Antje Schrupp im Netz

Das heimliche Fest. Die Politik der Frauen an der Macht in Deutschland

Vortrag beim Grande Seminario von Diotima, Universität Verona, 21.10.2011

In den letzten zehn Jahren haben in Deutschland Frauen wichtige Machtpositionen übernommen. Nicht nur Angela Merkel, die seit sechs Jahren Bundeskanzlerin ist, sondern auch in vielen anderen staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, in den Kirchen, an den Universitäten, in den Gerichten und so weiter sind Frauen in einflussreichen Positionen zu finden.

Hierbei geht es nicht einfach um Gleichberechtigung oder um den Zugang zur Macht. Sehr viele Frauen, die sich in Parteien engagieren, die Positionen und Ämter innerhalb von Institutionen übernehmen, haben den starken Wunsch nach politischer Einflussnahme. Sie möchten innerhalb der klassischen Machtstrukturen etwas verändern, ihre eigenen Visionen und Ideen einflussreich machen und strukturell verankern.

Dieser Wunsch der Frauen, die Konflikte und Notwendigkeiten, die dadurch angestoßen werden, kommen in den Analysen und Debatten über diese Veränderungen bisher zu kurz. Etwas verkürzt könnte man sagen: Worüber diskutiert wird, das ist der Zugang der Frauen zur Macht und wie er erleichtert oder angeregt werden kann. Worüber aber nicht diskutiert wird, das ist die Frage, was Frauen, die dort angekommen sind, dann tun können. Welche Erfahrungen machen sie damit, die Politik der Frauen an den Orten der Macht zu verankern? Welche Konflikte gibt es, wenn sie die traditionellen Spielregeln missachten, weil sie an wirklicher Politik und nicht an bloßer Macht interessiert sind? Welche Erfahrungen haben sie inzwischen gesammelt? An welche Grenzen sind sie gestoßen?

Diese Fragen zum Gegenstand politischer Diskussionen zu machen ist wichtig, um sichtbar zu machen, was die Frauen, die ihrem politischen Begehren folgend an Orten der Macht sind, tun und wollen. Nicht, dass sie alle dasselbe wollen. Zum Beispiel ist offensichtlich, dass Angela Merkel ein großes politisches Begehren hat, aber ich bin in keiner Weise mit dem einverstanden, was sie macht. Sondern in dem Sinn, dass der Maßstab für den Erfolg einer Frau, die Politik innerhalb einer Machtstruktur macht, nicht der ist, den diese männlich konnotierte Struktur selbst anbietet, sondern ein anderswo, ein weibliches Anderswo.

Denn wenn wir nicht einen anderen Maßstab finden – und zwar nicht „finden“ in einem subjektiven Sinn, sondern in dem Sinn, dass dieser Maßstab Gegenstand einer öffentlichen Diskussion ist – sehe ich die Gefahr, dass viele Frauen, wenn sie negative oder frustrierende Erfahrungen machen (was angesichts von Machtstrukturen unausweichlich ist) entweder aufgeben, also sich aus diesen Institutionen wieder zurückziehen, oder aber sich anpassen, also ihr politisches Begehren hinten anstellen und sich in die vorgeblichen Sachzwänge fügen.

Ich werde das Thema in zwei Teilen angehen. In einem ersten Teil gebe ich einen kurzen Überblick über das, was sich in Deutschland im Bezug auf “Frauen in Machtpositionen” in den letzte Jahren getan hat und wie es politisch diskutiert wurde. In einem zweiten Teil schildere ich Diskussionen und Vorschläge, die wir im deutschen Differenzfeminismus diesbezüglich erarbeitet haben.

Zum Teil 1:

Dass Frauen in Machtpositionen inzwischen normal sind, bedeutet natürlich nicht, dass es inzwischen eine quantitativ vergleichbare Beteiligung von Frauen und Männern an diesen Orten gäbe. Noch immer haben Männer hier die deutliche Mehrheit. Aber Frauen in Machtpositionen sind eben auch nicht mehr etwas Besonderes. Eine Frau an der Macht ist nicht mehr die Ausnahme von der Regel, sondern Normalität. Es gibt viele, unterschiedliche Frauen an der Macht, weshalb man als Politikwissenschaftlerin oder auch als interessierte Bürgerin, um ihre persönliche Handlungsweise zu verstehen und zu beurteilen, sie nicht mehr mit den Männern an der Macht vergleichen muss, sondern das Handeln anderer Frauen in Machtpositionen als Maßstab anlegen kann. Was heute sichtbar wird, ist also die Differenz unter Frauen, die institutionelle Macht haben, und das ist durchaus etwas Neues.

Viel wichtiger als der quantitative Anstieg von weiblichem Einfluss in öffentlichen Institutionen ist der qualitative. Und auch da gibt es durchaus einiges zu feiern. Zwar wird diese ganze Entwicklung auch in Deutschland unter dem Label „Gleichstellung“ behandelt – zum Beispiel gibt es überall „Gleichstellungsbeauftragte“. Und oft beschreiben auch die Frauen, die diesen Weg beschreiten, dies in den Vokabeln der Gleichheit.

Aber dieses Wort beschreibt nicht das, was an diesen Orten geschieht. In diesem Frühjahr wurde das 100. Jubiläum des internationalen Frauentages gefeiert, und vielerorts wurden aus diesem Anlass Feiern, Diskussionen, Vorträge abgehalten, initiiert vor allem von diesen Gleichstellungsbeauftragten. Ich war bei mehreren solcher Gelegenheiten eingeladen und habe jedes Mal vorgeschlagen, das Wort „Gleichstellung“ nicht mehr zu benutzen und stattdessen von „Differenzvermittlung“ zu sprechen, weil es doch in Wirklichkeit das sei, was wir an diesen Orten tun. Ich bekam nicht ein einziges Mal Widerspruch.

Inzwischen ist auch im öffentlichen Diskurs klar, dass sich nicht nur die Frauen anpassen müssen, sondern dass sich auch die Institutionen verändern müssen – wenn das auch bislang vor allem im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie disktuiert wird (während ich finde, dass es noch sehr viel mehr Differenzen gibt.)

