verschiedenheit als Ausgangspunkt dafür zu nehmen, Formen für das Zusammenleben der Menschen zu entwickeln, für diese spezielle Tätigkeit prägt Arendt einen eigenen Begriff: das Handeln. Oder, um ein berühmtes Zitat aus der Vita activa zu nehmen: »Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.«10
Aus dieser Tatsache des Geborenseins nun leitet Hannah Arendt die Pluralität des Menschen ab, also dass jede und jeder einzigartig, ein neuer Anfang, unvorhergesehen ist. Die italienischen Philosophinnen nun sprechen statt von Pluralität von Differenz. Damit ist deutlich, dass die Pluralität nicht einfach nur eine Vielfalt ist, die sich sozusagen dennoch dann im Modus der Gleichheit begegnet, sondern eben echte Differenz.
Hannah Arendt weist also mit ihrer Einführung des Gebürtigkeit als philosophisch-politische Kategorie darauf hin, dass Geborenwerden nicht einfach mit »Natur« gleichzusetzen ist. Es ist im Gegenteil Weltlichkeit. Geborenwerden heißt, in das Bezugsgewebe der Menschen einzutreten und dort als jemand, der einzigartig ist, den es noch nie gab und den es auch nie wieder geben wird, neue Anfänge zu setzen. Oder, um in Arendts eigenen Worten zu sprechen: ”Das Geborenwerden und das Sterben von Menschen sind nicht einfach natürliche Vorgänge, sondern können nur in Bezug auf die Welt verstanden werden, in die Einzelne (…) hineingeboren werden und aus der heraus sie sterben. Geburt und Tod setzen die Welt voraus, nämlich als etwas, das nicht in stetiger Bewegung ist, etwas, dessen Dauerhaftigkeit und relative Beständigkeit Ankunft und Aufbruch ermöglichen, das also jeweils schon da war und nach jedem jeweiligen Verschwinden fortbesteht.”11
Die Politik, die aus der Aktivierung des Geborenseins als Sprechen und Handeln entspringt, kann primäre Politik genannt werden, Politik in erster Person. Das Sprechen der Menschen miteinander folgt dabei unausweichlich der Struktur des genealogischen Austauschs. Als solches ist es die Bedingung von Denken, Erkenntnis und Richtigkeit: »Die einzige Garantie für die Richtigkeit unseres Denkens liegt darin, dass wir gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, denken.«12
Die Verschiedenheit und das Sich-Unterscheiden-Wollen sind dabei die grundlegenden anthropologischen Eigenschaften, die vor Totalitarismus schützen. Arendt hält fest, dass man Menschen das Denken und Sprechen verbieten müsse, wolle man Akte der Freiheit verhindern oder gar Gleichschaltung herbeiführen.13
Diese Akte der Freiheit aber sind mit jeder Art der Repräsentationspolitik nicht zu vereinbaren. An dieser Stelle macht Arendt dann auch keinen Unterschied mehr zwischen Frauen und Juden. Während »Feminismus« für sie nicht in Frage kommt, weil die Verhandlungen zwischen den Geschlechtern für sie in den Bereich des Sozialen und damit Privaten und Unpolitischen gehören, kam »Zionismus« durchaus in Betracht, weil der Antisemitismus durch die Nazis seines sozialen Charakters entledigt worden und in den Bereich des Politischen erhoben wurde. Das ist interessant, weil es sich andeutet, dass auch für Arendt selbst Übergänge von »Themenkomplexen« von der sozialen in die politische Sphäre also denkbar waren.
Explizit verändert hat sie ihre Position im Hinblick auf die Rassenfrage. In den sechziger Jahren schrieb sie einen Kommentar zu einem neuen Gesetz, das die Rassentrennung in amerikanischen Schulen aufhob. Hannah Arendt fand dieses Gesetz falsch, getreu ihrer Auffassung, dass Kindererziehung – ebenso wie die Verhandlungen zwischen den Geschlechtern – in die soziale und private Sphäre gehört und damit die Frage, ob Kinder nach Hautfarbe getrennt oder gemeinsam unterrichtet werden, nichts sei, was die Politik etwas anginge. In Gesprächen mit schwarzen Bürgerrechtlern ist sie aber dazu gekommen, diese Ansicht zu revidieren, also das Phänomen des Rassismus – ebenso wie das des staatlichen Antisemitismus – als Gegenstand der Politik zu akzeptieren. Wenn der Feminismus später auch die Geschlechterdifferenz in den Standpunkt einer politischen Frage erhoben hat, befindet sich das durchaus auf einer Linie, die in Arendts Denken selbst zumindest als Möglichkeit angelegt ist.
Was aber so und so bleibt, ist die Notwendigkeit, beides logisch zu unterscheiden, also in der Art und Weise, wie ich mich politisch zu Wort melde, ungeachtet des Themas, um das es dabei geht. Argumentiere ich in der Logik der Interessenspolitik? Oder spreche ich in erster Person im Hinblick auf gutes Leben für alle?
In jedem Fall – egal ob es um Juden oder um Schwarze oder um Frauen geht – verwahrte sich Arendt strikt gegen jede Repräsentationslogik. Es ist ihrer Ansicht nach nicht möglich, dass Frauen für andere Frauen sprechen und auch nicht, dass Schwarze für andere Schwarze sprechen oder dass Juden für andere Juden sprechen. Pluralität als anthropologischer Ausgangspunkt heißt: Menschen sind verschieden und sie wollen sich auch aktiv voneinander unterscheiden. Politik hat die Aufgabe, in Anbetracht der menschlichen Verschiedenheit und des Sich-Unterscheiden-Wollens Formen zu finden, die dazu verhelfen, das Gemeinsame für das Zusammenleben auszuhandeln.
