Feminismus und Gleichstellungsarbeit
Vortrag zum 25. Jubiläum der Gleichstellungsstelle in Dresden, 16.9.2015
Gleichstellung hat inzwischen eine lange Geschichte – ein Vierteljahrhundert hier in Dresden. Jubiläen sind ein guter Anlass, innezuhalten und zu reflektieren, was man eigentlich macht. Und warum. Ich möchte ihnen – als freischaffende feministische Publizistin „von außen“ – einige Impulse geben, die die Gleichstellungsarbeit in einen größeren Kontext einordnen.
Der Gedanke der Gleichstellung von Frauen und Männern als politisch erwünschtes Ziel, für das der Staat Sorge zu tragen hat, ist aus der Erfahrung heraus entstanden, dass eine formale, bloß rechtliche Gleichstellung nicht genügt. Simone de Beauvoir hat in ihrem Essay „Das andere Geschlecht“ gezeigt, dass die Abwertung und Nachrangigkeit des weiblichen Geschlechts die europäische Kultur grundlegend durchzieht und sich tief in Denkmuster, Gewohnheiten und Normen eingeschrieben hat.
Beauvoirs Buch erschien 1949, also kurz nachdem in Frankreich das Wahlrecht für Frauen eingeführt worden war. Damals waren viele der Ansicht, dass jetzt, wo die Frauen wählen dürfen, die Frauenfrage erledigt ist, dass Feminismus nicht mehr nötig sei: Denn wenn Frauen etwas nicht passt, könnten sie ihren Willen ja einfach bei Wahlen zum Ausdruck bringen.
Aber so einfach war es natürlich nicht. Trotz allgemeinem Wahlrecht blieben geschlechtsbezogene Rollenmuster bestehen. Deshalb folgte dieser „ersten Welle“ der Frauenbewegung, die das Wahlrecht erkämpft hatte, in den 1970er Jahren die so genannte „zweite Welle“. In vielen Teilen der Welt brachten Frauen nun Themen auf die politische Tagesordnung, die das Zusammenleben im Alltag, die Kultur betrafen und die deshalb nicht einfach im Rahmen von „Gleichberechtigung“, also der Möglichkeit politischer Mitbestimmung, gelöst werden können. Weil ihre Wurzeln viel tiefer reichen.
Zu diesen Themen gehörte zum Beispiel sexualisierte Gewalt, die weniger von Fremden in dunklen Parks verübt wird als vielmehr im eigenen Schlafzimmer. Es ging um psychologische Strukturen, um Machtverhältnisse in Beziehungen und Familien, um die subtile Benachteiligung von Frauen durch überkommene Gewohnheiten und Rollenmuster. Ein weiteres großes Thema war die unbezahlte Haus- und Fürsorgearbeit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach Berufen, die schlechtere Bezahlung von Frauen. Außerdem forderte die Frauenbewegung die reproduktive Selbstbestimmung, also Zugang zu Abtreibung, Pille und so weiter, sie übte Kritik an der traditionellen Ehe, machte lesbische Beziehungen unter Frauen sichtbar, rüttelte an männlicher Dominanz auch innerhalb von so genannten „linken“ gemischten Bewegungen. Es entstand die Praxis des „Separatismus“, also dass sich Frauen untereinander trafen, um ohne Männer zu diskutieren, und es bildete sich ein weibliches Selbstbewusstsein heraus, das sich nicht länger an Maßstäben orientierte, die die Männer schon vorgegeben hatten. Dazu gehörte auch die Kritik an männerzentrierten Perspektiven in Wissenschaft, Forschung, Bildung, Politik.
Die Gleichstellungspolitik, deren Jubiläum wir heute feiern, war eine der Maßnahmen, die aus dieser Zweiten Welle der Frauenbewegung hervorgegangen ist. Dahinter stand die Idee, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur formal bekundet, sondern eben auch politisch institutionalisiert und quasi „Top Down“ implementiert werden muss. Denn nur so kann aus dem Lippenbekenntnis zur Gleichberechtigung auch tatsächliche, reale Veränderung im Alltag werden.
Dafür wurden Verfahren entwickelt wie das „Gender Mainstreaming“ oder das „Gender Budgeting“, also formalisierte Methoden, die dabei helfen sollen, aus der theoretischen Gleichberechtigung auch tatsächliche Gleichstellung zu machen. Der Höhepunkt – und in gewisser Weise vielleicht auch der Abschluss – dieser Entwicklung war die Weltfrauenkonferenz der UNO 1995 in Beijing, wo zahlreiche Staaten sich zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet haben.