Aber immerhin: Im Sommer hat zum ersten Mal eine Bundesministerin – Kristina Schröder von der CDU – ein Kind bekommen und hat einige Monate Erziehungsurlaub genommen. Bereits im Januar hat Andrea Nahles, Generalsekretärin der SPD, ein Kind bekommen und auch sie dachte nicht im Entferntesten daran, ihr Amt aufzugeben. Das „doppelte Ja“, wie es die Frauen des Mailänder Buchladens nennen, ist also auf höchster politischer Ebene angekommen. Frauen, denen solche Positionen angeboten werden, stellen das zunehmend sogar als Bedingung. Andrea Nahles will sich jetzt dafür einsetzen, dass politische Gremien sonntags keine offiziellen Termine anberaumen. Eine Landesministerin, Barbara Steffens von den Grünen in Nordrhein-Westfalen, erzählte kürzlich bei einer Podiumsdiskussion, dass sie bei ihrem Amtsantritt die Bedingung stellte, dass es im Ministerium Kinderbetreuung gibt und sie ihren kleinen Sohn mit zu den Sitzungen bringen kann.

Frauen in Machtpositionen haben auch deshalb inzwischen gute Chancen, solche Bedingungen zu stellen, weil Gremien und Orte, an denen ausschließlich Männer vertreten sind, nicht mehr fraglos akzeptiert werden. Ein gewisser Frauenanteil gilt als Qualitätsausweis, die völlige Abwesenheit von Frauen als Anzeichen dafür, dass hier ein Problem vorliegt.

Dies zeigte sich zum Beispiel am Erfolg der neuen “Piratenpartei”, die bei den Wahlen in Berlin im September aus dem Stand 9 Prozent der Stimmen bekommen hat. Unter ihren 15 Abgeordneten ist nur eine Frau, und das hat zu zahlreichen Polemiken geführt. Auch wenn der geringende Frauenanteil in dieser Partei verständlich ist, weil sie sich bisher hauptsächlich mit Themen beschäftigt, für die sich mehr Männer als Frauen interessieren – die Freiheit des Internet vor allem – so wurde doch klar: Wer als politische Organisation ernst genommen wird, darf nicht mehr fast nur aus Männern bestehen.

Auch im Zusammenhang mit der Finanzkrise vor zwei Jahren ist das Fehlen von Frauen offen diskutiert worden. Viele vermuteten, dass mit mehr Frauen in den Entscheidungspositionen diese Banken nicht pleite gegangen wären.

Die demografische Entwicklung ist ein anders Thema, wo viele auf die Frauen setzen. Man hofft, durch einen höheren Frauenanteil in Unternehmen das patriarchale „Senioritätsprinzip“ auszuhebeln, wonach ältere Männer in der Hierarchie automatisch höher stehen als jüngere Männer und das kaum noch praktikabel ist, weil dadurch Veränderungen blockiert werden.

Ein herausragendes Beispiel dafür, wie viel Institutionen gewinnen können, wenn sie die weibliche Differenz fruchtbar machen, war die Evangelische Kirche in Deutschland, die vor zwei Jahren Margot Kässmann an ihre Spitze wählte, eine Frau um die Fünfzig, die sich als Bischöfin während ihrer Amtszeit scheiden ließ, Mutter von vier Kindern und die – anders als Angela Merkel zum Beispiel – auch keinen Zweifel daran ließ, dass sie aus der Frauenbewegung kam. Alle liebten sie: Die Frauen, weil endlich eine von ihnen ihre Kirche repräsentierte, die Männer, weil sie der etwas altmodisch und rückwärts gewandt wirkenden Organisation ein modernes und zeitgemäßes Gesicht und Image gab. Die Medien, weil sie klar und verständlich redete, die Gesellschaft, weil sie endlich wieder einmal ethische Positionen in die Diskussion brachte. Berühmt geworden ist etwa ihre Neujahrspredigt, wo sie die Militärintervention in Afghanistan kritisierte mit den inzwischen geflügelten Worten: „Nichts ist gut in Afghanistan“.

Leider haben wir nicht erfahren, ob und inwiefern es ihr gelungen wäre, die Institution nachhaltig zu prägen, denn sie ist nach nur vier Monaten zurückgetreten, weil sie erwischt wurde, als sie betrunken Auto gefahren ist. Man kann durchaus sagen, dass sich Deutschland einige Tage lang wie im Schock befand.

Was würde sie nun tun? Würde sie zurücktreten? Oder würde sie bleiben? Von den Männern gab es widersprüchliche Signale. Die einen feixten, jetzt würde sich ja zeigen, ob Frauen genauso wie Männer an ihren Ämtern kleben. Die anderen – vor allem die Männer in der Kirche – sagten in etwa, alle würden doch mal Fehler machten und versicherten ihr, wenn sie bliebe, würden sie hinter ihr stehen.

Die Frauen waren noch mehr gespalten. Die Gleichheitsfeministinnen rieten ihr, im Amt zu bleiben – mit dem Argument, dass viele Männer in vergleichbaren Situationen schließlich auch nicht zurücktreten würden. Die Mehrheit der Frauen vertrat aber die Meinung, dass ihr Verhalten, bei dem sie schließlich Menschenleben gefährdet hatte, zu schwerwiegend war, um einfach weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Aber sie waren sich auch einig, dass es ein großer Verlust wäre.

Tatsächlich ist Käßmann dann sehr schnell zurückgetreten. Und zwar mit der Begründung, dass sie nach diesem Vorfall keine Autorität mehr hätte, um kritische Positionen vertreten zu können. Der Vorfall zeigte auch, wie wenig flexibel Institutionen sind, denn es war nicht möglich, innerhalb der gegebenen Logik das zu tun, was sich die meisten wohl wünschten: Käßmanns Fehler öffentlich zuzugeben, sie aber gleichzeitig in dieser Position zu behalten. Ich habe in meinem Blog vorgeschlagen, sie solle doch zurücktreten, und dann würde sie der Rat der Evangelischen Kirche einfach erneut wählen – ihr also erneut die Autorität zusprechen, im Wissen um den Fehler, den sie gemacht hat. Der Vorschlag wurde heiß diskutiert, aber die Auffassung war, so etwas sei eben ganz unmöglich. Institutionen würden so eben nicht funktionieren.

