«Sich von der Macht verabschieden«
Differenzfeminismus ist für die Frauenbewegung eigentlich nichts Neues
«Gerade deshalb, weil die Frau dem Mann zwar gleich ist, aber doch nicht mit ihm identisch, sollte sie sich an der Arbeit für soziale Reformen beteiligen und darin die notwendigen Elemente verkörpern, die dem Mann fehlen, damit das Werk vollständig sein kann« (Jeanne Deroin)
Vor gut 150 Jahren, 1848, kandidierte in Paris eine Arbeiterin für das Parlament. Es waren revolutionäre Zeiten, und die Frauen waren ganz vorne mit dabei. Das Motto, unter dem Jeanne Deroin ihren Wahlkampf betrieb, zeigt, daß »Differenzfeminismus« keineswegs eine neue Sache ist. Gerade weil die Frau mit dem Mann nicht identisch ist, so argumentierten Jeanne Deroin und ihre Freundinnen, muß sie an den Parlamenten beteiligt werden. Frauen und Männer »verkörpern« unterschiedliche »Elemente«, so meinten sie, alle Gremien und Institutionen, die einseitig besetzt sind, seien daher notwendigerweise »unvollständig«.
Wenn heute über Differenzfeminismus diskutiert wird, wenn Italienerinnen oder Französinnen den »Emanzipationismus« kritisieren, den vor allem deutsche und US-amerikanische Feministinnen vertreten, dann wird häufig übersehen, daß sie damit eigentlich eine alte Tradition aufgreifen: Die Geschichte der Frauenbewegung ist viel mehr vom »Differenzgedanken« beeinflußt, als frau heute meint. Feministinnen dieses Jahrhunderts haben die Feministinnen früherer Zeiten häufig als rückständig belächelt, als zwar gutmeinende Schwestern, die aber leider noch nicht auf die alleinseligmachende Forderung nach Gleichheit der Geschlechter gekommen waren. Frauen, die von Geschlechtsunterschieden redeten, galten lange Zeit als nicht richtig »radikal«. Ein Blick auf die Geschichte jedoch zeigt, daß gerade der Gleichheits-Feminismus ursprünglich alles andere als radikal war.
«Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« war das Motto der französischen Revolution im Jahr 1789. Gemeint war mit dieser »Gleichheitsparole« – die Vorbild für die Demokratien westeuropäischen Musters wurde – aber keineswegs, daß die Menschen alle gleich sind, sondern es ging um eine rein formale Gleichheit: Um die Gleichheit vor dem Gesetz. Es ging darum, ein politisches System zu schaffen, das von den vielfältigen Unterschieden zwischen einzelnen Menschen – alten und jungen, reichen und armen, Frauen und Männern und so weiter – absehen sollte. Trotz aller Unterschiedlichkeit, so war das Credo der Revolution, sollten die Menschen vom Staat und in der politischen Ordnung gleich behandelt werden.
Das Konzept rief bald schon Spott hervor: »Es ist den Armen wie den Reichen gleichermaßen verboten, in Paris unter den Brücken zu schlafen« lautete ein zeitgenössischer ironischer Kommentar, und er macht deutlich, daß auch damals schon klar war: Wenn Ungleiches gleich behandelt wird, entsteht Ungerechtigkeit. In der Tat ergaben sich aus dem Gleichheitspostulat der Französischen Revolution, das durch Napoleons Heere gewaltsam durch ganz Europa getragen wurde, schon bald zwei grundsätzliche Probleme: Wie steht es mit der wirtschaftlichen Ungleichheit? Und wie steht es mit den Frauen?