Die Gleichstellungspolitik war zwar eine direkte Folge der Frauenbewegung, es wäre allerdings ein Missverständnis, zu glauben, dass sie ihr zentrales Anliegen gewesen wäre. Dieses Missverständnis ist weit verbreitet, es gibt sogar so genannte „Maskulinisten“, also antifeministische Männerrechtler, die die institutionelle Gleichstellungspolitik für eine Art feministische Weltverschwörung halten.
In Wirklichkeit sehen aber viele Feministinnen damals wie heute die staatliche Gleichstellungspolitik mindestens ambivalent oder sogar gradeheraus kritisch. Die italienische Feministin Luisa Muraro fasste das einmal so zusammen, indem sie sagte: „Wir Feministinnen wollten die Welt verändern, aber dann kamen die Linken, die Parteien und die EU und haben uns die Gleichstellung angeboten.“ Das Angebot lautete, etwas verkürzt gesagt: Liebe Frauen, gebt eure radikale Gesellschaftskritik auf, dafür lassen wir euch in unserem System mitspielen.
Gleichstellungspolitik, Gender Mainstreaming, Quotenregelungen und so weiter sind nicht direkt feministische Maßnahmen, sondern vielmehr Maßnahmen, mit denen der Staat und gesellschaftliche Institutionen auf die Frauenbewegung und den Feminismus reagiert haben. In gewisser Weise haben sie dabei tatsächlich feministische Forderungen aufgegriffen und umgesetzt, zum Beispiel die nach mehr Partizipation von Frauen und mehr Bewusstsein in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Aber auf andere Weise haben sie gleichzeitig auch den Feminismus eingehegt und radikaleren Ansätzen den Wind aus den Segeln genommen. Wenn es heute darum geht, aus feministischer Perspektive eine Bilanz zu ziehen über die bisherige Gleichstellungsarbeit, dann ist es wichtig, diese Ambivalenz im Auge zu behalten.
Zum Beispiel wird manchmal von uns Frauen erwartet, dass wir dankbar sind, in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben, wo es Frauen in anderen Ländern doch noch so viel schlechter geht. Wenn wir radikale gesellschaftspolitische Ideen äußern, die den Rahmen des unmittelbar Einsichtigen sprengen, wird uns entgegen gehalten, wir sollten es mit dem Feminismus nun aber nicht übertreiben. Aus solchen Argumenten wird deutlich, dass Gleichberechtigung offenbar nicht als etwas Selbstverständliches gilt, das sich aus europäischen Werten und Traditionen logischerweise ergibt. Manche scheinen das eher für eine Art Geschenk der europäischen Männer an „ihre“ Frauen zu halten, ein Geschenk, das sie ihnen ganz nach Belieben auch wieder entziehen können, wenn sie zu unverschämt werden.
Nein, niemand hat den europäischen Frauen ein Geschenk gemacht, es ist genau andersherum: Die Frauenbewegung hat Europa ein Geschenk gemacht, indem sie darauf bestanden hat, dass Werte wie Freiheit und Gleichheit nicht länger patriarchal diskreditiert werden. Eine Firma, eine Behörde oder eine Organisation, die quotierte Führungsgremien einführt, die evaluiert, ob sie geschlechtergerechte Löhne bezahlt oder Möglichkeiten für eine bessere Vereinbarkeit von Hausarbeit und Berufsarbeit schafft, die tut nicht den Frauen etwas Gutes, sondern sie tut sich selbst etwas Gutes. Jedenfalls wenn sie tatsächlich den Anspruch hat, für eine andere Kultur zu stehen als, sagen wir, Saudi Arabien.
Aber nicht nur ideell, auch materiell zahlt sich die Gleichstellung von Frauen oft aus. Parteien zum Beispiel haben inzwischen kaum noch Chancen, Wahlen zu gewinnen, wenn sie sich als reine Männerriege präsentieren. Das männliche Politikgehabe hat sich inzwischen so diskreditiert, dass sogar in einem geschlechterpolitisch so konservativen Land wie Polen die Parteien reihenweise Frauen aufstellen. Dass mehr „Diversity“ in Firmen dem Umsatz zumindest nicht schadet, dürfte inzwischen ebenfalls klar sein – Firmen, die systematisch mittelmäßige Männer befördern, nur weil sie Männer sind, haben auf einem globalisierten Markt schlechte Chancen.