Dies hat Feministinnen dazu gebracht, die Geschlechterdifferenz als grundlegenden Ausdruck der Pluralität zu verstehen. Auch dafür gibt es ja bei Arendt selbst einzelne Hinwese, wenn sie etwa in dem Gaus-Interview sagt, es sehe nicht gut aus, wenn eine Frau Befehle erteilt und sie, Arendt, sei der Meinung, eine Frau sollte nicht versuchen, in so eine Position zu kommen, »wenn ihr daran gelegen ist, weibliche Qualitäten zu behalten.« Leider fragt Gaus an dieser Stelle nicht nach, was Arendt mit »weiblichen Qualitäten« meint bzw. darunter versteht. Ebenso wie an der Stelle des Interviews, wo er sie fragt, ob sie beim Schreiben ihrer Bücher auf deren Wirkung bedacht sei und sei erwidert, das sei eine männliche Frage, die Männer seien immer so auf Wirkung bedacht. Auch hier fragt Gaus nicht nach.
Die jüdische Theologin Eveline Goodman-Thau weist darauf hin, dass in der hebräischen Schöpfungsgeschichte die Entstehung der Pluralität mit der Entstehung der sexuellen Differenz zusammenfällt. Als die Frau, Eva, geschaffen wird, endet die Existenz des geschlechtslosen Menschenwesens Adam. Adam wird zum Mann, sobald ihm eine Frau gegenüber gestellt wird, der Mensch ist nicht eins, sondern viele.
Und dies ist glaube ich, der entscheidende Punkt, um den sich die Frage nach dem Verhältnis von Hannah Arendt zum Feminismus (und andersherum) rankt: Ist wirklich Gleichheit die Voraussetzung despolitischen Diskurses, wie Arendt im Anschluss an die Griechen meint? Arendt selbst zeigt ja an vielen Stellen, dass Souveränität und Autonomie nicht die Voraussetzungen der Freiheit sind, sondern im Gegenteil, dass sich Freiheit gerade nur innerhalb des Bezugsgewebes der menschlichen Angelegenheiten findet, die also das aufeinander Angewiesensein ausmachen. Wenn aber Freiheit und damit Politik nicht Souveränität bedeutet, dann heißt das, dass ich diejenigen, die miteinander politische Diskurse führen, nicht als Gleiche denken muss. Ich kann sie auch als Ungleiche denken, nicht nur einfach als Verschiedene. Und wenn ich das kann, dann kann ich sie auch als Männer und Frauen denken, ohne das Geschlecht zu einer biologischen oder soziologischen Kategorie zu machen.
Abhängigkeit – sowohl von anderen Menschen als auch von den Lebensnotwendigkeiten – bedeutet nicht, dass ich kein freier, selbstständig denkender und politisch handelnder Mensch bin. Und weil es das nicht bedeutet, muss ich diese Abhängigkeit und all ihre sozialen Begleitumstände (wie zum Beispiel das Frausein) nicht außen vor lassen, wenn ich mich als politisches Wesen betrachte. Ich muss also nicht so tun, als wäre ich im politischen Gespräch eine »Gleiche«. Deshalb kann ich auch gut Feministin sein. Mit und gegen Hannah Arendt gleichzeitig. Es ist wirklich schade, dass wir sie jetzt nicht fragen können, was sie von dieser Idee hält.
Vortrag bei der Tagung »Denken heißt einfach lebendig sein« zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt vom 13.-15. Oktober 2007 im Frauenstudien- und -bildungszentrum der EKD in Gelnhausen.
Vgl. auch:Moral ohne Hülle. Nach dem Zusammenbruch aller Tugenden und Normen: Hannah Arendts Vorlesungen »Über das Böse«in: Frankfurter Rundschau, 17.10.2006.
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Fest, Joachim: Interview mit dem Goethe-Institut, http://www.goethe.de/ges/phi/thm/har/de1224327.htm, 10.3.2006. ↩
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Arendt, Hannah/Blücher, Heinrich: Briefe 1936-1968, hrsg. v. Lotte Köhler, München 1996, zit. nach Genth, Renate: Frauenpolitik und politisches Handeln von Frauen, Peter Lang, Frankfuft 2001, S. 32. ↩
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Neumann, Bernd: Hannah Arendt und Heinrich Blücher, Berlin 1998, S. 31. ↩
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Gleichauf, Ingeborg: Hannah Arendt, S. 27. ↩
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Arendt: Vita activa, S. 20f. ↩
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Neumann, Bernd: a.a.O. 130. ↩
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zit nach Gleichauf, Arendt, 39. ↩
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Conradi: Anderssein, S. 33. ↩
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Hannah Arendt: Nach Auschwitz, Berlin: TIAMAT 1989, S. 72, zit. nach: Schues, Christina: Leben als Geborene – Handeln in Beziehung. Feministische Ethik im Anschluss an Arendts Gedanken der Natalität. In: Lisa Conradi und Sabine Plonz (Hg): Tätiges Leben, S. 67. ↩
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Arendt, Vita activa, 215. ↩
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Arendt, Vita activa, 90. ↩
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Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, 53, vgl. Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft, 201-226. ↩
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Arendt,Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus, München 1984. ↩