Das bürgerliche Zivilgesetz entschied diese beiden Grundsatzprobleme zunächst eindeutig: Eigentumsverhältnisse werden nicht angetastet, und für die Frauen gilt das Gleichheitsgebot nicht – noch nie waren Frauen rechtlich so schlecht gestellt, wie in dem Gesetz, das »Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit« konkretisieren sollte. Gleiches gilt für die Armen: Ein wichtiges Merkmal des bürgerlichen Gesetzes ist der Schutz des Eigentums, der natürlich nur denen etwas nützt, die welches haben. Und die Konkurrenz und die Unmenschlichkeit, die in einer kapitalistischen Marktwirtschaft in den Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und Unternehmertum, Händlern und Konsumenten unvermeidbar ist, muß irgendwo ausgeglichen werden – in der Familie, wo Harmonie und Uneigennützigkeit herrschen sollen.
Es ist also kein Wunder, daß die Proteste von »bürgerlichen« Frauen und von Arbeiterinnen und Arbeitern zunächst Hand in Hand gingen. In den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden die sogenannten »frühsozialistischen« Bewegungen: Zum Beispiel die Schule von Charles Fourier, der forderte, daß die individuellen Bedürfnisse und Leidenschaften der Menschen stärker zum Zuge kommen müssen. Fourieristische Kommunen entstanden, die neue Beziehungs- und Eheformen ausprobierten, die Kindererziehung, Haushaltsarbeit und Produktionsarbeit neu organisierten, so daß jedes Individuum, egal ob Frau oder Mann, den eigenen Neigungen und Interessen folgen konnte.
Jeanne Deroin gehörte der saint-simonistischen Bewegung an, die auf den Philosophen Claude-Henri de Saint-Simon zurückgeht, eine einflußreiche Gruppe von Revolutionärinnen und Revolutionären, die das Gleichheitspostulat durch eine weitere Forderung ergänzen wollten: Aufhören müsse, so ihre Forderung, jede Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen. Das bedeutete im Klartext: Eine neue Eigentumsordnung und ein neues Verhältnis der Geschlechter. Ihre Parole war: »Der Mann und die Frau – das ist das soziale Individuum« – dieser Wahlspruch erinnert frappant an einen Buchtitel der italienischen Differenzfeministinnen: »Der Mensch ist zwei«. Das Gleichheitspostulat und die bürgerliche Gesellschaftsordnung, so argumentierten die Saint-Simonistinnen, dürften nicht dazu führen, daß das gesamte öffentliche Leben nur nach »männlichen« Regeln funktioniert, nach den Prinzipien der Konkurrenz, des Eigennutzes, der Karriere. Stattdessen müßten auch »weibliche« Kompetenzen wie Fürsorglichkeit, Intuition und Geduld die gesellschaftlichen Institutionen prägen – und daraus leiteten sie ihre Forderung nach der Beteiligung von Frauen in Gremien und Parlamenten ab. Sie erfanden auch die Institution separater Frauengruppen, damit diese »weiblichen« Kompetenzen sich entfalten könnten.
Es wäre zu dieser Zeit noch niemandem eingefallen, solche Differenzideen für »unfeministisch« zu halten. Die Saint-Simonistinnen propagierten ihre »weiblichen« Ideale mit großem Selbstbewußtsein und mit Stolz. Das bürgerliche Frauenbild vom schwachen, nicht belastbaren Weibe, das beschützt und abgeschottet werden muß, war noch nicht sehr verbreitet. Daß Frauen und Männer unterschiedlich sind, war in Zeiten, in denen es noch keine Pille gab und viele Frauen tatsächlich einen Großteil ihres Lebens mit Kinderkriegen beschäftigt waren, evident. Auch wer für welche Arbeiten zuständig war, stand außer Frage: Tätigkeiten, die vor allem Muskelkraft erforderten, waren Männersache, Frauen erledigten alles, wofür Geschicklichkeit und Geduld gebraucht wurde. Die Saint-Simonistinnen definierten beide Lebensbereiche, den der Frauen und den der Männer, als gleichermaßen notwendig für die Gesellschaft als ganzes.