Es ist schade, dass auf diesem Punkt nicht stärker insistiert wurde: Dass es uns nicht gefällt, dass die Institutionen so funktionieren, wie sie funktionieren. Was hier im „Fall Kässmann“ geschehen ist, war keine Niederlage, sondern ein Konflikt zwischen einem weiblichen Begehren – nämlich dem, Repräsentantinnen zu haben, die nicht rein und gut sein müssen, sondern die auch Fehler machen können – und einer Repräsentationslogik, die das nicht erlaubt.

Außerdem gaben viele Frauen zu bedenken, ich wüsste doch gar nicht, ob Margot Käßmann das überhaupt wollen würde oder ob sie nicht ganz froh sei, das Amt los zu werden – ein interessanter und viel sagender Einwand, aber auf dieses Thema komme ich nachher noch zu sprechen.

Jedenfalls: Ihr Nachfolger wurde ein Mann, der als Person durchaus in Ordnung ist, aber das große Manko hat, dass er einfach viel zu unauffällig und „normal“ ist. Niemand spricht von ihm – und also auch nicht mehr von der evangelischen Kirche – während Margot Kässmann nach wie vor in sämtlichen Talkshows sitzt, ihre Bücher sind natürlich weiterhin Bestseller. Es ist ganz eindeutig: Nicht sie hat ein Amt verloren, sondern das Amt hat sie verloren.

Es gibt also im Bezug auf den weiblichen Einfluss auf die mit Macht verbundenen Institutionen in Deutschland durchaus vieles zu feiern. Die Frage ist nun: Was machen wir aus dieser Situation?

Der erste Punkt, den ich hier vorschlage, ist: Darüber reden. Denn das passiert erstaunlicherweise viel zu wenig.

Es scheint fast ein Tabu zu sein, diese Veränderungen anzusprechen. Gerade Feministinnen sagen oft: es ist doch gar nichts passiert. Wir haben immer noch keine wirkliche Gleichstellung, argumentieren sie. Wir sind noch lange nicht bei 50 Prozent. Die Fortschritte sind ja nur auf bestimmte Bereiche der Gesellschaft beschränkt – die Politik, der öffentliche Dienst, die Kirche – aber nicht auf die wirklich wichtigen, etwa die Wirtschaft (wo es in Aufsichtsräten und Vorständen tatsächlich praktisch überhaupt keine Frauen gibt). Diese Sichtweise behauptet also: Es hat nur einige kosmetische Veränderungen gegeben, aber grundsätzlich, vom System her, hat sich noch nichts verändert.

Andere Frauen und auch viele Männer behaupten im Gegenteil, die Emanzipation der Frauen sei doch längst abgeschlossen, die Diskriminierungen abgeschafft, daher brauchen wir auch nicht mehr über das Thema reden. Es gebe eben nur noch Menschen, das Geschlecht sei unbedeutend, und daher kann sich durch eine Beteiligung von Frauen nichts prinzipiell ändern, weil Frauen ja eben auch nur Menschen sind.

Auch wenn sich beide Positionen zu widersprechen scheinen, so stimmen sie doch an einem wichtigen Punkt überein: Sie behaupten, das, was bisher passiert sei, ist unerheblich, nicht der Rede wert.

Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die große Beteiligung von Frauen an öffentlichen Institutionen durchaus nichts Nebensächliches ist, sondern ein wirklich historisches Ereignis, etwas ganz Neues und Einmaliges in der Weltgeschichte, zumindest der letzten 4000 Jahre.

Allerdings gibt es in Deutschland durchaus auch Stimmen, die, teilweise sehr lautstark, auf diese von Frauen angestoßenen Veränderungen in den Institutionen hinweisen. Es sind überwiegend Männer, die diese Entwicklung mit Sorge betrachten und für gefährlich oder zumindest problematisch halten. Sie haben das Wort von der „Feminisierung“ der deutschen Gesellschaft geprägt, oder vom „Feminat“. Diese Männer beobachten, dass sich durch die Beteiligung von Frauen an der institutionellen Macht etwas Substanzielles verändert – und diese Veränderung gefällt ihnen nicht.

Ein bekannter politischer Publizist und ehemaliger Linker schreibt zum Beispiel über Angela Merkel: „Der Geschlechterkampf in der Politik ist längst entschieden. Vorbei die Zeiten, da echte Männer regierten. Stattdessen thront jetzt eine FDJ-Pfarrerstochter (die FDJ war der Jugendverband der DDR, wo Merkel bis zur deutschen Wiedervereinigung gelebt hat) über uns, kinderlos, ihren Gespons versteckend. Im Unterschied zu ihren Vorgängern hat sie keinerlei politisches Programm, sondern ist nur eine Relaisstation für Stimmungen.“

Viele Männer teilen seine Einschätzung, wenn auch auf einer etwas moderateren Ebene. Zum Beispiel hat Frank Schirrmacher, einer der einflussreichsten deutschen Journalisten, vor einigen Jahren von einer „Männerdämmerung“ gesprochen und davon, dass Frauen (zum Beispiel die Moderatorinnen wichtiger politischer Talkrunden) die „Bewusstseinsindustrie“ übernehmen würden. Im Übrigen sind es nicht nur die älteren Männer, die noch die früheren Verhältnisse kennen gelernt haben, die sich hier beschweren, sondern auch sehr viele junge Männer, die diese „Feminisierung“, zum Beispiel in Internetforen, sehr aggressiv bekämpfen.