Allerdings gefällt mir das Argument, dass Gleichstellung doch nützlich ist, nicht wirklich gut. Es wird ja oft angeführt, um Unternehmen oder Parteien oder Organisationen mehr Gleichstellung und Diversity zu „verkaufen“ und schmackhaft zu machen. Mehr Gleichstellung, so wird dann gesagt, fördert den Umsatz oder kommt ja auch den Männern zugute. Das mag stimmen oder auch nicht, aber ich möchte daran erinnern, dass das kein feministisches Argument ist. Denn: Als Feministin würde ich auch dann auf einer gleichberechtigten Position in dieser Gesellschaft bestehen, wenn das den Gewinn von Unternehmen schmälern und Männern etwas wegnehmen würde. Die Freiheit der Frauen ist, feministisch gesehen, kein Faktor in einer Kosten-Nutzen-Rechnung. Sie hat für sich allein genommen einen Wert.
Damit möchte ich noch einmal zurückkommen auf die Einwände, die Feministinnen von Anfang an gegen die Logik der Gleichstellung vorbrachten. Denn es sind gleichzeitig die Aspekte, an denen entlang meiner Meinung nach heute, im Rahmen einer Bilanz, in die Zukunft gedacht werden könnte.
Das erste Problem ist, dass die Idee der Gleichstellung die Norm des Männlichen unhinterfragt lässt. Gleichstellung bedeutete ja faktisch immer die Gleichstellung der Frauen mit den Männern. Die Männer bilden den Maßstab. Aber was, wenn Frauen gar nicht so werden wollen wie Männer? Oder wenn das, was Männer machen oder was ihnen zugeschrieben wird, gar nicht das Beste für die Allgemeinheit ist?
Nur ein Beispiel: Im Zusammenhang mit dem Gender Pay Gap wird ja immer gesagt, dass Frauen soundso viel Prozent weniger verdienen als Männer. Warum sagen wir eigentlich nicht, dass Männer mehr verdienen als Frauen? Gerade in den hoch bezahlten Einkommensklassen wäre das doch viel angemessener. Mein persönlicher Tipp, wie man den Frauenanteil in Aufsichtsräten ganz einfach erhöhen könnte, wäre es, für Aufsichtsratsmandate nur noch halb so viel Geld zu bezahlen. Dann verlören viele Männer ganz von selbst das Interesse daran.
Die Idee der Gleichstellung sieht in Frauen letztlich defizitäre Wesen. Ganz zu Anfang hieß es ja sogar noch „Frauenförderung“. Was für ein gräßliches Wort. Das klingt ja so, als müsste die Politik den armen minderbemittelten Frauen helfen. Viele Frauen sehen sich und andere aber nicht in der Rolle von Schwächlingen, die „gefördert“ werden müssen, um endlich auch so toll zu werden wie Männer (ich überspitze jetzt ein bisschen).
Ein weiterer Einwand ist die Befürchtung, dass mit solchen Maßnahmen Frauen einfach nur in die bestehenden Verhältnisse integriert werden sollen, ohne dass sich aber an den Verhältnissen selber tatsächlich etwas ändert. Was nützt es denn, fünfzig Prozent Frauen in Aufsichtsräten zu haben, wenn die Wirtschaftspolitik ansonsten genauso so ungerecht bleibt, wie sie ist? Was nützt es, wenn Frauen die Hälfte aller gut bezahlten und Männer die Hälfte aller schlecht bezahlten Jobs haben, und die Schere zwischen Arm und Reich geht trotzdem immer weiter auf? Gar nichts.
Eine Frauenquote von fünfzig Prozent kann keine Probleme lösen. Wenn überhaupt, ist sie vielleicht ein erster Schritt. Weil die pure, durch eine Quote erzwungene gleichmäßigere Geschlechterverteilung möglicherweise dazu führt, dass andere Ideen, Perspektiven und Maßstäbe entwickelt werden. Im Feminismus geht es nicht darum, Frauen zu Pöstchen zu verhelfen, sondern darum, der Welt zu einer besseren Politik zu verhelfen, oder zumindest zu einer, die den Wünschen und Vorstellungen von Frauen besser entspricht.
Und genau das ist das Kriterium, wonach wir Gleichstellungspolitik beurteilen sollten: Führt denn die größere Anwesenheit von Frauen an Orten, wo politische und wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden, tatsächlich auch zu anderen Inhalten? Machen die Frauen dort etwas anders als die Männer, können sie ihre eigenen Wünsche und Ideen einbringen? Oder passen sie sich einfach an die vorgegebenen Regeln und Strukturen an, wird das vielleicht sogar explizit von ihnen erwartet? Das wäre dann nicht der Sinn der Sache gewesen.