Zusammenfassend kann man das Credo der französischen Frühsozialistinnen so formulieren: Frauen und Männer leben zwar unterschiedlich, aber erstens sind beide Bereiche gleichermaßen wertvoll und notwendig (Saint-Simonismus) und zweitens dürfen Individuen nicht auf ihre Geschlechtsrolle festgelegt werden, sondern müssen frei sein, ihren Neigungen zu folgen, so daß auch mal ein Mann Haus- oder Erziehungsarbeit leisten, eine Frau ausschließlich im Produktionsprozeß tätig sein kann (Fourierismus). Die meisten Revolutionärinnen und Revolutionäre dieser Zeit vertraten eine Mischform dieser beiden Theorien, so auch die berühmteste sozialistisch-feministische Theoretikerin dieser Zeit, Flora Tristan, die schon 1844 die Forderung aufstellte »Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder, vereinigt euch« – vier Jahre, bevor dieser Satz (um die Arbeiterinnen gekürzt) – im Kommunistischen Manifest wieder auftaucht.
Erst in den fünfziger Jahren wurden die »weiblichen« Kompetenzen negativ besetzt. Antifeministischen Intellektuelle – angeführt von Auguste Comte, Jules Michelet und Pierre Joseph Proudhon – traten eine regelrechte Kampagne los, um zu zeigen, daß Frauen aufgrund ihrer Andersheit nicht für eine Beteiligung am öffentlichen Leben geeignet seien. Das Wort »Antifeminismus« ist hier am Platz, weil diese Männer sich explizit gegen die frühsozialistischen Feministinnen wendeten und sich auch selbst so nannten. In kurzem Abstand kam eine ganze Reihe von Büchern auf den Markt, in denen die Theorie von der »weiblichen Inferiorität« ausgebreitet wurde. Fürsorglichkeit, Geduld und Mitgefühl wurden nun als Schwächen interpretiert und Frauen zu minderwertigen Exemplaren der Gattung Mensch erklärt. Während manche, wie Proudhon zum Beispiel, dabei eine unerhörte Arroganz zeigten – so legte er »wissenschaftlich« dar, daß Frauen den Männern sowohl in physischer, als auch in intellektueller und in moralischer Hinsicht unterlegen seien, und zwar jeweils in einem Verhältnis von 2:3 – kleideten andere, wie Michelet, ihren Antifeminismus in ein galantes Gewand, indem sie Frauen eine moralische Höherwertigkeit zusprachen. Am Ende lief es aber in jedem Fall darauf hinaus, daß Frauen vom öffentlichen Leben ferngehalten werden müßten, von der Erwerbsarbeit, den Parlamenten, der höheren Bildung.
Auch hier gab es sofort eine Welle der Empörung von Frauen, die gegen diese Anmaßungen protestierten: Autorinnen wie Jenny D'Héricourt oder Juliette Lamber und viele andere schrieben Bücher, Zeitungsartikel und Pamphlete, in denen sie die Argumentation der Antifeministen auseinandernahmen. Sie sahen sich jedoch in einer Zwickmühle: Die alten saint-simonistischen Argumente von den »weiblichen Kompetenzen« waren nun gefährlich geworden – sie wurden von ihren Gegnern in frauenfeindlichem Sinne uminterpretiert. Also beschränkten sich die meisten Feministinnen nun darauf, die formale Gleichheit von Frauen und Männern einzufordern, sich auf die Ideale der Demokratie zu berufen und nachzuweisen, daß die Argumente der bürgerlichen Philosophen in sich unschlüssig sind: Der »Gleichheitsfeminismus« ist hier also lediglich ein Rückzugsgefecht, zu dem diese Frauen durch ihre Gegner gezwungen wurden. Geglaubt haben sie nach wie vor an die Wichtigkeit, »weibliche« Kompetenzen in die Gesellschaft einzubringen, sie sagten es aber, aus strategischen Gründen, lieber nicht mehr laut. Der »Gleichheitsfeminismus« ist bei seiner Entstehung nicht eine freiwillige Entscheidung von Frauen gewesen, sondern ein Argumentationsmuster, das ihnen von einer extrem patriarchalen öffentlichen Meinung aufgezwungen wurde.