Diese Männer registrieren also durchaus eine Veränderung, die von Frauen angestoßen wird, allerdings sehen sie sie als negativ, als Bedrohung der alten Ordnung, als riskantes Untergraben alter und bewährter Mechanismen. Ihre Kritik geht nicht einfach gegen die Beteiligung von Frauen – im Gegenteil, sie betonen normalerweise explizit, dass sie für die Gleichberechtigung sind. Ihre Kritik geht dahin, dass Frauen das Wesen der Politik und des öffentlichen Raumes verändert haben: Weg von klassischen „männlichen“ Entscheidungen etwa, hin zum „weiblichen“ Moderieren. Gerade Angela Merkel wird dieser Vorwurf oft gemacht, sie sei wankelmütig, wird ihr vorgeworfen, sie vertrete keine konsequente Linie. „Zickzack-Kurs“. Interessanter Weise wird ihr gleichzeitig vorgeworfen, dass sie undemokratisch und quasi absolutistisch regiere, indem sie sich etwa aller unliebsamen Männer in ihrer Umgebung entledige und nur noch „handzahme“ Jüngelchen um sich schare.

Dieser Fokus der Debatte – die Feministinnen behaupten, es hätte sich nichts verändert, während die Antifeministen beklagen, dass sich alles zum Negativen verändert hätte – lenkt leider die Aufmerksamkeit von dem ab, worüber wir eigentlich nachdenken müssten: Nämlich zu verstehen, was sich verändert hat – und was nicht – und wie es zu beurteilen ist, ohne dass wir das Männliche, das Bisherige zum Maßstab nehmen.

Damit komme ich zu meinem Punkt 2: Was machen wir aus dieser Entwicklung und aus dieser Diskussion?

Ein möglicher Ansatzpunkt für eine solche Analyse ist es, zu schauen, wo die positiven Entwicklungen, von denen ich sprach, an eine Grenze stoßen. Denn das tun sie derzeit.

So scheint es eine natürliche „Frauenquote“ zu geben, bei dem sich der Prozess der stärkeren Sichtbarkeit und des Einflusses von Frauen wieder abschwächt. Sie liegt bei etwa zwanzig bis dreißig Prozent – das ist der Frauenanteil, der heute als „normal“ gilt, als „gefühlte Gleichberechtigung“. Sind es weniger Frauen, gilt die Institution oder das Gremium als antiquiert und männerlastig. Sind es mehr, erreichen Frauen also fast die Hälfte oder sogar mehr, so wird das ganze Gremium als „frauendominiert“ empfunden.

Außerdem übernehmen Frauen Machtpositionen sehr oft in Krisensituationen, wie zum Beispiel Angela Merkel auch in einer Krise der CDU die Parteispitze übernahm. Also dann, wenn die herkömmlichen Wege nicht mehr funktionieren – so ähnlich, wie es Annarosa Buttarelli in ihrem Text über die Souveräninnen schrieb: Wir kommen an die Macht, weil die Zeiten dafür günstig sind, nicht weil es unser Recht wäre. Ich teile mit ihr die Einschätzung, dass das kein Nachteil ist, sondern ein Vorteil, weil es symbolische Unabhängigkeit von diesem männlichen Rechtssystem ermöglicht. Aber es heißt auch, dass wir es hier noch mit der Bewältigung einer Krise der männlichen symbolischen Ordnung zu tun haben, und noch nicht mit einer Zeit, in der die Krise schon überwunden und etwas Neues geschaffen wäre.

Damit komme ich zu meinem zweiten Vorschlag: Nämlich dass wir uns bewusst mit der Entwicklung neuer Praktiken und wie wir sie verankern können, beschäftigen.

Die Aufmerksamkeit der Frauenbewegung war in der Vergangenheit stark darauf gerichtet, Frauen den Zugang zu den Institutionen und Machtpositionen zu ermöglichen. Aber das Haupt-Dilemma scheint mir heute woanders zu liegen – nämlich in der Frage, was Frauen dort überhaupt tun können – und was nicht.

Nicht genug jedenfalls aus der Sicht vieler Frauen, die das versucht haben. Inzwischen stellt sich nämlich heraus, dass es für eine Frau, die mehr will, als nur gleichberechtigt sein, sehr anstrengend ist, die Ämter der Institutionen einzunehmen. Die Gefahr, enttäuscht zu werden, ist sehr groß.

Eindrücklich hat das Bärbel Wartenberg-Potter auf den Punkt gebracht, eine evangelische Bischöfin, die dieses Amt mit dezidiert feministischem Impuls angetreten war (also mit Rückhalt in den Beziehungen zu anderen Frauen). Als sie vor knapp zwei Jahren in den Ruhestand ging, zog sie Bilanz, und sagte rückblickend: Über weite Strecken habe sie die Bischöfin nur gespielt. Das Amt und die damit verknüpften Erwartungen sei größer gewesen als ihre Kraft, es mit neuen Inhalten zu füllen.

Dieses Phänomen, dass die Rolle einer Position die Handlungsspielräume einengt, ist natürlich umso stärker, je höher es in der alten männlichen Machthierarchie angesiedelt ist. Und es macht diese Ämter in höchstem Maße unattraktiv für viele Frauen, für die der Besitz von Status und Geld diese Nachteile nicht kompensiert. So erkläre ich mir jedenfalls, warum es eine zunehmende Unlust von Frauen gibt, für solche Ämter zu kandidieren, solche Machtpositionen anzustreben.

Es sind meiner Ansicht nach also nicht mehr nur die alten Männerbünde und Widerstünde, die Frauen daran hindern, einflussreiche Positionen in Organisationen und Institutionen einzunehmen, sondern – und das ist der wichtigere Punkt – es gibt eine wachsende Unlust der Frauen selbst, sich auf diesen Weg zu begeben, was auch etwas damit zu tun hat, dass die negativen Erlebnisse und die Erfahrungen von Einflusslosigkeit noch nicht Gegenstand einer öffentlichen Debatte unter Frauen ist.