Ich persönlich glaube, dass man sich dazu den jeweiligen Einzelfall anschauen muss, dass es keine pauschalen Antworten gibt. Ich habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten Kontakt mit zahlreichen Kommunen und Gleichstellungsstellen in ganz Deutschland gehabt und dabei festgestellt, dass es sehr auf die jeweiligen Personen und Konstellationen ankommt. Es gibt Gleichstellungsarbeit, die viel bewegt und anstößt, und es gibt Gleichstellungsarbeit, die eigentlich nur als Dekoration für den Bürgermeister dient.
An dieser Stelle möchte ich besonders den Männern unter Ihnen etwas sagen. Ich habe oft den Eindruck, dass Männer dann, wenn es ihnen gelungen ist, ein, zwei Frauen in ihre Gremien und Kreise zu bringen, glauben, sie hätten ihre gleichstellungsmäßige Pflicht sozusagen erfüllt wäre. In Wirklichkeit fängt die Aufgabe der Männer, also von Ihnen, aber in genau dem Moment überhaupt erst an: Denn dann, wenn Frauen in Gremien und Behörden vertreten sind, geht es darum, auch zuzuhören, was diese Frauen zu sagen und einzubringen haben. Und zwar sollten Sie ihnen gerade auch dann zuhören, wenn das, was sie sagen oder tun, Ihnen auf den ersten Blick unverständlich oder unsinnig erscheint. Wenn Sie von Frauen erwarten, dass sie sich an Sie und Ihre Spielregeln anpassen – dann war die ganze Anstrengung der Gleichstellung für die Katz.
Genau hier zeigt sich auch das Scharnier zu dem, was meiner Ansicht nach in Zukunft wichtiger wird, und was vielleicht schon als neue feministische „Welle“ sichtbar ist. Die Gleichstellungsarbeit war eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass das Wahlrecht für Frauen nicht genügte, um 4000 Jahre patriarchale Geschichte aufzulösen. Und inzwischen wissen wir, dass auch eine formalisierte, institutionelle Gleichstellungsarbeit nicht ausreicht, sondern dass wir darüber hinaus auch einen Wandel im Alltag brauchen, im Denken der Einzelnen, in den vermeintlichen Nebensächlichkeiten, in den konkreten Beziehungen. Wir brauchen ein echtes Interesse an dem, was Frauen tun und sagen, nicht nur eine gleichgültige Akzeptanz ihrer Anwesenheit.
Ein Ereignis, bei dem dieser Paradigmenwechsel deutlich wurde, war die Debatte unter dem Stichwort „Aufschrei“, die vor eineinhalb Jahren bei Twitter begann. Dort haben Frauen ihre Erfahrungen mit sexuellen Belästigungen im Alltag öffentlich gemacht und damit eine bundesweite Debatte angestoßen. Es ging dabei nicht mehr um so Offensichtliches wie Prügel oder Vergewaltigungen, sondern es ging um die vielen kleinen Belästigungen im Alltag, von dummen Witzen bis zu anzüglichen Bemerkungen. Also um Dinge, die sich weit unterhalb jeder strafrechtlich relevanten Schwelle bewegen, und denen sich daher auch nicht mit Verordnungen oder offiziellen Beschwerden oder Klagen beikommen lässt.
Viele Männer, so war mein Eindruck, haben diese Verschiebung nicht verstanden. Sie interpretierten die Diskussion automatisch in der Logik von Gesetzen und Normen, zum Beispiel, wenn sie fragten: Was ist denn jetzt noch erlaubt? Wo genau soll denn die Grenze gezogen werden zwischen akzeptablem und inakzeptablem Verhalten? Es geht aber genau nicht um Verordnungen und Definitionen, um exakte Grenzziehungen, sondern darum, eine Kultur der wirklich aneinander interessierten Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu erreichen. Also gerade um den Bereich, der sich Gesetzen und Verordnungen entzieht.
In dieser Weise sind in den vergangenen Jahren von Feministinnen unzählige Themenfelder in die Diskussion gebracht worden. Sie alle haben gemeinsam, dass sie nicht so sehr die „krassen“ Fälle von Diskriminierung in den Fokus nehmen, sondern das unterschwellige, oft als normal geltende, doch nur witzig Gemeinte, das viele Frauen aber trotzdem nicht mehr einfach so hinnehmen wollen.