Entsprechend waren auch viele Frauen, vor allem alte und junge Revolutionärinnen, mit diesem faulen Kompromiß nicht zufrieden. Sie wollten nach wie vor nicht einfach nur für Frauen formal gleiche Rechte einfordern, sondern die grundsätzlichen Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft aufgreifen: Den Ausschluß von Frauen und die Zementierung von Arm und Reich. Sie erkannten, daß der Ausschluß von Frauen nicht nur einfach ein zufälliges »Versehen« war oder auf den schlechten Charakter einiger antifeministischer Intellektueller zurückzuführen war, sondern in der inneren Logik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft begründet ist. Sie wußten, daß ein Kampf um »Frauenrechte« innerhalb des bestehenden Systems ein Widerspruch in sich ist und sie kritisierten daher die Feministinnen, die auf den »Emanzipationismus« umschwenkten, als kurzsichtig.
Ihr Problem war nur, daß gerade in jenen Jahren auch die Arbeiterbewegung sich aus der ehemaligen Koalition mit den Frauen verabschiedete. Viele männlichen Arbeiter übernahmen immer mehr diese bürgerliche Ideologie und versuchten mit dem Argument, sie müßten ja für ihre Familien und die schwachen Frauen sorgen, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen – auf Kosten der Frauen, von denen natürlich viele genauso auf Erwerbsarbeit angewiesen waren. Übrigens traten gerade diese Männer vehement für höhere Frauenlöhne an: Sie hofften sich mit der Forderung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« die weibliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt vom Halse zu schaffen – während manche Fraueninitiativen geradezu offensiv mit niedrigeren Frauenlöhnen um mehr Frauenarbeitsplätze warben.
Unter dem zunehmenden Einfluß von Karl Marx auf die Arbeiterbewegung erklärten schließlich immer mehr Arbeiter die Produktionsverhältnisse, den Konflikt zwischen »Kapital und Arbeit« zur einzig wichtigen revolutionären Frage und den Ausschluß von Frauen aus der öffentlichen Sphäre zum »Nebenwiderspruch«. Trotzdem ließen sich die Revolutionärinnen nicht entmutigen. Virginie Barbet, André Léo und Louise Michel in Frankreich, Luise Otto-Peters in Deutschland, Harriet Law in England, russische Emigrantinnen wie Elisabeth Dmitrieff oder Olga Levaschova, die US-Amerikanerin Victoria Woodhull und viele, viele andere entwickelten revolutionär-feministische Theorien.
Und zwar Theorien im Plural: Einige plädierten zum Beispiel für die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Liberalen – schließlich wurde die Wahlrechtsdebatte in diesen Kreisen längst geführt, und wenn auch die meisten Sozialrevolutionärinnen das Wahlrecht nicht für eine dringende Forderung hielten, schließlich wollten sie die Gesellschaft ja ändern und sich nicht in sie integrieren, hielten sie solche Kooperationen doch für ein geeignetes Druckmittel auf ihre männlichen Kampfesgenossen. Andere dagegen lehnten solche Bündnisse strikt ab und setzten mehr auf die Unterstützung und Organisation von Frauenstreiks oder die Gründung autonomer Kooperativen und Genossenschaften. Manche setzten auf eine Zentralisierung der Arbeiterbewegung, weil sie hofften, dann könnten Frauenforderungen gewissermaßen von oben herab durchgesetzt werden, andere dagegen hielten die individuelle Freiheit hoch und warnten vor autoritären Tendenzen. Manche provozierten durch ihre Ansichten zur »freien Liebe«, probierten offensiv neue Lebensformen aus und propagierten sie, andere hielten das für kontraproduktiv und setzten auf einen behutsameren Bewußtseinswandel in der öffentlichen Meinung.
Doch so unterschiedlich ihre Strategien auch waren und so vehement sie darüber miteinander stritten – sie waren doch alle weiterhin davon überzeugt, daß Arbeiterbewegung und Frauenbewegung Hand in Hand gehen müßten. Nicht nach dem etwas faden Motto »gemeinsam sind wir stark«, sondern weil sie erkannten, daß sich das eine wie das andere Problem wirklich grundsätzlich nur dann lösen läßt, wenn die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung insgesamt in Frage gestellt wird – und daß man das nur kann, wenn beide Aspekte berücksichtigt werden.