Sicher hat es die feministische Kritik an der „Institutionalisierung“ schon immer gegeben, aber in den 1980er Jahren war der Kampf um Machtpositionen noch neu und spannend: Ich berichtete damals als junge Journalistin oft über die erste Frau in diesem oder in jenem Amt. Die erste Bürgermeisterin, die erste Rektorin, die erste was auch immer zu sein – oder sich für ihre Kandidatur stark zu machen – ist toll. Die fünfte zu sein, na ja. Das lockt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Und darum stellen sich Frauen heute öfter häufiger die Frage, warum sie das tun sollen. Oder, wie viele es auch ausdrucken: Warum soll ich mir das antun?

Zumal es ja längst attraktive Alternativen gibt. Wir brauchen keine Machtpositionen, um ein glückliches Leben zu führen. Denn es ist ja nicht mehr so, dass Frauen keine Möglichkeiten hätten. Die Frauen sind heute sehr gut ausgebildet, sie haben viele Fähigkeiten, sie können sich vielerlei Nischen schaffen, in denen sie tätig sein können, und zwar sinnvoll tätig – sei es in eigenen Organisationen, als Unternehmensgründerinnen, oder aber auch in den unteren Ebenen der Institutionen, dort, wo die alltägliche, konkrete Arbeit gemacht wird, die viele Frauen viel interessanter finden als das, was in den Führungsebenen geschieht.

Tatsächlich kann man bereits von einer „Wieder-Vermännlichung“ bestimmter gesellschaftlicher Institutionen sprechen – die heute nicht mehr ein Zeichen patriarchaler Zustände ist, sondern paradoxerweise gerade eine Folge davon, dass die Anwesenheit von Frauen in diesen Institutionen inzwischen „normal“ ist in dem Sinn, wie ich ihn oben beschrieben habe: Wir wissen, wie es da zugeht, und es gefällt uns nicht.

Es ist schwer, hier Handlungsmöglichkeiten zu finden, zumal wenn man das persönliche Begehren als Motor des politischen Handelns ernst nimmt. Mir scheint, die einzige Möglichkeit ist, daran zu arbeiten, dass es ein Vergnügen an der Politik gibt, das auch in Auseinandersetzung und in Nähe zur Macht möglich ist. Nicht so, wie viele Feministinnen davon sprechen: Dass es auch Frauen Freude bereiten kann, den Status einer hohen Position zu genießen. Sondern in dem Sinn, dass diese schwierigen Konflikte es wert sind, geführt zu werden. Sie wie ein anderes Spiel zu sehen: Das Spiel der Veränderung.

So wie es zum Beispiel bei einer politischen Freundin von mir ist, die sich beim Thema Armutspolitik engagiert und gerne Vorsitzende einer internationalen Vereinigung zur Armutsbekämpfung wäre. Sie hat schon zweimal kandidiert, aber sie wurde nicht gewählt, weil sie den Mitgliedern zu unkonventionell ist. Normalerweise dürfte sie gar nicht weiter kandidieren, weil das nach der derzeitigen Logik der Institutionen als Schwäche gilt, etwas, das man nicht tut. Sie wird aber weiterhin kandidieren, denn sie will diese Position unbedingt haben. Nicht, weil sie so gerne Vorsitzende wäre, sondern weil sie überzeugt ist, dass sie es besser machen würde, dass sie die Richtige für diese Position ist.

Ich denke, das müsste der Weg sein: Dass die Frauen überall dort kandidieren, wo sie wirklich hin möchten – und nicht dort, wo sie im Sinne von zahlenmäßiger Präsenz „fehlen“.

Für viele Frauen in Deutschland ist eine sehr verlockende Maßnahme gegen die gleichbleibende oder wachsende männliche Überzahl derzeit die Einführung einer festen Frauenquote. Denn immerhin würde eine feste Quote diese Notwendigkeit der Vermittlung sozusagen per Zwang herstellen. Alle Parteien in Deutschland mit Ausnahme der FDP haben schon eine Quote, für die Wirtschaft wird sie offensiv gefordert.

Ich bin immer eine Gegnerin der Quote gewesen, aus Gründen, die ich hier wohl nicht ausführen muss. Aber jetzt, wo sie praktisch schon einmal da ist, kommt es wohl darauf an, das Beste daraus zu machen.

Es ist ja nicht so, dass wir noch keine Erfahrung mit diesem Instrument hätten. Die Partei der Grünen in Deutschland hat eine 50-Prozent-Quote für sämtliche Parteigremien bereits seit dreißig Jahren, und so ist auch offensichtlich, was eine Quote nicht bewirken kann: Nämlich eine Veränderung der Parteistrukturen dahingehend, dass Frauen sich an diesen Orten der institutionellen Macht ebenso wohl fühlen wie Männer. Wo immer ich mit grünen Frauen spreche, sagen sie übereinstimmend: Hätten wir keine Quote, wären auch in unserer Partei die Männer überall in der Überzahl. Unsere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ist, sehr zum Ärger vieler Feministinnen, gegen Quotenregelungen. Vor einiger Zeit hat sie einen interessanten Vergleich gebracht: Eine Quote sei wie Kortison, sagte sie, sie würde nicht die Krankheit heilen, sondern nur die Symptome unterdrücken. Das brachte mich auf die Idee, dass genau das aber vielleicht heute die Aufgabe einer Quote sein könnte. Wenn der Patient so krank ist, wie derzeit unsere politischen Institutionen, dann muss man vielleicht zunächst mit Kortison die Symptome zum Abklingen bringen, damit überhaupt die Chance auf eine Heilung besteht.

Allerdings kann es dabei natürlich nicht bleiben, man muss also das Bewusstsein davon wachhalten, dass eine Quote nur Symptome unterdrückt, aber das Problem nicht löst, und dass sie – ebenso wie das Kortison – gefährliche Nebenwirkungen hat. Die gefährlichste Nebenwirkung davon ist, dass sie die weibliche Differenz verschleiert (in dem Fall die Abwesenheit der Frauen von den Orten institutioneller Macht) und uns glauben machen lässt, wir wären nicht krank, die Institutionen würden funktionieren.