Die ganze geschlechterstereotype Werbung zum Beispiel, die nach Frauen und Männern oder Jungen und Mädchen unterschiedlich vermarkteten Produkte, die schon kleine Kinder auf ihre Geschlechtsrolle trimmen. Ein anderes Thema ist die grauenvolle Diskussionskultur, die nicht nur im Internet, sondern zum Beispiel auch in Fernsehtalkshows oft anzutreffen ist. Ein bestimmter Tonfall von Besserwissereien und Beleidigungen verhindert offene Debatten und schließt bestimmte Menschen aus dem Diskurs aus. Natürlich kann man einen bestimmten Diskussionsstil nicht per Gesetz vorschreiben. Aber es ist dennoch wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Geradezu ein feministischer Evergreen sind die Debatten um die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern. Die Gleichstellungspolitik hat erreicht, dass handfeste Diskriminierung bei Lohnzahlungen heute selten geworden ist. Aber immer noch gibt es subtile Gründe, die unterm Strich dazu führen, dass Frauen weniger Geld bekommen als Männer: Von der unterschiedlichen Bezahlung verschiedener Berufe über die Art, wie Gehaltsverhandlungen ablaufen, bis hin zu grundsätzlichen Fragen der Arbeitskultur. Es geht heute auch weniger um die Frage, wie man Frauen in bestimmte Arbeitsfelder hineinbekommt, sondern darum, was sich ändern muss, damit sie dort auch bleiben. Denn es zeigt sich, dass Frauen dort viel häufiger und schneller wieder aussteigen als Männer. Welche „Incentives“ wären denn geeignet, um Frauen in Führungspositionen zu behalten? Kleiner Tipp: ein fetter Dienstwagen ist es eher nicht.
Ein weiteres ganz wichtiges Thema ist schließlich der große Komplex der so genannten „Care-Arbeit“. Dabei geht es längst nicht mehr nur darum, Haus- und Familienarbeit gleichmäßiger unter Frauen und Männern aufzuteilen. Sondern es muss das ganze ökonomische Modell hinterfragt werden, das die Erwerbsarbeit für die „eigentliche“ Arbeit hält und die Care-Arbeit für bloße „Reproduktion“. Pflege, Erziehung, Haushalt und so weiter gehören ins Zentrum ökonomischer Theorien, sie sind kein „Randgebiet“ – und zwar ganz unabhängig davon, ob diese Arbeiten von Frauen oder von Männern, bezahlt oder unbezahlt geleistet werden. Unter dem Motto „Care-Revolution“ hat sich dazu vor eineinhalb Jahren ein politisches Netzwerk gebildet, das das Thema auf unterschiedliche Weise auf die politische Agenda bringt.
Aus diesem kurzen Überblick dürfte klar geworden sein, dass es sehr unterschiedliche Inhalte und Themen sind, mit denen sich Feministinnen heute beschäftigen. Aber es gibt doch etwas Verbindendes, das sie von klassischen Gleichstellungsthemen unterscheidet: Es geht nicht bloß um eindeutig diskriminierende Sachverhalte, die man mit Hilfe von Verordnungen, Gesetzen und dergleichen verhindern kann. Sondern es geht um den Alltag, um die so genannten Kleinigkeiten und vermeintlichen Nebensächlichkeiten, die aber unterm Strich große Wirkung entfalten.
Das bedeutet auch, dass Männer heute in einem viel größeren Ausmaß gemeint, betroffen, beteiligt sind als noch in der „zweiten Welle“ der Frauenbewegung. Viele Männer verstehen sich heute selbst als Feministen und engagieren sich aktiv für einen kulturellen Wandel. Sie diskutieren mit, beteiligen sich an Initiativen und so weiter. In der Regel sind feministische Veranstaltungen heute explizit auch für Männer offen, denn eine Veränderung der Alltagskultur kann ja gar nicht allein von Frauen geleistet werden. Überhaupt sind Geschlechteridentitäten vielfältiger geworden, es gibt unterschiedliche Formen von Männlichkeit und von Weiblichkeit und auch Menschen, die sich außerhalb dieser beiden Möglichkeiten positionieren. Viele Männer merken, dass die traditionellen Geschlechterklischees auch sie betreffen, dass auch ihre Handlungsspielräume dadurch eingeschränkt sind, dass das klassische Bild von „Männlichkeit“ dringend einer Überarbeitung bedarf. Und natürlich gibt es auch viele Männer, deren Gerechtigkeitsempfinden so ausgeprägt ist, dass sie die implizite Ungerechtigkeit der bestehenden Strukturen nicht hinnehmen möchten.
Auf der anderen Seite ist aber gleichzeitig auch der Gegenwind gegen feministische Anliegen sehr heftig. Es gibt nicht nur eine organisierte, antifeministische Männerbewegung. Es gibt vor allem in den etablierten Medien zahlreiche einflussreiche Journalisten, die polemisch gegen den neuen Feminismus anschreiben, oft mit dem Duktus: Wir haben ja nicht generell was gegen Gleichstellung, das ist ja alles schön und gut, aber bitte, liebe Frauen, übertreibt es doch mal nicht.