In den einschlägigen Büchern zur Geschichte der Frauenbewegung sucht man die Namen dieser Frauen jedoch vergebens. Die »erste« Frauenbewegung ist in der Sicht vieler Feministinnen von heute die bürgerliche Frauenbewegung um die Jahrhundertwende, die in ihren Forderungen schon längst nicht mehr revolutionär war. Ebenso wie die Arbeiterbewegung sich Anfang des Jahrhunderts von grundsätzlicher Gesellschaftskritik verabschiedet hat, hat auch die Frauenbewegung aufgehört, das bürgerlich-kapitalistische System grundsätzlich in Frage zu stellen. Das Ergebnis sind SPD-Volksparteien und lammfromme Gewerkschaften auf der einen, Gleichstellungsbeauftragte und Quotenregelungen auf der anderen Seite. Weiter läßt sich der Integrationskurs wahrlich nicht auf die Spitze treiben.
In den heutigen, von den Differenzfeministinnen angestoßenen Diskussionen klingen aber viele Argumentationsmuster wieder an, die auch im vorigen Jahrhundert schon virulent waren: Zum Beispiel die Betonung der individuellen Bedürfnisse von Frauen: »Partire da sé« – von sich selbst ausgehen – war einer der ersten Slogans der Italienerinnen. Er bedeutet auch: Wollen wir überhaupt Bundeskanzlerin, Managerin mit 60-Stunden-Woche oder Chemie-Aktionärin werden? Und was ist mit denen – Frauen und Männern – die in der Leistungsgesellschaft auf der Strecke bleiben? Heute, wo Gleichstellung für Frauen so weitgehend erreicht sind, wie noch nie seit dem Entstehen der modernen Gesellschaft, sind viele Frauen trotzdem immer noch unzufrieden.
Immer mehr Frauen merken, daß das Platznehmen auf dem Chefsessel eben kein Selbstzweck ist, zumindest für diejenigen nicht, denen es um mehr geht, als um ein gefülltes Bankkonto und um die bloße unkritische Teilnahme an den früher rein männlichen Ritualen der Macht. Diese Rituale werden nicht davon besser, daß sich Frauen an ihnen beteiligen. Die Bilanz des Emanzipationismus lautet: Das kann's doch nicht gewesen sein?
Die von einem erstarrten akademischen Feminismus gelangweilte Masse der Frauen bastelt sich derzeit eher orientierungslos neue Weltanschauungen. Manche surfen sich durch den Esoterikmarkt, andere graben provokativ-trotzig alte Hausmütterchenqualitäten aus, und wieder andere versuchen in mühsamer Kleinarbeit, auf ihren Karriereposten das Antlitz der Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft ein bißchen menschlicher zu gestalten. Wenn aber feminisch zu arbeiten heißt, die Frauenbewegung theoretisch zu begleiten und zu untermauern, ist ein Abschied von liebgewordenen Stereotypen dringend notwendig – und zum Glück längst im Gange. Der Rückgriff auf die Diskussionen, die Feministinnen schon vor hundertfünfzig Jahren geführt haben, könnte da hilfreich sein – und wäre ein praktisches Beispiel für »affidamento«, sich anvertrauen, zwischen Frauen über Generationen hinweg: Vertrauen wir darauf, daß die Feminstinnen am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur von historischem Interesse sind, sondern daß wir auch inhaltlich von ihnen lernen können. Denn daß es in die Richtung einer wirklich radikalen Gesellschaftskritik gehen muß, haben die Italienerinnen schon angedeutet: Die jüngste Sommerausgabe ihrer Zeitschrift Via Dogana titelten sie mit der Parole »Congedarsi dal potere« – Sich von der Macht verabschieden!
(aus: Schlangenbrut, Jg. 1997, Nr. 59)