Die Illusion vieler politisch aktiver Frauen besteht meiner Meinung nach darin, dass sie glauben, ein höherer Frauenanteil würde automatisch zu Veränderungen führen. Das ist falsch, und die Wieder-Vermännlichung der politischen Strukturen beweist das. Wenn Frauen mit ihrem Begehren nach Politik in Machtstrukturen hineingehen, muss dieser Prozess aktiv begleitet werden.

Gemeinsam mit politischen Freundinnen, die ebenfalls dem Denken der Differenz verbunden sind, arbeiten wir schon lange an diesen Themen. Vor zwei Jahren haben wir – in diesem Fall die Redaktion des Internetforums „Beziehungsweise weiterdenken“ – zu einer Konferenz eingeladen mit dem Titel „Sichtbar und einflussreich, ohne sich anzupassen“. Wir haben Frauen aus verschiedenen Positionen und Arbeitsbereichen, innerhalb und außerhalb von Institutionen, eingeladen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Hier ein Protokoll

Dabei haben wir festgestellt, dass feministisch bewusste Frauen in Machtpositionen sehr viel verändern können. Wir haben viele Beispiele dafür gesammelt – und waren selbst Beispiele dafür – wie es gelungen ist, Kulturen zu verändern, neue Praktiken zu etablieren, die Welt so zu gestalten, wie es unseren Wünschen und Vorstellungen entspricht. Und wir haben festgestellt, dass es durchaus möglich ist, die Ressourcen der Institutionen dafür einzusetzen. Dies gelingt, damit sage ich Euch hier natürlich nichts Neues, immer dann, wenn nicht die Männer oder die Statuten der Institution der Maßstab unseres Handelns sind, sondern wenn wir diesen Maßstab in Beziehungen zu anderen Frauen finden. Wobei das kein Gegensatz ist: Gerade eine Frau, die den Maßstab weiblicher Autorität kennt, kann auch den Männern oder den traditionellen Kräften innerhalb einer Institution mit Offenheit und Überzeugungskraft begegnen, sie hat gute Chancen, dort Autorität zugesprochen zu bekommen und nicht ständig auf Machtinstrumente zurückgreifen zu müssen. Aber die Institution, in der ich eine Machtposition habe, darf niemals der einzige Ort sein, an dem ich „zu Hause“ bin, so eine Formel, auf die wir das gebracht haben.

Dieser Weg hat allerdings auch Grenzen. Bei unseren Diskussionen ist uns nämlich aufgefallen, dass eines fehlt: Nachhaltigkeit. Uns ist aufgefallen, dass viele dieser Beispiele von positivem Einfluss von Frauen innerhalb von Institutionen endeten, sobald die betreffenden Frauen aus dieser Arbeit ausschieden, etwa die Stelle wechselten oder in Pension gingen. Die kulturellen, thematischen und inhaltlichen Veränderungen, die sie angestoßen hatten, überdauerten ihre Anwesenheit als Person nicht. Man hat den Eindruck, die Institution ist eine träge Masse von Schlamm, die sich durchaus von engagierten Frauen beiseite schieben und begrünen lässt. Aber sobald man ihr den Rücken kehrt, schließen sich die Schlammfluten wieder und begraben alle neuen Pflanzen unter sich.

Es ist aber notwendig, neue Praktiken auch langfristig zu verankern, sonst verändert sich die Institution nicht wirklich, und es ist wie eine Sisyphos-Arbeit, die die Frauen frustriert. Aber wie kann es gelingen, neue Praktiken zu verankern und zu einem neuen Maßstab für nachkommende Frauen werden zu lassen, wenn wir gleichzeitig die negativen Begleitumstände von Institutionen – feste Machthierarchien und so weiter – ablehnen? Das ist eine offene Frage bisher. Unabdingbar ist es aber, diese Unzufriedenheit der Frauen und dieses Dilemma, vor dem viele von ihnen stehen, zu thematisieren und in die öffentlichen Debatten hinein zu tragen.

Ein entscheidender Schritt dabei, so stellten wir fest, ist, ob es gelingt, das eigene Anliegen auch Männern zu vermitteln. Denn genau daran hapert es noch sehr – auch weil viele Männer meinen, indem sie Frauen formale Gleichberechtigung gewähren, hätte sich die Sache erledigt. Sie können sich oft gar nicht vorstellen, dass Frauen noch mehr wollen als ihnen gleichgestellt zu sein.

Das haben wir in der evangelischen Kirche erfahren, einer Institution, in der ich mich sehr gut auskenne, weil ich selbst dort arbeite, und in der sich Frauen besonders stark mit der institutionellen Macht und ihren Funktionsweisen beschäftigt haben. Eine Institution, in der Frauen sehr früh versucht haben, Veränderungen auch institutionell zu verankern.

Über dreißig Prozent der Pfarrstellen sind inzwischen von Frauen besetzt, unter den Theologiestudierenden sind fast 70 Prozent Frauen. Die Veränderungen, die es da in den letzten 30 Jahren gegeben hat, sind enorm. Neue Liturgien für den Gottesdienst wurden erfunden, die Rede von Gott als Vater wurde problematisiert, die von der Tradition vergessenen Frauen und Theologinnen aus der Kirchengeschichte entdeckt, neue Kirchenlieder getextet, und so weiter. Dies alles nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, im Ausüben der Religion, in der Kultur, in den Riten und so weiter.

Es ist interessant, wie diese Entwicklung sich vollzogen hat: Von unten und von oben gleichzeitig nämlich. In der Kirche hat es nie eine Quote gegeben, aber das Begehren der Frauen war so stark, dass der Zugang zu Machtpositionen leicht ging.

Und trotzdem verlieren auch hier in den letzten Jahren viele Frauen die Lust, sich in den oberen Ebenen der Kirchenhierarchie weiter zu engagieren – der Anteil der Frauen in synodalen Leitungsgremien stagniert oder geht sogar zurück. Männer hingegen finden sich immer für diese Positionen.