Unter dieser symbolischen Erzählung, die besagt, dass der Feminismus heute über das Ziel hinausschießt, dass Frauen sich doch bitte mit dem erreichten Stand zufrieden geben und nicht andauernd „noch mehr“ verlangen sollen, finden sich aber beileibe nicht nur Männer wieder. Es gibt auch zahlreiche Frauen, die in dieses Horn blasen.
Feminismus ist heute weniger als noch in den 1980er Jahren eine Sache, bei der sich Frauen und Männer gegenüberstehen, sondern es ist stärker ins allgemeine Bewusstsein gelangt, dass die Geschlechterordnung alle Menschen betrifft, und es finden sich sowohl unter Frauen als auch unter Männern die unterschiedlichsten Ansichten und Meinungen. Für die institutionalisierte Gleichstellungsarbeit ist diese Erkenntnis natürlich nichts Neues. Es ist ja kein Zufall, dass fast alle der früheren „Frauenbeauftragten“ inzwischen zu „Gleichstellungsbeauftragten“ geworden sind, und dass es nicht mehr um „Frauenförderung“ geht, sondern um „Gender-Mainstreaming“.
Aber. Hiermit komme ich zu einem letzten Einwand, den Feministinnen gegen die klassische Gleichstellungslogik vorbringen: Die Befürchtung, dass sie dazu dienen könnte, Geschlechterklischees gerade zu verstärken und weibliche Vielfalt unsichtbar zu machen. Feminismus, so ist zu betonen, ist nicht dasselbe wie Gender-Bewusstsein.
Wenn an den Universitäten die feministische Frauenforschung durch „Gender Studies“ ersetzt wurde, oder wenn die Frauenbeauftragten in den Institutionen zu Gleichstellungsbeauftragten wurden, dann ging damit auch eine inhaltliche Verschiebung einher. „Feministische Frauenforschung“ etwa bedeutete, den Beitrag von Frauen zu einem jeweiligen Thema zu erforschen: ihre Werke herauszugeben, ihre Thesen zu diskutieren und so weiter, wobei es viele unterschiedliche Frauen mit vielen unterschiedlichen Ideen gegeben hat. „Gender-Forschung“ hingegen bedeutet, das Geschlechterverhältnis zu erforschen, also zum Beispiel, welche Vorstellungen von Frauen und Männern dahinter liegen. Beides ist wichtig, aber es ist nicht dasselbe.
Im Zusammenhang mit der Verschiebung „Weg von Frauen, hin zu Gender“ sind leider fast überall die alten feministischen Frauen-Initiativen durch geschlechtsübergreifende Gender-Initiativen ersetzt worden. Wir müssen leider die Bilanz ziehen, dass eine dezidiert feministische Perspektive durch die Gender-Perspektive nicht ergänzt, sondern verdrängt wurde.
Man kann heute Gender Studies studieren, ohne auch nur ein einziges Buch von einer Frau zu lesen – es gibt ja inzwischen genügend Männer, die über Geschlechterfragen schreiben. Es kann auch wieder passieren, dass auf Podien oder in Gremien keine einzige Frau vertreten ist – nur eben nicht mehr nach der alten patriarchalen Logik, wonach Frauen in der Öffentlichkeit ja auch gar nichts zu suchen haben, sondern nach einer neuen, postfeministischen Gender-Logik: Wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spielen soll, dann macht es doch keinen Unterschied, ob Frauen oder Männer eingeladen werden.
Dass das Konzept „Gender“ das Konzept „Feminismus“ ersetzt und nicht ergänzt hat, ist aber noch aus einem anderen Grund schlecht. Und zwar, weil darin ein grundlegender Denkfehler über das Wesen des Feminismus zum Ausdruck kommt: Man glaubt oft, dass es im Feminismus um das Verhältnis von Frauen und Männern ginge. Es geht im Feminismus aber um das Verhältnis der Frauen zur Welt.
Das Geschlechterverhältnis, also alles, was unter der Überschrift „Gender“ verhandelt wird, ist nur ein feministisches Thema von vielen. Durch die Verschiebung „Weg von Frauen, hin zu Gender“ ist es aber als EINZIGES relevantes Thema der Frauenbewegung institutionalisiert worden. Das hat dann zu falschen Erwartungen Feministinnen gegenüber geführt.