Diese neue Abwesenheit der Frauen aus diesen Leitungsgremien ist kein Ausschluss mehr, sondern es ist ein freiwilliger Rückzug, der oft gerade mit dem Begehren begründet wird, lieber etwas anderes machen zu wollen. Und dieses „Lieber etwas anders machen“ ist heute, der Frauenbewegung sei Dank, eben auch möglich. Es gibt Frauenorte, es gibt Frauenliturgien, es gibt Frauengottesdienste, es gibt Arbeitsbereiche, in denen weibliche Autorität dominiert, während die Institution insgesamt symbolisch männlich bleibt.

Die Männer kommen nicht zu den „Frauenorten“, die Frauen meiden die „Männerorte“. Es findet keine Vermittlung statt – und Dank der aufgeteilten Orte ist die Vermittlung auch nicht mehr notwendig.

Das Problem ist nur, dass dadurch die Differenzen nicht bearbeitet, sondern nur unter den Teppich gekehrt werden. Und es entstehen regelrechte „Parallelgesellschaften“ – ein Wort, das in Deutschland normalerweise verwendet wird, um das Auseinanderdriften von „Mehrheitsgesellschaft“ und den Milieus der Zugewanderten zu beschreiben, aber ich finde, es passt besser auf das Auseinanderdriften von althergebrachten, männlich geprägten Institutionen und einer neuen „Kultur der Frauen“, die es inzwischen innerhalb derselben Institutionen gibt.

Wie weit sich diese „Parallelgesellschaften“ bereits voneinander entfernt haben, ist ans Licht gekommen, als vor fünf Jahren eine neue Bibelübersetzung erschienen ist, die so genannte „Bibel in gerechter Sprache“. Sie war direkt aus der christlichen Frauenbewegung hervorgegangen, denn je mehr die Frauen sich daran gemacht hatten, die Kirche und die alltägliche Praxis zu verändern, umso unzufriedener waren sie mit den vorhandenen Texten, und vor allem mit den klassischen Bibelübersetzungen, in denen Frauen unsichtbar waren, in denen Gott immer nur Herr oder Vater genannt wird, in denen keine Jüngerinnen und Apostelinnen vorkamen und so weiter.

Da es inzwischen genug einflussreiche Frauen in maßgeblichen Positionen der Kirche gab, starteten sie, gemeinsam mit einigen Männern, die ähnliche Anliegen hatten, das gigantische Projekt, die Bibel aufgrund der Ergebnisse der feministischen Theologie neu zu übersetzen. Im Land von Martin Luther war das natürlich auch ein symbolträchtiges Projekt. Die neue Bibelübersetzung sollte nicht nur Frauen sichtbar machen, sie sollte auch die anti-judaistischen Tendenzen der klassischen Übersetzungen ausmerzen sowie sozialwissenschaftliche Erkenntnisse einfließen lassen. Über vierzig Theologieprofessorinnen und einige Theologieprofessoren machten sich ans Werk.

Als diese neue Bibelübersetzung dann herauskam – mit einem großen Fest übrigens – zeigte sich, wie tief der Graben zwischen dem männlichen Mainstream und der „Frauenkirche“ inzwischen geworden war. Die Besprechungen in den säkularen Feuilletons waren von krassem Unverständnis geprägt, die Männer (und auch einige Frauen), die da schrieben, waren wie vor den Kopf geschlagen. Offenbar hatten sie von all den von den Frauen angestoßenen Veränderungen überhaupt nichts mitbekommen.

Erkenntnisse, die für die feministisch inspirierten Kirchenkreise längst banal waren – wie die Tatsache, dass es Apostelinnen gegeben hatte oder die Praxis, Gott auch mit weiblichen Namen wie „Mutter unser“ anzusprechen – wurden von anderen als skandalös und komplett falsch empfunden. Die Diskussionen waren erregt und angespannt, es war ein regelrechter „Clash of Cultures“, und es wurde deutlich, dass es sich bei den feministisch beeinflussten Kulturen und den klassischen Mainstreamkulturen tatsächlich um regelrechte Parallelgesellschaften handelt.

Viele Frauen waren schockiert über die feindseligen Reaktionen, aber ich habe mich gefreut, weil hier endlich einmal ein Konflikt offen ausgetragen wurde, der meiner Meinung nach sehr notwendig ausgetragen werden musste. Und zwar gerade auch auf einer institutionellen Ebene. Mit dieser Bibel haben die Frauen – und die Männer, die die Anliegen der feministischen Theologie verstanden hatten – deutlich gemacht, dass sie sowohl eine symbolische Unabhängigkeit von den überlieferten Traditionen haben, sofern diese einen verengten männlichen Blick einnehmen, dass sie sich aber gleichzeitig selbst als Teil dieser Tradition sehen und die Autorität haben, wesentliche Teile davon zu verändern und neu zu schreiben, und zwar nicht außerhalb der Institution oder in eigenen, abgeschotteten „Frauenzirkeln“, sondern im Auftrag und im Namen dieser Institution und – was in solchen Zusammenhängen auch nicht ganz unwichtig ist – auch mit dem Geld dieser Institution.

Dies ist eine Lehre, die man aus diesem Ereignis ziehen kann, wie ich glaube: Dass es sehr fruchtbar ist, öffentliche Kontroversen in Kauf zu nehmen. Also die Ressourcen und Einflussmöglichkeiten der Macht nicht nur im Konsens zu nutzen, sondern auch für Projekte einzusetzen, die die überlieferte Ordnung herausfordern und ihre weitere Gültigkeit bestreiten.

Also Konflikte ans Tageslicht bringen, in denen es nicht länger um Quoten und Gleichberechtigung geht, sondern um grundlegende Themen, die das Wesen der jeweiligen Institution betreffen: Das Recht, die Wissenschaft, die Politik, die Theologie.