Als feministische Bloggerin merke ich das ganz unmittelbar. Es ist eigentlich egal, über welches Thema ich schreibe, ob über politische Theorien, Care-Arbeit oder aktuelle Ereignisse, SOFORT kommt die Frage, was das denn mit den Männern zu tun hat. Immer wieder erkläre ich, dass mich persönlich die Frage „Was das mit Männern zu tun hat“ nun einmal nicht interessiert, und dass ich auch nicht dafür zuständig bin, sie zu beantworten. Mein Fachgebiet ist die weibliche politische Ideengeschichte, das bedeutet, ich erforsche die politischen Ideen von Frauen, historischen wie zeitgenössischen. Wer das, was ich dazu schreibe, auf Männer beziehen oder mit Männern diskutieren möchte, kann das ja gerne tun, das ist auf jeden Fall interessant. Aber nur weil ich Feministin bin, bin ich nicht zwangsläufig auch dafür zuständig, über das Verhältnis der Geschlechter zu schreiben.
Wenn Ideen von Frauen oder feministische Thesen getreu der „Gender-Logik“ immer sofort und unmittelbar auf das Geschlechterverhältnis und damit auf Männer bezogen werden, dann ist die Gefahr groß, dass dieses ständige Abwägen letztlich dazu führt, Stereotype zu verfestigen. Wenn ich in meinem Blog eine politische Denkerin vorstelle, die aufgrund unserer patriarchalen Geschichte ganz unbekannt ist, dann ist es müßig, zu fragen, was an ihr denn „typisch weiblich“ ist und inwiefern sich das, was sie sagt, von dem unterscheidet, was Männer sagen. Allein diese Frage zu stellen, nimmt diese Denkerin als individuelle, subjektive Person nicht ernst sondern presst sie in die Schulblade, „die Frauen“ zu repräsentieren.
Feminismus bedeutet aber, die Vielfalt unter Frauen ernst zu nehmen, und nicht bei allem, was eine Frau tut, sofort nach dem „typisch Weiblichen“ darin zu fragen und danach, inwiefern sich das von Männern unterscheidet oder ob es sich gerade nicht unterscheidet. Es geht im Feminismus um die Sicht von Frauen auf die Welt. Und das bedeutet, es geht nicht automatisch immer auch um Männer. Es ist natürlich super, wenn Männer darüber nachdenken, ob sie mit den Ideen von Frauen etwas anfangen können und darin Anregungen finden, die sie für sich selbst aufgreifen möchten. Aber es ist nicht die Aufgabe von Feministinnen, ihnen das vorzukauen. Feminismus bedeutet, einen Dialog zu inszenieren zwischen Frauen und Männern, und dieser Dialog macht es erforderlich, dass die Männer sich von selber für das, was Feministinnen sagen, interessieren. Sie können nicht erwarten, dass wir, die Frauen, ihnen alle Fragen beantworten, die sich aus unseren Ideen möglicherweise für sie selbst und ihre eigene Rolle in der Welt ergeben.
Zumal die Geschlechterdifferenz, und damit komme ich zum Ausblick, ja nicht die einzige Differenz ist, um die es geht. Es gibt die Gruppe „der Frauen“ so wenig wie die Gruppe „die Männer“. Und die Gruppe „der Feministinnen“ gibt es übrigens auch nicht.
Die Geschlechterdifferenz steht nicht für ein festgelegtes Verhältnis zwischen zwei Geschlechtern, das man nun wiederum erforschen und „verbessern“ könnte. Sie steht vielmehr für die Tatsache, dass Menschsein generell nur pluralistisch zu verstehen ist. Menschsein ist von Differenzen geprägt, von Auseinandersetzungen und Unterschieden, die sich in ihrer Komplexität nie auf einen Nenner bringen lassen. Es gibt keine allgemeingültigen Normen für Menschen. Dass Menschen eine Gebärmutter haben ist genauso normal, wie dass sie einen Penis haben. Dass Menschen gesund sind ist genauso normal, wie dass sie krank sind, dass Menschen ihr ganzes Leben in demselben Land leben, in dem sie geboren wurden, ist genauso normal, wie dass sie in ein anderes Land auswandern. Dass Menschen dunkle Haut haben ist genauso normal, wie dass sie transparente Haut haben.
Jeder Mensch ist „normal“, einfach deshalb, weil schon allein die Geschlechterdifferenz zeigt, dass es immer und unabdingbar mehrere Sorten gibt, niemals nur eine. „Der Mensch“ existiert nicht in der Realität, es existieren nur jeweils konkrete Menschen mit einer einzigartigen Herkunft, Geschichte, Position. Und genau das ist die wesentliche Erkenntnis, die der Feminismus gebracht hat: Dass Männlichkeit nicht länger die Blaupause für „richtiges, vollwertiges“ Menschsein darstellen darf.