In meinem Beispiel war etwa eine der größten Kontroversen im Anschluss an die Bibel in gerechter Sprache das Wort „Herr“ für Gott, das die meisten Frauen schon lange nicht mehr verwenden, vielen Männern (und auch einigen Frauen) aber sehr wichtig ist. Auch vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, in dem die Betonung „Gott allein ist unser Herr“ (und nicht Adolf Hitler) eine wichtige Rolle im kirchlichen Widerstand spielte. Den meisten Frauen – und mir auch – ist diese Geschichte aber nicht Grund genug, weiter an dem Wort „Herr“ festzuhalten, sie finden es unangemessen, Gott mit demselben Wort zu bezeichnen wie Herrn Schmidt oder Herrn Maier aus der Nachbarschaft. Die Verwechslung des Göttlichen und des Männlichen ist die größte Gefahr, finden wir.

Eine der genialsten Ideen der Bibel in gerechter Sprache – die meiner Ansicht nach im Übrigen durchaus auch problematische Seiten hat – ist, dass dem Wort „Herr“ (also adonai, was in der Bibel selbst schon ein Wort ist, das man benutzt, weil man den Namen Gottes nicht aussprechen darf) verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten zur Seite gestellt werden: Einfach Gott, oder auch die Ewige, der Lebendige und so weiter. In jedem Kapitel hat die jeweilige Übersetzerin oder der jeweilige Übersetzer sich für einen durchgehenden Begriff entschieden, aber die Stellen sind farbig markiert, sodass man beim Lesen jeweils selbst wählen kann, in welchem Wort man Gott benennen möchte.

Vielen ist das jedoch ein Dorn im Auge, weil sie durch den Verzicht auf den „Herren-Gott“ eine Verweichlichung des christlichen Anliegens befürchten. Der Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf hat als einer der ersten vor der Gefahr einer „Feminisierung“ der Kirche gewarnt. Die Kirche verliere an Autorität, so seine Befürchtung, sie werde in den Händen der Frauen eine „Kuschelkirche“, sie provoziere die Gesellschaft nicht mehr durch klare, ethische und politische Analysen, sondern es gehe ihr nur noch um das „Wohlfühlen“ und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Das hängt ganz eindeutig damit zusammen, dass es den Frauen eben nicht nur um eine „gleichberechtigte“ Mitwirkung in der Kirche geht, sondern darum, ihre grundsätzlichen Prinzipien – in dem Fall die Bedeutung von Gott und unser Verständnis von ihr – zu verändern und aus den Fängen einer männlichen symbolischen Ordnung zu befreien. Zumindest an dieser Stelle ist es gelungen, diesen Konflikt öffentlich zu machen und sich nicht darum herum zu mogeln, und daher ist diese Bibel in gerechter Sprache für mich ein positives Beispiel, von dem man sich vielleicht auch in anderen Bereichen inspirieren lassen kann.

Zumal der Einwand gegen die „feminisierte Kuschelkirche“ in eine ähnliche Richtung geht wie viele Kommentare zu der Veränderung, die die Anwesenheit von Frauen im politischen Raum gebracht hat, auch wenn das dort nicht so klar ausgesprochen wird. Einer der wichtigsten Einwände gegen den politischen Einfluss von Frauen ist nämlich, dass sie nicht mehr von objektiven Sachfragen ausgehen würden, sondern „Befindlichkeiten“ ausleben. Dass sie von ihren persönlichen Vorlieben und Lebensumständen ausgehend die harten Fakten verdrehen und dass das gefährlich sei für den Zustand der Gesellschaft. Ja, genau, das tun sie, nur dass ich es anders beschreiben würde: Frauen sind Prinzipien und Dogmen weniger wichtig als das, was in einer konkreten Situation notwendig oder das Beste ist. Eine Gefahr droht bei so einer Vorliebe nur dann, wenn dieses „notwendig oder das Beste“ als Egoismus verstanden wird. Männer haben die Versuchung, die Macht für egoistische Zwecke und persönliche Vorlieben zu missbrauchen, durch Prinzipien und „Sachlichkeit“ gebannt. Allerdings behindert diese Prinzipientreue und nüchterne Sachlichkeit in vielen Situationen, das zu tun, was notwendig ist. Dies ist ein Punkt, der vielen Frauen, die in Institutionen arbeiten, Unbehagen bereitet, und es liegt ihnen viel daran, den Maßstab dessen „was richtig ist“, wieder einzuführen. Diese fehlende „Prinzipientreue“ der Frauen wird ihnen oft als Schwäche ausgelegt, jedenfalls rankt sich darum meiner Ansicht nach einer der wesentlichen Konflikte in diesem Zusammenhang.

Aber ich möchte an dieser Stelle keine Prophezeiungen für die Zukunft abgeben, denn das ist nicht möglich. Ich glaube jedoch, dass die weitere Entwicklung ganz wesentlich davon abhängen wird, ob es uns gelingt, inhaltliche Konflikte offen zum Thema zu machen und symbolische wie reale Praktiken zu erfinden, die hier die Konfrontation nicht scheuen.

Was ich zum Schluss nur noch betonen möchte: An dieser Arbeit können sich Frauen von vielen Orten aus beteiligen: Diejenigen, die außerhalb von Institutionen stehen ebenso wie die, die innerhalb stehen. Es gibt keine besseren und schlechteren Orte, Politik zu machen, wie Fulvia Bandoli in ihrem Beitrag zu dem Diotima-Buch „Macht und Politik sind nicht dasselbe“ schreibt. Es ist gut, dass manche Frauen sich außerhalb, andere aber innerhalb der institutionellen Macht engagieren möchten, und der Streit darum, was besser ist, ist überflüssig.

Denn beide können sich gegenseitig unterstützen – eben indem sie öffentlich darüber sprechen, welche Erfahrungen sie mit dem einen oder anderen Weg machen. Eine solche Debatte würde den Frauen, die Machtpositionen innehaben, zwar nicht die unmittelbare Vermittlungsarbeit erleichtern, aber sie würde ihr Handeln in einen größeren Kontext stellen und ihm eine andere Bedeutung zusprechen. Vielleicht wären sie dann nicht mehr so oft frustriert, vielleicht würde das Engagement dort wieder mehr Reiz bekommen auch für diejenigen, die Macht und männlich geprägter Institutionenpolitik grundsätzlich skeptisch gegenüber stehen.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.