Denn, auch das wird heute oft ganz falsch behauptet: Der Feminismus hat die Geschlechterdifferenz nie abschaffen wollen, ganz im Gegenteil, er hat ihr überhaupt erst zur Geltung verholfen. Vor dem Feminismus gab es (zumindest in der europäischen Kulturgeschichte) nicht mehrere Geschlechter, sondern nur eines, das Männliche nämlich, und das weibliche Geschlecht hatte keine eigenständige Würde sondern galt als defizitäre, schwächliche Variante des Männlichen.
Diese symbolische und reale Hierarchisierung zwischen der Norm und der Abweichung von der Norm, die Unterscheidung zwischen „richtigen“ Menschen und „weniger wertvollen“ Menschen hat, wie wir alle wissen, nicht bei der Geschlechterdifferenz haltgemacht. Auch entlang von Hautfarben, religiöser und kultureller Zugehörigkeit, Nationalitäten, Gesundheiten und Krankheiten, unterschiedliche Fähigkeiten wird sie gezogen, und bei aller Unterschiedlichkeit dieser Diskriminierungsformen im Detail ist ihnen doch allen gemeinsam, dass sich die eine Seite zur Norm setzt, an der die andere sich messen (oder verurteilen) lassen muss. Dass die eine Seite gehört wird und die andere nicht, dass die eine Seite viel mehr Geld, Macht und politischen Einfluss hat als die andere, dass die Perspektive der einen als gesetzt gilt und die Perspektive der anderen nur schwer zu Wort kommt. Und: Diese Hierarchisierungen lassen sich nicht einzeln und getrennt betrachten, sondern sie sind miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig. Eine Polin, die in deutschen Privathaushalten alte Menschen pflegt, erlebt die Geschlechterdifferenz völlig anders als eine Managerin, die in ihrem Konzern nicht durch die gläserne Decke kommt oder als eine Lehramtskandidatin, von der verlangt wird, sie solle ihr Kopftuch ablegen, bevor sie unterrichten darf.
Im Rahmen feministischer Diskurse hat sich für diesen Sachverhalt der Begriff „Intersektionalität“ herausgebildet, der „Überkreuzung“ verschiedener Differenzen. Auch deshalb geht es im Feminismus nicht nur um „Frauen und Männer“, sondern es geht immer um die Welt als Ganze. Die Geschlechterdifferenz ist in der Welt zwar ein grundlegendes Prinzip, und die Welt lässt sich nicht verstehen, wenn man den Faktor Geschlecht unberücksichtigt lässt. Aber zugleich ist die Geschlechterdifferenz niemals isoliert von anderen Verhältnissen zu betrachten.
Inwiefern können diese feministischen Diskurse nun die kommunale Gleichstellungsarbeit befruchten und voranbringen?
Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben, sondern das muss sorgfältig diskutiert und auf jeweilige konkrete Situationen vor Ort bezogen werden. Aber ich hätte einen Vorschlag für den Anfang, und zwar den, das „Wording“ noch einmal zu bedenken. So wie es richtig war, sich von der falschen Formel der „Frauenförderung“ zu verabschieden, so wäre es meiner Ansicht nach an der Zeit, sich auch von der Formel der „Gleichstellung“ zu verabschieden. Denn das verleitet uns doch immer wieder dazu, nach einer allgemeinen Norm oder Instanz zu suchen, unter der die vielen unterschiedlichen Menschen „gleich“ sind. Ein besserer Oberbegriff für das, was kommunale, also staatliche Aufgabe in diesem Zusammenhang ist, wäre meiner Ansicht nach der Begriff der „Differenzvermittlung“. Denn wir brauchen verantwortliche, durchdachte und erprobte Verfahrensweisen, damit sich die vielen unterschiedlichen Menschen, die in einer Kommune leben, mit ihren jeweiligen Perspektiven, Wünschen, Talenten und Interessen aktiv am kommunalen Leben beteiligen. Nicht nur Frauen und Männer, in ihrer Unterschiedlichkeit, sondern die ganze Bandbreite menschlicher Pluralität.
Differenzvermittlung bedeutet, Räume zu schaffen, wo wir uns begegnen können, ohne dass von vornherein feststeht, wer hier „normal“ und wer „anders“ ist. Wo wir uns füreinander interessieren, und gerade auch dann, wenn die anderen mich überraschen, mich irritieren, wenn es Konflikte gibt.
Ich würde übrigens wetten, dass ein Großteil dessen, was Gleichstellungsbeauftragte konkret im Alltag tun, in Wirklichkeit ohnehin schon eher „Differenzvermittlung“ als „Gleichstellung“ ist. Und genau aus diesem Grund ist ihre Arbeit nach wie vor enorm wichtig und wird hoffentlich auch hier in Dresden noch lange fortgeführt werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit